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Birgit Guth
In den Alltag geschaut:
"Kinderwelten 2002"
Die inneren Erlebniswelten der Kinder sind unterschiedlich ausgeprägt
- eher arrangierte Welten oder auch unabhängige Fantasiewelten.
Die Vielfältigkeit von Kindern und Eltern zu berücksichtigen,
ist wichtige Voraussetzung für kindgerechte, aber auch wirtschaftlich
erfolgreiche Angebote.
Fernsehen und andere Unterhaltungsangebote
(z. B. Internet) für Kinder zu machen, ist eine besonders anspruchsvolle
Aufgabe. Denn wir stecken nicht drin in den Köpfen der Kinder,
und auch der Versuch, sich in die eigene Kindheit zurückzuversetzen,
um Kinder von heute zu verstehen, führt in eine Sackgasse,
weil die Kinder von heute unter völlig anderen Bedingungen
aufwachsen. Unterhaltungsangebote für Kinder zu machen, ist
aber auch eine besonders reizvolle und verantwortungsvolle Aufgabe.
Um sie optimal zu gestalten, müssen wir Medien-Macher mehr
über unsere Zielgruppe wissen.
Die Super-RTL-Medienforschung versteht sich als eine Brücke
zwischen Zuschauer und Sender. Wir müssen die Wünsche
und Anforderungen, die unsere Seher haben, übersetzen und den
Kolleginnen und Kollegen vermitteln. In einer Gesellschaft, in der
immer weniger Kinder aufwachsen und immer weniger Erwachsene (da
schließe ich die Kollegen gar nicht aus) direkt mit Kindern
Kontakt haben, ist es extrem wichtig, diese Mittlerfunktion verantwortungsbewusst
auszuüben.
Mit den repräsentativen "Kinderwelten"-Studien setzt
Super RTL dabei ganz vorn beim häuslichen Umfeld von Kindern
an und versucht, möglichst weit in die Tiefe zu gehen. Bevor
wir konkret nach Fernsehnutzung und einzelnen Formateindrücken
fragen, wollen wir verstehen, wie Kinder heute leben. Denn um die
Mediennutzung von Kindern richtig einordnen zu können, bedarf
es einer Analyse der Lebensverhältnisse von Familien, der Einstellungen
der Eltern, der Ausstattung der Haushalte etc.
Drei Adressaten gibt es für eine so intensive Kinderforschung,
wie sie einmalig ist für einen Fernsehsender: die Mitarbeiter
von Super RTL, den (Werbe- und Produkt-)Markt sowie die Öffentlichkeit.
Die Mitarbeiter des Senders sollen durch die Erkenntnisse unserer
Studie ein gutes Gespür für Kinder entwickeln. Wir wollen
auch denjenigen, die keine eigenen Kinder haben, den kindlichen
Alltag vermitteln, damit sie ein gutes Fundament für ihre Arbeit
haben.
Der Werbemarkt ist ebenso angewiesen auf solide Informationen über
die kindliche Lebenswelt. Ob diese Fakten bei der Entwicklung von
Kampagnen hilfreich sind oder die Mediaplanung unterstützen
- auch die Kolleginnen und Kollegen bei Agenturen und Markenartiklern
schätzen unsere Informationen für ihre tägliche Arbeit.
In der Öffentlichkeit dienen Forschungsergebnisse oft als Anstoß
für weitere Diskussionen. Wir wollen zeigen, dass wir als Medienschaffende
wissen, wovon wir reden. Dadurch gewinnen wir Vertrauen bei Eltern,
Lehrern und vielen anderen, die Kinderfernsehen aufmerksam betrachten.
"Kinderwelten 2002"
Mit den "Kinderwelten 2002" führen
wir ein Projekt fort, das vor zwei Jahren mit den "Kinderwelten
2000" begann. Damals stand der Wunsch im Vordergrund, mehr
darüber zu erfahren, wie Kinder die Medien in ihren Alltag
integrieren. Daher haben wir versucht, eine Kinder-Typologie zu
entwickeln, die sich an das kindliche Freizeitverhalten anlehnte.
Durch positive Resonanz ermutigt, wurde im Jahr 2001 eine erneute
Befragung durchgeführt, die noch genauer die Motivlagen der
Kinder beschreiben sollte und noch mehr qualitative Ergebnisse zur
Zielgruppe liefert. Eine Besonderheit liegt in der Methodik, die
weggeht von der Abfrage nach Nutzungsfrequenzen und -zeiten der
kindlichen Tätigkeiten. Stattdessen sollten die Kinder Freizeit-
und Pflichtaktivitäten immer in ganzheitlichen Szenarien nennen.
Methodik der "Kinderwelten"-Studie
Kinder können nicht abstrahieren, sondern
sehen die Welt ganzheitlich. Sie suchen nicht unbedingt bestimmte
Aktivitäten auf, sondern Stimmungen. Eine gemessene Mediennutzungsdauer
von Kindern beschreibt ihre physische Verweildauer - nicht jedoch
die innere Anregung, Beteiligung oder Qualität des von ihnen
Erlebten. Es macht also keinen Sinn, sie abstrakt nach Fakten, Daten,
Präferenzen und Nutzungsparametern zu fragen. Ein weiteres
Problem besteht darin, dass Kinder während der Befragungen
ihre Deutungs- und Handlungsmuster verändern. Realistische
Antworten sind zu erwarten, wenn die Fragen in einen nachvollziehbaren
situativen Kontext eingebunden sind, und wenn ein prozessorientiertes,
schrittweises Vorgehen die Kinder an die zu ermittelnden Kontexte
heranführt.
Die Studie "Kinderwelten 2002" versucht, dem alltäglichen
Erfahrungs- und Erlebnisraum der Kinder gerecht zu werden. Einen
breiten Raum widmet sie der qualitativen Vorstudie, in der bereits
erste Erlebnisdimensionen erhoben wurden. Die Fragebögen und
das Erhebungsmaterial für die Quantifizierung wurden hier sorgfältig
getestet. Von Oktober bis Dezember 2001 wurden dann 963 Kinder im
Alter von 6 bis 13 Jahren und ihr jeweiliger Haupterzieher befragt.
Die Kinder wurden persönlich interviewt, die Eltern füllten
währenddessen einen Fragebogen aus. Ein ganz besonderer Dank
geht an dieser Stelle nochmals an das Transferzentrum München,
das die Studie mit großer Professionalität betreute.
Einige Ergebnisse der Studie
Kinder angemessen zu verstehen, heißt
auch, ihre Eltern zu verstehen. Denn Eltern sind ein wichtiger Filter
und Steuerungsmechanismus des kindlichen Alltags; in vielen Fällen
liefert erst der familiäre Rahmen die Erklärung für
kindliches Verhalten. Die "Kinderwelten 2002" machen deshalb
deutlich, dass es auch "Elternwelten" gibt - nämlich
elterliche Meinungs- und Einstellungsmuster zu all dem, was Kindern
gut tut, was sie tun und was sie lieber unterlassen sollten. Solche
- zum Teil unausgesprochenen - Regeln existieren in den meisten
Familien und steuern das Freizeitverhalten der Kinder ebenso wie
ihre häuslichen Pflichten. Für die Studie war es deshalb
wichtig, sowohl die Einstellungen der Eltern festzuhalten, als auch
Eckdaten des familiären Alltags unter die Lupe zu nehmen.
Erwünschtes
Verhalten
Ein wichtiger Punkt, über den unter Eltern viel nachgedacht
und diskutiert wird, ist das Verhalten, das die Kinder aus Sicht
der Eltern an den Tag legen sollen. Eltern sind oft hin- und hergerissen
zwischen guten Manieren ihrer Sprösslinge einerseits und ihrer
freien Entfaltung andererseits (s. Abb. 1). Eine große Mehrheit
der Kinder soll ordentlich am Tisch sitzen, Erwachsenen gegenüber
Respekt zeigen und ordentlich gekleidet aus dem Haus gehen. Andererseits
spricht sich die überwiegende Mehrheit der Eltern dafür
aus, dass ihr Kind sich möglichst frei entfalten kann, auch
"Nein" sagen kann und seine Meinung frei äußert.
Hier besteht oft ein elterlicher Konflikt, der sich auch beim Thema
Schule und Medien wiederfindet.
Abbildung 1
Kinder und erwünschtes Verhalten
"Mir ist wichtig, ..." (n=963, Nennungen des Haupterziehers,
in %)
Schule
Fast alle Eltern möchten, dass ihr Kind in der Schule gute
Leistungen erbringt. Sie sagen zumindest auch, dass sie sich um
die schulischen Angelegenheiten der Kinder kümmern. Nicht immer
jedoch sind die Eltern fähig und in der Lage, diesen an sich
selbst gestellten Anspruch auch einzuhalten. Fast alle möchten,
dass ihre Kinder die schulischen Aufgaben selbstständig lösen
- egal, ob sie in der ersten oder in der achten Klasse sind. Letztendlich
- so sagen zwei Drittel der befragten Eltern - ist es Sache der
Schule, die Kinder an das selbstständige Arbeiten heranzuführen.
Medien
Medien sind oft Anlass für Auseinandersetzungen innerhalb der
Familie. Fernsehen oder Videoschauen soll für die Kinder entspannend
und unterhaltsam sein. Gleichzeitig wird aber darauf geachtet, dass
etwas gelernt wird. Vor allem die Eltern der 6- bis 7-Jährigen
legen Wert auf das Lernen durch das Fernsehen; in leicht höherem
Maße sind Einzelkinder und Mädchen von dieser Haltung
der Eltern betroffen. Ergebnis dieser Einstellung ist, dass nach
Aussage der Eltern die Hälfte aller Kinder nicht selbst entscheiden
darf, welches Fernsehprogramm sie sehen möchte. Allerdings
wissen wir aus anderen Studien, dass es den Eltern oftmals schon
ausreicht, wenn sie den Titel einer Sendung kennen. Für eine
intensive Auseinandersetzung fehlt den meisten schließlich
die Zeit und die Lust.
Freunde
Die meisten Eltern der von uns befragten 6- bis 13-jährigen
Kinder sind gut informiert über deren Freunde und auch über
deren Eltern. Ihnen ist es äußerst wichtig, über
den Umgang ihrer Kinder Bescheid zu wissen. Das gilt vor allem für
die Eltern von Kindern unter 10 Jahren und für Familien, in
denen der Haushaltsvorstand eine höhere Schule besucht hat.
Egal ob Junge oder Mädchen - wenn es sein muss, mischen sich
mehr als ein Viertel aller Eltern in die Freundschaften ihres Kindes
ein. Auch dies tun vor allen Dingen die Eltern der unter 10-Jährigen.
Elterntypen
Eltern haben die unterschiedlichsten
Ansprüche an ihre Kinder. Diese äußern sie beispielsweise
in Form von Prinzipien und Wunschvorstellungen. Verdichtet man alle
diese Aussagen mithilfe einer Faktorenanalyse, so lassen sich fünf
Erziehungsdimensionen ableiten. Diese sind: Akzeptanz von Medienunterhaltung,
Lerngehalt von Spielsachen und Medien, Anpassung und Fleiß,
Interesse für den Freundeskreis der Kinder und die Unterstützung
der freien Entfaltung des Kindes.
Diese Erziehungsdimensionen charakterisieren grundlegende Denkweisen,
an denen die Eltern ihr alltägliches Verhalten gegenüber
den eigenen Kindern ausrichten. Aus diesen Dimensionen bilden sich
sieben Elterntypen, die sich drei Erziehungsstilen zuordnen lassen
(s. Abb.2):
Abbildung 2
Erziehungsstile und Elterntypen
Ohne im Detail auf die sieben Elterntypen
einzugehen, sollen kurz die drei großen Erziehungsstile beschrieben
werden (s. Abb. 3):
Abbildung 3
Die drei großen Erziehungsstile
Pädagogisierende
Eltern
Diese Eltern, die entweder "Aufpasser", "Behütende"
oder "Widersprüchliche" sind, erwarten unbedingt
gute schulische Leistungen von ihren Kindern. Nur die "Behütenden"
unterstützen ihre Kinder aber darin; alle anderen sind der
Meinung, es sei Aufgabe der Schule, die Kinder an das selbstständige
Arbeiten heranzuführen. Damit kaschieren sie, dass sie oft
zu wenig Zeit und Lust haben, sich mit den Kindern in dieser Hinsicht
zu beschäftigen. Das pädagogisierende Element findet sich
in der Auswahl der Fernsehprogramme und des Spielzeugs. Hier achten
die Eltern dieses Erziehungsstils darauf, dass die Lernorientierung
im Vordergrund steht. Nicht alle verfügen allerdings über
die für diesen Zweck nötige Kenntnis z.B. des Fernsehprogramms.
Ein wichtiges Merkmal der pädagogisierenden Eltern stellt die
Gestaltung der Freizeit, wie z.B. des Wochenendes, dar. Ihnen kommt
es darauf an, dass die ganze Familie etwas zusammen unternimmt.
Es findet eine Inszenierung statt, in der man das nachholen möchte,
was der Alltag einem vorenthält. Den Kindern bleibt dementsprechend
wenig Freiraum für eigene Wünsche, auch wenn gerade die
"behütenden" Eltern versuchen, darauf einzugehen.
Engagierte Eltern
"Aufgeschlossene" und "großzügige"
Eltern verbergen sich hinter diesem Elternstil. Ihnen gemeinsam
ist, dass sie zum Medienkonsum ihrer Kinder eine leicht kritische
bis unverkrampfte Haltung haben. Sie billigen den Kindern das Fernsehen
oder Internetsurfen zu, weil sie selbst auch Spaß daran haben.
Die "Großzügigen" interessieren sich für
die Schulleistungen der Kinder und geben ihnen auch Hilfestellungen.
Die "Aufpasser" sind hier gleichgültiger; sie stellen
die Möglichkeit zur freien Entfaltung ihres Kindes in den Vordergrund
und wollen ihm nicht dazwischenreden. Beide Elterntypen sehen am
Wochenende keinen Zwang zum Familienleben. Sie machen Angebote,
bei denen die Kinder entscheiden können, ob sie mitmachen oder
nicht. Oft wird abends zusammen gespielt oder ferngesehen.
Distanzierte
Eltern
Fast ein Drittel aller Eltern der 6-
bis 13-Jährigen zählt zu den problematischen Typen der
"wenig Familiären" oder "Gleichgültigen".
Wie aus den Benennungen hervorgeht, handelt es sich um Eltern, die
sich eher wenig für ihre Kinder interessieren. Hilfe bei schulischen
Belangen wird nicht geleistet; entweder will man es nicht oder hat
keine Zeit dafür. Die Freunde der Kinder werden oft als störend
empfunden; am liebsten sehen es die Eltern, wenn das Kind sich im
eigenen Zimmer aufhält. Darüber hinaus müssen die
Kinder der "wenig Familiären" viel im Haushalt mithelfen.
Die Mediennutzung wird in der Regel nicht reglementiert, was zu
einem höheren Konsum führt. Oft wird das Fernsehen sogar
bewusst als Babysitter eingesetzt. Die Freizeitgestaltung organisiert
jedes Familienmitglied für sich selbst. Kinder und Eltern gehen
eigenen Interessen nach.
Medienausstattung der Kinder
Die Einstellung zu den Medien (und
in der Hauptsache zum Fernsehen) ist ein wichtiger Faktor, der das
Zusammenleben in der Familie bestimmt. Nur rund 15 Prozent der Eltern
sind der Ansicht, dass Fernsehen gut für die Kinder ist. Aber
80 Prozent akzeptieren den TV-Konsum ihrer Kinder, wobei das nicht
für alle Sendungen gilt. Rund die Hälfte der befragten
Kinder darf nicht selbst entscheiden, welches Programm eingeschaltet
wird. Die Eltern fungieren als Filter, als Sender ist man auf ihr
Wohlwollen angewiesen. Ein Problem dabei stellt die mangelnde Kompetenz
in Bezug auf für Kinder geeignete Programme dar. Viele Eltern
kennen die Lieblingssendungen nur dem Namen nach oder urteilen vorschnell,
ohne sich mit den Inhalten eingehender zu beschäftigen. Ein
Problem, das sich vor allem bei innovativeren Formaten stellt, die
für die Eltern ungewöhnlich wirken.
Fernsehen ist ein wichtiger Ankerpunkt im Alltag der Kinder. Es
gehört dazu wie essen, Hausaufgaben machen und ins Bett gehen
(s. Abb. 4). Zwischen diesen Kristallisationspunkten entfalten sich
- je nach alters- und geschlechtsspezifischen Vorlieben - vielfältigste
und unterschiedlichste Freizeitaktivitäten der Kinder. Ob die
Kinder das, was ihnen am liebsten ist, auch tatsächlich machen
können, hängt dabei von mehreren Faktoren ab: u.a. vom
Wetter, der Verfügbarkeit von Freunden, organisierten Freizeit-
und sonstigen Terminen sowie Pflichten, die ihnen die Eltern auferlegen.
Abbildung 4
Elemente des kindlichen Alltags in der Woche
Medienausstattung in Familien
Die meisten Familien sind sehr gut
ausgestattet mit Medien aller Art. Bis auf einzelne Ausnahmen haben
alle 6- bis 13-Jährigen Zugriff auf Fernseher, Telefon, Hifi-Anlagen
und Videorecorder. Für zwei Drittel der Kinder sind auch Handy,
Kassettenrecorder, Walk- oder Discman sowie PC und Gameboy verfügbar.
In den letzten Jahren hat nach Auskunft der Eltern vor allem die
Zahl der Fernsehgeräte im Kinderzimmer einen Schub erhalten.
Ende 1999 hatte erst jedes fünfte Kind ein eigenes TV-Gerät
zur Verfügung, Ende 2001 war es bereits jedes dritte Kind;
bei den 12- bis 13-Jährigen sogar über die Hälfte.
Die Höhe des kindlichen Fernsehkonsums hängt viel von
dem elterlichen Vorbild ab. Wo in der Familie auch während
der Anwesenheit der Kinder viel geschaut wird, wird auch von den
Kindern mehr ferngesehen. Generell aber sind Kinder im Vergleich
zu den Erwachsenen Wenigseher. Aus der repräsentativen Fernsehforschung
weiß man, dass Kinder im Schnitt 97 Minuten pro Tag vor dem
Fernseher verbringen; Erwachsene schauen gut das Doppelte.
Will man sich als Sender, der sich speziell an Kinder richtet, im
Wettbewerb durchsetzen, so muss man den Nerv der jungen Zielgruppe
treffen. Mit den "Kinderwelten 2002" versuchen wir deshalb,
tiefer in die Lebenswelt der Kinder einzutauchen, um sie besser
verstehen zu können. Neben den Informationen über kindliches
Medien- und Freizeitverhalten und die Erziehungsstile der Eltern
liefert uns die Studie auch Erkenntnisse zur kindlichen Erlebniswelt.
Wir lernen die Grundlagen für ihre typischen Freizeitaktivitäten
und Medienbedürfnisse kennen.
Erlebniswelten von Kindern
Wir gehen davon aus, dass Kinder ihren
familiären Alltag ganzheitlich erleben und ihre Aktivitäts-
und Entspannungsphasen innerhalb des ihnen zur Verfügung stehenden
Möglichkeitsraumes gestalten. So gelingt es ihnen, die verschiedensten
aktiven und passiven Verhaltensweisen zu einer charakteristischen
Erlebniswelt "zusammenzubauen". Auf Basis von acht Erlebnisdimensionen
(das sind u.a.: Freunde, Neugier auf andere, Lern- und Wissbegierde,
Spannungssuche) lassen sich die 6- bis 13-Jährigen, je nach
individueller Ausprägung, in sechs Erlebnistypen unterteilen.
Wir finden drei große Typen - die arrangierte Welt, die Fantasiewelt
und die bunte, weite Welt - sowie drei kleine Erlebniswelten, die
in sich sehr geschlossen sind und sich deutlich von den anderen
unterscheiden (s. Abb. 5).
Abbildung 5
Erlebniswelten von Kindern
Die Erlebniswelten sind altersunabhängig
und nicht geschlechtsspezifisch geprägt. Natürlich bedeutet
die Zuordnung eines Kindes zu einer bestimmten Welt nicht, dass
es sich für immer in dieser befindet. Ein Wechsel von einer
zur anderen Welt kann durchaus stattfinden, aber nicht im Sinne
eines beliebigen Hin- und Herspringens, sondern als Weiterentwicklung
des Kindes im Rahmen seines persönlichen Reifeprozesses.
Eine kurze Charakterisierung der einzelnen
Typen:
Die arrangierte
Welt
Diesem Typ gehören knapp zwei Fünftel aller Kinder an.
Es sind unauffällige, angepasste Kinder, die keinen Wert auf
große Überraschungen legen. Sie sind sehr konsumfreudig.
Einkaufen und etwas Neues zu besitzen gibt ihnen den kleinen Kick,
der wenig Unsicherheit bringt. Ansonsten erfüllen sie ihre
häuslichen und schulischen Pflichten, treffen sich mit ihren
wenigen, guten Freunden oder genießen es, allein zu sein.
Die Aufregung, die sie im realen Leben vermeiden, suchen sie im
(relativ großen) Fernsehkonsum. Sie mögen Action- und
Mystery-Serien sowie actionlastige Cartoons.
Die häusliche
Welt
Diese Welt ist eine extreme Ausprägung der arrangierten Welt.
Die Kinder der häuslichen Welt fühlen sich zu Hause in
der Familie sicher und behütet und vermeiden Aufregungen aller
Art. Mit basteln, malen, lesen und Musik hören können
sie sich gut im Haus beschäftigen. Draußen sind sie nur
für gezielte Aktionen und zeitlich eng begrenzt. Sie schauen
eher wenig fern, vorwiegend am Wochenende und am liebsten im Kreis
der ganzen Familie. Ihre Favoriten sind lustige Cartoons, aber auch
schöne Spielfilme im Familienverband.
Die schwierige
Welt
Eine weitere Ausprägung der arrangierten Welt ist die schwierige
Welt, der 5% aller Kinder der untersuchten Altersgruppe angehören.
Sie sind Einzelgänger ohne positives Lebensgefühl. Die
Kinder sind einerseits lethargische Stubenhocker und wünschen
sich andererseits mehr dramatische, spannende Geschehnisse in ihrem
Alltag. Um ihre Langeweile zu vertreiben, schauen sie manchmal fern.
Aber noch eher wird der Computer genutzt und im Internet gesurft.
Die oft höher gebildeten Eltern akzeptieren diese Art der Mediennutzung.
Die Fantasiewelt
Fast ein Viertel aller Kinder hat es sich in der eigenen Fantasiewelt
schön eingerichtet und ist damit ein Stück weit unabhängig
von anderen, wie z.B. von der Familie oder Freunden. Die Kinder
spielen gerne auch allein oder mit Freunden, die sich der eigenen
Welt anpassen können. Sofern dieser Kindertyp Außenkontakte
hat, sind diese durchorganisiert - so kommt Unsicherheit gar nicht
erst auf. TV-Formate, die ihre Fantasie anregen, nutzen die Kinder
dieser Welt regelmäßig. Ansonsten spielt das Medium Fernsehen
keine so große Rolle in ihrem Alltag.
Die bunte, weite
Welt
Hier haben wir es mit einem ausgeglichenen und besonders vielseitigen
Kindertyp zu tun. Er ist offen für Neues und pflegt ausgesprochen
engen Kontakt mit seiner Familie und seinen Freunden. Der Alltag
ist ein Strom positiver Erlebnisse mit wenigen Schattenseiten, der
aktiv gestaltet wird. Fernsehen gehört zum Tagesrhythmus dieser
Kinder; am liebsten sehen sie Zeichentrickfilme, aber auch Club-Formate,
Edutainment und Soaps.
Die gesellige
Welt
Rund 6 Prozent der Kinder gehören
in diese besondere Ausprägung der bunten, weiten Welt. Alle
ihre Aktivitäten sind extrem gemeinschaftsorientiert; den Kindern
fehlen die Geduld und das Durchhaltevermögen, sich intensiv
und länger mit einer Sache zu beschäftigen. Es zieht diese
Kinder nach draußen - auch bei schlechtem Wetter. Wenn sie
niemanden zum Spielen haben, wird ihnen schnell langweilig. Sie
schauen sehr viel fern, auch weil sie es gemütlich finden.
Lustige Cartoons, Sitcoms und Science-Fiction-Serien liegen ihnen
besonders.
Fazit
Ungeachtet der Themen, die in diesem kurzen
Artikel nicht mehr berücksichtigt werden können (z.B.
die Wechselwirkung zwischen Eltern- und Kindertypen oder die Beschreibung
des häuslichen Umfeldes von Kindern) ergeben sich für
uns einige wichtige Punkte, die als Hintergrund für die eigene
Arbeit dienen können.
Die sechs Kindertypen beschreiben typische Muster der inneren Erlebniswelten
von Kindern. Es wird deutlich, dass es auch bei Kindern ein jeweils
unterschiedliches Lebensgefühl gibt, das ihre Freizeitmuster
entscheidend beeinflusst. So mag es für uns als Medienschaffende
leichter sein, die Kinder der "bunten, weiten Welt" mit
unseren Themen zu erreichen als z.B. die Kinder der "schwierigen
Welt", die mit dem Fernsehen ihr eher negatives Weltbild bestätigt
sehen möchten.
- Gerade die Mediennutzung von Kindern ist
abhängig von der elterlichen Wahrnehmung der Medien und ihren
persönlichen Umgangsweisen damit. Im Elternhaus "erlernen"
die Kinder Regeln für den Umgang mit Fernsehen, Computer,
Zeitschriften, Zeitungen etc. Diese müssen nicht immer ihrem
Alter und inneren Erlebnisdrang entsprechen.
- Kinder brauchen für ihr spontanes
Freizeitverhalten feste Strukturen. Ein sicherer Alltagsrahmen
garantiert die Möglichkeit zur freien Entfaltung. Dem Fernsehen
kommt hier als Ankerpunkt im Tagesablauf ein wichtiger Stellenwert
zu - nicht zuletzt deshalb, weil Fernsehen auch familiäres
Zusammenkommen bedeutet, das für Geborgenheit und Kommunikation
steht.
- Die Entwicklung eines Kindes hängt
stark von seinem häuslichen Umfeld ab. Hier kann man keineswegs
von Chancengleichheit sprechen. Neben den materiellen Faktoren
üben gerade die Erziehungsstile und Umgangsformen der Eltern
großen Einfluss auf die kindliche Weiterentwicklung aus.
Die verschiedenen Elterntypen zeigen deutlich, welche unterschiedlichen
Stimmungen in den Familien herrschen.
Uns helfen die Studienergebnisse dabei, Kinder
von heute zu verstehen. Indem wir die inneren Motivlagen von Kindern
erschließen, kann es uns gelingen, mit unseren Angeboten verschiedenste
Zielgruppen zu erreichen. Auch die Kenntnis über die Kombination
unterschiedlichster Medien im Alltag erleichtert uns die adäquate
Ansprache der Kinder. Denn schließlich steht eines immer im
Vordergrund: Medienangebote sollen einen angemessenen Stellenwert
im kindlichen Alltag haben und Kinder bei ihrer Entwicklung nicht
behindern, sondern fördern. Das geht nicht ohne die Eltern.
Erst ihr Vertrauen in die Medieninhalte, die ihren Kindern Spaß
machen, öffnet die Freiräume für Kinderunterhaltung
ebenso wie für kindliche Lernerfahrungen.
Was heißt das für das Verhältnis
von Kinderfernsehen zwischen öffentlicher Diskussion - Markt
- Alltag?
Unsere "Kinderwelten"-Studie wird - anders als bei vielen
anderen Medien-Studien üblich - ganz bewusst der Öffentlichkeit
vorgestellt. Wir wollen unsere Erkenntnisse teilen mit Fachleuten
aus Pädagogik, Sozialwissenschaft, Politik, Forschung und anderen
Disziplinen. Und wir wollen in einen Dialog treten mit allen, die
sich in dieser Gesellschaft für Kinder verantwortlich fühlen.
Unsere Erkenntnisse sind mit Sicherheit auch für viele andere
bei ihrer Arbeit interessant. Somit reagieren wir in der Öffentlichkeit
auf Diskussionen, die über das Thema Kinder und Kinderfernsehen
geführt werden. Mit unserem Fachwissen können wir uns
gezielt einbringen und zeigen, dass wir unsere Aufgabe ernst nehmen.
Auch im Markt, und hier kann man neben dem Werbemarkt auch den Produktmarkt
(in unserem Fall Anbieter von Kinderunterhaltung wie z.B. Produktionsfirmen
oder Lizenzgeber) sehen, besteht Nachfrage nach Informationen zur
Zielgruppe Kinder, die etwas weiter und tiefer gehen als die bloßen
Statistiken zu Kaufverhalten und Konsumnachfrage. Angestoßen
durch die Studienergebnisse treten wir mit unseren Partnern in einen
Dialog, von dem beide Seiten profitieren.
Für den Alltag der Kinder sind diese Diskussionen, die ohne
ihr Wissen stattfinden, eine Bereicherung. Wenn diejenigen, die
sich mit Kinderunterhaltung professionell beschäftigen, auch
ein Verständnis für ihre Zielgruppe entwickeln, so entstehen
Produkte, die kindgerecht sind und gerade deswegen nachhaltigen
wirtschaftlichen Erfolg bringen
ANMERKUNGEN |
Die Erhebung ist repräsentativ für
alle deutschsprachigen Schulkinder im Alter von 6 bis 13 Jahren
in Privathaushalten der Bundesrepublik Deutschland.
Alle weiteren Resultate finden Sie im Studienbericht "Kinderwelten
2002", zu beziehen bei der Medienforschung Super RTL (Tel.
0221/9155-1334) gegen eine Schutzgebühr von 120 Euro.
Genaue Angaben zu den Lieblingsbeschäftigungen der Kinder -
aufgeschlüsselt nach Situation - finden sich im Studienbericht.
DIE AUTORIN |
Birgit Guth ist Leiterin der Medienforschung
bei Super RTL in Köln.
INFORMATIONEN |
Internationales
Zentralinstitut
für das Jugend-
und Bildungsfernsehen
IZI
Tel.: 089 - 59 00 21 40
Fax.: 089 - 59 00 23 79
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mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers!
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