Piazza San Marco in Venedig.
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Piazza San Marco in Venedig: Ab sofort kostet die Innenstadt an bestimmten Tagen Eintritt.

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Venedigs Tourismus-Problem – Warum es in Franken besser läuft

Venedig wird von Besuchern regelrecht geflutet. Deswegen bittet die Stadt nun alle, die nur für einen Tag vor Ort sind, zur Kasse. Eintritt zur Innenstadt – wäre das auch in den fränkischen Touristen-Hotspots denkbar?

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Franken am .

Für alle, die einen Tagesausflug nach Venedig planen, wird es in Zukunft noch teurer als es ohnehin schon ist. Neben den zehn Euro für einen Cappuccino und den 100 Euro für eine Gondelfahrt sind die fünf Euro Altstadt-Eintritt zwar günstig, doch wer es versäumt, ein Ticket zu kaufen, muss mit bis zu 300 Euro Strafe rechnen. Eintritt für die Innenstadt: Eine Idee auch für fränkische Tourismus-Hochburgen wie Rothenburg, Nürnberg oder Bamberg?

Ein Nachtwächter redet vor Publikum in Rothenburg ob der Tauber.
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Bei der täglichen Nachtwächterführung in Rothenburg ob der Tauber schließen sich pro Tour bis zu 300 Besucherinnen und Besucher an.

Was ist "Overtourism" eigentlich?

Das Problem in Venedig: Zu viele Besucher drängen sich auf zu wenig Platz – das Phänomen nennt sich "Overtourism". Andrea Heilmaier, Wirtschaftsreferentin der Stadt Nürnberg, erklärt das so: Beliebte Reiseziele werden von zu vielen Touristen auf einmal besucht. Das überfordere Anwohnerinnen und Anwohner sowie die Infrastruktur. "Zur Messung von Overtourism kann die Kennzahl der Tourismusintensität herangezogen werden, also Übernachtungen geteilt durch Einwohnerzahl", sagt Heilmaier.

In Venedig liegt diese Kennzahl bei etwa 4.000 je 100 Einwohner. Im Vergleich dazu steht Nürnberg gut da: "Für das Jahr 2023 betrug die Tourismusintensität je 100 Einwohner in Nürnberg zirka 656 touristische Übernachtungen." Die Stadt habe also kein Problem mit "Overtourism". Und: "Ein Eintrittspreis für die Nürnberger Altstadt ist weder notwendig noch umsetzbar."

Tourismus-Koordinator Janecek: Venedig kein Vorbild für Bayern

Ähnlich sieht das auch Dieter Janecek (Grüne), Tourismus-Koordinator der Bundesregierung. Was den Zulauf von Touristen angehe, sei Venedig ein extremes Beispiel, sagt der Politiker bei BR24 im BR Fernsehen. "Diese Situation haben wir in aller Regel in Bayern nicht."

Der Münchner Bundestagsabgeordnete verweist darauf, dass es bereits jetzt etwa eine Kurtaxe gebe, die jedoch nicht für Tagestouristen gelte. An einigen Stränden, etwa in Ostdeutschland, werde bereits eine Tagesabgabe erhoben. Die Kommunen seien hier frei in der Gestaltung, müssten jedoch selbst entscheiden, ob das sinnvoll sei. Schließlich habe die Gastronomie im Zusammenhang mit Corona und der Energiekrise eine schwierige Zeit gehabt. Hier müsse genau geschaut werden, welche Anreize man für Touristen setzen wolle, so Janecek. Beim Tourismus gehe es auch um die Frage, inwieweit es den Einheimischen nutze.

Um den Leidensdruck der Anwohner etwa in Kochel am See oder am Tegernsee zu mindern und Autoströme einzudämmen, sei es auch wichtig, Angebote für die Mobilität zu schaffen, damit die Gäste nicht mit dem Auto anreisten. Neben Angeboten wie dem Deutschlandticket und Rufbus-Systemen nannte Janecek die Steuerung der Besucherströme über Digitalisierung und Daten. Besucher können sich dann informieren, ob ein Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt überlaufen ist oder nicht, und sich Alternativen suchen.

Dieter Janecek (Grüne), Tourismus-Koordinator der Bundesregierung.
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Sollte auch in Bayern von Touristen Eintritt kassiert werden wie in Venedig?

Venedig testet Eintrittskarten für die Altstadt

Die Verantwortlichen der Stadt Venedig wollen jedoch einen anderen Weg einschlagen. Ab heute gilt an bestimmten Tagen: Zutritt nur noch mit Ticket und QR-Code. Übernachtungsgäste und Kinder unter 14 Jahren sind davon ausgenommen. Erst einmal gilt die Regelung nur an Tagen, an denen Venedig erfahrungsgemäß besonders stark besucht ist. Nach einer Testphase sollen die Zahl-Tage aber ausgeweitet und die Gebühren erhöht werden, teilte Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro mit. Mit den aktuellen Einnahmen ließe sich laut Berechnung einer italienischen Zeitung ohnehin gerade mal der Verwaltungsaufwand decken.

Kritik: Tickets schrecken kaum ab

Allerdings glauben Tourismusexperten kaum, dass Menschen, die bereit sind, zehn Euro für einen Cappuccino auszugeben, wegen fünf Euro nicht in die Altstadt gehen. Außerdem sind die Tickets nicht limitiert – es gibt also weiterhin keine maximale Besucherzahl pro Tag. Kritiker haben zudem noch eine ganz andere Sorge: Durch das Eintrittsgeld könnten Touristen die Stadt bald weniger als Wohnraum der Anwohner, sondern vielmehr als Freizeitpark betrachten.

Und die Kritiker stört ein weiterer Punkt: Die Eintrittskarten-Regelung gilt nicht für Übernachtungsgäste – die zahlen ohnehin eine Kurtaxe. Dabei gibt es inzwischen in Venedig mehr Betten für Fremde als für Einwohner. Kritiker wünschen sich, dass statt der Gebühr für Tagesgäste besser die Betten für Touristen begrenzt werden.

Viele Touristen, wenige Ferienwohnungen in Rothenburg

Ein Vorbild dafür könnte die Stadt Rothenburg ob der Tauber sein. Auf 11.500 Einwohner kommen hier in Spitzenzeiten bis zu 1,9 Millionen Besucher im Jahr. "Natürlich haben wir ganz andere Voraussetzungen als Venedig, das lässt sich kaum vergleichen", sagt Robert Nehr vom Tourismusservice. Dennoch sei es der Verwaltung wichtig, die Innenstadt lebendig zu halten – und zwar durch die Anwohnerinnen und Anwohner.

Rothenburg habe früh damit begonnen, der "Entvölkerung", wie Nehr sie nennt, entgegenzuwirken und die Vermietung von Wohnungen an Touristen stark zu reglementieren. Zwar bleiben ohnehin weniger als fünf Prozent der Gäste über Nacht, von denen sind aber wiederum nur ein Prozent in Ferienwohnungen untergebracht. Das ergab eine Studie des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Institut für Fremdenverkehr (DWIF) im Jahr 2018. Das sind 5.200 Gäste im Jahr. Die meisten kommen in Hotels oder Gasthöfen unter.

Rothenburger Wirtschaft profitiert von Touristen

Seit 20 Jahren bleibe die Zahl der Einwohner in der Altstadt mit rund 2.500 Personen konstant, sagt Nehr. Die allerdings seien auf die vielen Tagesgäste angewiesen. Denn ein Drittel der städtischen Wirtschaftsleistung hänge am Tourismus. In Rothenburg gebe es 130 Einzelhandelsgeschäfte und 70 Gastronomiebetriebe. Die 11.500 Einwohner und das recht dünne Einzugsgebiet könnten diese alleine nicht finanzieren - ausgabefreudige Urlauber aus den USA und anderen Orten aber schon. "Dass unsere Gäste der Wirtschaft guttun, merkt auch die Bevölkerung", sagt Nehr.

Keine Kurtaxe möglich: Gäste bleiben nur kurz

Überlegungen, die Besucherinnen und Besucher stärker zur Kasse zu bitten, gibt es aber trotzdem immer wieder. Denn die mittelalterlichen Gebäude – der Grund für die vielen Touristen – sind teuer im Unterhalt. Eintritt, für die frei zugängliche Stadtmauer verlangen, will Rothenburg aber nicht. Übernachtungsgäste eine Kurtaxe zahlen zu lassen, funktioniere rechtlich nicht, erklärt Nehr, denn die Kurtaxe dürfte die Gemeinde erst dann erheben, wenn die Gäste im Durchschnitt für mindestens drei Tage blieben. In Rothenburg übernachten die Menschen durchschnittlich aber nur 1,7 Tage.

Touristen-Hochburgen wünschen sich "Kulturtaxe"

Was hingegen theoretisch umsetzbar wäre, ist die sogenannte "Kulturtaxe", umgangssprachlich auch "Bettensteuer" genannt. Die hätten neben Rothenburg auch München, Bamberg und Günzburg erwogen, berichtet Nehr. Die Bayerische Staatsregierung lehnt die Kulturtaxe jedoch entschieden ab. Die Begründung: Durch die Bettensteuer sei in erster Linie mit einem Nachfragerückgang in der Tourismusbranche zu rechnen - was die betroffenen Gemeinden jedoch nicht teilen. "Schade", findet das Nehr, "denn es wäre die Möglichkeit gewesen, den Übernachtungsgast in Wert zu setzen und dadurch die wunderschöne Altstadt zu erhalten."

Video: Eintritt für Rothenburgs Altstadt?

Luftbild Rothenburg ob der Tauber
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Luftbild Rothenburg ob der Tauber

Überfüllte Städte durch Kreuzfahrten?

Seit 2021 dürfen in Venedig keine Kreuzfahrtschiffe mehr direkt in die Lagune fahren. Über andere Häfen erreichen die Touristen die Stadt aber trotzdem. Die Besucher bleiben nur ein paar Stunden, konsumieren wenig, verstopfen aber den ohnehin begrenzten Platz.

Auch in der oberfränkischen Stadt Bamberg legen Kreuzfahrtschiffe an. "Flusskreuzfahrtschiffe sind ja auch deutlich kleiner als diese großen Pötte, die in Venedig anlanden", sagt Tourismusdirektor Michael Heger. Pro Schiff gehen ungefähr sechs Gruppen mit je 25 Personen an Land. Die ließen allerdings durchaus Geld in der Stadt. Eine Erhebung aus dem Jahr 2016 kam auf 26 Euro pro Kopf.

Bamberg lenkt Kreuzfahrttouristen

Außerdem achte Bamberg darauf, dass die Grüppchen nicht alle auf den gleichen Routen "wandelten". Manche würden die Innenstadt ganz meiden und das Umland erkunden, schildert Heger. Zwar sei "Overcrowding" manchmal auch in Bamberg spürbar, allerdings habe die Stadt Konzepte, um die Menschenmengen über die Stadt zu verteilen.

Für alle, die doch einmal in einer größeren Menschenmenge in Bamberg feststecken, hat Heger folgenden Tipp: "Gehen Sie zwei Straßenzüge von der Rennstrecke weg, und Sie sind auf einmal ganz alleine auf weiter Flur." Dort sei die mittelalterliche Stadt nicht minder schön.

Eintritt in die Altstadt: kein Konzept in Franken

Die fränkischen Städte freuen sich über ihre Besucherinnen und Besucher - und noch mehr, wenn die Zahlen zunehmen. So wie in Dinkelsbühl: "In den vergangenen Jahren hat sich deren Zahl immer mehr gesteigert", sagt Pressesprecherin Laura Krehn. Im vergangenen Jahr hat Dinkelsbühl sogar mit 300.000 Übernachtungen seinen eigenen Rekord gebrochen - es waren 50.000 mehr als im Jahr zuvor. Die Stadt gebe sich Mühe, den Trend beizubehalten, so Krehn. Man habe die Hotelinfrastruktur ausgebaut und aus Parkplätzen Sitzgelegenheiten gemacht. Aber auch die Besucher änderten sich: "Die Altersstruktur hat sich verjüngt", sagt Krehn.

"Wir sind Stadt, kein Museum"

Möglicherweise liegt das auch an der medialen Berichterstattung: CNN beispielsweise listete Dinkelsbühl unter den "schönsten Städten Europas" auf. Zu viele Touristen habe man aber nicht. Die vorhandenen würden sich gut über die Stadt verteilen. Ein Eintritt komme für die Verwaltung nicht infrage, so Krehn. "Wir verstehen uns als Stadt, nicht als Museum."

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