Viele Füße einer Familie in einem Bett.
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Viele Eltern wünschen sich mehr Schlaf.

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Das bisschen Haushalt, Kinder, Job? Warum Eltern erschöpft sind

Ob Spülmaschine, Kinderhobbys oder Arzttermin: Immer mehr Mütter und Väter teilen sich familiäre Aufgaben. Der Druck auf Eltern, vor allem Mütter, ist trotzdem groß. Was das mit Mental Load, Mütterbildern und eigenen Ansprüchen zu tun hat.

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Vor einem Jahr wurde Alexandra alles zu viel. Die Hochschulreferentin und Mutter von zwei Söhnen brach mitten im Büro am Schreibtisch zusammen. "Mir wurde schwarz vor Augen, ich hatte eine Panikattacke. Glücklicherweise hatte ich jemanden, der mir sagte: Geh zum Arzt! In dem Zustand der Krankschreibung befinde ich mich heute noch."

Alexandras Körper hat ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie will darüber nicht schweigen, weil sie in ihrem Umfeld ganz viele andere, vor allem Frauen und Mütter sieht, die mit den gleichen Sätzen kämpfen: Ich kann nicht mehr, ich schaffe den Spagat zwischen guter Elternschaft und beruflichen Ambitionen nicht mehr.

Am Anschlag in der Rushhour des Lebens

Die Erschöpfung endet nicht immer im diagnostizierten Burnout, aber praktisch alle Eltern kommen in ihrer sogenannten "Rushhour des Lebens" mal an den Anschlag. Alleinerziehende oder Eltern von Kindern mit Behinderung erst recht. Laut einer forsa-Umfrage im Auftrag einer Krankenkasse [externer Link] fühlen sich zwei Drittel der Eltern infolge hoher Belastungen erschöpft oder ausgebrannt. Ebenso viele sagen, der Stress habe in den vergangenen ein, zwei Jahren zugenommen.

Hinten runter fällt oft die Partnerschaft. Kim, Vater von drei Kindern erzählt, dass er in den neun Jahren, in denen er Papa ist, insgesamt fünf Nächte mit seiner Frau alleine gehabt hat. "Der Alltag läuft organisatorisch wie ein Kleinbetrieb. Aber wie pflegt man noch seine Beziehung? Da muss man sich schon was einfallen lassen", sagt Kim.

Viele Erfahrungsberichte plus Studien zeigen: Es trifft nicht einzelne, die Erschöpfung unter Eltern ist ein strukturelles Problem. Familienforscher Hans Bertram spricht von einer "überforderten Generation". Die 30- bis 45-jährigen Männer und Frauen seien überlastet, weil ihnen vieles gleichzeitig abverlangt wird: Sie sollen Karriere machen, eine Familie gründen und ihren Kindern einen behüteten Start in ein erfolgreiches Leben ermöglichen.

Das Misskonzept der Kleinstfamilie

Doch viele Eltern wohnen nicht mehr, wie früher, in der Nähe der Großeltern, sondern sind nur alleine oder zu zweit verantwortlich. Buchautorin und Journalistin Alexandra Zykunov nennt es das "Misskonzept der Kleinstfamilie". Dazu kommen fehlende Kita-Plätze, Lehrkräfte, Fachkräfte, marode Schulgebäude und ein desaströses Ausmaß an Chancenungleichheit im Bildungssystem.

Politisch etwas zu verändern, fällt Eltern im stressigen Alltag häufig schwer. Zur Familienkette am Münchner Marienplatz am 5. Mai etwa kamen nur knapp 1.000 Menschen, obwohl die fünf familienpolitischen Forderungen, die dort gestellt wurden, viel mehr Eltern etwas angehen.

Schlechtes Gewissen als Dauerbegleiter

Die Zeit fehlt als Ressource, sagt Autorin Teresa Bücker und nennt im Podcast "Eltern ohne Filter" ein persönliches Beispiel. "Ich habe diesen einen freien Tag als Mutter. Jetzt muss ich den aber auch besonders klug nutzen. Dann setzt fast schon wieder ein schlechtes Gewissen ein, wenn man vielleicht den ganzen Tag im Bett liegt und Serien guckt, was ja auch legitim wäre."

Vor allem Frauen trifft die Mehrfachbelastung: Sie üben häufiger als noch vor Jahrzehnten Erwerbsarbeit aus, gleichzeitig übernehmen sie nach wie vor den Großteil der Hausarbeit und Kindererziehung. Eine beispielhafte Zahl: Mehr als die Hälfte aller frischgebackenen Väter nimmt keine Elternzeit. "Sorgearbeit gilt auch heute als eine dauerverfügbare, weiblich konnotierte Ressource, an der man sich gesellschaftlich bedienen kann", schreibt die Schweizer Soziologin und Geschlechterforscherin Franziska Schutzbach in ihrem Buch "Die Erschöpfung der Frauen".

Frauen übernehmen freiwillig deutlich mehr Sorgearbeit

Nicht nur für Hausarbeit und Kinderbetreuung tragen die Frauen nach wie vor die Hauptverantwortung. Sondern auch für die sogenannte mentale Arbeit, genannt: "Mental Load". In ihrem Buch "Musterbruch" erklärt Autorin Patricia Cammarata auf Bayern2 die eingefahrenen Rollenmuster, die dazu führen, dass es meist Frauen sind, die an neue Turnschuhe und Vorsorgetermine denken. "Wir verbinden Weiblichkeit mit Eigenschaften: Man ist gut im Kümmern, man ist fürsorglich, man ist emotional. Das bedeutet am Ende, dass Frauen eben freiwillig deutlich mehr Sorgearbeit übernehmen als die Männer."

Frauen verbrachten im Jahr 2022 im Schnitt knapp 30 Stunden wöchentlich mit unbezahlter Arbeit, Männer knapp 21 Stunden, so das statistische Bundesamt [externer Link]. Zwischen Männern und Frauen liegt also eine Lücke von 43,8 Prozent. Genannt wird sie "Gender Care Gap" und auch wenn die Kluft im Vergleich zu den Vorjahren schrumpft, ist sie ein Indikator für die mangelnde Gleichstellung.

Übergestülptes Mutterbild

Hinter der ungleichen Verteilung von Carearbeit steckt ein strukturelles Problem, sagt die Soziologin und Fotografin Natalie Stanczak. In der Münchner Familienberatungsstelle Häberlstraße 17 zeigt sie Fotografien von Müttern – und ihren Belastungen. "Ich habe das Gefühl, dass es ein bestimmtes Mutterbild gibt, das unsere Gesellschaft auf Mütter aufstülpt. Ich muss mich kümmern, ich muss mich opfern, ich muss alles liegen lassen für mein Kind und bin keine eigenständige Person mehr."

Abgelichtet ist unter anderem Yassamin Boussaoud. Die Mutter von zwei Kindern, ein drittes ist unterwegs, findet: Die Herausforderungen moderner Eltern sind nicht sichtbar genug. "Man erwartet heutzutage, dass wir alles gleichzeitig machen. Ich finde es sehr schön, dass immer mehr Mütter, dazu gehöre auch ich, arbeiten. Aber dass man es schwer in Einklang bringen kann und dass es eigentlich unmöglich ist, alles unter einen Hut zu bringen, das macht es so schwer."

Carearbeit als Basis für eine funktionierende Wirtschaft

Viele Themen rund um die Sorgearbeit sind in der Pandemie sichtbarer geworden und eine Erkenntnis sickerte durch: Die Carearbeit ist die Basis für eine funktionierende Wirtschaft. Autorin Patricia Cammarata plädiert in ihrem Buch dafür, dass sich Sorgearbeit wirksamer in der Rente niederschlagen sollte. Während der Corona-Pandemie wurden Eltern mit Homeschooling, Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit allein gelassen - für viele war dies ein einschneidende Erfahrung. Dass seither mehr über Sorgearbeit geredet wird, sieht die Münchner Beraterin Susanne Großkopf aus dem Familienzentrum in der Häberlstraße 17 als Chance: "Sorgearbeit war lange unsichtbar! Es ist ein wichtiger Punkt, jetzt zu sagen: Sie ist sehr wertvolle Arbeit, auch wenn sie nicht monetär bezahlt wird. Ich finde die Vier-Tage- Woche eine gute Idee, denn der fünfte Tag macht die Carearbeit sichtbar."

Eine gute Idee wäre auch, den gesellschaftlichen Druck rauszunehmen. In ihrem Buch "Das Unwohlsein der modernen Mutter" beschreibt Mareice Kaiser das unerreichbare und widersprüchliche Mutterideal, das neben all den To Do‘s Stress mit sich bringt. Der Druck vor allem auf Müttern ist so hoch wie nie zuvor, sagt auch Familienberaterin und Psychotherapeutin Susanne Großkopf. "Sie gehen auf Instagram, und schauen, wie machen das andere Mütter? Sie orientieren sich nach außen, lesen Bücher, Podcasts. Das ist eigentlich auch ganz gut. Aber es kann auch überfordernd sein, weil es den Anspruch immer höher stellt. Und sie gar nicht für sich die Frage stellen: Wer bin ich? Was für ‘ne Mutter bin ich und wie fühlt es sich stimmig an, ‘ne Mutter zu sein?" Die Beraterin hilft Eltern, die erschöpft zu ihr kommen, oft mit Entspannungstechniken, damit sie sich von äußeren Einflüssen lösen können.

Burnout als Fluch der Super-Eltern

Zum angestrebten Mutter- oder Eltern-Ideal gehört auch, möglichst bedürfnisorientiert zu erziehen. Nicht schimpfen, nicht laut werden, Kinder behutsam behandeln – auf Augenhöhe mit den Kids. Diesen bindungsorientierten Ansatz maßgeblich geprägt und damit die deutsche Erziehungslandschaft beeinflusst, hat Journalistin und "Spiegel"-Bestsellerautorin Nora Imlau. So wertvoll der bedürfnisorientierte Ansatz für Kinder sein mag, so sehr hadern manche Eltern damit, ihn im richtigen Maß richtig anzuwenden – viele Mütter und Väter geben sich so viel Mühe, dass sie am Ende völlig ausbrennen. "Burnout als Fluch der Super-Eltern" tituliert ein Wissenschaftsmagazin.

Nora Imlau hat über die Situation moderner Eltern das Buch "Bindung ohne Burnout" geschrieben und empfiehlt in einer Bayern2-Sendung Eltern auch, die eigenen Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren. "Wir müssen manchmal rauskommen aus dieser Idee: Es gibt ein Skript, das wir einhalten müssen. Wir dürfen auf eine authentische Weise unseren Kindern spiegeln: Auf diese Diskussion habe ich keine Lust."

Im Video: Warum Eltern erschöpft sind

Viele Mütter und Väter teilen sich immer mehr familiäre Aufgaben. Die Erschöpfung unter Eltern ist trotzdem groß.
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Viele Mütter und Väter teilen sich immer mehr familiäre Aufgaben. Die Erschöpfung unter Eltern ist trotzdem groß.

"Frauen haben das früher auch geschafft"

Vor allem von Vätern wird häufig noch immer erwartet, dass in der Arbeit nach der Geburt eines Kindes alles ganz normal weitergeht. Wie bei Jan. Als er Vater wurde und Elternzeit beantragen wollte, stieß er auf wenig Verständnis bei seinem Vorgesetzten. "Mein Chef ist vom alten Schlag, Ü60, er fiel aus allen Wolken. Der erste Kommentar war: 'Wieso wollen sie denn zuhause bleiben? Frauen haben das früher auch geschafft. Ich hab meine Frauen nur ins Krankenhaus gefahren und gesagt ruf an und sag, was es ist.'"

Solche Reaktionen kennt Berater und Vätercoach Carsten Vonnoh. Er versucht Papas, die sich aktiver einbringen möchten, zu unterstützen. Wenn es ein Vater geschafft hat, sich gegen mögliche Widerstände etwa des Arbeitgebers mehr zuhause zu engagieren, erlebt er oft genau das gleiche wie die Mütter: Eine unendliche Müdigkeit. "Da sind wir genau in der Welt, wo Mütter seit Jahrzehnten mindestens unterwegs sind", sagt Vonnoh in einer Bayern2-Sendung.

An den Computer setzen, wenn das Kind krank ist

Sowohl Mütter als auch Väter arbeiten seit der Pandemie vermehrt von zuhause aus. Das Homeoffice erleichtert die Vereinbarkeit enorm. Ein Segen für die Jobs, in denen es möglich ist. Die Heimarbeit kann aber auch zur Belastungsprobe werden: Sie verleitet erwiesenermaßen zu mehr Arbeit. Und: Im Büro zuhause kann man sich ja noch schnell an den Computer setzen, auch wenn das Kind krank ist. Eine Zerreißprobe.

Wozu es führt, dass viele Eltern erschöpft und überlastet sind, neben der Belastung durch Sorgen um Krisen und Kriege: Viele Menschen überlegen sich, ob sie überhaupt Kinder bekommen wollen. Die Geburtenraten könnten darauf hindeuten: Die Zahl der Geburten in Deutschland ist im Jahr 2023 auf dem niedrigsten Stand [externer Link] seit zehn Jahren.

Dieser Artikel ist erstmals am 15. Mai 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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