Ein Mitarbeiter des Autozulieferers MT Technologies arbeitet an einer Maschine.
Bildrechte: Louis Sulejmanovic / BR

Beim Autozulieferer MT Technologies stehen viele Mitarbeiter kurz vor der Rente, während der Nachwuchs fehlt. Arbeitskräftelücken entstehen.

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Wo in Bayern die meisten Arbeitskräfte fehlen werden

Alte gehen, Junge fehlen: Die Lücken auf dem bayerischen Arbeitsmarkt werden sich bis 2035 vergrößern. Wie stark der Fachkräftemangel in den einzelnen Städten und Landkreisen sein wird, zeigen die Daten einer neuen Studie.

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15 Millionen Euro hat Geschäftsführer Michael Mißlbeck in neue Maschinen beim Autozulieferer MT Technologies investiert. Die Ingolstädter Firma kann die Autoteile für Audi oder BMW nun voll digitalisiert via Touchscreen konstruieren. Doch während die Maschinenflotte durch digitales und handwerkliches Geschick besticht, strauchelt die Mitarbeiterflotte.

Alte gehen in Rente, Junge meiden das Handwerk

Dem Chef fehlen Werkzeugmechaniker, die die neuen Maschinen bedienen können. "Vom Schalthebel zum iPad. Das ist vor allem für die älteren Mitarbeiter herausfordernd." Hinzu kommt, dass viele der älteren Mitarbeiter kurz vor der Rente stehen. Noch füllen sie den Bauch des Unternehmens, doch der Chef hungert nach jungen Leuten.

Das Familienunternehmen hat zwar eine Ausbildungsquote von zehn Prozent und beschäftigt etwa 40 Lehrlinge, aber viele würden nach der handwerklichen Ausbildung studieren oder in andere Bereiche wechseln, erklärt Mißlbeck. Die Sorge: Wenn kaum junge Arbeitskräfte nachrücken und ältere in Rente gehen, werden Lücken in der Belegschaft entstehen. Dabei sehen die Prognosen für die Arbeitskräfteentwicklung in Ingolstadt vergleichsweise rosig aus.

Arbeitskräfteangebot geht um rund 400.000 Personen zurück

Das Forschungsunternehmen Prognos hat im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) die Arbeitskräftelücke für das Jahr 2035 berechnet. In der Studie wurde untersucht, wie viele Arbeitskräfte in den Landkreisen und kreisfreien Städten in Bayern fehlen werden. Heraus kam, dass in Bayern sowohl das Angebot als auch die Nachfrage an Arbeitskräften sinken wird. Dabei geht das Angebot aber stärker zurück, wodurch die Arbeitskräftelücken entstehen. Man spricht hier auch von einem negativen Arbeitskräftesaldo. Wie groß die Lücken klaffen werden, hängt von der Region und vom Beruf ab.

Studie zeigt Nord-Süd-Gefälle

Engpässe werden vor allem in den ländlichen Kreisen im Norden Bayerns auftreten, weil die Zahl der erwerbsfähigen Personen dort stark zurückgeht. Im Jahr 2035 könnten beispielsweise im Landkreis Kronach 7.000 Stellen unbesetzt bleiben. Denn das Angebot an Arbeitskräften soll dort laut Studie um knapp 22 Prozent geringer sein als die Nachfrage.

Damit ist der oberfränkische Landkreis am deutlichsten von dem Arbeitskräftemangel betroffen. Weniger düster sieht es in Ballungszentren wie Fürth oder Nürnberg aus – und im Süden. Die Studie zeigt ein Nord-Süd-Gefälle, das auch in der interaktiven Karte unten sichtbar wird.

Grafik: Fehlende Arbeitskräfte in Bayern 2035

Mangel in Reinigungsberufen, Überangebot in der Werbung

In der Studie über die regionalen Arbeitslandschaften wurde auch untersucht, in welchen Berufsgruppen viele Arbeitskräfte fehlen werden. Die größten Mängel könnten in Reinigungsberufen und beim Führen von Fahrzeugen und Transportgeräten auftreten, aber auch Textil- und Lederberufe, Gebäude- und versorgungstechnische Berufe sowie Schutz-, Sicherheits-, Überwachungsberufe werden Lücken in den Arbeitsmarkt reißen. Ein Überangebot soll es hingegen in Werbung, Marketing und Medienberufen geben, bei Umweltschutzberufen oder in der Land-, Tier- und Forstwirtschaft.

💬 Mitdiskutieren lohnt sich: Die folgende Passage hat die Redaktion aufgrund der Kommentare der Nutzer/innen "Sodenkneturi" und "TrauSchauWem" im Rahmen des BR24 Projekts "Dein Argument" ergänzt.

Das Lohnniveau der gefragten Jobs ist kein ausschlaggebender Faktor für die Nachfrage. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw, stellt klar: Der Fachkräftemangel erstrecke sich - in einer gewissen Schwankungsbreite - über alle Branchen, Regionen und Qualifikationsstufen. Besonders stark seien Fachkräfte mit einer beruflichen Ausbildung nachgefragt, die in der Regel auch mehr verdienen. So wird beispielsweise das Angebot an Mechatronikern 2035 um rund sieben Prozent unter der Nachfrage liegen, im Metallbau um zehn Prozent. "Eine direkte Kausalität zwischen niedrigen Löhnen und Fachkräfteengpässen besteht deshalb keineswegs", so Brossardt. "Entscheidend ist vielmehr, wie stark das Arbeitskräfteangebot in einem Berufsfeld durch die Demografie zurückgeht." 💬

Olaf Scholz: Kampf gegen Fachkräftemangel ist jahrzehntelange Aufgabe

Das scheint auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) so zu sehen. Er sieht in der Bekämpfung des Fachkräftemangels in Deutschland eine voraussichtlich jahrzehntelange Aufgabe. Deutschland habe "jetzt 10, 20, vielleicht sogar 30 Jahre" vor sich, in denen über Aus- und Weiterbildung alle Potenziale in der Bevölkerung ausgeschöpft werden müssten, sagte Scholz beim Besuch eines Mittelstandsunternehmens im thüringischen Waltershausen. Es müssten "wirklich alle Möglichkeiten, die wir hierzulande haben, genutzt werden".

Gleichzeitig sei Deutschland darauf angewiesen, Fachkräfte "aus anderen Ländern hierherzulocken", sagte Scholz weiter. "Das ist lösbar und wir haben die Gesetze dazu gemacht." Er verwies auf das im Juli im Parlament beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Vorgesehen ist darin unter anderem ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild für Bewerber aus dem Ausland und die erleichterte Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse.

Autozulieferer wirbt um ausländische Arbeitskräfte

Wie sieht nun die Zukunft für den Autozulieferer MT Technologies in Ingolstadt aus? 2035 soll die Arbeitskräftelücke im oberbayerischen Ingolstadt 2035 nur etwa drei Prozent betragen. Doch laut Studie wird es zu wenig Werkzeugmacher und Formenbauer geben. Geschäftsführer Michael Mißlbeck schlägt deshalb neue Wege ein.

Er wirbt zum Beispiel Menschen aus Nordafrika an, wo unter anderem der Automobilhersteller BMW Fahrzeuge produziert. Viele Arbeitskräfte von dort würden Sprach- und Fachkenntnisse mit nach Deutschland bringen. Auch in Portugal fischt Mißlbeck nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und lädt sie zum Probearbeiten nach Ingolstadt ein. Oder er verpflichtet Mitarbeiter von Konkurrenten, die insolvent gegangen sind: "Eine einfache Stellenausschreibung reicht eben nicht mehr", resümiert der Chef von MT Technologies, der das Unternehmen in fünfter Generation führt.

Im Video: Besonders in Nordbayern fehlen Fachkräfte

Besonders in ländlichen Gebieten und im Norden Bayerns ist der Fachkräftemangel massiv
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Besonders in ländlichen Gebieten und im Norden Bayerns ist der Fachkräftemangel massiv

Dieser Artikel ist erstmals am 10.08.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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