Ingeborg Bachmann an der Schreibmaschine, Berlin, Mitte der 1960er
Bildrechte: Familienarchiv Bachmann/Heinz Bachmann

Ingeborg Bachmann an der Schreibmaschine, Berlin, Mitte der 1960er

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Ingeborg Bachmann-Ausstellung: "Ich bin es nicht. Ich bin's."

Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann fasziniert. Nun ist eine Ausstellung im Münchner Literaturhaus zu sehen mit Dokumenten, Briefen, Manuskripten und Fotografien aus dem erst im letzten Jahr geöffneten Nachlass - 50 Jahre nach ihrem Tod in Rom.

Über dieses Thema berichtet: Kulturleben am .

"Böhmen liegt am Meer", verheißt am Eingang ein Gedicht in einer großen Leuchttafel. Eine Utopie über die Unbegrenztheit und Freiheit von Wort und Dasein. Man sieht, wie gerungen wurde mit dem Text, handschriftliche Korrekturen, Verschiebungen - Wort-Werdung aus dem Innersten. Es sei wichtig gewesen, Ingeborg Bachmann für sich selbst sprechen zu lassen, sagt Kuratorin Anna Seethaler, "da sie eine der großen Autorinnen ist aus dem 20. Jahrhundert, über die es so viele Zuschreibungen gibt, und deswegen wollten wir vor allem ihr Wort in den Mittelpunkt stellen".

Dem Wort begegnet man in Vitrinen haptisch, auratische Dokumente einer schriftstellerischen Entwicklung, mit Teeflecken und versprungenen Buchstaben der Schreibmaschine. Das G und das K hängen immer oben. Durch Farbfolien an den Fenstern fällt warmes Licht in den Raum des Münchner Literaturhauses; seine Mitte gehört nicht dem Wort, sondern den Bildern, die man sich machte von der Lyrikerin, Hörspielautorin, Mitglied der Gruppe 47, Büchner-Preisträgerin, Briefeschreiberin, Geliebte, Seherin und Stilikone.

Zu sehen ist auch Bachmanns Original-Schreibmaschine

Große Schwarz-Weiß-Fotografien aus den 1950er- bis 1970er-Jahren hängen von der Decke, Schnappschüsse und Porträts dieser eigenwillig interessanten Frau, kokettierend zwischen der öffentlichen Preisgabe der Person und ihrem Verstecken. Dazu der Sound: Schreiben war einmal ein geräuschvolles Zum-Ausdruck-Bringen. In der Ausstellung "Ingeborg Bachmann. Ich bin es nicht. Ich bin's." ist auch Bachmanns Original-Schreibmaschine zu sehen, eine Olympia samt Gebrauchsspuren.

Das Schreiben wird früh dringlich. Bachmann wächst in Kärnten auf, in der Sprachvielfalt der Grenzregion zwischen den Österreichern und den Windischen, wie die Slowenen genannt werden. Der Einmarsch der Nazis 1938 in ihre Geburtsstadt Klagenfurt traumatisiert sie als 12-Jährige. Den Nachhall dieser Gewaltherrschaft hört Ingeborg Bachmann noch lange, sie misstraut der deutschen Sprache und versucht, eine eigene darin zu finden. In Videolesungen kann man ihr dabei zusehen und zuhören.

Ein großes Selbstbewusstsein in den Briefen. Aber die immer wieder prekäre finanzielle Lage, die Mühsal der Veröffentlichung, macht die befreundete Nobelpreisträgerin Nelly Sachs zum Thema. Eine dichte Korrespondenz: Hannah Arendt, Adorno, Enzensberger, Ilse Aichinger. Privates neben Politischem: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar", Bachmanns umstrittenster Satz ist hier im Zusammenhang zu lesen: Kunst müsse, so Bachmann, zuwege bringen, "dass uns die Augen aufgehen".

1973 stirbt Ingeborg Bachmann in Rom

Gleich daneben das Dokument einer quälerischen Liebe des Schweizer Schriftstellers Max Frisch, mit dem Bachmann ab Ende der 50er-Jahre in Rom und Zürich lebte, so die Leiterin des Münchner Literaturhauses Tanja Graf. "Zwei Künstler, zwei Schriftsteller, die das Alleinsein brauchen für ihre Arbeit und das Aufeinandersitzen in derselben Wohnung einfach nicht aushalten. Dieser klassische Konflikt zwischen dem Nicht-Alleinsein wollen, aber nicht Arbeiten-können, wenn man nicht allein ist."

1973 stirbt Ingeborg Bachmann in Rom, tablettensüchtig und an den Folgen eines Brandunfalls, im Alter von nur 47 Jahren. Von den vielen Wohnorten war Italien das Land, von dem sie schrieb: "Ich habe hier leben gelernt." Am Ende geht man vorbei an drei Kleidern, die ebenfalls aus dem Nachlass stammen. Ein elegantes Schwarzes, ein Strandkleid und eine apricotfarbene Cocktailrobe mit großer Schleife. Man sollte den Körper gar nicht vom Werk trennen, sagt Tanja Graf. "Sie war eine der ersten Autorinnen, die, als sie noch als jung war, eine große Medienrelevanz hatte." Ingeborg Bachmann habe schon in den 50er-Jahren vorgemacht, "Medien so einzusetzen, dass ihr Werk zur Geltung kommt".

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