Der Politiker am Rednerpult
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Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Leipziger Buchmesse

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Olaf Scholz auf Buchmesse: "Hör auf zu brüllen"

Der Auftritt des Kanzlers zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse wurde von israelkritischen Zwischenrufern gestört. Scholz reagierte harsch ("Hör auf zu brüllen") und empfahl Lesen als Möglichkeit, die "eigene Perspektive infrage zu stellen".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Der Nahostkonflikt sorgt in der Kulturszene weiterhin für lautstarke Auseinandersetzungen. Auch bei der Eröffnung der Leipziger Buchmesse kam es zu Störaktionen israelkritischer Zwischenrufer, die von Ordnern zwangsweise aus dem Leipziger Gewandhaus entfernt werden mussten. Dabei ist die Wahrnehmung der Anwesenden rückblickend wie so oft höchst unterschiedlich.

Während die "Frankfurter Rundschau" titelte, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe bei seiner Rede zur Eröffnung der Leipziger Buchmesse die "Nerven verloren" und der Berliner Kulturjournalist Hanno Hauenstein auf X, vormals Twitter, schimpfte, er habe "selten eine so unseriöse Entgegnung" erlebt, verwies der "Spiegel" darauf, dass der Kanzler die unfreiwillige Gelegenheit genutzt habe, das Lesen als "täglich praktizierte Bereitschaft" zu empfehlen, die eigene "Blase" hinter sich zu lassen und Gegensätze zu überwinden. Auch solche, die "im Alltag manchmal unüberbrückbar" erschienen.

Scholz: "Hör auf zu brüllen"

"Hör auf zu brüllen, Schluss", hatte Scholz nach Zwischenrufen im Leipziger Gewandhaus zum Auftakt seiner Rede bemerkt, zunächst noch schmunzelnd: "Uns alle führt hier in Leipzig die Macht des Wortes zusammen, nicht die Macht des Geschreis." Er glaube nicht, dass es richtig sei, "Demokratie mit lautem Brüllen zu verwechseln", so der Kanzler kurz darauf, nachdem der Lärm nicht verebbte: "Und deshalb bitte ich nochmal allen, die hier anwesend sind, die Möglichkeit zu geben, an diesem Gespräch und dieser Veranstaltung teilzunehmen."

Der Kanzler warnte vor dem moralischen wie wirtschaftlichen Ruin des Landes, der mit einer gesellschaftlichen Polarisierung, "verrückten Brexit-, Klima- und Remigrationsplänen" verbunden sei. "Folgen wir denen nicht, die uns spalten wollen, die ganzen Gruppen in diesem Land die Zugehörigkeit zu unserer Gesellschaft absprechen wollen", so Scholz, der dabei unter Applaus in Richtung der Störer zeigte: "Glauben wir niemals denen, deren Antworten am Ende auf Intoleranz, Ausgrenzung und Hass hinauslaufen."

Rufe mit Bezug zum Nahost-Konflikt

Die Aktivisten hätten "laut, aber weitgehend unverständlich" in den Saal gerufen, hieß es in Agenturberichten. Die "Jüdische Allgemeine" sprach von "israelfeindlichen Schreihälsen". Anwesende wollten von den Störern Sätze gehört haben wie "Das ist keine humanitäre Katastrophe, es ist ein Genozid". In sozialen Netzwerken kursieren Videos rufender Aktivisten, die Scholz diesbezüglich eine Komplizenschaft vorwerfen.

Die Leipziger Buchmesse ist mit rund 300.000 Besuchern wichtigster Branchentreff im Frühjahr. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird auf der Messe in diesem Jahr den 35. Jahrestag der Friedlichen Revolution in Leipzig würdigen, die im Herbst 1989 mit Großdemonstrationen den Untergang der DDR einleitete.

Israelkritik polarisiert auf Festivals und an Universitäten

Massive Israelkritik gab es zuletzt auch auf der Berlinale und der Oscar-Verleihung. Regisseure wie Ben Russell und Jonathan Glazer waren für ihre jeweiligen Dankesreden heftig attackiert worden. Russell sprach in Berlin von "Völkermord in Gaza", Glazer in Los Angeles von "Entmenschlichung" und einer "Geiselnahme des Holocaust" durch Israel. 1.200 Filmschaffende jüdischen Glaubens hatten sich daraufhin über die "moralische Gleichsetzung der israelischen Nation" mit dem NS-Regime empört.

Weltweit erschüttert der Nahostkonflikt die Diskussionskultur an den Universitäten, in Bayreuth und Berlin ebenso wie in Marburg und Zürich, sowie zahlreichen weiteren Hochschulen, nicht zuletzt in den USA. Die deutsch-israelische Gesellschaft hatte der Bayreuther Universitätsleitung vorgeworfen, eine "Plattform für Antisemitismus" geboten zu haben, nachdem am 8. Februar eine Diskussionsrunde über die Lage der Palästinenser stattgefunden hatte. Uni-Präsident Stefan Leible hatte sich auf die Meinungsfreiheit berufen und bestritten, dass "israelfeindliche Exzesse" zugelassen worden seien.

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