Das Deckblatt des Zwei-plus-Vier-Vertrags sowie Medien und Plattformen
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Der Zwei-plus-Vier-Vertrag ist Ziel russischer Propaganda

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Wie Russland Propaganda zum Zwei-plus-Vier-Vertrag streut

Russische Politiker stellen einen zentralen Vertrag der deutschen Einheit infrage. Die Propaganda gelangt über prorussische Influencer auch in deutsche Timelines. Sogar im Bundestag wird die russische Argumentation aufgegriffen. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

  • Über Russlands Staatsmedien verbreitet sich die Forderung von russischen Politikern, den Zwei-plus-Vier-Vertrag zu kündigen
  • Demnach verhalte sich Deutschland vertragsbrüchig - diese Erzählung verbreitet sich auch im deutschsprachigen Netz über rechtsextreme Medien und prorussische Telegram-Kanäle
  • Völkerrechtler sehen keine Vertragsverletzungen von Deutschland, eine einseitige Kündigung hätte außerdem keine tatsächlichen Folgen, anders als von Russland suggeriert.

Gut zwei Jahre sind seit dem russischen Überfall auf die Ukraine vergangen. Die russische Armee kämpft seitdem nicht nur auf den Schlachtfeldern in der Ostukraine, bombardiert Städte und verschleppt ukrainische Kinder. Moskau setzt auch auf den Kampf im Netz.

In einem Informationskrieg nimmt die russische Führung neben der Ukraine auch deren Unterstützer ins Visier - darunter Deutschland. Mit Propaganda und Desinformationskampagnen sollen deutsche Bürger verunsichert, aufgehetzt oder fehlgeleitet werden.

Wie so etwas abläuft, zeigt diese #Faktenfuchs-Recherche. Sie zeichnet anhand eines Falls nach, wie russische Propaganda mittels Falschbehauptungen ihren Weg in die deutschen sozialen Medien findet, in Alternativmedien Aufmerksamkeit bekommt und sogar im Bundestag erwähnt wird.

Russischer Politiker fordert Kündigung von Zwei-plus-Vier-Vertrag

Am 21. Februar 2024 zitierte die staatliche russische Nachrichtenagentur "RIA Novosti" eine Forderung des russischen Politikers Juri Hempel. Hempel, Mitglied der Putin-Partei "Einiges Russland", ist Abgeordneter im Staatsrat der von Russland annektierten Krim und dort Vorsitzender der Gemeinschaft der Krimdeutschen.

Hempel forderte: Der sogenannte Zwei-plus-Vier-Vertrag müsse aufgekündigt werden, da sich Deutschland nicht an die vertraglichen Vereinbarungen halte. Laut RIA äußerte er sich dazu, dass Deutschland sich nicht für Frieden einsetze und Vereinbarungen zur deutschen Souveränität nie umgesetzt habe. Was eine Kündigung des Vertrags aus seiner Sicht für Konsequenzen hätte, dazu bleibt Hempel vage.

💡 Was ist der Zwei-plus-Vier-Vertrag?

Den Vertrag schlossen 1990 die vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs - die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich - sowie die BRD und die DDR. Damit besiegelten sie die Souveränität des wiedervereinigten Deutschlands. Geregelt sind darin unter anderem der Abzug der Siegermächte, der Einsatz von Militär und Waffen sowie die endgültigen Grenzen Deutschlands.

Was steckt hinter der Forderung Hempels, den Vertrag zu kündigen? Ein Ende der europäischen Friedensordnung, ein mögliches Besetzungsrecht der ehemaligen DDR-Gebiete für Russland, wie in manchen russischen und prorussischen Medien kolportiert? Laut Völkerrechtlern wäre eine Kündigung des Vertrags seitens Russland nicht nur rechtlich fragwürdig, sie würde auch keine echten Konsequenzen für Deutschland nach sich ziehen. Außerdem - anders als etwa von Hempel behauptet - läge auch kein Verstoß vor, der eine Auflösung des Vertrags rechtfertigen würde. Dazu später mehr.

  • Hier finden Sie alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel.
  • "RT DE": Russische Staatsmedien greifen Forderung zum Zwei-plus-Vier-Vertrag auf

    Was Hempel fordert, passt in ein Muster. Dass völkerrechtliche Verträge Ziel von russischer Propaganda sind, sei häufiger zu beobachten, sagt Jakob Guhl im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Er forscht beim Thinktank "Institute for Strategic Dialogue", kurz ISD, zu russischer Desinformation und Propaganda im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Russland versuche dabei, Behauptungen und Interpretationen zu Völkerrechtsverträgen "zu instrumentalisieren und in ihre eigene Erzählung einzubetten."

    Und dafür läuft die Propaganda-Maschine an: Zuerst greifen russische Staatsmedien die Forderung von Hempel und Reaktionen darauf von weiteren russischen Politikern auf. "RT DE", der deutschsprachige Ableger des Staatssenders "Russia Today" veröffentlichte am selben Tag, dem 21. Februar, einen Artikel unter Verweis auf die Meldung von "RIA".

    Alle offiziellen "RT"-Kanäle sind in Deutschland gesperrt, zum einen aufgrund eines Verbots durch die deutsche Medienaufsicht, zum anderen wegen EU-Sanktionen gegen Russland infolge des Angriffs auf die Ukraine. Die Zugriffszahlen sind nach Einschätzung von Experten zwar gesunken, über alternative Webseiten umgeht "RT" das Verbot allerdings - die Inhalte lassen sich somit weiterhin relativ einfach in Deutschland abrufen.

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    Russische Medien berichten über geforderte Kündigung des Zwei-plus-Vier-Vertrags

    Telegram: Pro-Kreml-Kanäle verbreiten Desinformation zu Vertragsinhalten

    Während der "RT"-Artikel geteilt wird, verbreitet am Abend des 21. Februar der russischsprachige Telegram-Kanal "Mriya24" eine Textnachricht an seine rund 150.000 Follower. "Es ist ernst", heißt es auf Russisch zu Beginn der Nachricht. Russland sei bereit den Zwei-plus-Vier-Vertrag mit Deutschland aufzukündigen, der "Grundlage des Friedens in Europa in den vergangenen 25 Jahren" sei. Den Text von "Mriya24" leitet dann auch der prorussische Influencer Tamir Sheikh an seine rund 420.000 Abonnenten weiter.

    Die Analysten des ISD schätzen "Mriya24" und Sheikh als Pro-Kreml-Kanäle ein; auch der BR24 #Faktenfuchs beobachtet seit längerem zahlreiche prorussische Posts bei der Durchsicht der Kanäle. Sheikh verbreitet regelmäßig Verleumdungen sowie Unwahrheiten über die Ukraine und den Westen - so auch im vergangenen Herbst, als Sheikh ein gefälschtes Video im BR24-Design teilte, das Lügen über geflüchtete Ukrainer in Berlin enthielt.

    Der Grund für die drohende Kündigung laut dem Post: Es würden deutsche Waffen gegen Russland eingesetzt. Es folgen verkürzte Ausschnitte aus dem Vertrag, unter anderem wird ein Satzfetzen aus Artikel 2 des Vertrags wiedergegeben: Deutschland werde nie seine Waffen einsetzen - heißt es in dem Telegram-Post. Einen Bezug zu den Aussagen von Hempel gibt es nicht.

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    Ein irreführender Text zum Zwei-plus-Vier-Vertrag auf prorussischen Telegram-Kanälen

    Tatsächlich steht in Artikel 2 des Vertrags, dass Deutschland "keine seiner Waffen jemals einsetzen wird", es folgt jedoch der entscheidende Zusatz: "es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der Charta der Vereinten Nationen." Dieser Zusatz fehlt in dem Telegram-Post. Das Weglassen von wichtigen Informationen ist eine oft verwendete Taktik bei der Verbreitung von Desinformation.

    "Das Ziel ist, eine Schuldumkehr zu bewerkstelligen, dass die NATO und der Westen Schuld am Krieg hätten", sagt ISD-Analyst Jakob Guhl. "Damit soll natürlich auch die Unterstützung für die Ukraine untergraben werden."

    Deutsche prorussische Influencerin verbreitet Text auf Deutsch weiter

    Einige Tage später, am 24. Februar, teilt Alina Lipp den Text, der ursprünglich auf dem Kanal von "Mriya24" erschienen war. Und zwar wortgleich auf ihrem Kanal mit knapp 190.000 Followern. Laut Jakob Guhl vom ISD handelt es sich bei Lipp um eine der "größten und aktivsten prorussischen Influencerinnen im deutschsprachigen Raum".

    Lipp teilt den Text nicht nur auf Russisch, sondern auch auf Deutsch. Den auf Deutsch übersetzten Text leitet sie vom Telegram-Account "InfoDefense" weiter, der am gleichen Tag veröffentlicht wurde. Telegram-Kanäle von "InfoDefense" gibt es in rund 30 weiteren Sprachen, darunter Arabisch, Chinesisch, Spanisch und Französisch. Der deutsche Kanal ist mit rund 45.000 Abonnenten einer der reichweitenstärksten. Er streut regelmäßig Falschbehauptungen, Gerüchte und russische Propaganda rund um das Weltgeschehen, insbesondere den Krieg in der Ukraine.

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    Die prorussische Influencerin Alina Lipp verbreitet den Text auf Russisch und Deutsch

    Das "Info-Defense"-Netzwerk ist laut einer ISD-Analyse wie eine globale Graswurzelbewegung angelegt, die Freiwillige rekrutiert, um russische Propaganda international zu verbreiten.

    Propaganda-Text von Telegram wortgleich auf großen sozialen Netzwerken

    Teilweise nur wenige Minuten nach den Posts auf den Kanälen von "InfoDefense" und von Lipp kursiert der Text wortgleich auch auf den großen sozialen Netzwerken. Auf Facebook, X (ehemals Twitter), Youtube und Linkedin ist der Text - weitestgehend wortgleich - zu finden. Viele dieser Social-Media-Accounts treten nicht mit Klarnamen auf, oft ist nicht ersichtlich, ob eine echte Person dahinter steht.

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    Der Text, der ursprünglich auf Telegram geteilt wurde, findet sich wortgleich auf großen sozialen Netzwerken wieder.

    Wenn Propaganda und Desinformation von den eher nischigen Telegram-Kanälen auf diese Netzwerke durchschlägt, sei das ein Erfolg aus Sicht der Absender, sagt Jakob Guhl vom ISD: "Auf Facebook, X, YouTube und den großen Plattformen haben sie eben Zugang zu einem viel breiteren Publikum". Dort könnten sie möglicherweise mit Journalisten und hochrangigen Politikern in Kontakt treten, erklärt Guhl. "Teil des Diskurses zu sein und nicht nur in der eigenen Bubble, das ist schon ganz entscheidend."

    Ein Hinweis darauf, dass dies im Falle des Zwei-plus-Vier-Vertrag gelungen sein könnte, bieten frei zugängliche Daten von Google. Auf "Google Trends" lässt sich nachschauen, wie häufig Begriffe in einem bestimmten Zeitraum gegoogelt werden. Ende Februar stieg das Interesse am Thema Zwei-plus-Vier-Vertrag demnach stark an, bis Mitte März gab es deutlich mehr Suchanfragen als in den vergangenen zwölf Monaten.

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    Daten von Google zeigen zu der Zeit einen Ausreißer der Suchanfragen nach dem Zwei-plus-Vier-Vertrag.

    Zwei-plus-Vier-Vertrag: Thema in rechtsextremem Medium und bei AfD-Bundestagsrede

    Nach der Berichterstattung durch die russischen Staatsmedien haben auch andere Akteure die angeblich geplante Kündigung des Zwei-plus-Vier-Vertrags aufgegriffen. Auf seinem Youtube-Kanal widmet das rechtsextreme Politik-Magazin "Compact" dem Thema am 22. Februar eine halbstündige Sendung. Zu Gast ist der ehemalige AfD-Politiker André Poggenburg.

    Zu der angeblich diskutierten Kündigung des Vertrags sagt er, dass Deutschland - auch wegen seiner Ukraine-Politik - letztlich Anstoßgeber sei, dass Russland kündigen möchte: "Die Initiative kommt in dem Sinne gar nicht von Russland, die Initiative kam durch Vertragsverletzungen hier aus Deutschland". Deutschland verletze den Vertrag und das sei also der Grund, warum Russland kündigen wolle. Poggenburgs Aussagen ähneln denen, die am Vortag in den russischen Staatsmedien aufkamen.

    Die von Russland ausgehende Diskussion um den Zwei-plus-Vier-Vertrag findet am gleichen Tag sogar ihren Weg in den Bundestag. In der Plenardebatte am 22. Februar über den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erwähnt der AfD-Abgeordnete Matthias Moosdorf den Vertrag.

    Im Hinblick auf diskutierte Waffenlieferungen verweist er auf Artikel 2 des Vertrags. "Danach hat Deutschland sich dazu verpflichtet, dass von seinem Territorium nur noch Frieden ausgeht", sagt Moosdorf. Darüber werde auch in der Duma, dem russischen Unterhaus, diskutiert.

    Wie die prorussischen Influencer unterschlägt auch der AfD-Politiker Moosdorf den Zusatz in Artikel 2, dass der Einsatz deutscher Waffen erlaubt ist, wenn er im Einklang mit dem Völkerrecht steht. Das ist bei der Unterstützung der Ukraine der Fall.

    Völkerrechtler: Waffenlieferung völkerrechtskonform, widersprechen nicht Vertrag

    "Die Formulierungen in Artikel zwei sagen eigentlich nur, dass sich das vereinte Deutschland völkerrechtskonform verhalten wird", erklärt Thilo Marauhn im Interview mit dem #Faktenfuchs. Er ist Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Gießen und Leiter der Forschungsgruppe Völkerrecht des Leibniz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung (PRIF).

    "Russland hat die Ukraine unter Verstoß gegen das Gewaltverbot der Charta der Vereinten Nationen angegriffen. Die Ukraine übt vor dem Hintergrund dieses bewaffneten Angriffs ihr Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der Charta aus. Und die Bundesrepublik hat das Recht, die Ukraine dabei zu unterstützen." Thilo Marauhn, Professor für Völkerrecht

    Im Grunde regele der Zwei-plus-Vier-Vertrag an dieser Stelle lediglich, was ohnehin allgemeines Völkerrecht sei, so Marauhn. Dass die Waffenlieferungen an die Ukraine damit in Einklang stehen, ist unter Völkerrechtlern Konsens, wie auch aus diesem Faktencheck der AFP zum Thema hervorgeht.

    Warum hat Moosdorf den Zwei-plus-Vier-Vertrag und die Diskussion in der Duma dennoch erwähnt? Die Berichte der russischen Medien vom Vortag seien "allein natürlich nicht" der Grund für die Erwähnung, schreibt Moosdorf auf Anfrage des #Faktenfuchs. Er verweist auch auf einen Brief von russischen Abgeordneten an die Mitglieder des Bundestags und darauf, "dass die deutsche Haltung in ihrem eskalatorischen Potenzial in Russland – vor allem vor dem Hintergrund der gemeinsamen Geschichte, von zwei Weltkriegen bis zur Wiedervereinigung - sehr kritisch gesehen wird".

    Auf die Frage, warum er unerwähnt ließ, dass Artikel 2 des Vertrags den Einsatz von Waffen in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zulässt, antwortet Moosdorf nicht direkt. Stattdessen schreibt er von "gegenteiligen Versprechen" der "Parteien der Ampel" im Wahlkampf 2021. Moosdorf lenkt die Aufmerksamkeit von der eigentlichen Frage zum Vertragsaspekt weg - hin zum Wahlkampf 2021, der noch vor dem russischen Angriff stattfand. Hier lesen Sie, woran Sie solche Scheinargumente erkennen können.

    Souveränität, Grenzen, Besatzung: Welche Folgen hätte eine Kündigung des Vertrags?

    Doch der Rechtmäßigkeit bei den Waffenlieferungen zum Trotz - was würde passieren, wenn Russland den Vertrag einseitig aufkündigt? Denn was darin steht, ist weitreichend und wichtig, sagt Völkerrechtler Marauhn: "Das Besondere dieses Vertrages ist, dass er den Status der Bundesrepublik Deutschland als vereintes Deutschland regelt."

    Der 1990 geschlossene Vertrag beendet, so Marauhn, die Periode der Nachkriegszeit, die mit der Kapitulation im Mai 1945 begonnen hatte. In Artikel 7 heißt es, die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs "beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes". In Absatz zwei steht: "Das vereinte Deutschland hat demgemäß volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten."

    Würde Deutschland also seine Eigenständigkeit verlieren? Könnte Russland das Gebiet der ehemaligen DDR besetzen? Marauhn sagt: "Selbst wenn Russland kündigen würde, gäbe es keine Rechtsfolgen, die den Status der Bundesrepublik beeinträchtigen würden." Es liege seiner Ansicht nach auch "überhaupt keinen Kündigungsgrund" vor. Da der Zwei-plus-Vier-Vertrag selbst keine Kündigung vorsehe, sei insoweit das allgemeine Völkerrecht maßgeblich.

    Außerdem ist der Völkerrechtler der Auffassung, der Vertrag lasse sich "nicht durch eine der Vertragsparteien isoliert beseitigen". Derartige Statusfragen seien immer auch gegenüber Nicht-Vertragsparteien, wie in diesem Fall etwa Deutschlands Nachbarland Polen, relevant.

    Völkerrechtler: Russland nutze Interpretationsspielraum um Völkerrecht zu destabilisieren

    Auch Marauhn beobachtet, wie Russland das Völkerrecht für politische Zwecke nutzt. Unterschiedliche Rechtskulturen und -traditionen führten gelegentlich zu unterschiedlichen Interpretationen und daraus resultierenden Missverständnissen, sagt Marauhn. "Was Russland tut, und zwar seit langem, ist es, derartige Missverständnisse zu nutzen, zu befördern, dadurch Unsicherheit zu schaffen und letztlich die Völkerrechtsordnung zu destabilisieren."

    So gibt es immer wieder Behauptungen um angebliche Versprechen rund um die NATO-Osterweiterung. "Correctiv" hat diese Behauptungen in einer ausführlichen Recherche beleuchtet.

    Propaganda: Wechselwirkung zwischen russischen und internationalen Akteuren

    Finden die Inhalte russischer Propaganda dann auch hierzulande Erwähnung, wie im Falle des Zwei-plus-Vier-Vertrags, nutzt Russland das Echo. Über Moosdorfs Aussagen im Bundestag berichtete nach der Plenarsitzung "RT DE", der russische Staatssender. Auch ein Kommentar im AfD-nahen "Deutschlandkurier", der ebenfalls auf die Waffenlieferungen und den Zwei-plus-Vier-Vertrag eingeht, wird am 4. März in einer Agenturmeldung von "RIA Nowosti" aufgegriffen. Der Tenor: Auch in Deutschland sei man verärgert, dass die Bundesregierung sich nicht an den Vertrag halte.

    "Es ist ein sich gegenseitig beflügelndes System an Akteuren", sagt ISD-Analyst Jakob Guhl. Bei der Verbreitung von russischer Propaganda gebe es teils "kuriose Wechselbewegungen" zwischen staatlichen Akteuren, Bot-Netzwerken, Pro-Kreml-Influencern - und eben auch ausländischen Politikern und Medien.

    Denn Zweck sei nicht nur die Verunsicherung in anderen Ländern. Durch ein vermeintliches Echo suggeriere sie auch den Russen, "dass da in Deutschland Leute sind, die denken wie wir", sagt Guhl. Das stärke dann letztlich auch die inländische russische Propaganda.

    Fazit

    Für eine Kündigung des Zwei-plus-Vier-Vertrags seitens Russland gibt es laut Völkerrechtlern keinen Anlass. Deutschland hält sich an den Vertrag, die Waffenlieferungen an die sich verteidigende Ukraine stehen im Einklang mit dem Völkerrecht. Selbst wenn Russland den Vertrag einseitig kündigen würde, hätte das keine reellen Konsequenzen für Deutschland.

    Behauptungen und Forderungen, den Vertrag zu kündigen, hatte Russland über seine Staatsmedien verbreitet. Sie wurden von Pro-Kreml-Influencern bis in die deutschsprachigen Timelines gestreut. Auch ein AfD-Abgeordneter griff die russische Argumentation auf und verbreitete sie in einer Bundestagsdebatte.

    Hinweis, 19.04.2024, 8:50 Uhr: Wir haben im letzten Absatz einmal das Wort "gestreut" durch das Wort "verbreitet" ersetzt, um eine Dopplung zu vermeiden.

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