Bei der Verleihung eines "Wissenspreises" in Moskau
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Kremlsprecher Dmitri Peskow bei seinem Auftritt

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"Unsere Demokratie ist die beste": Gegenwind für Kremlsprecher

Putins Sprachrohr Dmitri Peskow verbat sich jede internationale Kritik am russischen Regierungssystem und lobte es, obwohl er Wahlen vor Kurzem noch als teure Zeitverschwendung bezeichnet hatte: "Wir werden die Demokratie weiter aufbauen."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Bei einem "Weltjugendfestival" räumte Putins Sprecher Dmitri Peskow ein, die gesamte Geschichte bestehe aus "Interpretationen": "Außerdem wird Geschichte, wie Sie wissen, stets von den Siegern geschrieben, und deshalb ist es sehr wichtig, sie von solchen krassen Verzerrungen zu befreien und unparteiisch darzustellen." Wer Russland verstehen wolle, müsse sich vor Augen halten, was seit der Zeit von Zar Iwan dem Schrecklichen geschehen sei: "Versuchen Sie, alles umfassend zu lernen, dann werden Sie unser Land bestimmt lieben."

"Wir lieben Deutschland sehr"

Wie diese vermeintlich "objektive" Deutung aussieht, veranschaulichte der PR-Mann mit der Bemerkung: "Wir werden Kritik an unserer Demokratie und den Vorwurf, sie sei nicht das, was sie sein sollte, nicht länger dulden. Unsere Demokratie ist die beste und wir werden sie weiter aufbauen." Zwar sei ihm klar, so Peskow, dass der Ablauf der russischen Präsidentschaftswahl derzeit international "diskutiert" werde: "Aber wir werden nicht bereit sein, auf ihre Schlussfolgerungen und Urteile zu hören."

Noch im August vergangenen Jahres hatte Putins Sprecher mit Äußerungen gegenüber der "New York Times" für Aufsehen gesorgt (BR24 berichtete), wonach Russland "keine echte Demokratie" sei. Wahlen seien vielmehr "teure Bürokratie", weil Putin sowieso mit 90 Prozent der Stimmen rechnen könne. Im Nachhinein fühlte sich Peskow "falsch verstanden" und begründete seine Worte damit, dass er die "absolut beispiellose Geschlossenheit der russischen Gesellschaft" habe aufzeigen wollen.

Mit einem Seitenhieb Richtung Berlin sagte Peskow jetzt laut Nachrichtenagentur RIA Nowosti: "Wir lieben die Deutschen sehr, wir lieben Deutschland auch sehr. Leider ist die Zeit der besonnenen Politiker vorbei. Die Zeit der weisen Politiker ist in vielen europäischen Ländern vorbei. Ich sage es Ihnen ganz klar: auch in Deutschland."

"Demokratie, Bürokratie sind pfui"

Exil-Blogger und Publizist Anatoli Nesmijan (112.000 Fans) "übersetzte" Peskows Botschaft mit dem ironischen Satz: "Wer an unserer Friedfertigkeit zweifelt, wird an seinem eigenen Blut ersticken." Russlands Obrigkeit könne sich freuen: "Der Hass aller gegen alle blüht und verströmt den Aasgeruch, den sie da oben so lieben. Das Ziel, das die Regierung verfolgt, ist einfach, wie zu ihrer Jugendzeit als Straßen-Gang: Es ist notwendig, dass jeder der Feind aller anderen wird, es ist notwendig, dass Wut und Hass zu den dominierenden Gefühlen im Land werden und alle Versuche verdunkeln, rational zu erfassen, was gerade vor sich geht. Denn wenn sich alle gegenseitig hassen, achten sie nicht mehr auf diejenigen, die sie in einen so tierischen Zustand versetzt haben."

Ein weiterer Blogger scherzte, dafür, dass Peskow die Demokratie kürzlich noch als Geldverschwendung bezeichnet habe, wirke er "sehr aufrichtig": "Wir haben es sofort geglaubt. Wenn also unsere Bürokratie und Demokratie etwas billiger wären, wäre es dann noch besser? Zweifellos. Es stellt sich heraus, dass wir eine Prognose über die Zukunft des russischen Regierungssystems vorliegen haben. Demokratie, Bürokratie sind pfui, das alles kommt uns billiger, wenn man keine Wahlen organisieren und dafür Millionen ausgeben muss."

Darüber hinaus sei Russland "nur in diesem [günstigen] Fall wirklich souverän", und Souveränität sei "jetzt in Mode", eine Anspielung darauf, dass Putin den Begriff ständig im Munde führt. Der Präsident sagte in seiner letzten "Rede zur Lage der Nation" wörtlich: "Das russische politische System ist eine der Säulen der Souveränität des Landes. Wir werden weiterhin die demokratischen Institutionen weiterentwickeln und niemandem erlauben, sich in unsere inneren Angelegenheiten einzumischen."

"Beseitigt nicht alle Probleme"

Peskow habe seine Worte sozusagen "in Stein gemeißelt", so Politikwissenschaftler Andrej Nikulin: "Wir haben nicht nur die beste, sondern auch die vorhersehbarste Demokratie. Die Ergebnisse der demokratischsten Wahlen sind sowohl eine Woche, als auch fünf Jahre im Voraus bekannt."

Publizist Michail Winogradow schrieb für die Carnegie-Stiftung: "Man kann nicht sagen, dass der Wahlkampf [von Putin] ganz nach Plan verläuft, aber das geringe Interesse daran bei gleichzeitig massivem Druck, eine extrem hohe Wahlbeteiligung zu erreichen, ist nur ein Schönheitsfehler." Der Kreml habe die Lage "im Großen und Ganzen unter Kontrolle" und könne die "Feiertagsatmosphäre" vor dem Wahlgang einigermaßen aufrechterhalten. Allerdings habe sich der Kreml nach Nawalnys Tod als "äußerst unsentimental" erwiesen: "Es stimmt, dass die Fähigkeit der russischen Gesellschaft, zu vergessen und ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken, nach wie vor extrem hoch ist und dass dies dem Regime einen gewissen taktischen Vorteil verschafft. Aber es beseitigt nicht alle seine Probleme."

"Mit schiefem Blick treten die Völker zurück"

Der russische Politologe Georgi Bovt machte sich darüber lustig, dass Russland offenbar fest vorhabe, die "ganze Welt niederzuringen", nachdem Walentina Matwijenko, die Sprecherin des russischen Föderationsrats, angekündigt hatte, sämtliche internationalen Abkommen zu kündigen, die für Russland nachteilig seien. Er zitierte dabei aus dem satirischen Roman "Die Toten Seelen" von Nikolai Gogol (1809 - 1852), der Russland mit einem ziellos dahingaloppierenden Dreigespann verglich: "Rus, warum hast du es so eilig? Gib Antwort. Es kommt keine. Die zerfetzte Luft tobt und wird zum Sturm. Alles, was auf der Erde ist, rast vorbei und mit schiefem Blick treten die anderen Völkern und Staaten beiseite und weichen zurück."

"Wir haben halt, was wir haben"

Russische Leser sprachen bei Peskows Äußerungen von einer "Parodie" und unterstellten ihm, dass er "schwarz und weiß" nicht mehr auseinanderhalten könne. Andere zitierten mit satirischer Absicht den berühmten Ausspruch des britischen Ex-Premierministers Winston Churchill, der die Demokratie am 11. November 1947 im Unterhaus als "schlechteste aller Regierungsformen" bezeichnet hatte, von "allen anderen abgesehen". Möglicherweise werde der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un beleidigt sein, weil dort doch alles am "besten" sei, schrieb ein Skeptiker. Eine "bessere Demokratie" sei ungefähr so sinnvoll wie "Stör vom Vortag", wurde geulkt.

Demokratie sei Peskow zufolge wohl, wenn Trauergäste bei der Beerdigung von Alexej Nawalny mit Blumen in der Hand abgeführt würden. "Ich denke, Frankreich hat die beste Demokratie, aber ich bin mir nicht sicher, ob das gut ist. Wir haben halt, was wir haben", schrieb ein offenbar wankelmütiger Leser. Ein anderer scherzte: "Es gibt Staaten auf der Welt, die anderen ihre Lebensweise aufzwingen wollen. Es gibt aber auch Präsidenten, die ihrem Volk ihre senilen Ideen aufzwingen."

"Davon hat ganz Europa nie geträumt"

Ein kluger Geist erinnerte Peskow daran, dass zur Demokratie die Kritik zwingend dazu gehöre. Putins Sprecher habe "sehr seltsame Vorstellungen", manche nannten ihn auch einen "Comedian". "Es stimmt, von einer solchen Demokratie haben weder andere Nationen, noch ganz Europa jemals geträumt", bilanzierte einer der russischen Leser die Diskussion sarkastisch.

Russland sei wieder aufgeteilt in Adel und Pöbel, diagnostizierte ein Blogger das aktuelle Regierungssystem. Es gebe eine klare Trennung der beiden "Kasten": "Vor hundert Jahren hätte man uns besser verstanden als vor zehn Jahren." Wenn sich beide Sphären ausnahmsweise begegneten, verfalle der abgehobene und isolierte Adel in einen Zustand der "Benommenheit" und zeige Lähmungserscheinungen, wie zuletzt bei der Rebellion von Söldnerführer Prigoschin.

Die im Ausland lebende prominente Rock-Lady Alla Pugatschowa schimpfte unterdessen, "normale Menschen" würden wohl kaum jemals nach Russland zurückkehren, nachdem ihnen von Ultrapatrioten angedroht worden war, sie würden eines Tages "auf den Knien angekrochen kommen und Russland die Füße küssen".

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