Erfahren Sie mehr über das IZI !
Erfahren Sie mehr über das IZI
Die aktuellen Forschungsarbeiten des IZI
Die Liste der Publikationen des IZI
Recherche in der IZI-Datenbank
Der IZI-Veranstaltungskalender
Jobs und Praktika im IZI
Pressemitteilungen des IZI
E-Mail, Post, Fax, Telefon, ...
Sach- und artverwandte Internetangebote
Das englischsprachige Internet-Angebot des IZI
zurück zur Startseite
Publikationen  TELEVIZION   Ausgabe 15/2002/2

 


Text als PDF, 290 KB

Susanne Müller

In Deutschland eigentlich kein

Grund zum Jammern

Das ZDF-Kinderprogramm bietet Vielfalt, die fordern und Optionen aufzeigen will. Die Leitlinie ist hierbei: "Zuerst die Kinder" - eine Leitlinie, die auch von der öffentlichen Diskussion wertgeschätzt wird. Der Markterfolg spielt bei diesen Überlegungen nicht die Hauptrolle, auch wenn es ohne die internationale Einbindung nicht geht. Dies bedeutet aber nicht, sich der Stromlinienförmigkeit der Kinderprogrammindustrie anschließen zu müssen.

Das ZDF-Kinderprogramm tivi ist ein modernes, familienfreundliches Dienstleistungsunternehmen in wertekonservativer Tradition. Wir haben weder den Auftrag, Geld am Markt zu verdienen, noch den Auftrag, anderen beim Geldverdienen behilflich zu sein. Unser Auftrag ist klar: wir erhalten Gebührengelder, um ein öffentlich-rechtliches Kinderprogramm anbieten zu können, das altersgemäß informiert, bildet und unterhält. Unsere "Dienstherren" sind rund 8,5 Millionen Kinder zwischen 3 und 13 Jahren und ihre Eltern. Für sie - egal, ob klein oder groß, Junge oder Mädchen, deutsch oder von anderer Nationalität, egal, ob sie schon viel wissen oder noch viel lernen wollen - machen wir unser Fernsehen. Dabei stellen wir uns auf die Seite der Kinder, versuchen ihre Perspektive einzunehmen, bemühen uns, mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren und vergessen dabei nicht unsere Fürsorgepflicht ihnen gegenüber. Denn auch wenn Kinder jünger älter werden und heute schon viele Entscheidungen alleine treffen können - die Optionen müssen ihnen aufgezeigt werden.
Wir wissen, wie Kinder sind, was sie mögen, wie sie lernen, wem sie glauben und warum, was sie sehen, worauf sie neugierig sind, welche Fragen, Ängste, Sorgen sie haben, aber auch, worüber sie lachen, worüber sie sich amüsieren und womit sie sich unterhalten. Das bestimmt die Leitlinien unseres Programms:

1. Wir bieten den Kindern etwas an. Nämlich Programmvielfalt - so wie auch das Leben vielfältig ist. Das heißt: Es gibt aktuelle Informationsmagazine und Magazine zu Natur und Umweltthemen, es gibt Nachrichten und Shows, Spielfilme und Dokumentarfilme und natürlich Real- und Trickserien. Das ist der erste Schritt zur Medienkompetenz - die Breite des Angebots zu kennen und daraus auszuwählen!

2. Wir fordern die Kinder. In unseren Magazinen, wie beispielsweise Löwenzahn, finden sie oft mehr an Information, als sie schnell, im Vorübergehen der Bilder, aufnehmen können. Aber wir wissen: Jeder nimmt sich heraus, was ihn besonders interessiert. Der eine die Details, die überraschenden Sachinformationen am Rande, mit denen man renommieren kann, der andere erfasst den großen Zusammenhang. Mancher wird versuchen, das Erfahrene zu reproduzieren, es in das Gespräch mit Familie und Freunden einzubringen, in der Schule nachzufragen, in einem Buch nachzulesen. Bei anderen entsteht plötzlich ein Interesse an einem Thema und sie werden versuchen, das Gesehene im Internet zu vertiefen oder mit einer CD-Rom weiter zu bearbeiten.

3. Wir fordern die Kinder, wenn wir bei 1,2 oder 3 Fragen stellen, die schwer sind. Schauen Sie mal rein - Sie werden nicht alles beantworten können. Oder wissen Sie, wonach alle Galionsfiguren benannt sind oder wie sich Krokodile verständigen? Kinder hassen es, wenn man sie unterfordert - sie verstehen das als Unterschätzung. Wenn man ihnen im Quiz zu leichte Fragen stellt und sie gewinnen, dann freuen sich vielleicht einige, aber viele sind beleidigt, weil ihre Fähigkeiten und Kenntnisse nicht gewürdigt werden.

4. Wir muten den Kindern etwas zu. Man kann Kinder nicht abschotten von einer Realität, die bedrohlich ist. Sie bekommen mit, wenn Terroristen das World Trade Center in Schutt und Asche legen, wenn Krieg in Afghanistan ist, ein Flugzeug - voll mit Kindern - mit einem anderen zusammenstößt oder wenn die Flut den Menschen Haus und Hof wegreißt. Seuchen, sexueller Missbrauch, Kindermord, Amokläufer - Themen, die man Kindern eigentlich nicht zumuten möchte (als Mutter weiß ich das). Aber dann müsste man sie einsperren - ohne Kontakt zur Außenwelt und ohne Medien. Eine Illusion. Deshalb meinen wir: Auch Kinder müssen die Gelegenheit haben, sich mit solchen Themen auseinander zu setzen. Beispielsweise in unserer Kindernachrichtensendung logo! Wir sprechen die Themen an, wir zeigen auch die Bilder - aber nicht die schrecklichsten, die voyeuristischen, nur die, die man zum Verstehen braucht. Und wir versuchen immer wieder zu erklären, wo der Hass herkommt, wie Katastrophen entstehen, wie man sich schützen kann - Informationen gegen die Angst. Aber dazu muss man den Kindern die Realität zumuten.

5. Wir nehmen Kinder ernst. Wir interessieren uns für ihre Meinungen und geben ihnen Gelegenheit, diese zu äußern. Wir greifen die Themen auf, die sie sich wünschen, und beantworten ihre Fragen. Wir reden nicht onkel- oder tantenhaft auf sie herunter, sondern sprechen mit ihnen, wie mit normalen Menschen - denn das sind sie.

6. Wir respektieren Kinder und ihre Gefühle, Wünsche, Träume, Hoffnungen, Fantasien. Kindheit ist vom Lernen geprägt. Aber das vollzieht sich nicht nur kognitiv, sondern auch intuitiv, über Emotionen und eigene soziale Erfahrungen. Wir erzählen Geschichten von Familien, friedlichen und konfliktbeladenen, von Freundschaften, und davon, wie sie wachsen, wie sie kaputt gehen und wie man sie retten kann. Von Wut und Verzweiflung, von Gewinnen und Verlieren, von starken Mädchen und von Jungen, die Schwäche zeigen dürfen, von erster Liebe, Liebeskummer und Einsamkeit, von Mut und Angst, von Erfolg und Misserfolg und wie man damit umgeht. In fiktionalen Programmen wie Achterbahn, oder einem Erzählmagazin wie Siebenstein - immer geht es darum, dass Kinder Identifikationsfiguren finden, die ihnen in ihrer Entwicklung helfen.

Wenn wir Kindern Angebote machen, sie fordern, ihnen etwas zutrauen, ihnen auch etwas zumuten, sie respektieren - dann fördern wir sie auch. Schließlich wird es immer schwieriger für Kinder, beim Spiel auf der Straße, im Gespräch und im gemeinsamen Erleben mit Eltern und Großeltern ihre Erfahrungen zu machen. Diesen wichtigen Prozess können wir nicht ersetzen, aber wir können ihn medial, quasi mit Erfahrungen aus zweiter Hand, unterstützen.


Achterbahn - Fernweh


Im Dreiecksverhältnis zwischen Markt, Öffentlichkeit und Kindern liegt unsere Priorität also eindeutig bei den Kindern. Natürlich ist es uns auch wichtig, dass unsere Arbeit wertgeschätzt wird, dass sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, dass wir Reputation und gute Kritiken haben. Aber unsere Erfahrung ist: Genau das bekommen wir, wenn wir unserer Leitlinie "Zuerst die Kinder" konsequent folgen. Unsere Sendungen sind vielfach ausgezeichnet worden - mit Kinderfilm- und Fernsehpreisen aus aller Welt. Dort liegt also nicht das Problem. Die Schwierigkeit mit der Öffentlichkeit ist - zumindest in Deutschland: Das Interesse am Kinderprogramm ist eher klein. Eine Kinderfernsehkritik gibt es kaum. Kinderprogramm rückt eigentlich immer nur dann in den Fokus, wenn wieder einmal eine Untersuchung über die Schädlichkeit des Fernsehens veröffentlicht wird oder wenn nach Ereignissen wie dem Amoklauf in Erfurt der negative Einfluss der Medien thematisiert wird. Dabei wird dann leider häufig völlig undifferenziert diskutiert. Allzu leicht wird dann von der "Öffentlichkeit" dem Fernsehen generell die Schuld dafür zugewiesen, dass Kinder aufsässig, unkonzentriert, laut oder aggressiv sind, oder dass sie in ihrer Entwicklung - sprachlich, motorisch, sozial und emotional - zurückbleiben. Nach dem Pisa-Schock ist diese Diskussion gerade wieder neu entflammt. Wir können immer nur darauf hinweisen, dass unser Kinderprogramm ganz sicher nicht für Probleme von Kindern verantwortlich gemacht werden, sondern dass es im Gegenteil manchen Kindern helfen kann, in ihrer Entwicklung voranzukommen. Und dass das Fernsehen den Eltern nicht ihre Verantwortung abnehmen kann!

Und der Markt? Der spielt bei uns glücklicherweise nicht die Hauptrolle. Natürlich ist es auch für uns wichtig, dass wir mit unseren Sendungen bei Kindern erfolgreich sind, aber die Quote ist nicht das einzige Kriterium für Erfolg. Unser Kinderprogramm ist werbefrei - wir können und dürfen also unsere Sendungen auf die Bedürfnisse der Kinder abstellen und müssen nicht die Bedürfnisse der werbetreibenden Industrie berücksichtigen. Merchandising und Licensing sind für uns eher Elemente des Programm-Marketing als Mittel der Refinanzierung. Und nicht zuletzt: Bisher hatten wir auf dem internationalen Markt keine Probleme. Wenn wir ein Programm wirklich haben wollen (und es uns leisten können), dann bekommen wir es in der Regel auch. Das ZDF ist für viele Anbieter weltweit ein anerkannter und respektierter Partner. Mit der zusätzlichen Möglichkeit der Ausstrahlung von Sendungen im Kinderkanal können wir das Programm zeitgemäß planen (z.B. "Stripping") und so die notwendige Aufmerksamkeit für eine neue Sendung erreichen.


Löwenzahn


Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Uns in Deutschland geht es damit noch ziemlich gut. Wir verfügen über ein breites öffentlich-rechtliches Kinderprogrammangebot, das mit der Existenz des Kinderkanals konkurrenzfähig ist. Wir sind per Gesetz werbefrei und werden durch Gebühren finanziert. Ähnlich gut sieht es im europäische Maßstab eigentlich nur in Skandinavien und in Holland aus. Dort hat man zwar weniger Geld, aber Kinderprogramm hat eine viel höhere gesellschaftliche Akzeptanz als bei uns, und es wird in diesen Ländern nach wie vor am frühen Abend, also zur Familienfernsehzeit, gesendet. Aber auch dort beginnt der internationale Einfluss: Nach Skandinavien strahlen inzwischen auch die globalen Unternehmen per Satellit ein. In England ist die Situation auch immer noch ganz ordentlich. Obwohl die Konkurrenz außerordentlich groß ist, hat die BBC nach wie vor eine herausragende Position. Sie hat das größte Budget aller Public Service Broadcaster, hat jetzt zwei digitale Kanäle gegründet und hat aufgrund einer nationalen Quotierung einen hohen Anteil von Programm, das die kulturelle Identität der Kinder in England widerspiegelt. Im Süden Europas hingegen besteht auch öffentlich-rechtliches Kinderprogramm ausschließlich aus Zeichentrickserien - der einzige Unterschied zu den konkurrierenden nationalen und internationalen kommerziellen Sendern ist das eingeblendete Logo. In vielen Ländern im Süden und auch in Osteuropa hat der Markt das nationale Kinderprogramm zerstört, die Kinderprogrammredaktionen werden immer weiter verkleinert (auch in Ländern mit großer Tradition wie Tschechien und die Slowakei) und die Kinderprogrammgestaltung obliegt den Einkäufern und Planern. Also: in Deutschland nur wenig Grund zum Jammern.


Achterbahn - Die Spezialistenshow

Natürlich: Kinderprogramm "reist" besonders gut, vor allem die beliebten Trickserien. Kinder auf der ganzen Welt machen die gleichen Entwicklungsphasen durch, haben die gleichen Wünsche und Fantasien. Und: Kinderprogramm ist auf der ganzen Welt unterfinanziert. Kein Sender könnte es sich leisten, nur selbst hergestelltes Programm zu senden. Fast alle sind darauf angewiesen, Programm dazuzukaufen. Wir brauchen also den Markt, damit wir den Kindern auch opulent produziertes Programm anbieten können. So hat sich eine große Kinderprogrammindustrie herausgebildet, die sich darum bemühen muss, ihre Programme so stromlinienförmig zu machen, dass sie den Geschmack möglichst vieler Kunden treffen. Das führt nicht gerade zu programmlichem Reichtum, sondern vor allem zu Serien mit austauschbaren Geschichten und Figuren. Wenn einer einen Trend kreiert hat, (man denke nur an den etwas schrägeren Zeichentrick à la Nickelodeon oder an die Teletubbies), gibt es spätestens nach einem halben Jahr viele neue Formate, die diesem Trend nacheifern. Geschichten und Sendungen, die die Lebensrealität von Kindern in ihrer jeweiligen Heimat und Lebenszeit reflektieren, bleiben die Ausnahme. Verstärkt wird die Tendenz noch dadurch, dass sich die großen Kinderprogrammproduzenten auch gleich noch ihre eigenen Abspielstätten schaffen. In allen Regionen dieser Welt gibt es Ableger von Nickelodeon, Disney und anderen. Zwar setzt sich mehr und mehr die Philosophie "think global, act local" durch - und so berücksichtigen auch diese Kanäle teilweise den jeweiligen nationalen und kulturellen Hintergrund - dennoch bleibt eine gewisse programmliche Beschränktheit und Uniformität.

So schafft der Markt letztendlich auch Chancen und Aufgaben für das "public" Fernsehen für Kinder: Wir müssen, wollen und können die Defizite ausgleichen, die beim kommerziellen Fernsehen mehr oder weniger zwangsläufig entstehen.

 

DIE AUTORIN

Susanne Müller ist Leiterin des Programmbereichs Kinder und Jugend beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) in Mainz.

INFORMATIONEN
Internationales
Zentralinstitut
für das Jugend-
und Bildungsfernsehen
IZI


Tel.: 089 - 59 00 21 40
Fax.: 089 - 59 00 23 79
eMail: izi@brnet.de
internet: www.izi.de

COPYRIGHT
© Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) 2000-2002
Nachdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers!
nach oben
Das IZI ist eine Einrichtung des Bayerischen Rundfunks