Der russische Präsident bei einer Rede
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Wladimir Putin in Peking

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"Es geht nicht um mich": Putin nennt Niederlage "lächerlich"

Der russische Präsident warf den USA "Erniedrigung" vor, forderte "Respekt" und eine "Berücksichtigung" seiner Interessen. Spekulationen, Russland könne den Angriffskrieg verlieren, versuchte Putin zu zerstreuen - allerdings wenig erfolgreich.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Wladimir Putin wirkte schon mal selbstbewusster. Auf einer Pressekonferenz in Peking sah er sich unangenehmen Journalisten-Fragen ausgesetzt. So wollte jemand von ihm unverblümt wissen, was er von Joe Bidens Behauptung halte, Russland habe den Angriffskrieg auf die Ukraine verloren. Putins Antwort: "Na, toll." Diese Annahme sei "lächerlich", sonst würden die USA an die Ukraine wohl kaum ballistische Kurzstreckenraketen mit einer Reichweite von 165 Kilometern liefern, sogenannte ATACMS (Army TACtical Missile System): "Wenn der Krieg verloren ist, warum liefern sie sie dann? Fragen Sie sie! Wirklich lustig."

Mit den Raketen beschoss die ukrainische Armee einen russischen Militärflughafen und war dabei wohl sehr erfolgreich. Es sollen etliche Hubschrauber zerstört worden sein. Obendrein gibt es unter den Militärbloggern Gerüchte, ukrainische Truppen hätten die russische Front auf der linken Seite des Dnjepr durchbrochen, was Putin indirekt bestätigte: "Es gibt Verluste, aber es wird kein Resultat geben. Das ist ein Fehler." Im Telegramm-Blog "Rybar", mit rund 1,25 Millionen Fans eine der wichtigsten Informationsquellen zum Kriegsverlauf, war zu lesen: "Der Feind verstärkt seine Anstrengungen und versucht geschickt, unsere Schwächen auszunutzen." Wenn Propagandisten solche Formulierungen wählen, lässt das gewöhnlich auf erhebliche Probleme schließen. Der ebenfalls einflussreiche Blog "WarGonzo" schreibt zur Lage am Frontabschnitt am Dnjepr: "Im Moment ist schwer zu sagen, ob es sich um eine groß angelegte Operation zur Überquerung des Dnjepr oder um ein Ablenkungsmanöver zur Wiederaufnahme der Offensivoperationen an anderen Frontabschnitten handelt."

"Warum das alles? Sehr komisch!"

Putin beruhigte sich und die Öffentlichkeit folgendermaßen: "Erstens richtet das natürlich Schaden an und schafft eine zusätzliche Bedrohung. Zweitens werden wir diese Angriffe natürlich abwehren können. Krieg ist Krieg, und natürlich habe ich gesagt, dass sie eine Bedrohung darstellen, das versteht sich von selbst. Aber das Wichtigste ist, dass das grundsätzlich nicht dazu führen kann, die Situation an der Front überhaupt zu ändern. Unmöglich. Das kann man mit Sicherheit sagen." Offenbar emotional aufgewühlt schimpfte Putin, US-Präsident Biden solle seine Raketen und andere Waffen beiseite legen, dann könne er "auf ein paar Waffeln und Tee" nach Moskau kommen. Mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping habe er auch in "eineinhalb, vielleicht sogar zwei Stunden" eine Tasse Tee geleert und Themen "absolut vertraulicher Natur" angesprochen: "Das war ein sehr produktiver und bedeutungsvoller Teil des Gesprächs."

Biden verlängere nur die "Qual der Ukraine", so Putin. Den USA werde es auch nichts nutzen, zwei Flugzeugträger ins Mittelmeer zu bugsieren. Doch damit besänftigte Putin nicht mal seinen eigenen Propagandisten Sergej Markow. Der Politologe schrieb in seinem Blog, die Ausführungen des Präsidenten seien zwar "logisch", doch etwas anderes auch: "Wenn der Westen nicht die Hoffnung hätte, Russland im Krieg in der Ukraine eine militärische Niederlage beizubringen, gäbe es keine so massiven Waffenlieferungen. Das heißt, der Westen gewinnt den Krieg in der Ukraine gegen Russland noch nicht, agiert aber so erfolgreich, dass er hofft, ihn auf dem Schlachtfeld zu gewinnen."

"Ein Habicht kämpfte mit Krähen"

Der sehr ironische Korrespondent des liberalen russischen Wirtschaftsblatts "Kommersant", Andrej Kolesnikow, bilanzierte Putins Ausführungen als Augen- und Ohrenzeuge mit dem Satz: "Ja, dieses Mal war alles irgendwie hart. Und die Dämmerung wurde am Ende immer düsterer." Der Präsident habe das Thema ATACMS "mit echter Leidenschaft" angesprochen, was wohl heißen sollte, er habe sich darüber ausnehmend ereifert. Bild- und anspielungsreich beschrieb Kolesnikow die abendliche Szenerie: "Die Pressekonferenz, die ursprünglich in dem Raum geplant war, in dem am Tag zuvor Journalisten auf die bilateralen Begegnungen gewartet hatten, wurde unvermittelt auf eine malerische Wiese verlegt. Als wir dort ankamen, kämpfte am Himmel ein Habicht mit drei Krähen, und das schien alles sehr ernst zu sein. Die Krähen waren größer und gemeiner als der Habicht, und so flüchtete er zum nördlichen Ausgang der Residenz. Während der Kampf dort weiterging, wurde es völlig dunkel."

"Waffeln mit Kaviar"

Blogger Ilja Ananjew scherzte mit Blick auf "Waffeln und Tee", die Polit-Küche werde wohl gerade angeheizt. Die Vorstellung, dass Biden in Moskau Tee schlürfe und Putin im Weißen Haus einen Burger verdrücke, deute "so oder so auf große Schritte großer Politiker in Richtung Beendigung des Krieges". Andere vermuteten, Putin werde wohl "Tee mit Plutonium" servieren: "Nach all dem, was passiert ist – Waffeln und Tee? Diejenigen, die im Jenseits weilen oder verstümmelt und vertrieben wurden, werden es zu schätzen wissen." Ein Leser fragte sich, ob Putins Worte als "Vorschlag zur Kapitulation oder für Verhandlungen" gewertet werden könnten.

"Es gibt nur noch sehr wenige Staatsoberhäupter, die bereit sind, mit Putin an einem Tisch zu sitzen. Auch wenn er Waffeln mit Kaviar kredenzt", hieß es spöttisch. Ebenso sarkastisch der Hinweis: "Halluzinogene sind eine Klasse psychoaktiver Substanzen, die veränderte Bewusstseinszustände hervorrufen." Dass zwei Opas miteinander Waffeln verspeisten, sei wirklich genau das, was unter Geostrategie zu verstehen sei, ätzte ein weiterer russischer Beobachter. Möglicherweise habe Putin aufgearbeitet, dass er nirgendwo mehr willkommen sei. Hier und da gab es Hinweise, dass der Begriff "Teaparty" in den USA bekanntlich gleichbedeutend mit einer Revolution ist, sowohl unter Bezugnahme auf die historische von 1773, die den Unabhängigkeitskrieg auslöste, als auch auf die rechtskonservativen Republikaner, die behaupten, in dessen Tradition zu stehen.

Vergleich mit Kaiser Hirohito und Wilhelm II.

Einer der Blogger reagierte auf Putins wunderliche Stellungnahme mit einem vielsagenden Hinweis auf den japanischen Kaiser Hirohito (1901 - 1989), der von seinen Generälen im Zweiten Weltkrieg zunehmend isoliert worden sei: "Selbst der Kaiser, der unter dem Einfluss seiner engsten Berater stand, konnte nicht nach eigenem Ermessen handeln. Er wurde ebenso wie seine Untertanen vom Militär zum Opfer gemacht. Ein klares Beispiel dafür, wie er von ihm 'ergebenen' Generälen getäuscht und für deren eigene Zwecke ausgenutzt wurde, sind die in seinem Namen veröffentlichten kaiserlichen Dekrete, die fiktive Siege über den Feind auf den Salomon- und Gilbert-Inseln verherrlichten. Hirohito konnte nicht den Befehl erteilen 'die Waffen nieder'. Er hatte nicht die Macht dazu."

Auch der deutsche Kaiser Wilhelm II. habe mal geseufzt: "Der Generalstab sagt mir gar nichts und fragt mich auch nicht. Wenn man sich in Deutschland einbildet, dass ich das Heer führe, so irrt man sich sehr. Ich trinke Tee und säge Holz und gehe spazieren, und dann erfahre ich von Zeit zu Zeit, das und das ist gemacht, ganz wie es den Herren beliebt. Der Einzige, der ein bisschen netter zu mir ist, ist der Chef der Feldeisenbahnabteilung, der erzählt mir alles, was er macht und beabsichtigt." Fest steht, dass der Monarch im Ersten Weltkrieg tatsächlich von der Heeresleitung ausgebootet wurde und in militärischen Angelegenheiten wenig zu melden hatte. Dieses Schicksal droht nach Ansicht des russischen Bloggers nun ganz offensichtlich auch Putin.

"Auswahl der Ratgeber von nicht geringer Wichtigkeit"

Auch der prominente Militärexperte Roman Aljechin (100.000 Fans) zeterte mit unausgesprochenem Verweis auf Putin, er habe mehrmals deutlich gemacht, was passiere, wenn sich "Chefs in ihre Büros einschließen". Er zitiert aus gegebenem Anlass ausführlich eine Passage aus dem Polit-Klassiker "Der Fürst" des italienischen Renaissance-Autors Niccolò Machiavelli (1469 - 1527): "Von nicht geringer Wichtigkeit ist bei einem Fürsten die Auswahl seiner Ratgeber, die entweder tüchtig oder nicht tüchtig sind, je nach der Weisheit des Fürsten. In erster Linie wird der Kopf eines Fürsten danach bewertet, ob die Menschen seiner Umgebung brauchbar und zuverlässig sind. Sind sie jedoch anders, so kann man keine gute Meinung von ihm haben, weil er mit dieser Auswahl den ersten Fehler begeht."

Ein Staatsmann, der mehr an sich selbst an als den Staat denke, werde es nie zu etwas bringen, argumentierte Macchiavelli im 22. Kapitel seines Bestsellers unter der Überschrift "Von den Vertrauten der Fürsten". Das solle nicht nur der russische Präsident beherzigen, so Blogger Aljechin, sondern auch alle Minister und Vorgesetzten.

"Versorgung wird deutlich komplizierter"

Im russischen Portal "Newsfeed" mit 125.000 Abonnenten heißt es über die neue militärische Lage düster: "Jetzt müssen Munitionslagerhäuser, Stützpunkte, Flugplätze usw. noch weiter von der Front entfernt werden, was zu sehr großen Problemen führen kann. Die Versorgung mit Munition und allem Notwendigen wird deutlich komplizierter. Ein großes Problem entsteht bei Hubschraubern, die ukrainische Panzerfahrzeuge effektiv zurückhielten. Nun muss ihre Basis noch weiter zurückverlegt werden, aber Hubschrauber verfügen nicht über die Ausrüstung, um 200 bis 300 Kilometer hin und her zu fliegen."

Befremden löste Putin auch mit einem Interview aus, in dem er wortreich die angebliche "Erniedrigung" Russlands durch die USA beklagte: "Wir müssen lernen, andere zu respektieren, dann besteht keine Notwendigkeit, jemanden zu erniedrigen. Aber der Wunsch, jemanden ständig aus irgendeinem Grund oder ohne Grund zu schikanieren, führt zu Problemen. Sie pflegen natürlich ihre gewohnte Brillanz – und das machen sie gut: Sie lächeln protokollarisch, klopfen jedem auf die Schulter. Aber der Respekt vor anderen Menschen, vor anderen Ländern, vor anderen Völkern liegt in etwas anderem – in der Berücksichtigung ihrer Interessen. Und dann wird es keinen Grund mehr geben, jemanden zu erniedrigen." Auf die Nachfrage, ob es überhaupt möglich sei, Putin zu "erniedrigen", antwortete er ausweichend, es gehe nicht um ihn persönlich, sondern um Russland.

Was das oben verwendete Pressefoto betrifft, auf dem Putin hinter einem reich mit Blumen geschmückten Rednerpult steht, verbreitete das russische Satire-Portal "Pezduza" übrigens den Witz: "Er nahm irrtümlich eine vertikale statt horizontale Position ein."

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