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Publikationen  TELEVIZION   Ausgabe 15/2002/2

 


Text als PDF, 212 KB

Sylvia Nagl

Kinder- und Jugendfernsehen

in der Presse

Zwar werden nur noch halb so viele Zeitungsartikel zum Kinderfernsehen veröffentlicht wie vor fünf Jahren, diese sind jedoch länger und komplexer geworden. Die Informationssendungen des öffentlich-rechtlichen Kinderprogramms werden als vorbildlich diskutiert, während erfolgreiche Sendungen der kommerziellen Anbieter, wenn, eher als Negativbeispiele dienen.

Medien berichten über Medien. Sie kritisieren, informieren und setzen sich mit anderen Medien auseinander - nicht nur auf Medienseiten oder in Medienmagazinen, sondern durch alle Ressorts und in allen Bereichen. Die publizistische Medienkritik ist für eine zunehmend von Medien geprägte Gesellschaft von großer Bedeutung. Besonders intensive Aufmerksamkeit in den Medien erhält dabei regelmäßig in unterschiedlicher Besetzung der Bereich Fernsehen für Kinder und Jugendliche.
So zentral das Thema erscheinen mag, so fragmentiert sind die aktuellen Ergebnisse der Foschung. Bisherige Studien zum Diskurs über Kinder- und Jugendfernsehen in den Medien beschränken sich meist auf Fallbeispiele, in denen Einzelsendungen und thematisch begrenzte Diskussionen im Mittelpunkt stehen.
So fanden in den letzten Jahren ausführliche Analysen des öffentlichen Diskurses um den Neustart der Teletubbies im Jahr 1999 statt. Knobloch (2001) kommt diesbezüglich zu dem Fazit, dass eine umfangreiche Zeitungskontroverse insgesamt mit der erfolgreichen Einführung einer neuen Sendung in Verbindung steht. Eine Analyse zur medialen Diskussion rund um die Teletubbies in Großbritannien führte Anne M. White (1999) durch. Sie resümiert, dass in Großbritannien u.a. Zeitungen die Teletubbies bekannt gemacht haben. Über die Fernsehserie selbst wurde allerdings kaum berichtet, sondern eher Rummel und Hysterie erzeugt.
Ein weiterer Teil von Untersuchungen konzentriert sich auf qualitative Impressionen, die einen begrenzten Ausschnitt der breiten öffentlichen Diskussion abbilden. Bachmair (2000) betrachtet beispielweise schlaglichtartig den öffentlichen Diskurs in Zeitungen und beschreibt ihn als zwischen "Kulturverfall, Alltäglichkeit und Fortschrittsoptimismus" stehend.
Die bisher durchgeführten Studien basieren auf einem qualitativen Methodenrepertoire. Eine quantitative und langfristige Betrachtung der alltäglichen Medienberichterstattung über das Thema Kinder- und Jugendfernsehen fehlt allerdings. Hier setzt die Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) an: Sie stellt an erste Stelle nicht die Diskussion über einen (umstrittenen) Einzelsendungstitel, wie beispielsweise Teletubbies oder Pokémon, sondern legt den Schwerpunkt auf die allgemeine Auseinandersetzung um das Kinder- und Jugendfernsehen in Deutschland. Die zentralen Fragen der Untersuchung sind dementsprechend: Wie sieht die deutsche Presseberichterstattung über Kinderfernsehen bzw. Jugendfernsehen aus? Welche Themen werden angesprochen, welche Bewertungsdimensionen führen die JournalistInnen in ihrer Argumentation an? Was sind die Berichtsanlässe, wer die Akteure und welche Rollen werden ihnen zugeschrieben? Und nicht zuletzt die Frage, inwieweit das Interesse der Presse mit der realen Sehbeteiligung der Kinder und Jugendlichen einhergeht.


Methode

In Orientierung an Früh (1991) und Merten (1995) wurde in einer quantitativen Inhaltsanalyse die aktuelle Presseberichterstattung über das Kinder- und Jugendfernsehen der letzten fünf Jahre analysiert. 1.115 Artikel der Jahre 1997 bis 2001 aus dem Dokumentationszentrum des Bayerischen Rundfunks wurden hierfür einzeln auf Beitragsebene untersucht. Diese stammen aus 76 führenden Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen, Programmzeitschriften und Fachpublikationen, darunter die Meinungsführermedien Deutschlands. Im Mittelpunkt der Analyse stehen - neben formalen Aspekten - der Berichtsanlass, die angesprochenen Themen und eingenommenen Bewertungsdimensionen, die Akteure und ihre Rollen sowie die genannten Sendungstitel inklusive ihrer Konnotation. Das quantitative Codierungssystem wurde anhand einer Teilstichprobe von 100 Artikeln entwickelt, getestet und anschließend auf alle Einzelbeiträge angewendet. Die Erfassung und Auswertung erfolgte mit Hilfe einer eigens hierfür entwickelten Software.
Im Folgenden werden zentrale Ergebnisse der Studie vorgestellt. Der vollständige Forschungsbericht ist unter http://www.izi.de abrufbar.


Die Presseberichterstattung über Kinder- und Jugendfernsehen von 1997 bis 2001

Von 1997 bis 2001 wurden in den untersuchten Medien 1.115 Artikel über das Kinder- und Jugendfernsehen allgemein veröffentlicht. Diese stammen zumeist aus überregionalen Tageszeitungen sowie Fachpublikationen aus den Bereichen Medien, Pädagogik und Marketing. 84% der analysierten Beiträge beziehen sich dabei explizit auf Kinderfernsehen, etwa ein Zehntel handelt von Fernsehen speziell für 14- bis 19-Jährige. Zumeist wird also deutlich mehr zu Kinderfernsehen als zu Jugendfernsehen geschrieben. Einzig das Jahr 1999 sticht hervor mit einem Anteil von mehr als einem Fünftel der Artikel, die das Jugendfernsehen zum Inhalt haben. In diesem Jahr ging das viel beachtete neue Jugendformat Eins-live TV (WDR) auf Sendung bzw. wurde sechs Monate später eingestellt.
Auffällig ist, dass von Jahr zu Jahr weniger Artikel über Kinder- und Jugendfernsehen publiziert werden. Schreiben die JournalistInnen im ersten Jahr der Untersuchung insgesamt 262 Beiträge, sind es vier Jahre später noch 132, was ein Minus von 130 Artikeln ausmacht. Allerdings werden die publizierten Artikel länger und finden weniger in der einfachen, berichtenden Stilform statt: Der Anteil der sachlich-neutralen Nachrichten, Meldungen und Berichte nimmt von 1997 bis 2001 konstant um insgesamt 15% ab. Stattdessen betonen JournalistInnen im Untersuchungszeitraum häufiger Service-Aspekte für die LeserInnen, wie Programmtipps und Ratgeber (s. Tab.1).


Tabelle 1

Anzahl der Artikel über Kinder und Jugendfernsehen von 1997 bis 2001
Jahr Gesamt Kinderfernsehen Jugendfernsehen
  Anzahl Anzahl Anteil in % Anzahl Anteil in %
1997
1998
1999
2000
2001

262
256
243
222
132

263
222
177
180
114
90,1
86,7
72,8
81,1
86,4
8
16
51
35
12
3,1
6,3
21,0
15,8
9,1
Alle Jahre 1.115 929 83,3 122 10,9

 

Berichtsanlässe: Neustarts und wissenschaftliche Studien

Zu welchen Anlässen schreiben die JournalistInnen über Kinder- und Jugendfernsehen? Am meisten berichten die JournalistInnen im gesamten Untersuchungszeitraum anlässlich Neustarts oder Wiederaufnahmen von Sendungen und Sendern. Ein tieferer Blick, aufgeschlüsselt nach Jahren, zeigt, dass der Anteil der Artikel mit dieser Ursache als Hintergrund stark variiert und von den tatsächlichen Ereignissen abhängt (s. Grafik 1). So ist im Jahr 1997 in fast der Hälfte der Artikel der Neustart des Kinderkanals von ARD und ZDF vorrangiger Aufhänger der Berichterstattung. Drei Jahre später steigt mit Start des Senders Fox Kids auf Premiere World und des Formats Pokémon nochmals die Anzahl der veröffentlichten Beiträge zu diesem Anlass.
Wissenschaftliche Studien und Gutachten sind dagegen im Untersuchungszeitraum für JournalistInnen immer mehr Aufhänger, um über Kinder- und Jugendfernsehen zu berichten. Konnten sie 1997 in knapp 5% der Artikel als Berichtsanlass festgestellt werden, sind es 2001 bei konstanter Steigerung in den Jahren dazwischen 26%. Wissenschaftliche Themen ziehen verstärkt die Aufmerksamkeit der JournalistInnen auf sich und stoßen den öffentlichen Diskurs an, was als Indiz für eine Verwissenschaftlichung der Diskussion interpretiert werden kann.
Der Anteil der Artikel, die keinen erkennbaren Anlass haben, nimmt bis 2001 stetig zu. Wird 1997 über Kinder- und Jugendfernsehen in fast 95% der Fälle aufgrund eines expliziten Anlasses geschrieben, sind es fünf Jahre später um ein Zehntel weniger. Dies legt den Schluss nahe, dass die JournalistInnen weniger nach konkreten Ereignissen berichten, sondern dass das Kinder- und Jugendfernsehen verstärkt ein wiederkehrendes Thema von öffentlichem Interesse ist (s. Tab. 2).


Tabelle 2

Anlässe für Berichterstattung
Anlass Anteil in % (N=1.115)
Neustart/Wiederaufnahme einer Sendung, eines Senders
Studie, Gutachten
Personelle Veränderung, Umstrukturierung, Kooperation
Kein erkennbarer Anlass
Stellungnahme, Diskussion, Forderung
Pressekonferenz, Pressemeldung, Bekanntgabe der Quoten
Wissenschaftliche Konferenz, Tagung
Jubiläum, Feiertag
Aktion, Wettbewerb, Ereignis in Sendung
Beschwerde, Klage
Einstellung einer Sendung, eines Senders
Verbrechen, Gewalt, Krieg
Verabschiedung von Gesetzten, Richtlinien
Tod eines Schauspielers, Sprechers
26,0
15,1
8,9
8,7
7,9
7,2
6,6
5,0
4,6
3,8
3,3
1,7
1,1
0,2


Grafik 1

Anlass der Berichterstattung im Zeitverlauf

 

Thema: Angebot und quantitative Nutzung im Zentrum der Aufmerksamkeit

Welche Themen sprechen die JournalistInnen an? In einer ersten Sichtung von ca. 100 Artikeln wurde ein Themenbaum erarbeitet, der sich in die Hauptbereiche "Programm" und "Nutzung" gliedert. Der erste Bereich verästelt sich in Themen rund um das faktische Programmangebot, welches das Marktgeschehen, die Sender, das Sendungsangebot (ohne Inhalte) sowie Werbung und Merchandising umfasst, und in konkrete Programminhalte. Der Bereich "Nutzung" beinhaltet rein quantitative Nutzungszahlen sowie Wirkungs- und Aneignungsaspekte. Pro Beitrag konnten bis zu fünf Themen codiert werden.
Thematisch schenken die JournalistInnen dem rein faktischen Programmangebot mehr Aufmerksamkeit als der inhaltlichen Ausgestaltung des Programms. In drei Viertel der Artikel werden wirtschaftliche Themen rund um das Programmangebot - also Marktgeschehen, Sender, Sendungsangebot und Merchandising/Werbung - angesprochen. Programminhalte werden in 40% der Artikel thematisiert, wobei sich die Berichterstatter in mehr Artikeln positiv über Fernsehinhalte aussprechen, als dass sie diese kritisieren. Konkrete Anforderungen an die Inhalte definieren sie in 11% der Beiträge.
Neben dem Bereich Programm interessiert die JournalistInnen die Fernsehnutzung. Rein quantitative Zahlen stehen dabei im Mittelpunkt, die Einordnung des Fernsehkonsums in einen größeren Zusammenhang sowie die Darstellung der Folgen und Motive sind ein marginales Thema. Über griffige Zahlen schreiben die JournalistInnen häufiger, als dass sie sich auf einer tieferen Ebene mit der Fernsehnutzung auseinandersetzen. Wenn sie die Folgen diskutieren, dann sprechen sie öfter von Aneignung der Fernsehinhalte durch die Kinder, also einem aktiven Rezipienten, als von Wirkung des Fernsehens auf die ZuschauerInnen. Aneignung wird dabei eher in einem positiven Zusammenhang thematisiert; Fernsehwirkung dagegen wird fast ausschließlich mit negativen Folgen für die Kinder und Jugendlichen verbunden.
Fazit: Wenn die JournalistInnen über Inhalte und Folgen des Fernsehkonsums schreiben, dann sprechen sie diesen durchaus auch positive Aspekte zu, eine generelle "Verteufelung" des Mediums im Kinderbereich lässt sich nicht feststellen. Bedenklich ist allerdings, dass nur in wenigen Beiträgen eine Auseinandersetzung fernab von der Darstellung des Programmangebots, der Nutzungszahlen oder der Beschreibung von Inhalten stattfindet (s. Tab. 3). Zumeist konzentriert sich die Berichterstattung über Kinder- und Jugendfernsehen der Jahre 1997 bis 2001 auf wirtschaftliche Aspekte.


Tabelle 3

Themengliederung 1997 bis 2001

Programm

- Programmangebot
- Programminhalte

82,4%

72,3%
39,8%

Nutzung

- Quantitative Nutzung
- Aneignung
- Wirkung

54,1%

38,1%
15,5%
10,9%

N=4.167 Themen (im Text) in 1.115 Artikel (Mehrfachnennungen möglich)

 

Politische und wirtschaftliche Bewertungsdimensionen überwiegen

Welche Bewertungsdimensionen führen die JournalistInnen in ihrer Argumentation an? Bei der Beantwortung dieser Forschungsfrage steht weniger das faktische Thema als vielmehr die übergreifende Perspektive der angeführten Argumente im Mittelpunkt. Um diese zu ermitteln, wurden vorab diverse Artikel zur Diskussion um das Kinder- und Jugendfernsehen gesichtet und die verschiedenen Argumentationsweisen in Gruppen zusammengefasst. Es ergaben sich neun Dimensionen:

  • Die (werbe-/medien-)wirtschaftliche Perspektive umfasst Argumente, die im Zusammenhang mit Marktanteilen, Quoten und Merchandising stehen.
  • Unter dem (programm-/medien-)politischen Blickwinkel sind die Bedeutung für die Fernsehlandschaft, senderinterne und personelle Entscheidungen sowie die politische Diskussion subsumiert.
  • Auf die künstlerische Machart bezieht sich die gestalterische Bewertungsdimension.
  • Rechtliche Aspekte und juristische Komponenten um Grundgesetz, Jugendschutz, Werbepausen, EU-Wettbewerbsrecht etc. gehören zum medienethisch-rechtlichen Bewertungsmaßstab.
  • Die Erziehung zur reflektierten Mediennutzung spricht die medienerzieherische Perspektive an.
  • Inhalte und Funktionen der Medien, ihre Nutzungsformen sowie die Kompetenz des Nutzers (Schlagwort: Medienkompetenz) stehen im Mittelpunkt von medienpädagogischen Argumenten.
  • Unter der medizinischen/gesundheitlichen Perspektive sind physische Schäden und gesundheitliche Auswirkungen zusammengefasst.
  • Der personell-psychologische Blickwinkel ist auf Einzelpersonen ausgerichtet und fasst alle psychischen sowie seelische Schäden oder Vorteile, individuelle Beweggründe und Motivationen des einzelnen Zuschauers zusammen.
  • Die gesamtgesellschaftliche Perspektive bezieht sich dagegen auf die gesamte Gesellschaft und richtet allgemein den Blick auf kulturelle und soziologische Aspekte.

Im quantitativen Überblick ist auffällig, dass die Anzahl der eingenommen Perspektiven pro Beitrag zunimmt: Wird 1997 noch im Schnitt von zwei Blickwinkeln aus das Thema Kinder- und Jugendfernsehen betrachtet, sind es 2001 rund drei unterschiedliche Perspektiven. Die Berichterstattung über Kinder- und Jugendfernsehen wird somit im Zeitraum von 1997 bis 2001 zwar seltener, gleichzeitig werden die Artikel aber länger und differenzierter.
(Medien-)politische und (medien-)wirtschaftliche Perspektiven sind mit Abstand die am häufigsten herangezogenen Bewertungsdimensionen, von denen aus die JournalistInnen ihre Argumentation führen. Marktanteile, Quoten und Merchandising sowie Programmkonzepte oder Diskussionen um Mediengesetze sind demnach die häufigsten Dimensionen, unter denen Kinder- und Jugendfernsehen beleuchtet werden. Dabei wird in Artikeln über Jugendfernsehen die (medien-)wirtschaftliche Sichtweise stärker herangezogen, als es im Bereich Kinderfernsehen der Fall ist. Möglicherweise spielen hierbei die werbe- und marketingrelevante Kaufkraft der Jugendlichen und der Kampf um Marktanteile in diesem Segment eine entscheidende Rolle.
In der Entwicklung fällt außerdem im Untersuchungszeitraum auf, dass dem personell-psychologischen Blickwinkel, der den Fokus auf die Ebene der Einzelperson legt, immer mehr Bedeutung beigemessen wird. Während die gesamtgesellschaftliche Perspektive allgemein eher vernachlässigt wird und Schwankungen unterliegt, richten die JournalistInnen ihre Argumentation, z.B. was psychische Schäden oder Vorteile anbelangt, auf das Individuum aus. Ihr Anteil steigt von 10% der Artikel, in denen sie im Jahr 1997 angeführt wird, auf 43% vier Jahre später. Eine verstärkte Ausrichtung auf die LeserInnen ist zu erkennen.
In Bezug auf die medienpädagogische und erzieherische Perspektive kann festgestellt werden, dass diese beiden Sichtweisen unabhängig von der jeweiligen Altersgruppe verwendet werden. Medienpädagogische Argumente werden in knapp doppelt so vielen Artikeln als die erzieherische Bewertungsdimensionen angeführt und sind in rund einem Drittel der Beiträge zu finden. Dass JournalistInnen pädagogische Argumente in den Diskurs um Kinder- und Jugendfernsehen einbringen, ist nicht verwunderlich, denn Fernsehen wird vor allem in Elternkreisen unter pädagogischen Aspekten diskutiert. Erstaunlich ist hingegen, dass wirtschaftliche und politische Dimensionen bei weitem häufiger die Argumentation bestimmen. Bemerkenswert ist außerdem, dass die gesundheitliche/medizinische Perspektive im gesamten Untersuchungszeitraum nur sehr wenig Beachtung findet. Dabei führen die Berichterstatter diese Bewertungsdimension in erster Linie in Artikeln an, die das Kinderfernsehen betreffen. Im Bereich Jugendfernsehen kommen Argumente in Bezug auf Gesundheit oder mögliche physische Schäden nur in einem minimalen Anteil der Artikel vor (s. Tab. 4).


Tabelle 4

Perspektiven 1997 bis 2001
Perspektive % der Artikel
(N=1.115)
(Medien-)politische P.
(Medien-)wirtschaftliche P.
Medienpädagogische P.
Gestalterische P., Machart
Personell-psychologische P.
Erzieherische P.
Gesamtgesellschaftliche P.
Medienethische, rechtliche P.
Gesundheitliche/medizinische P.
77,6
52,2
30,4
22,1
21,9
15,7
9,9
9,4
3,8

 

Akteure: Die Medienbranche - vor allem öffentlich-rechtliche Sender - steht im Mittelpunkt

In der Berichterstattung über das Kinder- und Jugendfernsehen steht die Medienbranche im Handlungsmittelpunkt. Innerhalb dieser Gruppe nehmen die Berichterstatter in erster Linie auf Personenkreise aus den öffentlich-rechtlichen Sendern Bezug. Vergleicht man die einzelnen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit den kommerziellen, fällt auf, dass öffentlich-rechtliche VertreterInnen - allen voran des Kinderkanals - häufiger zitiert werden. Die Zuschreibungen der Akteursrollen betreffend, werden die Öffentlich-Rechtlichen stärker als Verursacher und Verantwortliche dargestellt, verkörpern jedoch gleichzeitig seltener als die Privaten die Rolle des Betroffenen bzw. Leidtragenden. Außerdem adressieren JournalistInnen Forderungen etwas öfter an die öffentlich-rechtlichen Sender. Sie schreiben den öffentlich-rechtlichen Sendern somit im Untersuchungszeitraum eine aktivere, verantwortungsvollere Rolle zu als den privaten und rücken sie stärker in den Handlungsmittelpunkt.
Auch auf die Handlungen und Äußerungen von Kindern - und damit der Gruppe der unmittelbar Beteiligten - legen die JournalistInnen besonders großen Wert. Vor allem die Jugendlichen bzw. die Kinder selbst stehen als Konsumenten und Verbraucher im Zentrum. Allerdings kommen diese nur selten als Kritiker oder Forderer zu Wort. An Eltern werden dagegen oft Forderungen gestellt.
Eine eindeutige Tendenz oder eine Stereotypisierung in der Rollenzuschreibung für die einzelnen Akteursgruppen lässt sich aus dem vorhanden Datenmaterial jedoch nicht ausmachen. Die Rollenverteilung wechselt abhängig von den jeweiligen Ereignissen von Jahr zu Jahr. Im Jahr der Pokémon-Diskussion werden beispielsweise die Kinder verstärkt als Konsumenten dargestellt, den Eltern wird auffällig häufig die Rolle der Verantwortlichen zugeschrieben.
In der Gruppe der WissenschaftlerInnen und ExpertInnen setzten die JournalistInnen immer häufiger auf das Fachwissen und die Meinungen von einzelnen MedienwissenschaftlerInnen. Medienwissenschaftliche Institute und Einrichtungen rücken im Vergleich dazu fast ausschließlich im Zusammenhang mit Tagungen und Konferenzen in den Mittelpunkt der Berichterstattung sowie nach der Veröffentlichung einer Studie (s. Tab. 5 u. Grafik 2).


Tabelle 5

Akteure 1997 bis 2001
Akteursgruppe % der Artikel, in denen Akteur genannt wird
(N=1.115)

Medienbranche
- VertreterIn öffentlich-rechtlicher Sender
- VertreterIn privater Sender
- VertreterIn internationaler Sender
- Institutionen der Medienaufsicht

Bevölkerung
- Eltern
- Kinder
- Jugendliche

Wissenschaftler, Experten
- MedienwissenschaftlerIn
- PädagogIn

Repräsentanten von Gesellschaftsgruppen
- Regierung

Werbetreibende, sonstige Wirtschaft

78,6
50,5
30,4
8,8
11,9

55,6
13,5
35,4
6,6

29,2
19,9
9,5

21,2
10,9

5,3
Mehrfachnennungen möglich  


Grafik 2:
Sender als Akteure (N = 1.115)

Öffentlich-rechtliche Informations- und Dokumentationssendungen als Synonym für gutes Kinderprogramm
Nicht nur die öffentlich-rechtlichen Sender als Akteure, sondern auch öffentlich-rechtliche Sendungstitel finden in die Argumentation stärkeren Eingang als die privaten Formate. Von der Tendenz her ist dies wenig überraschend, in der Eindeutigkeit dann aber doch verblüffend. Die öffentlich-rechtlichen Anbieter dominieren eindeutig die Liste der nach Ansicht der JournalistInnen vorbildlichen und beliebten Sendungstitel. Auffällig ist ohne Zweifel die häufige Nennung des Kinderklassikers Die Sendung mit der Maus: in 9% der Beiträge wird er genannt. Über private Sendungen, die nicht dem Kinderprogramm zugeordnet werden können, aber dennoch von Kindern und Jugendlichen viel und gern gesehen werden - beispielsweise die Soap Gute Zeiten, schlechte Zeiten -, schreiben die JournalistInnen fast genauso häufig wie über die expliziten kommerziellen Kindersendungen (s. Tab. 6).


Tabelle 6

Die am häufigsten genannten Sendungstitel 1997 bis 2001
TOP-Titel % der Artikel, in denen Sendung genannt wird (N=1.115)
Die Sendung mit der Maus
Teletubbies
Pokémon
Schloss Einstein
Löwenzahn
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Logo
Sesamstraße
Die Biene Maja
Siebenstein
8,8
6,1
4,5
3,9
3,9
3,8
3,5
3,4
3,0
2,9


Unter den Negativbeispielen der JournalistInnen befinden sich im Untersuchungszeitraum einige wenige, überwiegend von privaten Sendern ausgestrahlte Titel: Pokémon, Power Rangers und Teletubbies sowie die "Erwachsenen-Formate" Arabella Kiesbauer und Big Brother. Die Kleinkinderserie Teletubbies, der einzige öffentlich-rechtliche Vertreter in der Negativliste, unterliegt sehr konträren Bewertungen: Die Berichterstatter stufen sie in ihren Beiträgen auch als "vorbildlich" und "beliebt" ein. Das in den Augen der JournalistInnen ungeeignete Fernsehprogramm für Kinder und Jugendliche konzentriert sich somit meist auf bekannte, kommerzielle Sendungstitel. Es sind diejenigen, die häufig und intensiv in der Öffentlichkeit diskutiert werden und jedem erwachsenen Fernsehzuschauer ein Begriff sind. Einzig die Teletubbies bilden eine Ausnahme, da sie vom öffentlich-rechtlichen Kinderkanal ausgestrahlt werden. Jedoch ist ihre Bewertung nicht nur negativ.
Ein detaillierter Blick auf die genannten Sendungstitel, gegliedert nach Formatgruppen, zeigt, dass die kommerziellen Sender bei den Zeichentrick-Titeln mehr Aufmerksamkeit bekommen: Sie sind in den Augen der JournalistInnen beliebter. Von der Qualität her überzeugen aber wieder die öffentlich-rechtlichen Sender, da sie laut den Berichterstattern über die inhaltlich besseren Zeichentrick-Formate verfügen.
Das Prädikat "für Kinder geeignete Sendungen" scheint eindeutig an die öffentlich-rechtlichen Informations- und Dokumentationssendungen vergeben und mit dem Namen Die Sendung mit der Maus verbunden zu sein (s. Tab. 7; s. hierzu auch Götz 2001).


Tabelle 7

Konnotation der Sendungstitel 1997 bis 2001
Titel % der Konnotationen
(N=1.903)
Vorbildliche Sendung
Die Sendung mit der Maus
logo
Löwenzahn
Sesamstraße
Siebenstein
Schloss Einstein

Beliebte Sendung
Die Sendung mit der Maus
Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Teletubbies
Die Biene Maja
Pokémon

Negativbeispiel
Pokémon
Teletubbies
Power Rangers
Arabella Kiesbauer
Big Brother

Unbeliebte Sendung
Eins-live
Bim Bam Bino

Neue Sendung
Eins-live
Teletubbies
Schloss Einstein
Fix und Foxi
Auweia

Keine Angabe
17,8
11,2
8,6
7,7
4,4
3,2
3,2

38,4
5,9
4,9
3,8
3,0
3,0

8,7
9,6
7,8
6,0
4,2
4,2

2,3
16,3
11,6

15,1
5,2
4,5
4,5
3,5
2,8

17,7
Mehrfachnennungen möglich; N=1.903 genannte Sendungstitel in 1.115 Artikeln

 

Gegenüberstellung Presse - Quote im Jahr 2001

Zusätzlich zu diesem Überblick der allgemeinen Diskussion zum Kinder- und Jugendfernsehen wurde in einem zweiten Schritt die Berichterstattung über erfolgreiche, von den Kindern viel gesehene Sendungstitel inhaltsanalytisch untersucht. Das zentrale Forschungsinteresse war hierbei, inwieweit das Interesse der Presse mit der Sehbeteiligung einhergeht. Aufgrund des Umfangs des Materials musste der Untersuchungszeitraum auf ein Jahr, nämlich 2001, begrenzt werden. Die erfolgreichsten Kindersendungstitel wurden anhand der 5.000er-Hitliste in Kombination mit der Häufigkeit der dortigen Nennungen ermittelt. Aus kommerziellen Datenbanken wie "GBI" und "Genios" wurden anschließend 122 qualifizierende Beiträge über die ermittelten Sendungen gefiltert, die aus 43 führenden Publikationen stammen (Zeitungen, Zeitschriften, Magazinen, Fachpublikationen und Nachrichtenagenturen).
Vergleicht man die erfolgreichsten Sendungstitel des Jahres 2001 mit der Berichterstattung darüber, bestätigen sich die Tendenzen aus der Analyse der allgemeinen Berichterstattung: In der Presse ist Die Sendung mit der Maus die Ikone des deutschen Qualitätsfernsehens.


JournalistInnen schreiben sehr wenig über erfolgreiche kommerzielle Kinderformate

Die Tabelle 8 zeigt, dass fast alle im Jahr 2001 veröffentlichten Beiträge über die erfolgreichsten Sendungstitel von öffentlich-rechtlichen Angeboten handeln. Allein die Hälfte der Artikel bezieht sich auf öffentlich-rechtliche Kindersendungen der Sparte Dokumentation und Information, d.h. auf die "Klassiker" wie Die Sendung mit der Maus (46 Artikel), Löwenzahn (8 Artikel) und logo (6 Artikel). Wieder erstaunt das hohe Vorkommen von öffentlich-rechtlichen Titeln in der Berichterstattung, wohingegen selbst erfolgreiche Kinderformate der kommerziellen Anbieter kaum Aufmerksamkeit erlangen. Allerdings muss angemerkt werden, dass in dieses Jahr das 30-jährige Jubiläum der Sendung mit der Maus fällt.


Tabelle 8:

Gegenüberstellung erfolgreiche Sendungstitel - Anzahl der Presseartikel 2001
Erfolgreiche Sendungstitel
Öffentlich-rechtlich
Artikel-
Anzahl
Erfolgreiche Sendungstitel
Privat
Artikel-
Anzahl
Zeichentrick
- Wicki
- Heidi
- Nils Holgerson
- Biene Maja

Realserien
- Schloss Einstein
- Unsichtbar
- Die Kinder vom Alstertal

Kinderspielfilme
- Schneeweißchen und Rosenrot
- Aschenputtel
- Dornröschen

Puppenanimation
- Unser Sandmännchen
- Siebenstein
- Bananas in Pyjamas

Spielshow
- Tabaluga tivi
- 1-2 oder 3
- Tigerenten Club 11

Dokumentation/Information
- Löwenzahn
- Die Sendung mit der Maus
- logo

Jugendsendungen
- fabrixx
- Lexi TV
- JoJo

-
10
-
4


11
-
-


-
-
-


-
2
-


4
1
11


8
46
6


4
2
-

- Käpt'n Balu
- Der rosarote Panther
- Goofy und Max
- Pokémon


- Clarissa
- Mystic Knights
- Power Rangers


- Die Jönsson-Bande
- Der Cornflakes Raub
- Mein Großvater ist ein Vampir


- Vampy
- Super Metty
- DoReMi


- Super Toy Club
- Q-Boot



- Art Attack
- be@rtl2
- Kratts Safari


- The Dome
- Bravo TV

-
1
-
2


-
-
-


3
-
-


2
-
-


1
1
-


-
-
-


2
6


Zusammenfassung

Die Berichterstattung über das Kinder- und Jugendfernsehen ändert sich in den untersuchten Medien von 1997 bis 2001. Weniger Artikel werden über den Bereich veröffentlicht, allerdings sind diese länger und vielfältiger: Der Anteil von sachlich-neutralen, berichtenden Meldungen nimmt ab, gleichzeitig betonen die JournalistInnen stärker Service-Aspekte, wie Programminfos und Ratgeber. Außerdem beziehen die JournalistInnen häufiger unterschiedliche Bewertungsdimensionen in ihre Argumentation ein und verdeutlichen diese häufiger durch konkrete Sendungstitel. Auch schreiben die JournalistInnen mehr anlässlich wissenschaftlicher Studien und Gutachten. Die Berichterstattung wird somit im Untersuchungszeitraum differenzierter und richtet sich stärker an den LeserInnen aus.
Nicht pädagogische Argumente stehen im Mittelpunkt der Diskussion um das Kinder- und Jugendfernsehen, sondern wirtschaftliche und (programm-)politische Aspekte. Thematisch sprechen JournalistInnen hauptsächlich das Marktgeschehen, die Sender und das Programmangebot an. Auch die rein quantitativen Nutzungszahlen sind oft erwähnt. Eine Auseinandersetzung fernab von wirtschaftlichen Aspekten und griffigen Zahlen findet nur in wenigen Artikeln statt. So werden nur selten die Folgen und Motive des Fernsehkonsums, wie Aneignung und Wirkung, thematisiert, noch werden konkrete Anforderungen an Inhalte definiert.
Die mediale Diskussion dreht sich im Untersuchungszeitraum stark um öffentlich-rechtliche Sender. Diese stehen in der Berichterstattung häufiger als die kommerziellen Anbieter im Handlungsmittelpunkt. Gleichzeitig wird ihnen eine aktivere und verantwortungsvollere Rolle zugesprochen. Die in den Artikeln genannten Sendungstitel stammen zumeist aus öffentlich-rechtlicher Feder und diese werden positiver und beliebter bewertet als die kommerziellen Formate. In der Liste der Negativbeispiele dominieren bekannte private Sendungstitel, wie Pokémon und Power Rangers. Ausnahme sind die Teletubbies, die aber von den JournalistInnen auch eine positive Konnotation erhalten.

LITERATUR
  • Bachmair, Ben: Kinderkultur und Fernsehen. In: Schwanebeck, Axel; Cippitelli, Claudia (Hrsg.):Käpt'n Blaubär, Schloß Einstein & Co. Kinderfernsehen in Deutschland. München: Fischer 2000. S. 91-104.

  • Bonfadelli, Heinz: Medienwirkungsforschung I. Konstanz: UVK-Medien 2001. S. 233.

  • Früh, Werner: Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. München: Ölschläger 1991.

  • Götz, Maya: Kinder- und Familienfernsehen aus der Sicht der Eltern. TelevIZIon, 14/2001/1, S. 41-48.

  • Knobloch, Clemens: Senkrechtstarter Teletubbies. Die öffentliche Resonanz im Rückblick. In: Schächter, Markus (Hrsg.): Reiche Kindheit aus zweiter Hand? Medienkinder zwischen Fernsehen und Internet. München: KoPäd 2001. S. 147-153.

  • Merten, Klaus: Inhaltsanalyse. Einführung in Theorie, Methode und Praxis. Opladen: Westdeutscher Verlag 1995.

  • Wartella, Ellen: The public context of debates about television and children. In: Oskamp, Stuart (Hrsg.): Television as a social issue. Newbury Park, Calif.: Sage 1998. S. 59-68.

  • White, Anne M.: Ihr seid Schuld. Die Zeitungen. TelevIZIon, 12/1999/2, S. 16-20.

ANMERKUNGEN
1) Unter anderem sind dies: Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Die Welt, Stuttgarter Zeitung, Die Tageszeitung, Rheinischer Merkur, Spiegel, Focus, Die Zeit, Funkkorrespondenz, epd medien, Media Perspektiven.

2) Auswertung der Sendungstitel und deren Konnotation mit >=5 Nennungen

3) Basis: Sehbeteiligung von Einzelsendungen; Quelle: AGF/GfK PC#TV, BR-Medienforschung

DIE AUTORIN

Sylvia Nagl, M.A., ehemalige Mitarbeiterin und Projektmanagerin im IZI, ist derzeit Mitarbeiterin in der Research-Abteilung bei MTV.

INFORMATIONEN
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für das Jugend-
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Fax.: 089 - 59 00 23 79
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