Gelbe Feuerqualle im Arktischen Ozean.
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Laut neuesten Untersuchungen wird sich die Feuerqualle in den nächsten Jahrzehnten im Arktischen Ozean besonders ausbreiten – mit fatalen Folgen.

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Quallen könnten den Arktischen Ozean schon bald dominieren

Quallen sind einer der wenigen Gewinner des Klimawandels. Das zeigt eine neue Studie des Alfred-Wegener-Instituts. Nur: Ihre Ausbreitung im Arktischen Ozean hätte fatale Folgen für das marine Nahrungsnetz und die dortigen Fischbestände.

Über dieses Thema berichtet: Die Welt am Abend am .

Für die meisten Meeresorganismen ist der Klimawandel eine Bedrohung. Nicht so für viele Quallenarten. Sie profitieren in allen Weltmeeren von den steigenden Wassertemperaturen. Eine neue Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zeigt nun, dass die Nesseltiere sich besonders im Arktischen Ozean ausbreiten könnten.

Laut der Untersuchung des Instituts kann insbesondere die "Feuerqualle" ihren Lebensraum massiv polwärts ausdehnen. Bis in die Hälfte des laufenden Jahrhunderts könnte allein diese Quallenart ihr Habitat verdreifachen, schreiben die Studienautoren. Das hätte "potenziell dramatische Folgen für das marine Nahrungsnetz und die arktischen Fischbestände", heißt es in der jetzt veröffentlichten Pressemitteilung zur Studie [externer Link]. Ob dies auch für südlichere Regionen, wie zum Beispiel dem Mittelmeer, gilt, dazu will sich Charlotte Havermans, die die Studie betreut hat, im BR-Interview nicht eindeutig festlegen.

Von acht Quallenarten profitieren sieben

Für ihre Untersuchung setzten die Forscher um Dmitrii Pantiukhin in einem Computermodell acht weit verbreitete arktische Quallenarten steigenden Temperaturen aus. Ihr Ergebnis: Von den acht untersuchten transparenten Nesseltieren profitieren sieben von den steigenden Wassertemperaturen und breiten sich bis in die Hälfte des zweiten laufenden Jahrhunderts, also im Zeitraum von 2050 bis 2099, polwärts massiv aus. Die Meerestiere profitieren dabei laut den Forschern auch vom weiteren Rückgang der Meereisbedeckung.

Das AWI-Forscher-Team hat für die Berechnung der Ausbreitung in einem Computermodell, bei dem auch die Wassertiefe berücksichtigt wurde, den Vergleichszeitraum von 1950 bis 2014 mit "weiterhin mittleren bis hohen Treibhausgasemission zugrunde gelegt." In Zahlen konnten sie so folgende Veränderungen feststellen: Bei den untersuchten Melonenquallen (Beroe sp.) lag der Zuwachs bei 110 Prozent, bei den Pelagischen Seescheiden (Oikopleura vanhoeffeni) noch bei 102 Prozent und die als "Feuerqualle" bekannte Gelbe Haarqualle (Cyanea capillata) breitete sich im Computermodell gar um 180 Prozent aus. Lediglich eine untersuchte Art, die Qualle namens "Sminthea arctica" breitet sich demnach nicht aus. Ihr Bestand geht nach den Berechnungen der Forscher aufgrund der höheren Wassertemperaturen sogar um 15 Prozent zurück.

Die Quallenausbreitung und die fatalen Folgen für die Weltmeere

Die Ausbreitung zahlreicher Quallenarten könnte laut Wissenschaftlern in den Weltmeeren "weg von einem produktiven und von Fischen dominierten Nahrungsnetz hin zu einem weniger produktiven Meer voller Quallen führen". Forschende sprechen deshalb auch schon von einer drohenden "Ocean jellification", also einer globalen "Verquallung" der Ozeane.

Die Ausbreitung der meisten Quallenarten ist für die Weltmeere deshalb so dramatisch, weil Quallen im marinen Nahrungsnetz eine wichtige Rolle spielten, erklärt Dmitrii Pantiukhin, Doktorand in der auf arktische Quallen spezialisierten Nachwuchsgruppe ARJEL ("Arctic Jellies") am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). "Übt nun etwa der Klimawandel Stress auf die Meeresbewohner aus, können sich die Nesseltiere oft gegen Nahrungskonkurrenten wie Fische durchsetzen. Das hat dann wiederum Folgen für das ganze Nahrungsnetz und letztlich auch die Fische selbst", erläutert der Wissenschaftler, der Erstautor der Studie ist.

Denn viele Quallen ernährten sich von Fischlarven und Eiern und verzögerten oder verhinderten so eine Erholung von unter Druck geratenen Fischpopulationen, die zudem oftmals auch noch durch den Menschen stark bewirtschaftet würden, sagt Pantiukhin. "Wer also wissen will, wie sich die auch für uns wichtige Nahrungsquelle Fisch in Zukunft entwickeln wird, muss die Quallen in den Blick nehmen", mahnt der Forscher.

Quallenausbreitung - warum der Arktische Ozean dafür besonders relevant ist

Für die Analyse der Quallenausbreitung ist der Blick in den hohen Norden für Wissenschaftler besonders wichtig. Zum einen deshalb, weil sich der Arktische Ozean von allen Weltmeeren am schnellsten erwärmt und damit eine Art Klimawandel-Hotspot ist. "Außerdem steht die Arktis für rund zehn Prozent der globalen Fischereierträge", erklärt der AWI-Forscher Pantiukhin. Der hohe Norden sei deshalb ein idealer Ort für die Untersuchungen, führt Pantiukhin aus.

Die Studie liefere eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen auf diesem Gebiet, betont auch Charlotte Havermans, Leiterin der Nachwuchsgruppe ARJEL am AWI. So müssten auch Management-Pläne im Fischereibereich "diese dynamische Entwicklung dringend berücksichtigen, wenn sie den Zusammenbruch stark befischter Bestände künftig vermeiden und diese nachhaltig bewirtschaften wollen". So wird die Forscherin in der Pressemitteilung zur Studie zitiert.

Zählen die Studienergebnisse auch für südlichere Regionen?

Ob die Studienergebnisse auf südlichere Regionen wie dem Mittelmeer übertragbar sind, dazu will sich die Wissenschaftlerin Havermans nicht eindeutig festlegen. Weil es in der Natur schwierig sei, Quallen "zu quantifizieren", also ihre genaue Anzahl in den Meeren festzustellen, sei es auch schwierig, an ihnen zu forschen, sagt sie im BR-Interview.

Für das Mittelmeer gibt es ihrer Ansicht nach keinen "längeren Datensatz", der die Ausbreitung von Quallen beweisen könne. Am Strand würde man aber immer mehr der Nesseltiere sehen und Menschen würden über deren Ausbreitung vermehrt berichten, sagt Havermans. Dass die Ausbreitung der Quallen in der Arktis auch in der Realität so stattfinden wird, wie von den AWI-Forschern in ihrer Studie dargelegt, davon ist die Wissenschaftlerin allerdings überzeugt, betont sie im Gespräch mit dem BR.

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