Ein Mann mit verspiegelter Sonnenbrille sitzt in einem Bad aus gelben Luftballons
Bildrechte: picture alliance/dpa/Peter Kneffel

Künstler Martin Creed in Ingolstadt

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Turner-Preisträger: Ausstellung Martin Creed in Ingolstadt

Martin Creed macht aus Kunst gerne Spektakel – und manchmal auch einfach nur sinnloses Zeug. 2001 hat er den renommierten Turner Prize gewonnen. Jetzt ist im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt seine Soloschau zu sehen: "I don't know what art is".

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Yes, well, I don't know, I don't know what it is, don't ask me", sagt der Künstler Martin Creed, als er auf den Titel seiner Ausstellung angesprochen wird. Er weiß es also wirklich nicht, was Kunst ist. Nur soviel kann Creed sicher sagen: Kunst ist ein Wort. "Aber eben eines, das nicht gut definiert ist", sagt er. Überhaupt sei das so ein Problem, Kategorien, Definitionen, das sei doch alles totes Zeug, Leben zeige sich in Veränderung und Bewegung.

Die Besucher stehen mitten im Bällebad

So wie die Luftballons, die im Erdgeschoss des Museums für Konkrete Kunst in Ingolstadt durch die Luft wirbeln, sich aneinander reiben und, ja, auch mal platzen. Wer hereinkommt, muss sich erst einmal seinen Weg bahnen durch 2.500 medizinballgroße, gelbe Luftballons, die das ganze Erdgeschoss ausfüllen.

Dazu erzählt Museumsdirektorin Theres Rohde: "Die Arbeit heißt 'Half the air in a given space', also die Hälfte des Luftraumes ist in Luftballons gefüllt – und es braucht ja noch mehr als die Hälfte des Raumes, weil der Mensch muss ja noch rein. Das ist keine Arbeit, wo man davorsteht oder auf Leinwand ganz klassisch, sondern man steht mitten im Bällebad."

Auf diese Weise wird der Besucher quasi selbst Teil des Kunstwerkes. Und das ist eine gängige Praxis bei Martin Creed. 2012 animierte er die Briten zum kollektiven Glockenläuten. Seine 2001 mit dem Turner Prize ausgezeichnete Arbeit war ein leerer Ausstellungsraum, in dem das Licht an- und ausging und so den Blick auf die hindurch wandernden Menschen lenkte. Immer wieder veranstaltet er zudem Action-Painting-Aktionen oder Musikabende.

Er trägt Schminke, Papphut – und zwei unterschiedliche Schuhe

"Ich bin meinen Gefühlen ausgeliefert", sagt der Künstler. "Sie sind mysteriös, mächtig, schwer zu definieren. Mit diesen Gefühlen umzugehen, heißt am Leben zu sein. Und ich denke, wer ehrlich mit seinen Gefühlen ist, wer sich ehrlich zu ihnen verhält, fühlt sich gut, glücklich, wie ein Kind, das herumrennt."

Das Kind, das herumrennt. Martin Creed hat es zu seinem Alter Ego gemacht. Beim Interview trägt er zwei unterschiedliche Schuhe, hat Schminke im Gesicht, einen Papphut auf dem Kopf, einen Pfeil im und einen Kleiderbügel am Anzug stecken. "And that's my feelings!", sagt er und lacht.

Das kann doch jedes Kind!

Die Werke, die Performances, die Musik, die Creed erfindet, haben alle eine spielerische Leichtigkeit, sind schnell und intuitiv zugänglich, was die Ausstellung in Ingolstadt perfekt erlebbar macht. Sie erklärt nichts in langen Wandbeschriftungen, sondern lässt die Besuchenden in einem kleinen Heft, das man am Eingang bekommt, selbst mitdenken und -rätseln.

Immer wieder taucht auch der Gedanke auf: Das kann doch jedes Kind! So wie bei der zerknüllten Papierkugel, die in jedem Stockwerk versteckt ist. "Ich glaube fest an das Laien-Dasein", sagt Creed. "Wie hat ein Freund von mir mal gesagt: Wenn du Musik machen willst, höre bloß keine Musik."

Tradition des Dilettantismus

Creed steht damit durchaus in der Tradition des Dilettantismus, des Dadas und Punks. Mit seinen seriellen Wand- und Bodenbemalungen – Farbstreifen, Farbraster, Farbspiele – aber eben auch in der Nähe zur konkreten Kunst, meint Museumsdirektorin Rohde: "Es geht um Raster, es geht um System, es geht um Progression. Natürlich die Progressionen, die wir sonst zeigen, sind viel strenger. Hier ist es zum Beispiel mit Kakteen umgesetzt. Und was ich an der Arbeit schätze, ist, dass die Strenge, die Regeln, die Systeme, die die konkrete Kunst aufgreift, hier in einer sehr humorvollen Art und Weise auftaucht."

Und Martin Creed wäre nicht Martin Creed, wenn er nicht den total Ahnungslosen geben würde. Konkrete Kunst habe ihm bei seinem ersten Besuch in Ingolstadt nichts gesagt. Konkrete Poesie – das habe ihn als Jugendlicher begeistert, sagt er, und zeigt auf den Slogan an der Wand, der nah an konkreter Poesie dran ist: "The whole world + the work = the whole world" steht da, also: "Die ganze Welt + die Arbeit = die ganze Welt".

"Man startet mit der ganzen Welt, fügt etwas hinzu und landet doch immer wieder bei der ganzen Welt", sagt Crees. "Wie ein Ozean, in den man Steine wirft. Das ist für mich ein Witz, aber auch etwas, über das ich viel nachdenke."

Und genau das ist dann wohl Kunst. Martin Creeds Kunst. Lustig, nachdenklich, verspielt, gefühlvoll, in Ingolstadt auf drei Etagen - ein echtes Erlebnis, ein Gesamtkunstwerk für jeden!

Die Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst in Ingolstadt ist bis zum 3. März 2024 geöffnet.

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