Ein Bach fließt an einem Acker vorbei
Bildrechte: Sylvia Bentele/Sylvia Bentele

Pflanzenschutzmittel können in Gewässern großen Schaden anrichten. Das ist laut Studie oft der Fall. Trotz Gewässerrandstreifen.

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Pestizide gefährden Lebewesen in Kleingewässern

Gut für die Ernte, schlecht für die Artenvielfalt: Gelangen Pflanzenschutzmittel in Gewässer, können sie großen Schaden anrichten. Das ist laut einer Studie oft der Fall. Trotz eigentlich schützender Gewässerrandstreifen. Gibt es eine Lösung?

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Sebastian Hanfland ist leidenschaftlicher Fischer. Doch der Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes Bayern macht sich Sorgen. Denn die Artenvielfalt an vielen Bächen leidet. An einem kleinen Bach nördlich von München steigt er mit Kescher und Dosenlupe ins Wasser. Er hofft, viele unterschiedliche Insektenlarven zu finden. Die sind wichtige Nahrung für Fische. Und: Vor allem die Larven der Eintagsfliege seien ein Indikator für eine gute Wasserqualität, so Hanfland. Doch er wird enttäuscht: Auch nach mehreren Minuten findet er nur eine einzige Eintagsfliegenlarve. Und auch der Mangel an Wasserpflanzen macht ihm Sorge.

Viele Bäche sind mit Pestiziden belastet

Links und rechts des Baches sind Felder, unter anderem wird Mais angebaut. Zum Schutz vor tierischen Schädlingen, Pilzen oder Unkraut spritzen konventionelle Landwirte auf ihren Flächen Pestizide. Pflanzenschutzmittel, die die Nutzpflanzen schützen, aber schädliche "Zielorganismen" abtöten. Gelangen Pestizide ins Wasser, leidet die Artenvielfalt. Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes kommt zu dem Ergebnis, dass in vielen kleinen Gewässern zu hohe Rückstände von Pflanzenschutzmitteln zu finden sind. Laut neuen Ergebnissen dieser Studie geht die Belastung vor allem von der Landwirtschaft aus.

Die Studie zeigt: Je mehr Pflanzenschutzmittel auf umliegenden Äckern verwendet wurden, desto stärker waren die Gewässer belastet. Die Wissenschaftler unter der Leitung des Leipziger Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung haben dafür deutschlandweit 124 Gewässerabschnitte untersucht. In mehr als 80 Prozent der Gewässerabschnitte wurden die gesetzlichen Grenzwerte für Pflanzenschutzmittel überschritten.

Gefahr: Abschwemmung bei Starkregen

Laut Studienergebnissen gelangt ein Großteil der Pflanzenschutzmittel durch Abschwemmung bei Regen von den Feldern in die Gewässer. Zwar achten Landwirte darauf, nicht zu spritzen, wenn Regen angesagt ist. Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felßner, betont außerdem: Die Landwirte seien unglaublich achtsam, wenn sie Pflanzenschutzmittel einsetzen.

Dennoch konnten die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums gerade im Frühjahr und Sommer, wenn viele Kulturen gespritzt werden, eine erhöhte Konzentration von Pestiziden in Gewässern nachweisen. Matthias Liess, Gewässerökologe am Helmholtz-Zentrum in Leipzig und Leiter der Studie, erklärt, dass die Pestizide einige Tage in einer relativ hohen Konzentration auf den Pflanzen bleiben, bevor sie vollständig abgebaut sind. Kommt es in dieser Zeit zu unvorhersehbarem Starkregen, können die Pestizide in umliegende Gewässer gespült werden.

Bäche sind wichtige Lebensräume

Bäche und Entwässerungsgräben sind wichtige Lebensräume für Insekten wie Libellen oder Eintagsfliegen, deren Larven wiederum Fischen wertvolle Nahrung liefern. In ihrer Studie stellten die Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums einen dramatischen Einbruch dieser Biodiversität an den Stellen fest, an denen die Grenzwerte für Insektenschutzmittel überschritten wurden. Dabei wurden neben Pestiziden auch andere Faktoren wie die Struktur der Gewässer, die Temperatur und der Sauerstoffgehalt untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass es sehr deutliche Effekte der Pestizide auf die Tierwelt gibt.

Sind breitere Gewässerrandstreifen die Lösung?

In Bayern müssen seit August 2019 an naturnahen und natürlichen Bereichen fließender oder stehender Gewässer Randstreifen eingehalten werden. Diese Flächen dürfen nicht acker- oder gartenbaulich genutzt werden und dienen als Puffer, der im Fall von Starkregen Düngemittel und auch Pflanzenschutzmittel zurückhalten soll. Die Breite dieser Gewässerrandstreifen hängt davon ab, um welches Gewässer es sich handelt und wer der Eigentümer der Flächen ist.

Bei Bächen und Weihern, in der Fachsprache Gewässern dritter Ordnung, ist aktuell eine Breite von fünf Metern Pflicht. Das ist aber laut Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums nicht genug. Nach Ergebnissen ihrer Studie müssten Gewässerrandstreifen eine Breite von mindestens 18 Metern haben, um Bäche und Weiher effektiv vor Pflanzenschutzmitteln zu schützen.

Landwirte fürchten Flächenverlust

Diese Forderung stößt bei Landwirten auf Kritik. Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, befürchtet einen Flächenverlust: "Ich glaube, das ist der falsche Weg." In Bayern gibt es mehr als 90.000 Kilometer Gewässer dritter Ordnung. Bei breiteren Gewässerrandstreifen würden Landwirte viel Fläche verlieren.

Landwirt Hermann Greif betreibt in Oberfranken biologischen und konventionellen Ackerbau – rund 8.000 Quadratmeter nehmen dabei Gewässerrandstreifen ein. Er macht darauf aufmerksam, dass gerade in Franken die Felder oft sehr klein sind. Breitere Gewässerrandstreifen wären hier problematisch: "Das würde bedeuten, man würde ganze Flächen an einen Bach verlieren." Statt neuer Vorschriften setzt er auf einen kooperativen Natur- und Wasserschutz, der auf die individuellen Gegebenheiten eingeht.

Keine Randstreifen an Entwässerungsgräben

Aber nicht alle Gewässer werden durch Randstreifen geschützt. Sebastian Hanfland, Geschäftsführer des Landesfischereiverbandes Bayern, kritisiert, dass die Wasserwirtschaftsämter damit hinterherhinken, alle Bäche zu katalogisieren, bei denen Gewässerrandstreifen nötig wären.

Außerdem sind Entwässerungsgräben ausgenommen: Gräben, die überschüssiges Wasser abtransportieren und sich oft wie ein Netz durch Ackerflächen oder Wiesen ziehen. Auch über diese Gräben landen Pflanzenschutzmittel in größeren Gewässern. Außerdem bieten auch Gräben Lebensraum für Insekten und Amphibien. Hier bräuchte es dringend Nachbesserungen, fordert Richard Mergner, Vorsitzender des Bund Naturschutz Bayern: "Klar ist es eine Einschränkung für die konventionellen Landwirte, die entsprechende Spritzmittel anwenden. Das muss dann finanziell ausgeglichen werden. Aber wir können es nicht zulassen, dass Kleinlebewesen in den Zuläufen zu unseren Bächen und Flüssen belastet werden."

Problem: Pestizide werden für die Zulassung nur im Labor getestet

Gewässerökologe Matthias Liess vom Helmholtz-Zentrum in Leipzig kritisiert, dass Pflanzenschutzmittel bei der Zulassung unter unrealistischen Bedingungen geprüft werden. Das Problem sei, dass Pflanzenschutzmittel unter Laborbedingungen getestet werden. Im Freiland oder in Gewässern in freier Natur hätten die Tiere allerdings durch weniger Nahrung, Sauerstoffarmut und Konkurrenz mehr Stress. Diese Faktoren seien nicht ausreichend in den Testsystemen bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln berücksichtigt. "Arten werden viel empfindlicher gegenüber Schadstoffen, wenn sie zusätzlichen Stress haben", so Liess.

Änderungen kurzfristig nicht in Sicht

Bislang wird die Diskussion um Pflanzenschutzmittel in Kleingewässern hauptsächlich unter Experten geführt. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich zu den neuen Ergebnissen der Studie noch nicht öffentlich geäußert. Pläne zur Anpassung der aktuellen Regelungen gibt es in Deutschland nicht. Allerdings plant die EU derzeit eine Verordnung zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Das Ziel: Den Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Doch eine Abstimmung im Agrarausschuss des EU-Parlaments wurde weiter nach hinten geschoben.

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