Bayern 2 - Nachtstudio


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Alles Theater (4/4) Was tun! Das Real-Theater des Milo Rau

Milo Rau macht Theater. Doch er inszeniert nicht Shakespeares Konflikte, sondern den Völkermord in Ruanda oder den Tod der Ceausescus. Sein Interesse gilt der Wirklichkeit, auf die Bühne gebracht in persönlichen Geschichten.

Von: Christoph Leibold

Stand: 19.07.2017 | Archiv

Was tun!: Das Real-Theater des Milo Rau

Sein Projekt mit dem Titel "The Dark Ages" hatte am 11. April 2015 am Münchner Residenztheater Premiere. Das Stück ist der zweite Teil der Europa-Trilogie des Schweizer Theatermachers Milo Rau. Aus den Erinnerungs-Fragmenten seiner Protagonisten puzzelt er das Bild eines vielfach gebrochenen Kontinents zusammen. Lag der Fokus im ersten Teil "Civil Wars", uraufgeführt in Zürich, auf Westeuropa, richtet sich der Blick in "The Dark Ages" nun vor allem auf die jüngere Geschichte des Balkans.

Der Lauf der Welt im individuellen Lebenslauf

"Die letzten Tage der Ceausescus", Berliner HAU, 2009

Rau arbeitet exemplarisch. Ihm geht es darum, den Lauf der Welt anhand von individuellen Lebensläufen sichtbar zu machen. Zu zeigen, wie sich historische Umbrüche in den biografischen Brüchen einzelner Menschen niederschlagen, und welche allgemeinmenschliche Verhaltensmuster sich daran ablesen lassen. Dieses Erkenntnisinteresse liegt allen Theaterarbeiten von Milo Rau zu Grunde, ob er sich nun wie in "Die letzten Tage der Ceausescus" mit der rumänischen Revolution befasst oder in der Produktion "Hate Radio" mit dem Völkermord in Ruanda. Vor acht Jahren hat Milo Rau daher das International Institute of Political Murder gegründet, kurz IIPM.

"Hate Radio" - Genozid in Ruanda

Einem breiten Publikum bekannt wurde Milo Rau, als seine Produktion "Hate Radio" 2012 zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. "Hate Radio" erzählt vom Völkermord im afrikanischen Ruanda 1994, als Angehörige der Hutu-Mehrheit binnen drei Monaten Dreiviertel der Tutsi-Minderheit töteten. Bis zu eine Million Menschen, so Schätzungen, kamen damals ums Leben. Milo Rau versucht sich aber nicht an einer Bebilderung von Mord und Massakern in Spielszenen. Angesichts der Gräuel des Genozids würde das ohnehin nur verharmlosend und peinlich wirken. "Hate Radio" zeigt stattdessen eine Sendestunde aus dem Programm des Propaganda-Senders RTLM, der in den 1990er Jahren die populärste Hörfunkstation in Ruanda war. Das Bühnenbild: ein gläsernes Studio mit vier gut gelaunten Moderatoren, die angesagte Popmusik auflegen und zwischendurch Hutu-Hörer zum Abschlachten ihrer Tutsi-Nachbarn anstiften, die sie als Kakerlaken diffamieren.

Die Kunst des Reenactments

Als Reenactment bezeichnet Milo Rau "Hate Radio". Eine Theaterform, die mehr meint als das bloße Nachspielen der Realität im Maßstab eins zu eins, wie es der Titel nahelegen mag. Die Sätze, die die afrikanischen Schauspieler als Moderatoren in „Hate Radio“ in ihre Mikrophone sprechen, sind 1994 tatsächlich so über den Sender gegangen. Aber Milo Rau hat sie aus vielen verschiedenen Sendestunden zusammengesucht. Hat verdichtet, kollagiert und die Kollage am Ende mit Musik aus der eigenen Erinnerung an die 90er Jahre abgemischt.

Was tun!

Provozierend: Proben zu "Breiviks Erklärung" in Weimar 2012

Was kann das Theater tun? Und zu welchen Taten kann es den einzelnen anstiften? Für Milo Rau ist das auch eine ganz persönliche Frage: Inwieweit sein privates Handeln seinen Regietaten gerecht wird? Was tun! bedeutet für ihn auch: sein Möglichstes zu tun. Die Theaterarbeit ist Milo Raus Weg, nicht tatenlos zuzusehen, wie die Welt in Gewalt versinkt.

Milo Rau

Milo Rau wurde 1977 in Bern geboren. Er hat Soziologie, Germanistik und Romanistik studiert. In Paris, Zürich, Berlin. Danach arbeitete er zunächst für die Neue Zürcher Zeitung, unternahm Recherchereisen nach Mexiko und Kuba. Erst dann kam die Theaterarbeit. Seither inszeniert Milo Rau in aller Welt.


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