Diese Männer berichteten in Miesbach über Erfahrungen in russischer Kriegsgefangenschaft.
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Oleksiy Anulja, Priester Vasyl, Artem Rakitin (v. l. n. r.) in Miesbach

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Kriegsgefangen in Russland - Ukrainer berichten von Folter

Ukrainische Soldaten und ein orthodoxer Priester sind ins oberbayerische Miesbach eingeladen worden, um von ihren Kriegserfahrungen zu berichten. Zwei von ihnen befanden sich in russischer Gefangenschaft - sie berichten von schweren Folterungen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Artem Rakitin gezeichnet. Rakitin kämpfte als Soldat in einer ukrainischen Spezialeinheit, die immer dann gerufen wurde, wenn es brenzlig wurde und andere Soldaten unterstützt werden mussten.

Auch bei der Evakuierung von Zivilisten aus Gebieten, die unter Beschuss der russischen Armee standen, half Rakitin. Bei seinem letzten Einsatz wurde der fast zwei Meter große, muskelbepackte Mann schwer verletzt. Er verlor ein Auge.

Der BR trifft Artem Rakitin gemeinsam mit seinem Freund Oleksiy Anulja und dem orthodoxen Priester Vasyl im oberbayerischen Miesbach. Die drei ukrainischen Männer sollen hier im Pfarrheim über ihre Erlebnisse berichten.

Momentan sei die Situation an der Front schwierig, sagt Rakitin. Es herrsche ein Mangel an Munition. Möglicherweise müsse man sich jetzt aus schon befreiten Gebieten zurückziehen.

Anuljas Martyrium

Oleksiy Anulja war einst ein kräftiger junger Profisportler, ein internationaler Kickbox-Champion. Heute ist er ein seelisch und körperlich kranker Mann. Als Soldat geriet Anulja 2022 in russische Kriegsgefangenschaft, sein Bataillon sei aufgerieben worden, sagt er. Ganz in der Nähe habe man andere ukrainische Soldaten, unter denen sich auch sein Vater befand, in eine Kirche gesperrt und diese dann angezündet. Dabei sei auch sein Vater gestorben.

In Gefangenschaft begann für Oleksiy Anulja sein Leidensweg. "Sie haben mich mehrmals täglich geschlagen, sie haben mir eine Schere reingerammt, mit Knüppeln und Kabeln haben sie mich geschlagen", so Anulja.

Anulja wurde schwer gefoltert. Die russischen Soldaten zogen ihm Zähne, brachen ihm Schlüsselbein und Hände. Mit einem Messer wurden Nervenstränge an den Zehen durchschnitten. Er verbrachte Monate in Einzelhaft. Ein Alptraum, mit dem er bei seiner Gefangennahme nicht gerechnet habe, sagt Anulja. Seine Peiniger hätten versucht, sich beim Foltern gegenseitig zu übertreffen. Die Folterer hätten zu ihm gesagt: Ukrainische Soldaten seien Abschaum, Kinder von polnischen Huren und deutschen Nazis.

Vasyl: Verschleppt von der Schlangeninsel, dann gefoltert

Priester Vasyl war am 25. Februar 2022, dem zweiten Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine, zusammen mit anderen Geistlichen und einem Arzt auf einem Schiff unterwegs zur Schlangeninsel im Schwarzen Meer. Man vermutete auf der zur Ukraine gehörenden Insel durch einen russischen Angriff getötete Ukrainer, man wollte die Leichen bergen und nach Hause bringen. Doch am Ziel angekommen, wurden die Männer von russischen Soldaten gefangengenommen und nach Russland gebracht.

Dort sei auch er schwer misshandelt worden, sagt Priester Vasyl. Mit Prügeln und Stromschlägen habe man ihn gequält, Fingernägel seien ausgerissen worden.

Über die Unterstützung der Ukraine durch Deutschland sei er sehr dankbar, sagt der Geistliche. Er hofft, dass die internationale Hilfe für sein Land nicht abreißt, denn dann sei die Ukraine verloren. "Das ist ein Kampf von zwei Welten, zwischen einem zivilisierten und einem totalitären Regime. Wenn Ihr uns nicht helft, wird Russland uns töten", sagt der Priester.

Die Pflicht, über russische Verbrechen zu informieren

Im Miesbacher Pfarrheim Mariä Himmelfahrt erzählen die Ukrainer ihre Geschichten, berichten von den Kriegsverbrechen. Das Interesse ist groß, im Saal ist jeder Platz besetzt, viele hören stehend zu.

Eingeladen zu der Veranstaltung mit dem Titel "Der Preis der Freiheit" hatte der Bundestagsabgeordnete Karl Bär (Grüne). "Es geht darum, dass der Krieg in der Ukraine nicht vergessen wird", sagt Bär. Er warnt davor, dass ansonsten die Unterstützung für die Ukraine zurückgehe und die Ukraine den Krieg verliere. Russland könne dann motiviert sein, das Baltikum und Moldau anzugreifen. "Dann stecken wir im Krieg tief drin", so Bär.

Oleksiy Anulja glaubt ebenfalls, dass Putins Machthunger auch nach einem Fall der Ukraine nicht gestillt sei. Rund zehn Monate dauerte sein Martyrium in Russland. Er kam, wie auch Priester Vasyl, durch einen Gefangenenaustausch frei. 37 Operationen hat Anulja seither hinter sich. Er bekommt psychologische Betreuung.

Seit ihrer Freilassung sehen es Oleksiy Anulja und Priester Vasyl als ihre Verpflichtung an, die Öffentlichkeit über die Verbrechen an ukrainischen Kriegsgefangenen zu informieren.

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