Dr. Maya Götz
Männer sind
die Helden
Geschlechterverhältnisse im Kinderfernsehen
Die wichtigen Rollen im
deutschen Kinderfernsehen spielen nach wie vor Männer bzw.
männliche Figuren. Auch wenn Frauen und Mädchen zunehmend
stärker berücksichtigt werden, sind Heldinnen deutlich
unterrepräsentiert.
Fernsehen ist selbstverständlicher
Teil des Alltags von Mädchen und Jungen. Sie eignen sich –
je nach spezifischem sozialen Kontext, Biographie und individuellem
Thema – Medien an und integrieren sie in ihren Alltag. Fernsehen
wird dabei zum Material, aus dem sich die Individuen bestimmte Anteile
herausnehmen und in ihren Alltag als Mädchen oder Jungen einbringen.
Auch wenn die Aneignung hochindividuell ist, kommt dem Programm
insgesamt eine Definitionsmacht zu, die insbesondere in der gesellschaftlichen
Konstruktion der Kategorie Geschlecht wirksam wird. Durch die immer
wiederkehrende Präsentation von Figuren, die durch ihre Erscheinung
und Einbindung in das Programm als Frauen oder Männer identifiziert
werden, entstehen und verfestigen sich Vorstellungen von Männlichkeit
und Weiblichkeit. Dies bedeutet nicht, daß die Menschen diesen
Konstruktionen hilflos gegenüber stünden. Sie können
sich bewußt gegen diese abgrenzen, die Maßstäbe
von "typischer Weiblichkeit" und "typischer Männlichkeit"
werden jedoch zunächst fundamentiert.
Die Bedeutung dieser Fragestellung
insbesondere für das Kinderfernsehen ist naheliegend, wenn
auch die überraschte Frage einer verantwortlichen Redakteurin:
"Was, das ist immer noch ein Thema?" sicherlich kein Einzelfall
ist. Gerade bei den Geschlechterstereotypen scheint Fernsehen in
einem deutlichen Umbruch, und die Ergebnisse der einschlägigen
Studie (Weiderer 1993, 1994), in welcher Frauen und Mädchen
als deutlich unterrepräsentiert und stereotyp repräsentiert
herausgestellt wurden, wirken veraltet. Die aktuelle quantitative
Studie "Who speaks in television?", die sechs europäischen
Sendeanstalten1 zu Eigenproduktionen
und Primetime-Programm durchführten, resümiert die nach
wie vor bestehende Unterrepräsentanz von Frauen. Allein im
Kinderprogramm und in religiösen Sendungen lassen sich Ansätze
quantitativer Angleichung nachweisen(Dijck 1999). Ist also Kinderfernsehen
auch hier im Umbruch?
In einer jährlich durchgeführten
Stichprobe2 wurden 1998
438 Programmstunden von 9 Fernsehsendern 3
an 3 Tagen (Sa, So, Di) von morgens 6.00 Uhr bis abends 23.00 Uhr
aufgezeichnet und unter Einbeziehung der GfK-Nutzungsdaten quantitativ
und qualitativ analysiert. Ziel der "Bestandsaufnahme zum Kinderfernsehen"
ist es, aus diesem Datenkorpus qualitative Aussagen zu Bereichen
wie Präferenzen der Kinder, lernorientierte Programme, aktuelle
Diskussion (z.B. Talk-Shows), individuelle Nutzungsmuster oder Darstellung
von Geschlechterstereotypen zu ermöglichen. 4
Geschlechterspezifische Tendenzen im Kinderprogramm
Von den 1396 aufgezeichneten
Sendungen der 1998er Stichprobe sind 474 Sendungen in gekennzeichneten
Kinderflächen (tivi [ZDF], K-RTL, Trick7, Der Kinderkanal ARD/ZDF
etc.). Hier stellt sich das Geschlechterverhältnis bei den
Hauptrollen relativ eindeutig dar (s. Tab. 1).
Tabelle 1
Sendungen gesamt: 474
|
303 männliche Protagonisten
|
44 weibliche Protagonistinnen |
127 gemischt
|
Fiction 345
|
220 männliche Protagonisten
|
36 weibliche Protagonistinnen |
89 gemischt
|
Non-Fiction 129
|
83 männliche Protagonisten
|
8 weibliche Protagonistinnen |
38 gemischt
|
Im Fiction-Bereich sind die
zentralen Figuren zu 63,9% männlich. Zu 25,8% teilen sie sich
die Hauptrolle mit einer weiblichen Figur und nur zu 10,4% sind
Mädchen oder Frauen die zentralen Figuren. Im Non-Fiction-Bereich
sind mit 64,3% vor allem Männer die Moderatoren. Zu 29,5% teilen
sie sich diese Aufgabe mit einer weiblichen Schauspielerin und nur
zu 6,2% führen ausschließlich Frauen durch die Sendung.
Die positive Tendenz in Richtung
Angleichung von weiblichen und männlichen Figuren im Kinderprogramm,
die sich bezüglich der Eigenprodukte des ZDF andeutet, kann
für das Gesamtprogramm nicht bestätigt werden. Nach wie
vor sind Heldinnen und eigenständige Moderatorinnen, die ohne
männliche Begleitung agieren, deutlich unterrepräsentiert.
Männer sind die Helden des Kinderprogramms
Bereits die Titel der Serien
weisen eindeutig darauf hin: Im Mittelpunkt der Handlung stehen
kleine oder größere Männer. Sie bewältigen
die Alltagsprobleme, setzen sich mit Gefahren auseinander und erleben
Abenteuer.
Beispiele aus der Bestandsaufnahme
1998:
"Michel aus Lönneberga"
(ZDF) hält mit seinen Streichen das ganze Dorf auf Trab.
"Grisu, der kleine
Drache" (Pro 7) hat viele außergewöhnliche
Begabungen und Sir Cedrik und der Vaterdrache versuchen ständig,
ihm unterschiedlichste Berufe nahezubringen. Doch Grisu will nur
eins: Feuerwehrmann werden!
"David der Klabauter"
(Super RTL) ist ein weiser Richter, dessen Urteil auf der ganzen
Welt gefragt ist. Mit seinem Freund reist er zu verschiedensten
Plätzen der Erde und schlichtet dort Streitigkeiten.
"Pinocchio"
(ARD) erlebt mit seinem Vater, dem Holzschnitzer, Abenteuer in
der Welt, aus denen er pädagogisch Wertvolles mit Moral lernt.
"James Bond Jr."
(SAT.1) ist der Neffe des berühmten Spions, löst mindestens
genauso genial knifflige Fälle und rettet regelmäßig
die Welt.
"Alvin und die
Chipmunks" (RTL 2) sind drei Brüder, die gemeinsam
mit den Problemen von Highschool-Schülern zurechtkommen müssen.
Figuren im Kinderprogramm sind selbstverständlich
männlich
In den Nebenrollen und Statisten
werden weitere Qualitäten der männlichen Dominanz deutlich,
denn Figuren, die nicht explizit einem Geschlecht zugehören,
tragen männliche Vornamen. So wie bei den "Mainzelmännchen"
(ZDF) gilt: nicht sexualisierte Wesen sind selbstverständlich
männlich.
Einige "klassische" Beispiele:
"Bugs Bunny"
(Pro 7) ist ein Magazin aus kleinen Zeichentrickepisoden. Die
drei kleinen Schweinchen, der Wolf, der Wachhund oder auch der
Hahn, sie alle sind selbstverständlich männlich.
Dagobert Duck kann mit
Hilfe seiner cleveren Neffen so manche "Ducktales"
(Super RTL) meistern und Mac Moneysack, Claasen Clever und die
Panzerknacker überlisten.
"Winnie Puuh"
(Super RTL) und seine Freunde Tigger, Ferkel, I-A, Rabbit, Gufur
und Christopher erleben gefühlvoll erzählte Abenteuer;
selbstverständlich die Abenteuer von kleinen Jungen in einer
Welt, in der es nur männliche Figuren zu geben scheint.
In vielen Kindersendungen
mit überwiegend männlichen Haupt- und Nebenfiguren kommen
auch weibliche Charaktere vor, so zum Beispiel bei den "Schlümpfen"
(Pro 7). Zwar ist der Schlumpf an sich männlich, doch gibt
es zwei Ausnahmen: Schlumpfine, die schöne Blondine, und Sassette,
das freche Mädchen mit den rotbraunen Zöpfen. Frauen sind
hier also nicht als die 51% der Bevölkerung symbolisiert, die
sie sind, sondern als die wenigen Abweichung vom Normalfall – und
dieser ist selbstverständlich männlich. 5
Weiblichkeit als Eigenschaft
Bei den Schlümpfen läßt
sich aber noch mehr über das Geschlechterverhältnis lernen.
Denn das Grundprinzip des Schlumpfes ist es, daß sich seine
jeweils auszeichnende Eigenschaft oder Rolle in seinem Namen widerspiegelt:
Schlaumi Schlumpf (der Schlaue), Fauli Schlumpf (der Faule), Clumsy
Schlumpf (der Ungeschickte), Papa Schlumpf (der Anführer) und
eben Schlumpfine und Sassette Schlumpf. Ihre besondere Eigenschaft
ist es, weiblich zu sein, einmal als erotisch attraktive Frau, einmal
als gewitztes Mädchen mit roten Haaren. Hier stehen sich nicht
mehr Männlichkeit und Weiblichkeit gegenüber, denn Weiblichkeit
ist nur noch eine Eigenschaft, die in wenigen prägnanten Stereotypen
zu finden ist.
Inhaltlich füllen die
weiblichen Figuren oftmals Rollen und Eigenschaften aus, die "nicht
männliche" sind: das hilflose Opfer, das zu begehrende
Weibchen, die umsorgende Mutter oder verständnisvolle Großmutter.
In diesem Sinne dienen sie zur Inszenierung von "nicht männlichen"
Eigenschaften wie fürsorglich, zickig, launisch, ängstlich,
verletzlich oder aufdringlich. In der Tendenz sind Männerfiguren
Individuen, Frauenfiguren dagegen "nicht-männliche Eigenschaften".
Äußerlich werden
die Abweichungen vom "männlichen Normalfall" durch
Besonderheiten wie Schleifchen und Röckchen ausstaffiert. Diese
Kennzeichnung entgleitet dabei oftmals in die Sexualisierung. So
bekommt der weibliche Schneemann (unter 12 männlichen) eben
zwei Kugeln vor die Brust. 6
Ein entsprechendes Pendant, z.B. Knoten zwischen den Beinen, läßt
sich nicht finden.
Frauenfiguren leisten die inhaltliche
Reproduktionsarbeit
Die meisten Geschichten können
inhaltlich nicht ganz auf weibliche Figuren verzichten, denn die
männlichen Helden müssen jemanden retten oder beschützen
und brauchen einen Rahmen, in dem sie ihre Abenteuer erleben können.
Auf diese Weise ermöglichen die weiblichen Figuren es dem Helden,
sich zu beweisen, zu lernen oder sich zu lösen. Während
die kleinen und großen Männer so die Handlung quasi produzieren,
leisten die Frauenfiguren die notwendige inhaltliche Reproduktionsarbeit,
um die Handlung sinnvoll und glaubhaft zu machen. Ihre Position
definiert sich dabei vorwiegend durch ihre Bedeutung für die
männlichen Helden.
Beispiel:
"Das tapfere Schneiderlein"
(Kinderkanal) rettet die Prinzessin und verliebt sich in sie.
Der Vater ist jedoch gegen eine Hochzeit und stellt ihm schier
unlösbare Aufgaben, die er zu bewältigen hat.
In der Serie "Tao
Tao" (ZDF/ Kinderkanal) begegnen Tao und seine Freunde
sozialen Problemen des Alltags. Die verständige Mutter hat
stets eine passende Geschichte mit männlichen Protagonisten
parat.
"Peter Pan"
(Kinderkanal) befreit Wendy aus der Gefangenschaft und rettet
sie vor den Fängen des Kapitän Huck.
Mädchen sind auch dabei – Mädchenfiguren
in gemischtgeschlechtlichen Gruppen
Eine nicht zu übersehende
Gruppe sind die Kindersendungen mit männlichen und weiblichen
Protagonisten. Die Variationsbreite, die den weiblichen Figuren
hier zugestanden wird, ist zum Teil deutlich höher. Die Mädchen
werden nicht nur als Eigenschaft oder zur inhaltlichen Reproduktionsarbeit
benutzt, sondern als selbständig handelnde Individuen. Auffallend
ist es jedoch, daß in allen gemischtgeschlechtlichen Gruppen
die weiblichen Figuren in der Minderheit sind.
Beispiele:
In der Serie "Abenteuer
in der Karibik" (Kinderkanal) lösen 5 Freunde aufregende
Kriminalfälle, in denen die beiden Mädchen der Gruppe
oftmals die entscheidenden Einfälle haben.
Ebenfalls 5 Jugendliche
sind die "Power Rangers" (RTL), die auserwählt
wurden, um die Erde vor den Bösen zu beschützen. Die
weiblichen Power Rangers sind pink und gelb und zeichnen sich
in den Rahmengeschichten durch Zurückhaltung aus. Geht es
jedoch um die Kampfeinsätze gegen die außerirdischen
Monster, stehen sie den männlichen Mitgliedern der Gruppe
in nichts nach und helfen ihnen durchaus auch mal aus brenzligen
Situationen. (Meistens allerdings ist es andersherum.)
In dem bunt gestalteten
Puppenspiel "Was ist denn heut bei Wimzie los?"
(SuperRTL) entwickeln das Mädchen Wimzie, ihre Freunde und
ihre Familie pädagogisch engagiert Lösungswege für
Probleme des Alltags.
Bei einer Reihe von Kinderserien
stehen ein Junge und ein Mädchen im Mittelpunkt des Geschehens.
In den kennzeichnenden Eigenschaften und in den Hierarchien innerhalb
der Zweierbeziehung deuten sich durchaus auch neue Varianten und
Facetten des Mädchenbildes im Kinderprogramm an.
Beispiele:
"Orson und Olivia"
(Nickelodeon) sind zwei Kinder im historischen London, die sich
ihr Geld mit Rattenfangen verdienen. Sie erleben zusammen mit
ihrem Hund Abenteuer und beweisen, daß es möglich ist,
auch ohne Geld glücklich zu sein.
In der mystischen Abenteuerserie
"Kinder der Mondgöttin" (RTL 2) nach einer
altchinesischen Sage werden die "Zwillinge des Schicksals"
ins Ausland gebracht, um sie vor intriganten Kräften zu schützen.
"Immer im Einsatz
mit den Unsichtbaren" (Nickelodeon) sind Julie und Tom,
zwei Geschwister, die eine Underground-Radiostation in Paris leiten.
Sie werden mit Kriminalfällen konfrontiert und versuchen,
Geheimnisvolles aufzudecken. Ihr Vater und sein Assistent sind
Erfinder. Die Jugendlichen können mit dem Computer, dem Internet
und vielen anderen modernen Hilfsmitteln geschickt umgehen und
lösen damit die Fälle.
"Ocean Girl",
"Shirley Holmes" und "Sailor Moon"
– Neue Mädchenfiguren im Kinderprogramm
Auch wenn sie zahlenmäßig
weit unterlegen sind, so sind eine Reihe von Serien aus dem Programm
nicht mehr wegzudenken, in denen weibliche Protagonisten im Mittelpunkt
der Handlung stehen. Diese Angebote können oftmals einen enormen
Erfolg in Sehbeteiligung und Marktanteil aufweisen. Solche Serien
sind Beispiele für Mädchenfiguren in positiv inszenierten
Rollen, die auch durchaus ehemalige Bastionen männlicher Protagonisten
wie Zorro oder Sherlock Holmes besetzen. Dennoch decken die Rollen
bei weitem nicht die Variationsbreite ab, die sich bei männlichen
Protagonisten findet. Aber es zeigen sich hier Richtungen, in denen
sich erfolgreiches Kinderprogramm entwickelt und in denen Mädchenfiguren
auch leistungsorientierte, fürsorgliche und kämpferische
Facetten präsentieren und sich in einer Welt durchsetzen, in
der auch Frauen selbstverständlich tragende Rollen spielen.
Beispiel:
In der Sitcom "Clarissa"
(Nickelodeon) setzt sich eine Jugendliche mit Intelligenz und
Pfiff mit alltäglichen Vorkommnissen auseinander. Ihr Freund
Sam unterstützt sie, wo er kann – die zentrale Figur bleibt
jedoch immer Clarissa.
In der Krimiserie "Die
Fälle der Shirley Holmes" (Nickelodeon) 7
löst ein Mädchen mit außergewöhnlichem wissenschaftlichen
Geschick und kriminalistischem Können komplizierte Fälle.
Ein Freund steht ihr zur Seite, erfüllt aber eher reproduktive
Aufgaben.
In der Serie "Sailor
Moon" (RTL 2) gehört die 14jährige Bunny Sukino
zu den auserwählten Kriegerinnen des Mondsteins. Sie und
ihre Freundinnen können sich aus braven Schülerinnen
zu Kriegerinnen für "Liebe und Gerechtigkeit" verwandeln.
"Mila Superstar"
(RTL 2) ist eine junge Volleyballspielerin, die sich ihren sportlichen
Weg erarbeitet. Sie agiert leistungsorientiert, wobei ihr, neben
ihrem Ehrgeiz, ihre taktische Fähigkeit und Empathie für
Mitspielerinnen und Gegnerinnen zum Erfolg verhelfen.
"Lady Oscar"
(RTL 2) ist eine Heldin, die im historischen Frankreich des 19.
Jh. für Freiheit und Gerechtigkeit kämpft. Sie greift
in das politische Geschehen ein und verkleidet sich für ihre
Aktionen mit einem schwarzen Mantel, Maske und Säbel.
"Prinzessin Erdbeer"
(Super RTL) lebt mit ihren Freunden, Prinz Percy und dem Butler
Malcom in einer Zuckerwelt. Wo ihre männlichen Freunde versagen,
weiß sie Lösungen und kann sich so gegen die Gräfin
von Zickig und deren Tochter durchsetzen.
In der sechsteiligen Familienserie
"Nicht ohne Marie" (Kinderkanal) löst die
Heldin als verbindendes Moment die Probleme, die im Alltag einer
Großfamilie auftreten.
Das "Ocean Girl"
(ZDF / Kinderkanal) Neary kommt aus einer anderen Welt. Sie kann
unter Wasser atmen und sich mit den Walen unterhalten. Gemeinsam
mit ihren Freunden erlebt sie Abenteuer und beschützt die
Erde.
Positiv besetzte Mädchenfiguren
sind schön, schlank und haben meist lange blonde Haare
So erfreulich und neu die
Mädchenfiguren auf den ersten Blick scheinen, so bekannt bleiben
bestimmte Momente. Denn ob es "Sailor Moon", "Ocean
Girl" oder "Marie" ist, alle positiv besetzten Mädchenfiguren
im Fernsehen sind makellos schön, ausgesprochen schlank und
tragen meist lange blonde Haare. Körperproportionen, die nicht
dem Idealgewicht (bzw. einem Wert darunter) entsprechen, oder Gesichtsmerkmale,
die von dem uniformen Schönheitsideal abweichen, sind nicht
zu sehen – es sei denn, als Problem und Thema der Handlung. Viele
weibliche Figuren im Zeichentrick folgen zudem dem "Kindchenschema",
d.h. der abgerundete Kopf wird durch ein kleines Näschen und
große, weit auseinanderstehende Kulleraugen gekennzeichnet
(vgl. auch Mühlen Achs 1995, S. 31). Die sexualisierte Körperdarstellung
mit der Betonung langer schlanker Beine und übertrieben schmaler
Taille sind weitere Kennzeichen vieler weiblicher Figuren im Kinderprogramm.
Hier wird der "Mythos Schönheit" (Wolf 1991) immer
wieder von neuem untermauert. 8
In der sehr erfolgreichen Serie "Sailor Moon" (RTL
2) wird dies bis ins Extrem getrieben. Sailor Moons blonde Pferdeschwänze
reichen bis in die Kniekehlen der schlanken Beine, die gut zwei
Drittel des Körpers ausmachen. Ihr Gesicht mit der kaum sichtbaren
Nase besteht zu einem Viertel aus blauen Kulleraugen, was angesichts
des Produktionslandes Japan nochmals besondere Verschärfung
erhält. Wie bei Mangas üblich, ist Sailor Moon extrem
sexualisiert und übertrumpft "Barbie" an unerreichbaren
Körperproportionen bei weitem.
Umbruch oder Stagnation in der Geschlechterdarstellung?
Kinderfernsehen ist in vielen
Bereichen im Umbruch, so auch in der Geschlechterdarstellung. Im
"Mainstream" bleiben jedoch Männer die Helden des
Programms, in dem im Normalfall männliche Figuren agieren und
Weiblichkeit als Eigenschaft erscheint, die vor allem zur inhaltlichen
Reproduktionsarbeit dient. Die beim jungen Publikum ausgesprochen
erfolgreichen Sendungen, in denen weibliche Figuren im Mittelpunkt
stehen, aber auch in den geschmischtgeschlechtlichen Gruppen zeigen
sich vielversprechende Perspektiven, die die Wahrnehmung einer potentiellen
Veränderung rechtfertigen. Diese Angebote zentrieren sich jedoch
um wenige Sender, von denen der Hauptvertreter Nickelodeon mittlerweile
nicht mehr auf dem deutschen Markt ist. Fast 40% der Sendungen,
in denen Mädchen die Hauptrolle spielen, wurden hier ausgestrahlt.
Weitere Schwerpunkte finden sich bei RTL 2 (durch die japanischen
Produktionen) und in geringerem Maße bei den öffentlich-rechtlichen
Sendeanstalten.
Doch bleiben auch bei den
"neuen Mädchenfiguren" bestimmte Momente, wie die
Orientierung an einem eng gesteckten Schönheits-Stereotypen,
weiterhin bestehen bzw. werden bis ins Extrem gesteigert. Im Detail
bleiben die Geschlechterverhältnisse im Kinderprogramm weitestgehend
in den seit langem fundamentierten "patriarchalen Verhältnissen"
verhaftet, auch wenn diese hinter der real gelebten Vielfalt von
Mädchen und Frauen weit zurückbleibt.
Um so krasser die Analyse
des Non-Fiction-Bereiches. Insbesondere bei den lernorientierten
Programmen wird eines deutlich: Es sind Männer, die Kindern
die Welt erklären. Dabei zeigen sich zwei Stereotypen: zum
einen der dynamische und wissende große Bruder Anfang
20 und die verständnisvolle und selber suchende Vaterfigur
Mitte 40. Mit Ausnahme von "Logo" (ZDF / Kinderkanal),
wo abwechselnd ein Mann und eine Frau die Moderation der Kindernachrichtensendung
übernehmen, bleiben Frauen im Non-Fiction-Bereich auf das Ansagen,
vermitteln und eventuell auf das Erklären sozialer Probleme
verwiesen. Welterklärende Kompetenz wird ihnen jedoch nicht
zugestanden. Insofern steht ein Umbruch der Geschlechterverhältnisse
im Kinderfernsehen in vielen Bereichen noch aus.
ANMERKUNGEN |
1
YLE (Finnland), ZDF (Deutschland), SVT (Schweden), NOS (Niederlande),
DR (Dänemark) und NRK (Norwegen). Nähere Informationen
unter http://www.yle.fi/gender/dijck.html
2 Durchgeführt an
der Universität Gesamthoschule Kassel (GHK) in Zusammenarbeit
mit dem Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und
Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayrischen Rundfunk und der Freiwilligen
Selbstkontrolle der Fernsehwirtschft (FSF).
3 Nach Marktanteil bei
Kindern ausgewählte Sender: ARD, ZDF, RTL, SAT.1, Pro 7, RTL
2, Super RTL, Nickelodeon, Kinderkanal an den Tagen: 23., 24. und
26. 5. 1998.
4 Bachmair 1998, Bachmair
/ Hofmann 1998
5 Ein Grundprinzip, auf
das bereits Simone de Beauvoir in ihrem vielgelesenen Buch "Das
andere Geschlecht" aufmerksam machte: "Die Menschheit
ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht als solche,
sondern im Vergleich zu sich selbst; sie wird nicht als autonomes
Wesen angesehen." (1949 /1996, S. 12) Entsprechendes zeigt
sich in vielen Produkten des Kinderfernsehens.
6 "Die Örks",
ein neues Zeichentrick Kurzformat, welches derzeit für den
Kinderkanal entwickelt wird. Vorgestellt von Gert K. Müntefering
(WDR/Köln) in dem Vortrag: "Die Sendung mit der Maus:
Wegweiser zur Kinderkultur", gehalten am 11. 5. 1999 in Kassel.
7 Inzwischen löst
"Shirley Holmes" ihre Fälle im Kinderkanal.
8 Naomi Wolf führt
in ihrem Buch aus, wie kulturabhängig Schönheitsideale
sind und welche Bedeutung sie jeweils haben. In den westlichen Industriegesellschaften,
in denen Frauen sich zunehmend als eigenständige und gleichberechtigte
Persönlichkeiten beweisen, wird der ständige Verweis auf
ein unerreichbares Schönheitsideal zum "Rückschlag".
"Der Schönheitsmythos bekämpft die neue Freiheit
der Frauen, indem er die ihr Leben einengenden sozialen Beschränkungen
unmittelbar auf ihr Gesicht und ihren Körper verlagert. Als
Reaktion darauf müssen wir jetzt in gleicher Weise nach unserer
Einstellung zu unserem Körper fragen wie die Frauengenerationen
vor uns nach ihrer Stellung in der Gesellschaft." (Wolf 1991,
S. 384)
LITERATUR |
- Bachmair, Ben: Kinder brauchen
Kinderfernsehen. Ein Blick ins Programmumfeld von Talk-Shows.
tv-diskurs, -/1998/Oktober, S. 78-89.
- Bachmair, Ben; Hofmann, Ole: Lernen
mit dem Kinderfernsehen: Wunsch oder Wirklichkeit? TelevIZIon,
11/1998/2, S. 4-20.
- Beauvoir, Simone de: Das andere
Geschlecht - Sitte und Sexus der Frau. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt
1949/1996.
- Dijck, Bernadette van: Successful
International Co-operation in the Promoting Good Practice in Gender
Portrayal Project. (1999) http://www.yle.fi/gender/dijck.html;
(Auch als Broschüre: Project: Promoting Good Practice in
Gender Portrayal in Television. Who speaks in television? - An
international comparative study on female participation in television
programmes. NRK Research Department (Hg.). Oslo: NRK 1999.
- Mühlen Achs, Gitta: Frauenbilder:
Konstruktionen des anderen Geschlechts. In: Mühlen
Achs, Gitta; Schorb, Bernd (Hg.): Geschlechte und Medien. München:
KoPäd 1995, S. 13-38.
- Weiderer, Monika: Das Frauen- und
Männerbild im deutschen Fernsehen - Eine inhaltsanalytische
Untersuchung der Programme von ARD, ZDF und RTLplus. Regensburg:
S. Roeder Verlag 1993.
- Weiderer, Monika; Komorek-Magin,
Annegret: Frau/Mann - Mädchen/Jungen in Kindersendungen des
deutschen Fernsehens. TelevIZIon 7/1994/2, S. 31-36.
- Wolf, Naomi: Der Mythos Schönheit.
Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1991.
DIE AUTORIN |
Maya Götz, Dr. phil., ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin im Internationalen Zentralinstitut für das Jugend-
und Bildungsfernsehen, München.
maya.goetz@brnet.de
www.maya-goetz.de
INFORMATIONEN |
Internationales
Zentralinstitut
für das Jugend-
und Bildungsfernsehen
IZI
Tel.: 089 - 59 00 21 40
Fax.: 089 - 59 00 23 79
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