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Publikationen  TELEVIZION   Ausgabe 15/2002/2

 


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Maya Götz

Der Gebrauchswert

von Kindersendungen im Alltag

Bei Kindern erfolgreiche Sendungen und ihre pädagogischen Probleme

Kindern steht heute ein ausdifferenziertes Angebot an Fernsehprogrammen zur Verfügung. Sie wählen sich das aus, was für sie einen hohen Gebrauchswert hat. Dabei entsteht ein komplexes Zusammenspiel von Fernsehmarkt und Alltag der Kinder. Aus pädagogischer Sicht zeigen sich hier durchaus Chancen, aber auch Problembereiche, die es wahrzunehmen gilt.

Kinder als Entscheider

Kindern stehen wöchentlich etwas mehr als 300 Stunden explizites Kinderprogramm zur Verfügung, hinzu kommen das reichhaltige Angebot an Familienprogramm und Sendungen für Erwachsene, die sie mit zunehmendem Alter mehr nutzen. Die durchschnittliche Zeit, die Kinder vor dem Fernseher verbringen, ist jedoch über Jahre annähernd stabil geblieben. Das bedeutet, Kinder haben die Möglichkeit zu wählen, sie müssen wählen - und sie wählen. Zumindest bei älteren Kindern und in Haushalten, in denen die Fernsehnutzung weniger der elterlichen Steuerung unterliegt, sind die Kinder selbst die Entscheider. Sie suchen sich im Alltag das aus, was sie für sich nutzen können. Das heißt, ein Medium muss sich eben für diese Integration und Nutzung im Alltag eignen und "alltagsfunktionalen Gebrauchswert" besitzen.

Kinder haben die
Möglichkeit zu wählen,
sie müssen wählen -
und sie wählen

Hauptorientierungspunkt für Kinder ist der Inhalt der Sendung. Er muss ihre Themen treffen, sie emotional berühren und ihnen das bieten, was sie erwarten. Die Zuwendung steht aber immer auch im Kontext der Peer-Group, in der Moden und Trends entstehen. Konkret heißt dies: Eingeschaltet wird auch, was derzeit "in" ist und über das "alle" reden. Im Alltag schafft Fernsehen dabei als Tätigkeit an sich immer auch eine bestimmte Situation. Sie kann ablenken (z.B. von Langeweile) oder Gemeinsamkeit bieten (z.B. zu den Eltern). Analytisch zusammenfassend formuliert, übernehmen Medien im Alltag der Kinder "situative, interaktive und subjektiv-thematische Funktionen" (Bachmair 1996, S. 72).

Grafik 1


Die jeweilige Presseberichterstattung trägt hier ihren Teil zum öffentlichen Diskurs bei. Durch das Aufgreifen von Themen und die Einnahme bestimmter Positionen qualifiziert sie die "öffentliche Meinung" und damit auch die Einstellung von Eltern zu bestimmten Sendungen mit. Doch die von JournalistInnen gern gestellte Frage, ob ein Medium denn nun "gut" oder "schlecht" ist, kann aus pädagogisch-professioneller Sicht bei weitem nicht so einfach beantwortet werden, wie oft angenommen. Gerade die Trends und "Hypes" bei den Kindern haben in ihrem Alltag meist hohen Gebrauchswert und bieten in diesem Sinne individuell Positives. Sie sind aber auch häufig Zündstoff in den Familien und pädagogischen Einrichtungen und ihre Aneignung trägt problematische Momente in sich. Eine pädagogisch-professionelle Einschätzung dieser Phänomene muss die Bedeutung des Mediums im Alltag ernst nehmen, um vor diesem Hintergrund zu fragen, ob die Aneignung Kinder in der Identitätsfindung stärkt, bei der Bewältigung von Alltag hilfreich ist und die Integration in unsere Gesellschaft unterstützt. Zwischen dem Alltag der Kinder und dem Fernsehmarkt entsteht ein Wechselspiel, zu dem auch die Presseberichterstattung ihren Teil beiträgt.

Fernsehzeit in der Wechselwirkung von Alltag und Markt

Programmplaner wissen: Die Sendezeit muss an den Sehgewohnheiten der ZuschauerInnen anknüpfen. Kinder stellen ihre Zeitplanung auf die bevorzugte Sendung ein. Sie versuchen, rechtzeitig zu Sendebeginn mit ihren Aufgaben fertig zu sein oder kommen gezielt vom Spiel mit den Freunden nach Hause. Dragon Ball Z-Fans beispielsweise erzählen:

"Manchmal ist es stressig mit der Uhrzeit. Ich muss dann ja zu Hause sein, wenn es anfängt." (Sven, 13 Jahre); "Zu Hause beeilen wir uns jetzt abends beim Essen, um Dragon Ball nicht zu verpassen." (Amelie, 9 Jahre)

Aus der individuellen Perspektive der Kinder und Jugendlichen ist die tägliche Fernsehzeit hier zum Teil Strukturierungshilfe, setzt sie aber auch unter Druck. Sie nehmen selber wahr, wie sie andere Aktivitäten für das Fernsehen zurückstellen.

Steffen (14 Jahre) antwortet auf die Frage, was sich für ihn, seit er Dragon Ball Z sieht, verändert hat: "Ich bin kaum noch draußen. Aber ich gucke auch gern fern."

Auf individueller Ebene liegen pädagogische Problembereiche - zunächst unabhängig vom Inhalt der Serie - in der Vorstrukturierung, die die Gestaltung des Alltags einschränkt und andere Aktivitäten und Erfahrungen verhindert.
Wie sich das gezielt gesetzte Programm eines Senders in den durchschnittlichen Sehgewohnheiten der 3- bis 13-Jährigen niederschlägt, deutet die Grafik 1 an. Im Vergleich der 1. Halbjahre 2001 und 2002 zeigen sich Veränderungen. In der Zeit von 14.00 bis 17.00 Uhr ist die Sehbeteiligung von Kindern wieder um 2 bis 3% gesunken. 2001 liefen zu dieser Zeit Sendungen wie Digimon (47% Marktanteil,), Pokémon (44,6% Marktanteil) und Dragon Ball (41,7% Marktanteil) besonders erfolgreich. Im ersten Halbjahr 2001 hat RTL2 im Nachmittagsprogramm Kinder zum Fernsehen gebracht - bzw. im ersten Halbjahr 2002 wieder "entlassen". 2002 zeigt sich ein leichter Anstieg zwischen 19.00 und 20.00 Uhr (s. Grafik 1). Die auffallende Parallele der Marktgewinne von RTL2, der um diese Zeit Dragon Ball Z sendet, deutet an, dass der Sender auch hier wieder mit einem gezielt gesetzten Markttrend Fernsehgewohnheiten im Alltag von Kindern verändert. Die Höhe der Marktgewinne in der Zielgruppe weist darauf hin, dass hier sowohl Kinder von anderen Sendern zu RTL2 "gezogen" als auch "neue" SeherInnen um diese Zeit gewonnen wurden. Diese detaillierten Zusammenhänge zwischen einzelnen Angeboten und den zeitlichen Sehgewohnheiten von Kindern werden in der Pressediskussion bisher kaum wahrgenommen.

Familien sitzen gemeinsam vor kinderrelevanten Sendungen

In dem konkreten Zeitraum, wenn Medien rezipiert werden, entsteht eine bestimmte Situation, die zum Beispiel durch Gemeinsamkeit geprägt sein kann. Quantitativ lässt sich dies in Personenkonstellationsanalysen berechnen, die zeigen, dass am Vormittag im Durchschnitt weniger als ein Fünftel der Kinder mit ihren Erwachsenen zusammen fernsehen. Bis zum Abend steigt der Anteil stetig an, am Abend dann sitzt jedes zweite Kind zusammen mit Erwachsenen gemeinsam vor dem Fernseher (vgl. Hofmann 2001, S. 39). Bestimmte Sendungen haben dabei ein höheres Potenzial für eine Gemeinsamkeit als andere.
Das bekannteste Beispiel aus dem Kinderfernsehen für Jüngere ist Die Sendung mit der Maus. Für Eltern ist sie der Inbegriff an deutschem Qualitätsfernsehen, wobei Nostalgie sicherlich auch eine wichtige Rolle spielt (Götz 2001). Dies wird von Angebotsseiten durchaus wahrgenommen und als "hohes Gut" gehandelt. Die Lizenzprodukte und Veranstaltungen rund um den Klassiker sind demgemäß so angelegt, dass sie den Qualitätsvorannahmen entsprechen und immer auch die Eltern einbeziehen. Über die Eltern werden so die Kinder erreicht. Die Presseberichterstattung zur Sendung unterstützt Eltern in ihrer Ansicht, dass es sich um ein wertvolles Programm handelt (vgl. Nagl in diesem Heft). Hier gehen öffentliche Diskussion, Markt und Gebrauchswert der Sendung in Familien in die selbe Richtung. Klassiker, das heißt über Jahre und Generationen hinweg eingeführte Serien, haben es hierbei sicherlich sehr viel leichter als neue Programme.
Aus pädagogischer Perspektive eröffnet diese Gemeinsamkeit vor Klassikern vor allem Chancen für ein gemeinsames Erlebnis und symbolisches Material für Gespräche - für die Eltern ohne Frage ein Nutzen in der Erziehungsarbeit. Potenzielle Einengung kann dadurch entstehen, dass Eltern sich auf innovative Angebote, die vielleicht für die Kinder hohen Gebrauchswert hätten, vergleichsweise schwer einlassen.
Ein anderes Beispiel für die Bedeutung der Gemeinsamkeit in der Rezeptionssituation bei älteren Grundschulkindern sind Daily Soaps, z.B. das Format Gute Zeiten, schlechte Zeiten (GZSZ). Hier sind Kinder zwar nicht die angestrebte Zielgruppe, dennoch sehen 540.000 3- bis 13-Jährige (28,2% Marktanteil) allabendlich die Sendung. Während es bei den Älteren die Freundinnen sind, die sie auf die Soap bringen, sind es bei den Jüngeren die Eltern.

Abbildung 1: Vivian (9 Jahre) malt, wie sie GZSZ sieht

Interviewer:
"Wie bist du zu Gute Zeiten, schlechte Zeiten gekommen, wie fing das an?
Vivian:
"Das waren eigentlich meine Eltern, weil die haben da jeden Tag reingeguckt und ich wollte immer Kinderkanal oder so gucken, und dann haben sie gesagt: Nein Vivian, du gehst entweder ins Bett oder du guckst mit uns Gute Zeiten, schlechte Zeiten."

Sie malt ein Bild zur "typischen Rezeptionssituation", in dem Vater, Mutter und sie selbst lachend auf dem Sofa sitzen, zu ihren Füßen der Hund und auf dem Tisch die Katze. Vorn und eher klein gezeichnet steht der Fernseher, der auch wichtig ist, vor allem aber geht es um die Gemeinsamkeit in der Familie.

Eltern sehen mit ihren Kindern zusammen fern. Diese Gemeinsamkeit ist für Familien auch durchaus etwas Schönes. Entsprechend versucht der Markt, für diese Zeit gezielt Programme anzubieten, die eine gemeinsame Rezeption ermöglichen. Dies ist eine Chance für Familien, bringt aber die Gefahr mit sich, dass Kinder Sendungen ansehen, die sie eigentlich nicht sonderlich interessieren oder die sie auch überfordern können. Bei der Daily Soap GZSZ ist dies zeitweise durchaus der Fall (vgl. Tilemann 2002). Die öffentliche Diskussion stellt Gute Zeiten, schlechte Zeiten jedoch vor allem als "erfolgreiche Sendung" dar (vgl. Nagl in diesem Heft). Auf mögliche Überforderungen, wie sie zum Beispiel auch im "Flimmo" aufgezeigt werden, geht die Presse kaum ein.

Fernsehen schafft Kommunikationsanlässe: Pokémon zwischen Chance und vom Markt initiierten Trend

Über Fernsehen lässt sich leicht Kommunikation herstellen. Beispielsweise sind die neuesten Dramen der Daily Soaps bei Mädchen (Pre-Teens) regelmäßig Thema in der Schulpause (Vocke 2002). In der Peer-Group entstehen dabei Moden und Trends, die gemeinsame Kommunikationsanlässe ermöglichen, gleichzeitig aber auch unter den Druck setzen, über das nötige Wissen zu verfügen. 2000 und 2001 ist für Grundschulkinder Pokémon der zentrale mediale Kommunikationsanlass. Im Mittelpunkt steht hierbei weniger der Inhalt der gestrigen Sendung, sondern der Besitz und Tauschhandel von Sammelkarten und anderen Licensing-Produkten. Bei Pokémon greifen Inhalt und Licensing-Produkte aus ökonomischer Sicht optimal ineinander. In der Grundgeschichte (Serie, Gameboy, Bücher, Magazine) fängt, sammelt und trainiert der Held Ash verschiedenste Pokémon, um ein großer Pokémon-Meister zu werden. Kinder können durch die Kaufprodukte quasi an die Stelle des Helden treten. Sie sammeln, behüten, tauschen und bestreiten Wettkämpfe. Die Fernsehserie ist in diesem Arrangement eigentlich nicht mehr zentrales Produkt (vgl. Dreier 2002), trotzdem erreicht sie Spitzenquoten. Der Grund: Sie liefert die wichtigen Hintergründe für die Kommunikation, denn die einzelnen Folgen sind eine effektive Möglichkeit, um die einzelnen Pokémon und ihre Entwicklungsstufen auswendig zu lernen. Pokémon ist ein Lehrbuchbeispiel für einen vom Markt initiierten Hype, bei dem alle Elemente inhaltlich, zeitlich und nutzungsorientiert ineinander greifen (u.a. Tobin 2003, Wagner/Bollig 2002). Soweit die Marktseite.
Aus pädagogischer Sicht schafft Pokémon die Möglichkeit für Kommunikation. Das unterstützt die Einzelnen, denn sie können Gemeinsamkeit mit anderen schaffen und sich als ExpertInnen beweisen. Gleichzeitig ist diese Kommunikation aber auch mit der Notwendigkeit von genügend finanziellen Ressourcen verbunden, denn Pokémon-Karten sind teuer. Dies bedeutet nicht nur eine enorme Belastung für die Eltern, sondern heißt auch, dass Kinder ihre Kommunikation und ihre Selbstpräsentation auf Güter aufbauen und nicht, wie es pädagogisch wünschenswerter wäre, auf ihrer eigenen individuellen Besonderheit.
Ein weiteres Problem bringt die vom Markt provozierte Veränderung des Trends von Pokémon zu Digimon. Es ist der gezielte Versuch von Anbieterseite (hier Bandai bzw. RTL2/Fox Kids), die Pokémon-Welle weiterzuführen und auszudifferenzieren. Auf dem deutschen Markt löste Digimon Mitte 2001 Pokémon oftmals als das entscheidende peer-relevante Medienarrangement ab. Auf Flohmärkten versuchten Kinder, ihren "Schatz" an Pokémon-Karten wieder zu verkaufen, um nun in Digimon Sammelkarten zu investieren. Hierbei mussten sie leider schmerzlich den Wertverlust ihres "Schatzes" kennen lernen. Sicherlich ist auch dies eine wichtige Erfahrung für Kinder, die es aber aus pädagogischer Perspektive zumindest emotional abzufedern gilt.
In die Presse kam Pokémon erst 9 Monate nach Sendestart. Die hohen Quoten waren aber bereits einen Monat nach dem Start der Sendung erreicht. Eine These, warum sich hier das Interesse der Kinder und die öffentliche Aufmerksamkeit zeitlich so unterschieden: Erst als der Alltag der Familien durch Pokémon infiltriert war und die Kinder immer mehr mit Geldforderungen für Licensing-Produkte kamen, richtete sich die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf das Thema und es kam auf die Agenda der Presse. Öffentliche Diskussion zum Thema Kinderfernsehen findet unter Erwachsenen über Kinder statt. Das Interesse von Erwachsenen richtet sich eher auf ein Thema, wenn es in ihrem Alltag relevant wird. Erst dann verkaufen sich Artikel zu diesem Thema, und erst dann wird es für JournalistInnen als Eltern oder Freunde von Eltern relevant.

Subjektiv-thematische Funktion: Fernsehen wird zur Bearbeitung individueller Themen eingesetzt

Eine Rezeptionssituation oder das Gespräch über Fernsehen entsteht selbstverständlich nicht ohne Bezug zu den Inhalten. Dabei schaffen es Formate auf ganz unterschiedliche Weise, die bei Kindern bereits vorhandenen Themen und typische Fantasien aufzugreifen. Daily Soaps wie GZSZ werden für Mädchen z.B. zum Fenster in eine Erwachsenen-Welt, in dem sie u.a. Perspektiven für sich als zukünftige Frauen finden (vgl. Götz 2002). Pokémon nimmt ein grundsätzliches Muster mittlerer Kindheit auf: das Sammeln als Form der "Aneignung von Welt". Dies findet sich im Grundthema der Geschichte und im Licensing wieder. In der Fantasie, selber Pokémon-Meister zu sein und viele Pokémon zu besitzen, zu pflegen und zu beherrschen, treffen sich dabei mädchen- und jungentypische Fantasien und Erzählmomente. Zudem eignen sich die Pokémon-Wesen als Symbolisierung für eigene Gefühle und individuelle Erfahrungen (vgl. Lemish 2003, Götz et al. 2002). Was auf den ersten Blick wie ein ständiger, sinnloser Kampf aussieht, ist für die Kinder z.B. Spiegelung ihrer Gefühle und Innenwelten, wobei körperliche Auseinandersetzungen so gut wie keine Rolle spielen. Anders beim derzeitigen "Hit" bei Jungen: Dragon Ball Z (s. Abb. 2).

Dragon Ball Z zwischen starken inneren Bildern und gesteigerter Aggressionsbereitschaft

Ende 1998 startet Dragon Ball bei RTL2, im August 2001 Dragon Ball Z. Beide Formate können in den Hitlisten und bei den Marktanteilen große Erfolge verbuchen. Auch wenn Dragon Ball Z offiziell nicht als Kinderfernsehen ausgestrahlt wird, sehen durchschnittlich jeden Abend 460.000 3- bis 13-Jährige die Serie, drei Viertel davon Jungen.
Bei Dragon Ball Z geht es nicht nur aus medienanalytischer Sicht, sondern auch aus der Sicht der Kinder und Pre-Teens um Kampf und starke Kämpfer. In Interviews mit 70 regelmäßigen Dragon Ball Z-Seherinnen und -Sehern zwischen 6 und 15 Jahren wird deutlich: Sie beschreiben und mögen die Serie wegen ihrer Kämpfe. Über sie unterhalten sie sich, spielen sie nach und von ihnen träumen sie (vgl. Götz/Ensinger 2002). Jungen können mit Dragon Ball Z leicht "jungenhafte" Kommunikation herstellen. In ritualisierten Rollenspielen auf dem Schulhof beispielsweise erleben sie im körperlichen Kontakt mit anderen ihr Junge-Sein. Die wenigen Mädchen, die sich für die Serie begeistern, können sich mit dem Format als härter, als durchsetzungsfähig und "nicht mädchenhaft" inszenieren. Die interaktiven Funktionen verbinden sich hierbei mit den subjektiv-thematischen, wodurch Dragon Ball Z auch in die "inneren Bilder" (Klemm 2002) von Kindern und Pre-Teens eingeht. Aus ihrer Sicht gewinnen sie durch die Sendung z.B. Selbstbeherrschung. Der 10-jährige Torben beschreibt die Bedeutung, die Dragon Ball Z für ihn hat:

"Dragon Ball ist wie ein Kissen - wenn ich falle, tut es nicht weh, denn ich bilde mir ein, dass ich ein Kämpfer bin." (Torben, 10 Jahre)

Torben hat das Gefühl, das Bild des Kämpfers aus Dragon Ball Z unterstützt ihn in der Beherrschung von Schmerzen. Andere haben das Gefühl, mit Dragon Ball Z härter und wehrhafter geworden zu sein.

"Ja, ich habe gelernt, mich zu verteidigen und besser auf mich aufzupassen." (Judy, 14 Jahre);
"Ja, ich fühle mich irgendwie stärker oder so. Wenn mich einer schlägt, z.B. in der Schule, dann schreie ich richtig und schlage fest zu, so wie in Dragon Ball. Früher habe ich mich nicht gewehrt." (Bülent, 10 Jahre)

Abbildung 2: Jungen malen Dragon Ball Z

Insbesondere Pre-Teens haben das Gefühl, durch die Serie wehrhafter zu werden. Aus der Jungenforschung ist bekannt, dass Jungen sich durch andere Jungen bedroht fühlen (z.B. Winter/Neubauer 1998). Von Dragon Ball Z gewinnen sie innere Bilder voller Stärke und Härte, fühlen sich gewappneter gegen diese Bedrohung. Die Stärke beruht dabei eindeutig auf Aggressionsbereitschaft, das Auseinandersetzungsmittel ist der körperliche Kampf. Damit werden sie selbst wiederum zur potenziellen Bedrohung für andere - ein Zusammenhang, den die Kinder und Pre-Teens selber nicht mehr erkennen.

Dragon Ball Z trifft ein häufig auftretendes Thema von Jungen, hilft bei der individuellen Lebensbewältigung, verschärft jedoch zusätzlich die Grundproblematik: Aggressionsbereitschaft - ein Zusammenhang, der aus pädagogischer Perspektive ohne Frage problematisch ist.
Eine öffentliche Diskussion über das Format hat in der Presse bisher so gut wie nicht stattgefunden. Die wenigen Artikel, die das Wort Dragon Ball Z enthalten, beschäftigen sich eher mit dem Thema Manga bzw. Anime allgemein. Der Hintergrund ist vermutlich die fehlende Wahrnehmung und dass es sich bei der Sendung offiziell um keine Kinderserie handelt. Eine differenzierte öffentliche Diskussion, die zum einen Jungen, ihre Ängste und ihre Suche nach Orientierung ernst nimmt und zum anderen gleichzeitig auf Problembereiche aufmerksam macht, wäre hier für alle Beteiligten hilfreich.

Zusammenfassend: Der Gebrauchswert von Kinderfernsehen und die damit verbundenen Probleme

Kinderfernsehen hat aus verschiedenen Perspektiven unterschiedliche Bedeutungen. Für Erwachsene ist Kinderfernsehen zunächst etwas, was Kindheit symbolisiert, verbunden mit den entsprechenden Hoffnungen, Wünschen und einer Prise Nostalgie. Problembereiche liegen dort, wo die eigenen Vorstellungen die Wahrnehmung und angemessene Einschätzung der Phänomene verhindern. Für Kinder ist Kinderfernsehen Unterhaltung, Spiegelung eigener Erfahrung, Orientierungspunkt, Kommunikationsanlass in der Peer-Group oder auch Strukturierungspunkt im Alltag. Typische Problembereiche finden sich zum Beispiel in der Überforderung durch Inhalte wie Gewalt und Action (GZSZ) oder einseitig und in problematischen Orientierungspunkten (Dragon Ball Z). Es sind aber auch fehlende Kompetenzen und Erfahrungen, z.B. im Umgang mit den Trends des Marktes (Pokémon/Digimon) (vgl. Grafik 2)

Grafik 2: Alltagsgebrauchswelt von Fernsehen

Eltern obliegt die Aufgabe der Vermittlung eben dieser Kompetenzen. Im konkreten Alltag bedeutet dies die immer wiederkehrende Auseinandersetzungen über Fernsehen und den Kauf attraktiver Licensing-Produkte. Der pädagogische Auftrag stellt hohe Anforderungen an Konfliktbereitschaft und Kompetenzen. Gerade bei neuen Formaten ist es für Eltern oft schwer nachzuvollziehen, wie Kinder diese im Alltag nutzen. Unverständnis oder Missverständnisse können so schnell zum alltäglichen "verlorenen" Kampf führen. Familienprogramme scheinen hier ein alltagstauglicher Ausweg, mit dem Eltern auf ihre eigenen Interessen, ihr pädagogisches Anliegen, aber auch auf die Wünsche der Kinder eingehen. Die Angebote erfüllen diese Anforderungen jedoch nicht immer. Die Presse - in ihrem Anliegen der öffentlichen Meinungsbildung - leistet auf ihre Weise Aufklärung. Sie greift vorhandene Trends auf und verstärkt sie (wie bei der Sendung mit der Maus). Sie positioniert sich gegen Trends, ganz im Sinne vieler Erwachsener (Pokémon). Dabei gelingt die Wahrnehmung aktueller Trends und ihrer Problemlagen nicht immer (Dragon Ball Z). Einfache Argumentationsmuster, die an der Realität und dem Forschungsstand vorbeigehen, finden sich mittlerweile erfreulicherweise kaum noch. Die vermehrte Berichterstattung aufgrund von Studien ist hier sicherlich ein richtiger und wichtiger Schritt. Das Agenda-Setting (und damit die verkaufbaren Artikel) im Bereich "Kinder und Fernsehen" ist derzeit jedoch immer noch etwas träge und die Distanz zur Kinderkultur zu groß. Hier gilt es, von Seiten der MedienpädagogInnen und MedienwissenschaftlerInnen einen aktuellen Informationsfluss zu schaffen.
Ziel aller Beteiligten muss es sein, die Komplexität des Themas zu erkennen, den Gebrauchswert im Alltag zu akzeptieren und zu verstehen - ohne dabei die pädagogischen Problembereiche zu übersehen.

ANMERKUNGEN

1) Jeweils Kinder 3- bis 13 Jahre. Quelle: AGF/GfK PC#TV - RTL2 Medienforschung, 1. Halbjahr 2001.

2) Aus der Befragung der Pressestellen im Projekt "Kinder- und Jugendfernsehen zwischen Markt, Öffentlichkeit und Alltag". Hier Interview mit der Agentur PlanPunkt. Der Forschungsbericht ist unter www.izi.de abrufbar.

3) Sehbeteiligung durchschnittlich 540.000 3- bis 13-Jährige bei 122 Sendungen im ersten Halbjahr 2002 (Quelle: AGF-GfK PC#TV; IP-Deutschland

4) Zum Sendestart gab es in den 75 überregionalen Zeitungen und Magazinen 1999 insgesamt 4 Artikel, die vor allem auf die Erfahrungen aus Japan verwiesen. Die eigentliche öffentliche Diskussion um Pokémon setzte erst 9 Monate nach dem Start der Sendung ein.

5) Bundesweit verteilt erhoben, Face-to-face-Interviews mit offenen Fragen und Erzählanlässen; ausgewertet in Annäherung an die Grounded Theory, computergestützt mit WinMax.

LITERATUR
  • Aufenanger, Stefan; Lampert, Claudia; Vockerodt, Yvonne: Lustige Gewalt? Zum Verwechslungsrisiko realer und inszenierter Fernsehgewalt bei Kindern durch humoreske Programmkontexte. München: R. Fischer 1996, 203 S.

  • Bachmair, Ben: Fernsehkultur - Subjektivität in einer Welt bewegter Bilder. Opladen: Westdeutscher Verlag 1996. 357 S.

  • Dreier, Hardy: Pokémon: changing the rules of the games. In: The SIS Youth Monitor,
    -/2001/5, S. 8-12.

  • Götz; Maya: Kinder und Familienfernsehen aus der Sicht der Eltern. In: TelevIZIon, 14/2001/1, S. 41-48.

  • Götz, Maya (Hrsg.): "Alles Seifenblasen? Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen". München: KoPäd 2002, 396 S.

  • Götz; Maya; Ensinger, Carolina: Faszination Dragon Ball (Z): Zwischen starken inneren Bildern und Aggressionsbereitschaft. Eine qualitative Studie zur Bedeutung von Dragon Ball Z für Kinder und Pre-Teens. Zusammenfassung der Ergebnisse: www.izi.de München: IZI 2002.

  • Götz, Maya; Lemish, Dafna; Aidman, Amy; Moon, Hyesung: Kinderfantasien und Fernsehen im mehrnationalen Vergleich. In: TelevIZIon, 15/2002/1, S. 24-36.

  • Hofmann, Ole: Sehen Familien anders fern? In: TelevIZIon, 14/2001/1 S. 36-41.

  • Lemish, Dafna; Bloch, Linda-Renée: Pokémon: How Israeli children catch'em. In: Tobin, Joseph (Hrsg.): Pikachu's global adventures: Making sense of the rise and fall of Pokémon. Durham, N.C.: Duke University Press. (im Druck)

  • Tilemann, Friederike: "(...) da scheiden sich welche, da lieben sich welche, da machen sie Kinder." Ramona (10 Jahre, Fall 395) Pädagogische Überlegungen zur Soap-Rezeption von 6-bis 10-Jährigen. In: Götz, Maya (Hrsg.): "Alles Seifenblasen? Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen". München: KoPäd 2002, S. 345-364.

  • Tobin, Joseph (Hrsg.): Pikachu's global adventures: Making sense of the rise and fall of Pokémon. Durham, N.C.: Duke University Press. (im Druck)

  • Vocke, Eva: "Wir reden immer über die spannenden Storys meiner Lieblingssoap, über alles, was so passiert" - Folgekommunikation und interaktive Funktion der Soaps. In: Götz, Maya (Hrsg.): "Alles Seifenblasen? Die Bedeutung von Daily Soaps im Alltag von Kindern und Jugendlichen". München: KoPäd 2002, S. 89-97.

  • Wagner, Ulrike; Bollig, Sebastian: Pokémon im Medienmenü von Kindern. Ergebnisse einer standardisierten Befragung österreichischer Kinder. In: Medien Journal, 26/2002/1 (Pokémon in Österreich), S. 20-33.

  • Winter, Reinhard; Neubauer, Gunther: Kompetent, authentisch und normal? Aufklärungsrelevante Gesundheitsprobleme, Sexualaufklärung und Beratung von Jungen. Eine qualitative Studie im Auftrag der BzgA. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) - Abteilung Sexualaufklärung, Verhütung und Familienplanung (Hrsg.). Köln: BzgA 1998. (BzgA-Fachheftreihe. 14)

DIE AUTORIN
Maya Götz, Dr. phil., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Internationalen Zentralinstitut für
das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI), München.

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für das Jugend-
und Bildungsfernsehen
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