Text als PDF, 160 KB |
Margret Albers
Kinderfilm
ohne (Markt-)Chancen?
Kinderfilme haben Marktchancen,
und mehrere deutsche Produktionen wurden zu "Besuchermillionären".
Die Qualitätsförderung muss jedoch unbedingt weiter vorangetrieben
werden.
Fakten, Fakten, Fakten
Mit etwa 10 Millionen unter 12-Jährigen
sind Kinder gemessen an der Gesamtbevölkerung von 82 Millionen
eine verhältnismäßig kleine Zielgruppe, die jedoch
seit geraumer Zeit hierzulande verstärkt von der Filmbranche
wahrgenommen wird. Dies steht sicherlich nicht zuletzt in Zusammenhang
mit dem Erfolg von Kinderfilmen aus deutscher Produktion (s. Tab.1).
Tabelle 1
Besucher
der erfolgreichsten uraufgeführten
deutschen Kinderfilme (1999 bis 2001)
|
1999 |
|
|
Pünktchen und Anton
Käpt'n Blaubär
Tobias Totz
|
|
1,716 Mio.
0,633 Mio.
0,508 Mio.
|
2000 |
|
|
Der kleine Vampir
Käpt'n Blaubär
Pippi Langstrumpf i.d. Südsee
|
|
0,764 Mio.
0,732 Mio.
0,569 Mio.
|
2001 |
|
|
Der kleine Eisbär
Emil und die Detektive
Das Sams
Pettersson und Findus
Hilfe, ich bin ein Fisch |
|
2,415 Mio.
1,620 Mio.
1,541 Mio.
1,095 Mio.
0,742 Mio. |
|
(Quelle: FFA Info Nr. 1/2)
Zum Vergleich seien einige amerikanische
Produktionen genannt, die 2001 an den Start gingen: Shrek - der
tollkühne Held (3,5 Mio.), Ein Königreich für ein
Lama (2,7 Mio.), 102 Dalmatiner (2 Mio.), Pokémon 2 - Die
Macht des Einzelnen (1,8 Mio.).
Die Zahlen zeigen, dass im allgemeinen Kinoboom des Jahres 2001
(Der Schuh des Manitu lässt grüßen...) der deutsche
Kinderfilm eine ausgezeichnete Figur gemacht hat: Unter den 83 uraufgeführten
deutschen oder koproduzierten Spielfilmen waren 11 Kinderfilme;
von den 83 Titeln waren 9 "Besuchermillionäre" und
darunter sind wiederum vier Kinderfilme.
Wie viele Kinder unter den 7,4 Mio. Besuchern der gelisteten fünf
Titel waren und wie viele (zum größten Teil vermutlich
begleitende) Erwachsene, lässt sich leider nicht bestimmen,
denn diese Zahlen werden nicht erfasst.
Bestseller und alte Bekannte
Betrachtet man die Entwicklung der letzten
drei Jahre, so ist man versucht, vom "Pünktchen und Anton-Effekt"
zu sprechen, denn die moderne Adaption des Erich-Kästner-Klassikers
führte den deutschen Kinderfilm in Besucherregionen, die vordem
amerikanischen Streifen und sehr langlebigen Titeln vorbehalten
waren (Alfons Zitterbacke/DDR 1966 oder Hänsel und Gretel/BRD
1954 - beide erzielten mittlerweile weit über 2 Mio. Zuschauer).
Der Film steht am Anfang einer Reihe von zum Teil sehr aufwändig
produzierten Adaptionen von Stoffen, die Kindern wie Eltern bereits
durch Bücher (Kästner), Fernsehen (Käpt'n Blaubär)
oder beidem (Pettersson und Findus, Der kleine Eisbär) vertraut
sind.
Ein Ende des Trends zur Adaption ist (noch) nicht in Sicht, denn
in Bälde kommen die Realverfilmungen von Bibi Blocksberg, Neues
von Pettersson und Findus sowie Das fliegende Klassenzimmer in die
Kinos.
Erhöhte Aufmerksamkeit
Anteil am Erfolg hat zweifellos auch die
wachsende Sensibilität für Kinderfilme seitens der Filmförderer,
die sich in den letzten Jahren an folgenden Beispielen festmachen
lässt:
- Die Länderfördereinrichtungen
von Bayern, Baden-Württemberg, Berlin-Brandenburg, Hamburg,
Mitteldeutschland und Nordrhein Westfalen, die kulturellen Filmförderer
der Länder, vertreten durch das Filmbüro NW, haben sich
im Auswahlgremium des Kuratoriums junger deutscher Film zu einer
Allianz zusammengeschlossen, um die Förderung des Kinderfilms
vom frühestmöglichen Stadium an zu begleiten.
- Die Produktionsförderung C (Kinder-
und Jugendfilm) des BKM (der Beauftragte der Bundesregierung für
Angelegenheiten der Kultur und der Medien) hat mit dem Kuratorium
junger deutscher Film eine Zusammenarbeit vereinbart und Kooperationsabkommen
abgeschlossen.
- Die FFA (Filmförderungsanstalt) gewährt
Referenzfilmförderung bereits bei 25.000 Besuchern in vier
Jahren.
- Seit 2000 verleiht der Bund einen Deutschen
Filmpreis in der Kategorie Kinder- und Jugendfilm
- Länderfördereinrichtungen wie
beispielsweise MDM (Mitteldeutsche Medienförderung) oder
FFF (FilmFernsehFonds Bayern) fördern Kinderfilme in besonderem
Maße.
Die Beispiele zeigen, dass speziell in
puncto Produktionsförderung Verbesserungen zu verzeichnen sind.
Darüber hinaus achtet man seit geraumer Zeit verstärkt auf
die Förderung der Stoffentwicklung. Beispielhaft können
hier die Sommer- und die Winterakademie des Fördervereins Deutscher
Kinderfilm e.V. genannt werden.
Im Rahmen von mehreren Workshops werden talentierte Autoren bei der
Stoffentwicklung von Kinderfilmen unterstützt. Basis der inhaltlich
aufeinander aufbauenden Kursteile ist eine projektbezogene dramaturgische
Beratung, die im Rahmen kleiner Arbeitsgruppen sowie individuell erfolgt.
Darüber hinaus werden in Blockseminaren weitere Bereiche (u.a.
Kindheitsforschung/Zuschauerforschung; Pitching) gesondert aufgegriffen.
Die Zwischenbilanz der bisher durchgeführten vier Akademien ist
überaus erfolgreich:
- 36 Stoffe wurden weiterentwickelt
- 12 Stoffe wurden optioniert und 5 erhielten
bereits eine Drehbuchförderung
- 3 Stoffe stehen in Verhandlungen für
Optionsverträge
- 2 Stoffe gehen voraussichtlich in diesem
Jahr in Produktion
Damit wird deutlich, dass es sich bei den
Akademien um ein Angebot handelt, das eine Lücke besetzt und
binnen kürzester Zeit eine große Akzeptanz innerhalb
der Branche erreichen konnte.
Ein weiteres Indiz für eine erhöhte Aufmerksamkeit und
Akzeptanz war die große Präsenz des Genres bei der diesjährigen
Verleihung des Deutschen Filmpreises: Das Sams gewann nicht
nur den Preis "Kinder- und Jugendfilm", sondern konnte
Nominierungen für den "Besten Hauptdarsteller" sowie
die "Beste Nebendarstellerin" verzeichnen, und Eva
Mattes gewann die Auszeichnung in der letztgenannten Kategorie.
Des Weiteren fand in der Begrüßung des Bundeskanzlers
Gerhard Schröder die Notwendigkeit guter Kinderfilme Beachtung.
Abgesehen von Galaveranstaltungen beginnt der Kinderfilm an einem
weiteren Ort präsent zu werden, an dem er zuvor wenig Beachtung
fand: in der Schule.
Als Beispiel sei hier die Schul-Film-Woche "Lernort Kino"
genannt. Ziel des Projekts des in Köln ansässigen Instituts
für Kino und Film ist es, die Medienkompetenz der Schüler
im Bereich Film zu stärken. Dabei gilt die Prämisse, dass
das Verstehen von Filmen heutzutage -wie Lesen und Schreiben - zu
den modernen Kulturtechniken gehört. Angeboten werden Repertoirefilme
und aktuelle Produktionen in vier Kategorien: themenbezogene Filme,
Literaturverfilmungen, Filme in Originalsprache und große
deutsche Filmklassiker - wobei es sich freilich nicht ausschließlich
um Kinderfilme handelt.
Zu den angebotenen Titeln wird den Lehrern ein Filmheft zur Vor-
und Nachbereitung des Films im Unterricht angeboten.
Die erste Schul-Film-Woche fand vom 4. bis 8. März 2002 in
Nordrhein-Westfalen statt: 91.000 Schüler aller Schularten
und Klassenstufen besuchten an 127 Orten ausgewählte Filme.
Auch hier zeigt sich, dass ein Bedarf - also in gewisser Weise auch
ein Markt - vorhanden ist. Weitere Schul-Film-Wochen werden im September
2002 im Saarland, in Sachsen-Anhalt und Thüringen durchgeführt.
Probleme
Muss man sich also um Kinderfilme und
ihre (Markt-)Chancen keine Sorgen machen und kann sich zufrieden
zurücklehnen? Mit Sicherheit nicht.
Eines der wesentlichen Probleme wird deutlich, wenn man sich ansieht,
wie Kinderfilme im Kino abschneiden, die in den letzten Jahren weniger
als 700.000 Besucher zu verzeichnen hatten: Diese Titel hatten in
der Regel zwischen 5.000 und 50.000 Besucher erreicht. Offenbar
gilt die Regel "Top oder Flop" - es fehlt das Mittelfeld.
Dass nicht mangelnde Qualität für dieses schlechte Abschneiden
verantwortlich ist, zeigen Titel wie Der Mistkerl oder Pauls
Reise. Beide Filme kamen auf Festivals bei Kindern gut an und
wurden auch in der Kritik gut bewertet; dennoch haben sie jeweils
weniger als 20.000 Besucher ins Kino locken können.
Eine der Hauptursachen für den kommerziellen Misserfolg von
Titeln wie diesen ist die Tatsache, dass weder Kinder noch ihre
Eltern von der Existenz der Filme wissen und sich somit auch nicht
veranlasst sehen, ins Kino zu gehen. Sobald es sich nicht um einen
bekannten Stoff handelt, werden sich insbesondere mittelständische
und kleine Verleiher scheuen bzw. gar nicht in der Lage sein, einen
Film mit einer großen Kopienzahl (z.B. startete die Constantin
Emil und die Detektive mit 450 Kopien) und einem entsprechenden
Marketing auf die Leinwände zu bringen. Die Herausbringungskosten
für Spielfilme sind in den letzten Jahren durch den höheren
Wettbewerb um etwa 200% gestiegen. Vor diesem Hintergrund verwundert
es nicht, dass eine Reihe von Filmen aus europäischer Produktion
zwar Festivalpreise hortet, aber nicht oder erst mit Jahren Verspätung
in den Verleih gelangt, um dann mit wenigen Kopien (20-50) wie geringem
Werbeaufwand gestartet zu werden und in der Folge nur wenige Zuschauer
zu erreichen.
Man darf sich freilich nicht der Illusion hingeben, dass jeder Kinderfilm,
sofern er nur mit vielen Kopien und großem Marketingaufwand
ausgestattet wird, das Zeug zum Besuchermillionär hat. Abgesehen
davon, dass nicht jeder Titel gut ist, ist der Markt begrenzt, und
die Zielgruppe wird angesichts der demografischen Entwicklung stets
kleiner.
Wichtig ist jedoch, sich intensiv um das derzeit quasi nicht vorhandene
"Mittelfeld" (bis ca. 500.000 Besucher), das auch stets
für Überraschungen gut ist, zu kümmern, um das allmählich
im öffentlichen Bewusstsein Halt findende Genre Kinderfilm
nicht gleichbedeutend werden zu lassen mit der Verfilmung von hierzulande
Etabliertem und Animation à la Disney.
Das Spektrum des Genres, das nach seiner Zielgruppe benannt wird
(gibt es den Rentnerfilm?) ist wesentlich breiter: seien es nun
Produktionen wie Pauls Reise, Der Mistkerl oder die
gegen den Strich gebürstete Verfilmung von Die grüne
Wolke; Adaptionen von Bestsellern aus dem europäischen
Ausland wie Tsatsiki - Tintenfische und erste Küsse aus
Schweden oder Die geheimnisvolle Minusch aus den Niederlanden
(ein Film, der in seiner Heimat knapp 1 Mio. Besucher erzielte und
in Deutschland seit 8. August 2002 mit 80 Kopien recht verhalten
läuft); Musicals wie Mirakel aus Dänemark, Dramen
wie die norwegisch/schwedische Koproduktion Einschnitte oder
Das Bekenntnis des Taliesin Jones aus Irland, oder große
Abenteuerfilme wie die skandinavischen Koproduktionen Das Auge
des Adlers oder Ikingut.
Insgesamt ist es notwendig, die Bandbreite des Genres von Arthouse
bis Blockbuster öffentlicher zu machen. Hierzu sind Marketingstrategien
zu entwickeln, die - geringeren Budgets entsprechend - kostengünstig
Originalstoffen und Adaptionen von hierzulande weniger bekannten
Büchern zu einer höheren Bekanntheit bei der Zielgruppe
(hier sind Eltern und Kinder gemeint) verhelfen. Es ist mehr Einfallsreichtum
bei der Auswertung von Filmen für die junge Zielgruppe im Kino
wie im HomeVideo- bzw. DVD-Bereich gefragt - Ideen, die z.B. Kindergärten,
Schulen und Vereine berücksichtigen, die die starre Auswertungskette
hinterfragen, die Möglichkeit langer Auswertungszeiten beachten
und auch das Kinderprogramm im Fernsehen (eine Kinosendung für
Kinder?) einbeziehen.
Es gilt, den Arthouse-Bereich zu stärken, der wiederum Impulsgeber
für künftige Blockbuster ist. Dies ist überlebenswichtig
für die Entwicklung einer kontinuierlichen Kinderfilmkultur,
denn irgendwann ist der Fundus an Bestsellern erschöpft...
DIE AUTORIN
Margret Albers, Dipl.-Medienwissenschaftlerin,
ist Geschäftsführerin der
Stiftung GOLDENER SPATZ in Erfurt.
INFORMATIONEN
Internationales
Zentralinstitut
für das Jugend-
und Bildungsfernsehen
IZI
Tel.: 089 - 59 00 21 40
Fax.: 089 - 59 00 23 79
eMail: izi@brnet.de
internet: www.izi.de
COPYRIGHT
© Internationales Zentralinstitut
für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) 2000
Nachdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur
mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers!
zum Seitenanfang
|