Diesjähriger Georg-Büchner-Preisträger: Lutz Seiler.
Bildrechte: picture alliance / Erwin Elsner

Diesjähriger Georg-Büchner-Preisträger: Lutz Seiler.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Schriftsteller Lutz Seiler erhält Georg-Büchner-Preis 2023

Jedes Jahr vergibt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung den Georg-Büchner-Preis. Er gilt als renommiertester Literaturpreis im deutschen Sprachraum. Dieses Jahr geht der Preis an den Romanautor und Lyriker Lutz Seiler.

Über dieses Thema berichtet: BR24 Infoblock am .

Mit den Romanen "Kruso" und "Stern 111" hat sich Lutz Seiler ein großes Publikum erobert. Von Haus aus ist er Lyriker und hat zahlreiche Gedichtbände veröffentlicht. Sein Vorgehen sei dabei allerdings immer dasselbe, gleich ob er Dichtung oder Prosa schreibe, sagte Seiler einmal in einem Interview mit dem BR.

Schreiben in der "akustischen Werkstatt"

Zentral sei für ihn stets der „Klang“ der Sprache, so Seiler, seine Schreibwerkstatt sei also eigentlich eine "akustische Werkstatt". "Ich muss immerzu sprechen. Jeder Satz wird hundertmal gesprochen. Und dann hat man bestimmte Klangverläufe im Kopf, auf die man immer wieder hinauswill."

Die Stoffe der beiden bekanntesten Bücher von Lutz Seiler – "Kruso" (2014) und "Stern 111" (2020) – sind autobiographisch motiviert. In beiden Romanen erzählt der 1963 im thüringischen Gera geborene Schriftsteller vom eigenen Weg in die Kunst, die Literatur. Und von der Zeitgeschichte: "Kruso" – auch verfilmt – führt in die späten Jahre der DDR und zu einer eigenwilligen, hippieesken Aussteiger-Kolonie auf der Insel Hiddensee in der Ostsee.

"Stern 111" setzt im November 1989 ein und nimmt die unmittelbare Zeit nach dem Mauerfall in den Blick. Die Eltern von Carl – Hauptfigur im Roman – ziehen in den Westen (und schließlich nach Amerika). Carl geht nach Ostberlin, lebt zunächst auf der Straße und träumt vom Leben als Dichter.

Bilder von Ausstieg und Untergang

Vor den Augen der Figuren vollzieht sich ein tiefer historischer Wandel – der Untergang der DDR und die ersten, schwierigen Jahre der Wiedervereinigung, eine Zeit voller Brüche und Friktionen. Lutz Seiler schildert diese immer wieder aus der Perspektive von avantgardistischen Künstlerszenen – da die fröhlichen, dem grauen Land entkommenen Aussteiger auf Hiddensee, in der Wirtschaft auf dem Hochland, beim Leuchtturm (mit Küchendienst und ständigem Fett-Haar-Klumpen in der Spüle). Dort die Hausbesetzer in Berlin, die im Zuge einer Instandbesetzung einen Kulturraum schaffen wollen, für avantgardistische Musik und Literatur.

Gleichzeitig wird immer wieder auch gespiegelt, was für ein Land dort verschwunden ist. "Kruso" – und das überliest man gerne – endet mit der Geschichte einer Flucht über die Ostsee in den Westen. Eine Flucht, die mit dem Tod endet. Ein bewegender und gleichzeitig großartig geschriebener Epilog. Das Radio spielt in diesem Roman übrigens eine große Rolle – es läuft beständig in der Wirtschaft. Und auch "Stern 111" spielt auf eine Radiomarke an.

Poesie und Thüringer Klöße

Wie seine literarischen Figuren suchte auch Lutz Seiler den Weg in die Literatur – und debütierte 1995 mit dem Gedichtband "berührt / geführt". Die Lyrik ist bis heute ein zentrales Feld seines Schreibens, zuletzt – 2021 – erschien der Band "schrift für blinde riesen". Seiler schreibt in einer sehr klaren, pointieren Sprache, folgt gerne Naturbildern, ebenso autobiographischen Erinnerungen, etwa – in einem Gedicht im Band "im felderlatein" – der Mutter in Thüringen, die am Sonntagmorgen Klöße rollt und dabei die Balladen der Klassiker memoriert. Der Schriftsteller erweist sich in den Gedichten stets als sensibler, aufmerksamer Ergründer der Welt und der Gegenwart.

Die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung, die den Georg-Büchner-Preis vergibt, würdigt Lutz Seiler ausdrücklich auch für sein poetisches Werk. Er bleibe stets ein klarer wie rätselhafter, dunkel leuchtender Lyriker, heißt es in der Begründung. Er habe als Romancier und als Dichter zu seiner eigenen, unverwechselbaren Stimme gefunden, „melancholisch, dringlich, aufrichtig, voll von wunderbaren Echos aus einer langen literarischen Tradition.“

Engagement für Peter Huchel

Lutz Seiler begann während der Armee-Zeit in der DDR zu schreiben. Er studierte in den 1980er Jahren Geschichte und Germanistik in Halle (Saale) – Erfahrungen aus dieser Zeit sind auch in die literarischen Texte eingeflossen, etwa in den Prosaband "Turksib" und in den Roman "Kruso". 1990 ging er nach Berlin, heute pendelt er zwischen Schweden und Deutschland. Neben dem eigenen Schreiben engagiert sich Seiler auch für das Peter-Huchel-Haus in Wilhelmshost bei Potsdam und leitet dort das literarische Programm. Der Dichter Peter Huchel – für seine kompromisslose Haltung in der DDR von den Behörden drangsaliert – ist ein wichtiger Bezugspunkt für den Büchner-Preisträger des Jahres 2023.

Der wichtigste Literaturpreis im deutschsprachigen Raum folgt im Fall Lutz Seilers auf eine Reihe von renommierten Auszeichnungen. Der Schriftsteller gewann den Ingeborg-Bachmann-Preis, für "Kruso" erhielt er den Deutschen Buchpreis, "Stern 111" wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, die Verleihung – im ersten Lockdown in der Corona-Pandemie – war eine denkwürdige. Zu weiteren Ehrungen gehören der Konrad-Adenauer-Preis und der Bertolt-Brecht-Preis. Und nun – eine tolle Entscheidung! – der Georg-Büchner-Preis.

Die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung wird am 4. November, bei der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt verliehen. Im vergangenen Jahr wurde die Schriftstellerin Emine Sevgi Özdamar ausgezeichnet.

Schriftsteller Lutz Seiler erhält Georg-Büchner-Preis 2023
Bildrechte: BR
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Schriftsteller Lutz Seiler erhält Georg-Büchner-Preis 2023

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!