Miteinander verschlungene Körper vor rotem Hintergrund: Fugue Four: Szenenbild Radikal Jung 2024
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Fugue Four: Szenenbild Radikal Jung 2024

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Radikal Jung: So startete das Festival der Regie von morgen

Das Festival "Radikal Jung" ist längst eine Institution für die Münchner Kultur und für den deutschsprachigen Theaterbetrieb schlechthin. Der Auftakt am Wochenende am Münchner Volkstheater machte Lust auf mehr.

Über dieses Thema berichtet: Die Welt am Morgen am .

Mit einem spektakulären Statement fing das Festival Radikal Jung am Wochenende an: Vier Körper bewegen sich auf der Bühne, fast nackt. Mal wie im Training, nur mit sich selbst beschäftigt, mal obszön, fast pornografisch. "Fugue Four. Response" haben Olivia Axel Scheucher und Nick Romeo Reiman ihre Performance genannt, die tatsächlich zunächst für das Porn-Film-Festival in Wien entworfen war und dann in einer theatralisierten Form vom Wiener Volkstheater übernommen wurde.

Körper als Ware

Es ist eine ebenso kluge wie humorvolle Auseinandersetzung mit einer Gegenwart, deren Körper im Spektrum von allgegenwärtiger Pornografie und den Zwängen der Social Media rotieren und dabei in einer Spirale ständiger Selbstoptimierung gefangen sind. Im Zeitalter eines radikalen Spätkapitalismus, heißt das im Klartext, sind es eben diese Körper, die als letzte Ware zu Markte getragen werden.

Mit "Fugue Four. Response" begann Radikal jung in diesem Jahr mit einer Produktion, die zwischen choreografierten Körpern und philosophischen Texten changiert und damit deutlich macht, wie weit sich dieses Festival längst aus dem klassischen Theaterkanon herausgewagt hat.

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Szene aus "Doktormutter Faust" von Fatma Aydemir

"Doktormutter Faust": Überschreibung von Goethes Altherrendrama

Dass Radikal jung auch anders kann, den Klassiker nämlich, zumindest im Ansatz, zeigte dann die zweite Produktion, die mit "Doktormutter Faust" von Fatma Aydemir Goethes Altherrendrama feministisch überschreibt. Doch auch hier in der Inszenierung von Selen Kara zeigte sich: Lust an der Provokation, an der Andersartigkeit, wenn auch leicht überfrachtet, an der Auseinandersetzung mit den brennenden Themen unserer Gegenwart. Doch während "Fugue Four. Response" ein Null-Budget Unterfangen ist, das rein aus dem Engagement seiner Protagonisten entsprang, ist "Doktormutter Faust" eine große Produktion des Schauspiels Essen, mit der das neue Leitungsteam vor ein paar Monaten seinen Auftakt setzte.

Auch hier also fächert das Festival "Radikal jung" ein Spektrum auf zwischen Stadt- bzw. Staatstheaterproduktionen und kleinen, aber feinen Alternativen. Dass gerade die immer wieder zu den Highlights des Festivals gehören, zeigte etwa auch "Spill your guts", eine Produktion, in der der Performer Hendrik Quast seine eigene chronische Darmkrankheit zum Thema macht.

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"Spill your guts" mit Performer Hendrik Quast

Krank oder nicht krank

"Spill your guts" ist eine Einmannshow rund um ein großes rotes Enddarmstück, in das sich der Bauchredner im Dialog mit seiner Klappmaulpuppe immer mal wieder verkriecht, einer Puppe, die mit einem zugenähten Auge und fehlender Nase in einer geradezu erbarmungswürdigen Hässlichkeit die Darmkrankheit Colitis Ulcerosa verkörpert. Es ist die Krankheit selbst, aber es ist auch: der kranke Körper, den Hendrik Quast mit "Spill your guts" ins Rampenlicht des Theaters bringt, und damit Dinge, die dort interessanterweise zu den Tabus gehören.

Niemand will normalerweise wirklich wissen, was so eine Darmerkrankung für demütigende Auswirkungen hat. Während das Stück den Darm schon im Titel trägt, heißt "Spill your guts" übersetzt eigentlich so viel wie "Schütt mir dein Herz" aus. Und das tut Helmut Quast, schonungslos offen, sehr witzig, sehr herausfordernd und damit durchaus radikal und macht damit zugleich Lust auf mehr: Radikal jung!

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