Auf den Plakaten des Finanzdienstleisters Scalable Capital wurde das Vaterunser umgedichtet.
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Auf den Plakaten des Finanzdienstleisters Scalable Capital wurde das Vaterunser umgedichtet.

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Religiöses in der Werbung: Wie weit darf man gehen?

Ein Finanzunternehmen dichtet das Vaterunser um und irritiert damit einige. Dabei gehört der religiöse Tabubruch schon lange zum Repertoire des Marketings. Doch auch das hat seine Grenzen.

Die Irritation ist gewollt. "Deine Villa geschehe, auch ohne Vater im Himmel" steht auf Plakaten in ganz Deutschland. Ein Finanzunternehmen möchte mit dem bekanntesten Gebet des Christentums, dem Vaterunser, auf sich aufmerksam machen und hat dabei kurzerhand Gott aus dem Gebet entfernt. Das ärgert manche. "A großer Quatsch", schreibt jemand auf der Plattform X.

"Wir wollen nicht um der Provokation willen provozieren", sagt Maximilian Meyer, der das Marketing von Scalable Capital verantwortet. In der Werbung spiele er gerne mit bekannten Redewendungen, um zu irritieren und zum Nachdenken anzuregen. "Bibeltexte sind in unserem Sprachgebrauch einfach sehr tief verankert", sagt Meyer.

Schmaler Grat zwischen Bekanntem und Irritation

Das sei auch einer der Gründe, wieso religiöse Motive, Symbole und Zitate sehr häufig auf Werbeplakaten oder in Werbefilmen zu finden seien, erklärt Daria Pezzoli-Olgiati. Sie ist Professorin für Religionswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und erforscht das Verhältnis von Religion und Medien. "Diese Werbung zieht Aufmerksamkeit auf sich, weil sie sich auf dem schmalen Grat zwischen Bekanntem und Irritation bewegt", sagt Pezzoli-Olgiati. Das zeige aber auch, dass viele Menschen, auch in der vermeintlich säkularisierten Gegenwart, Bibeltexte und Gebete erkennen. "Nur so funktioniert Ironie und Satire", sagt Pezzoli-Olgiati.

Gerade das Spiel mit religiösen Zitaten und Symbolen sorgt immer wieder für Ärger und Ablehnung. "Religion betrifft Menschen ganz existenziell", so Pezzoli-Olgiati. Diesen Effekt nutzt Werbung schon lange. Die Modemarke Benetton ließ 1991 einen Priester und eine Nonne miteinander knutschen. George Clooney darf in einem Werbespot weiter auf der Erde leben, weil er Gott seine Nespresso-Maschine schenkt und Rapperin Shirin David inszenierte sich erst kürzlich auf einem Plakat als sexy Eva im Paradies, um ihren Eistee zu verkaufen.

Der religiöse Tabubruch gehört zum Repertoire des Marketings

Biblische Urgeschichten wie der Sündenfall eigneten sich besonders gut, um durch Werbung verfremdet zu werden und gleichzeitig Geschlechterrollen zu verhandeln. "Wir verbinden etwa Eva mit Versuchung, Sexualität und Luxus", sagt Pezzoli-Olgiati. Man ersetze auf Plakaten Lippenstifte, Parfums oder Handtaschen durch einen Apfel. Schon ist man mitten drin in der biblischen Bilderwelt. Der religiöse Tabubruch gehört zum Repertoire des Marketings.

Aber auch der hat seine Grenzen. Diese sei überschritten, "wenn religiöse Bekenntnisse beschimpft oder verächtlich gemacht werden", schreibt der Deutsche Werberat in seinem Kodex, der Selbstverpflichtung der deutschen Werbeindustrie. "Es darf gerade so viel Religion sein, dass es noch belustigt und nicht blasphemisch wird", sagt Pezzoli-Olgiati. Wenn Firmen diese Grenzen überschritten, träten sie gesellschaftliche Debatten los, die ihnen eher schaden könnten. Das Judentum und der Islam seien deswegen seltener Vorlage für Marketing-Gags. Die Bezüge seien oft politisch und umstritten.

Häufiger christliche als muslimische Marketing-Gags

Maximilian Meyer von Scalable Capital war überrascht von manchen negativen Reaktionen auf das Vaterunser-Plakat. "Wir haben das so nicht vorhergesehen", sagt er. Ihm sei bewusst gewesen, dass das Plakat provoziert. "Wir wollten aber ganz und gar nicht religiöse Gefühle verletzen." Zukünftig wolle er bei religiösen Bezügen noch einen Ticken vorsichtiger agieren.

"Deine Villa geschehe." Was manche ärgert, regt andere an, das kapitalistische Gebet weiter zu dichten. "Geheiligt werde gutes Texten. Wie an der Straße, so auf Citylights. Und führe andere Kunden in Versuchung!", schreibt jemand auf Linkedin, dem sozialen Netzwerk, um Geschäftskontakte zu knüpfen.

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