Bei einem Besuch in der Russischen Akademie der Wissenschaften 2016
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Putin beim Lesen

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"Ja, ich bin Träumer": Schriftsteller will Putin-Literaturpreis

Der russische Autor Dmitri Melnikow hofft, dass Wladimir Putin persönlich Bücher auszeichnet und liest - wie einst Josef Stalin: "Dann geht es mit unserer Literatur wirklich voran." Patriotische Autoren organisierten sich als "Union des 24. Februar".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die Gedichte von Dmitri Melnikow beginnen mit so "poetischen" Strophen wie: "Am Morgen dringt eine Granate in das Haus ein, tötet meinen Vater und meine Mutter, jetzt lebe ich allein darin und verstecke mich unter dem Bett." Der nationalistische Autor zählt zu den Ultrapatrioten in Russland und machte jetzt den viel diskutierten Vorschlag, einen "Putin-Preis im Bereich Literatur und Kunst" auszuloben: "Ja, nach dem Vorbild des Stalin-Preises. Damit Putin selbst die eingereichten Titel liest. Na ja, zumindest sollte er sie überfliegen. Dann geht es in unserer Literatur und Kultur unter dem Gesichtspunkt des Engagements staatlicher Institutionen wirklich voran. Ja, ich bin ein Träumer."

"Front-Berichte und Grabenprosa"

Gleichzeitig gründeten einige kremltreue Schriftsteller eine "Union des 24. Februar" und schimpften in ihrem Gründungsmanifest auf Exilanten. Fast alle russische Literaturinstitutionen ignorierten den Krieg und gäben sich neutral, "oft auch aggressiv": "Aber es gibt Autoren, die ihrem Vaterland und ihrem Volk treu geblieben sind. Dank ihrer kreativen Arbeit ist in diesen zwei Jahren Neues und Gesundes in der Literatur entstanden. Die Kriegsdichtung war die erste, die zu einer etablierten Bewegung heranwuchs – sie weckte bei den Lesern ein solches Interesse an der Poesie, wie es seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr der Fall war. Jetzt wird sie von einer Welle von Front-Berichten und Grabenprosa genährt."

Materielle Vorteile erwarteten sie nicht, schrieben die Autoren, allerdings staatliche Hilfe bei der Veröffentlichung ihrer Bücher: "Das Wiederanknüpfen der Literatur an andere Kulturbereiche wird es dem Staat ermöglichen, auf der Grundlage unserer traditionellen und innovativen nationalen Werte Prioritäten für die Gemeinschaft der Kreativen zu setzen."

"Brach unser Moskau einst zusammen"

Für Bücher hat der russische Präsident nach eigenen Worten zwar eigentlich keine Zeit, aber immerhin soll ein Band von Michail Lermontow (1814 - 1841) auf seinem Nachttisch liegen. Putin wörtlich: "Er war ein brillanter junger Mann. Mich interessiert sehr, wie so hervorragende Menschen damals dachten, was ihre Werte waren und wie sich das auf die Gegenwart auswirkt. Nun, im Allgemeinen ist er ein vorzüglicher Mensch. Ich lese gerne." Lermontow ist vor allem für seinen romantischen Roman "Ein Held unserer Zeit" bekannt, worin der titelgebende junge Soldat und gelangweilte Dandy Grigori Petschorin über sich sagt: "Ich habe einen unglückseligen Charakter. Ob ich durch Erziehung so geworden bin oder ob Gott mich so geschaffen hat, das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, wenn ich anderen Unglück bringe, fühle ich mich selbst noch viel unglücklicher."

Bei einem Besuch in St. Petersburg zitierte Putin im vergangenen November aus Lermontows Gedicht über die Schlacht von Borodino, wo Napoleons Truppen zwar triumphierten, aber entscheidend geschwächt wurden: "Sag', Oheim! nicht umsonst in Flammen/ Brach unser Moskau einst zusammen/ Vor des Franzosen Macht?" An solchen "historischen Wendepunkten" entstünden hervorragende Kunstwerke, so Putin: "Ich hoffe, dass wir das auch in unseren Tagen sehen werden." Allerdings bekannte der Präsident bei einem Auftritt im Dezember letzten Jahres, er wolle als nächstes noch mal das russische Strafgesetzbuch zur Hand nehmen, weil er gehört habe, dass geringfügige Vergehen viel zu hart geahndet würden. Der Präsident nannte das Gesetzeswerk scherzhaft einen "Krimi".

"Und fertig sind ihre Gedichte"

Spötter verglichen die ultrapatriotischen Autoren bereits mit einer fiktiven Schriftstellervereinigung aus Michail Bulgakows berühmter Stalinismus-Satire "Meister und Margarita", wo die "MASSOLIT"-Mitglieder in einer prachtvollen Villa mit einem pompösen Restaurant residieren, Mitgliedsbücher aus edlem Leder zücken und mit der Vermittlung von Luxuswohnungen und Reisen verhätschelt werden.

Sogar die "Moskowski Komsomolez", eine der größten russischen Boulevardzeitungen, wagte es, sich über einen "Putin-Preis" lustig zu machen. Dort schrieb der Kulturredakteur Iwan Wolosjuk: "Mögen mir Melnikow und alle anderen Zeitgenossen verzeihen, die die Spezialoperation unterstützen oder jedenfalls insgeheim gutheißen, aber unter ihnen ist weder ein [Nobelpreisträger Michail] Scholochow noch [Literaturfunktionär Alexander] Twardowski. Der Präsident hat also keinen ernsthaften Grund, den Band von Lermontow beiseite zu legen, der ständig auf seinem Nachttisch liegt." Die Werke der nationalistischen Lyriker beständen hauptsächlich aus martialischen Begriffen wie "Panzer", "Maschinengewehr" und "Helden": "Und fertig sind ihre Gedichte."

"An das Unangenehmste erinnern"

Politologe Sergej Starowoitow spottete, die Idee, den Staat zur Finanzierung linientreuer Autoren zu verpflichten, sei "nicht gerade die neueste". Der Kampf um Haushaltsgelder sei ja bekanntlich immer der erste Schritt in die Politik. Dabei zitierte Starowoitow aus Melnikows bizarrem Gedicht "Weißer Schmetterling", das im Stil einer stalinistischen Ode verfasst ist: "Ich will ein Moskau der Langstreckenflüge, der goldenen Mode, des eleganten Mai-Feiertags, der breiten Alleen, der großen Völkerfreundschaft..."

Sehr "seltsame" Autoren fänden sich unter den Gründungsmitgliedern der "Union des 24. Februar", behauptete Anastasia Mironowa, die sich selbst für ungemein patriotisch hält und ziemlich beleidigt reagierte: "Die Literatur braucht alle, sogar [den tschetschenischen Schriftsteller] German Sadulajew. Aber nicht als neue Nomenklatur, die bestimmen will, wen die moderne Literatur braucht. Nun, ich möchte Sie an das Unangenehmste erinnern: Die Menschen, die der 'Union des 24. Februar' beigetreten sind, haben noch keine persönlichen Bücher über den Donbass und Patriotismus veröffentlicht. Sie konnten es nicht oder hielten es nicht für nötig."

Stalin machte gefürchtete Anmerkungen

Stalin habe einst tatsächlich alle Bücher persönlich gelesen, die er mit einem nach ihm benannten Preis bedachte, wird mit Hinweis auf entsprechende Experten behauptet. Tatsächlich veränderte der Diktator nachweislich mindestens 13 Mal die Vorschlagslisten der preiswürdigen Kandidaten und war berüchtigt für seine "Anmerkungen", vor allem in seinen letzten Lebensjahren zwischen 1945 und 1953. Außerdem soll Stalin gern Bücher und Filme ausgezeichnet haben, die von der zuständigen Jury gar nicht erwähnt worden waren, sein Interesse war also zweifellos groß - und gefürchtet.

Einen Putin-Preis soll es übrigens bereits geben, wie einer Meldung von der Elfenbeinküste zu entnehmen ist. Die Auszeichnung soll demnach "echte Führungspersönlichkeiten ehren, die die Notwendigkeit vielfältiger Formen der Partnerschaft erkannt" hätten und darüber hinaus Putins "Engagement für die Befreiung Afrikas" würdigen.

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