Männer und Frauen stehen vor einer Skulptur.
Bildrechte: Judith Buss

Die neun Sängerinnen und Sänger leben alle in München, stammen aber aus unterschiedlichen Ländern.

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Ohne Worte: Die Klangraum-Performance "Copper Lick" in München

Für ihre Komposition der Opern-Performance "Sun & Sea" gewann die Künstlerin Lina Lapelytė 2019 den goldenen Löwen der Kunstbiennale von Venedig. Nun kann man ihre Klangperformance "Copper Lick" am Münchner Isarufer erleben.

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Die Stadt ist voller Geräusche. Am rechten Isar-Ufer, flussabwärts einen Steinwurf entfernt vom Münchner Muffatwerk, hört man das Wasser und den Verkehr rauschen, zwitschernde Vögel, Kinderstimmen von einem Spielplatz, und – je nachdem, woher der Wind weht – Kirchenglocken. "Glockenklänge sind sehr präsent im Stadtraum. Man denkt an Gottesdienste oder an die Uhrzeit, wenn man sie hört. Ich verwende die Glocken aber einfach nur als Instrument, um die menschliche Stimme zu begleiten", sagt Lina Lapelytė.

Die Künstlerin hat neun Stimmen verwoben zu einem schwebenden Klangteppich mit dem Geläut von sechs Glockentürmen, von der Lukas-Kirche zum Beispiel gleich vis-a-vis am anderen Isar-Ufer, aber auch von der erheblich weiter entfernten Münchner Frauenkirche. Dabei tönt von den Türmen nicht einfach das normale Stundenläuten, die Glocken wurden eigens für das Projekt so programmiert, dass sie nicht alle auf einmal, sondern in einer bestimmten Reihenfolge erklingen – naturgemäß unterschiedlich deutlich vernehmbar, je nachdem wie nah oder weit weg sie jeweils sind.

Ein Dialog auf Ohrenhöhe

Die neun Sängerinnen und Sänger reagieren darauf, passen ihre Lautstärke den Glocken an. So entsteht ein Dialog auf Augen-, nein, besser: auf Ohrenhöhe. Ganz ohne Worte übrigens. Auf das Läuten reagiert Lina Lapelytės Chor mit Lauten. "Menschen benutzen Sprache zur Einbahnsprachen-Kommunikation. Wenn man die Debatten über die Kriege in Gaza oder in der Ukraine verfolgt, hat man das Gefühl, Worte dienen nur noch dazu, Feindschaft zu schüren. Es bringt nichts mehr, sie zu verwenden", sagt Lapelytė.

Deswegen setzt sie dem Verkünden der eigenen Meinung, dem Verlautbaren das Lauschen entgegen, das Zuhören, das aber durchaus aktive Mitarbeit erfordert, weil es in der Geräuschkulisse der Stadt der Aufmerksamkeit und Konzentration bedarf, den Klang von Geläut und Gesang in sich aufzunehmen.

Eine Sound-Skulptur, nicht in Stein gemeißelt, und damit ganz nach dem Geschmack von Daniel Bürkner von Public Art München. Kunst im öffentlichen Raum habe insbesondere in den 90er-Jahren bedeutet, dass einfach nur Skulpturen aufgestellt worden seien, sagt Bürkner. "Plötzlich standen Dinge im öffentlichen Raum umher, bezuglos, einfach als Stadtmobiliar und als Dekor." Public Art versuche hingegen zum Gespräch anzuregen und all das aufzugreifen, was in der Stadt "so pulsiert an Debatten, an sozialen Spannungen".

Eine große steinerne Satelliten-Schüssel

"In Litauen sind wir etliche alte Denkmäler aus der Sowjet-Zeit losgeworden", sagt die Künstlerin Lapelytė. Aber es sei ein echtes Problem, "dass diese Teile eigentlich kein natürliches Verfallsdatum haben. Dabei macht es auch für mich als Gegenwartskünstlerin die Sache leichter, wenn ich nicht darüber nachdenken muss, ob mein Werk auch noch in hundert Jahren so stehen bleiben kann. Es also völlig ok, sich auch immer wieder mal zu verabschieden von Dingen".

Ein Kalkstein-Trumm gehört freilich trotzdem auch zu Lina Lapelytės Kunstwerk. Wie vom Himmel gefallen und in den Boden gerammt steht es in der Grünanlage am Isar-Ufer. Und doch ist es kein Monument für die Ewigkeit, sondern dient lediglich dazu, den flüchtigen Moment erlebbar zu machen. Ein konkaver Fels, der die Glockenklänge einfängt. Wie eine große steinerne Satelliten-Schüssel.

Die Klangperformance "Copper Lick" ist bis Mitte Juni immer dienstags um 17 Uhr am Isarufer in der Nähe des Münchner Muffatwerks zu erleben.

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