Taylor Swift während ihrer "Eras Tour" in Tokio.
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Anti-Tinder: Neues Swift-Album "The Tortured Poets Department"

Der größte Popstar der Welt veröffentlicht ein neues Album: "The Tortured Poets Department" von Taylor Swift ist ein Ereignis. Und die Antithese zur Liebe im Tinder-Zeitalter.

Über dieses Thema berichtet: Die Welt am Morgen am .

Es kann gut sein, dass Joe Alwyn sich heute am frühen Morgen auf den Weg gemacht hat zu einer Hütte im Wald. Einer Hütte ohne Internet. Ohne sein Handy. Denn der britische Schauspieler – und Ex-Freund von Taylor Swift – dürfte sich anders als ein beträchtlicher Teil der Menschheit nicht auf das neue Swift-Album "The Tortured Poets Department", kurz "TTPD", freuen. Er dürfte sich sogar ein wenig davor fürchten – und vor den Swifties, Taylor Swifts Millionen Menschen zählender Fan-Armee.

Schließlich wurde das je nach Zählung elfte bzw. fünfzehnte Studioalbum der 34-jährigen Sängerin, Gitarristin und Songwriterin schon im Vorfeld als mother of all breakup albums, als Mutter aller Trennungsalbum gehandelt. Und die Trennung, von der Swift – die unangefochtene queen of the breakup song – auf "TTPD" erzählt, ist eben die von Joe Alwyn vor circa einem Jahr.

Herzschmerz – und noch mehr Herzschmerz

Tatsächlich handeln viele Songs auf "TTPD" von Liebe, von Gemeinheiten, von einem Beziehungsende. Und es ist anzunehmen, dass es um die Liebe, die Gemeinheiten, das Ende der immerhin sechs Jahre dauernden Beziehung mit Joe Alwyn geht. Es wäre nicht das erste Mal, dass Taylor Swift ihre letzte Beziehung auf diese Art im Wortsinn ver-arbeitet. Sogar der Albumtitel spielt offenbar auf einen Gruppenchat von Alwyn mit seinen Schauspieler-Kollegen Paul Mescal und Andrew Scott namens "The Tortured Men Club" an. Die Fans lieben Taylor für diese Offenherzigkeit, singen die Zeilen mit als hätten sie's selbst erlebt – denn sie haben ja tatsächlich schon ähnliches durchgemacht, nur in etwas kleinerem Maßstab.

Es wird jetzt neue Zeilen zum Mitsingen geben: "You‘re not Dylan Thomas/ I'm not Patti Smith/ This ain't the Chelsea hotel/ We're modern idiots" im Titeltrack "The Tortured Poets Department" zum Beispiel. Oder "It was legendary/ It was momentary" ("loml"). Oder "I love you/ It's ruining my life" ("Fortnight"). Und doch: Die ganz großen Pop-Momente bleiben diesmal aus. Das Album mag viele Emotionen aufgreifen, nicht nur die "5 Phasen der Trauer", auf die Swift selbst im Vorfeld hinwies: Leugnung, Wut, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Aber es hat im Grunde nur eine Stimmung: den melancholischen, zwischen Traurigkeit und Wut hin und her wabernden Blick in den Rückspiegel. Nicht nur in den Texten, auch musikalisch.

Zurück in die Comfort Zone

Denn die meisten Songs auf "The Tortured Poets Department" sind Synthie-getriebene Midtempo-Stücke mit oft verhallten Drums und zurückhaltendem, getragenen Gesang, der manchmal ein wenig an Lana Del Rey erinnert. Nur selten hört man eine Akustikgitarre heraus wie bei "But Daddy I Love Him" oder eine E-Gitarre wie bei "Florida!!!", einem Song, der auch durch den gemeinsamen Gesang mit Florence Welch von Florence & the Machine heraussticht. Die einzige wirkliche Abwechslung bilden einige Klavierballaden wie etwa "The Smallest Man Who Ever Lived", die die Stimmungspalette aber auch nicht wesentlich erweitern.

Das war schon mal anders: Swift hat in ihren mittlerweile 18 Jahren als recording artist schon über mehr als nur Herzschmerz und ihre Erfahrungen als Megastar gesungen. Und sie hat sich auch musikalisch schon weiter herausgewagt, nicht zuletzt auf dem Vorgängeralbum "Midnights", das von großem Pop bis zu unterkühltem Electronica viel zu bieten hatte.

Liebesdramen forever?

Was vielleicht auch ein bisschen die Frage aufwirft, die die Beatles – deren Rekorde Swift mittlerweile beginnt, einzustellen – fast von Tag eins im Rampenlicht an immer wieder hörten: When will the bubble burst? Wann wird die Blase platzen? Werden weitere Teenager-Jahrgänge ihre Zeilen mitsingen, obwohl Swift bald doppelt so alt ist wie sie? Und wird Swift überhaupt weiterhin Zeilen für Teenager und Twentysomethings schreiben? Oder wird sie sich doch weiter öffnen für Themen jenseits von Liebe und Schmerz, jenseits der 30 – wie sie es in der Vergangenheit bereits ab und zu getan hat?

Vielleicht liegt die Antwort auf letztere Frage ja auch in den 15 extra Songs, die auf einer zweiten Version des Albums zu finden sind – dem "The Tortured Poets Department: The Anthology" getauften Doppelalbum, das Swift heute Nacht um zwei ankündigte und das es nun ebenfalls überall zu hören gibt. Dass die Blase irgendwann platzten könnte, ist Swift selbst bewusst, wie sie mit dem letzten Song "Clara Bow" und den letzten Zeilen des Albums zeigt. Dort spricht sie aus der Perspektive eines Musikmanagers zu einer möglichen nächsten Taylor Swift: "You look like Taylor Swift/ In this light, we're loving it/ You've got edge, she never did/ The future's bright, dazzling."

Tinder-Gegenprogramm

Eins ist wie eh und je im Taylorverse: Die Liebe und all ihre Irrungen und Wirrungen sind das zentrale Thema, die großen Gefühle werden zelebriert wie es nur in der Popmusik möglich ist. Taylor Swift ist damit auch so etwas wie das Gegenprogramm zu Tinder, OkCupid und Bumble, die Gegenposition zu Situationships und Friends with benefits. Der warenförmigen Liebe im Plattformkapitalismus stellt sie das volle Programm der romantischen Idee von Liebe entgegen. Taylor-Swift-Alben sind damit eine Art Update der Liebesromane des 19. Jahrhunderts, die unsere heutige Vorstellung von Liebe einst in die Welt trugen.

Und auch, wenn sich die deutschen Feuilletons und Kultursendungen geschlossen freuen, dass Swift sich in der Vergangenheit gegen Donald Trump positioniert hat, kann man froh sein, dass sie diese Dinge auf Instagram oder Twitter erledigt. Schließlich hat Tagespolitik der Musik nur sehr selten gut getan. Und Swift muss auch nichts mehr beweisen. Sie hat sich längst vom unfreiwillig vereinnahmten Darling zum erklärten Feindbild der White Supremacists und Trump-Fans gewandelt – durchaus mit eigenem Zutun.

Gegengift gegen toxische Rollenbilder

In einer Zeit, wo nicht selten Pornos, Macho-Influencer und Tradwifes die Vorstellungen von Liebe und Sex, von männlichen und weiblichen Rollenbildern prägen, darf man sich freuen, dass ein Album wie "The Tortured Poets Department" die Spotify-Playlisten auf absehbare Zeit dominieren wird. Man darf sich auch freuen über intelligente Texte und Popmusik ohne Vorschlaghammer. Auch, wenn dafür ein Mann vielleicht für ein paar Tage auf eine Hütte in einem Wald fahren muss.

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Taylor Swift: "The Tortured Poets Department"

"The Tortured Poets Department" von Taylor Swift ist am 19.04. bei Republic (Universal Music) erschienen.

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