Bei uns steht die Unterhaltung im Vordergrund
Eine Podiumsdisskussion
mit den heute prägenden Schaffenden
Welche Programme machen sie, von welchen
träumen sie und an welches wird man sich in 20 Jahren noch
erinnern? Programm-MacherInnen, die jetzt über Konzepte und
Realisierung von Kinderprogrammen im Fernsehen entscheiden, gaben
am Ende der IZI-Konferenz "50 Jahre Kinderfernsehen - das Ende der
Fantasie?" Antworten.
Diskussionsleitung: Tilmann P. Gangloff
(Diplom-Journalist, Allensbach)
Teilnehmer:
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Frank Beckmann
(KI.KA, Erfurt) |
Christophe Erbes
(Fox Kids, München) |
Dr. Friederike Euler
(BR, München) |
Ralf Gerhardt
(Disney Channel, Ismaning) |
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Siegmund Grewenig
(WDR, Köln) |
Sabine Preuschhof
(ORB, Potsdam) |
Anke Schmidt-Bratzel
(NDR, Hamburg) |
Susanne Schosser
(Super RTL, Köln) |
Gangloff: Fernsehredakteure
waren früher, haben wir gehört, Weltverbesserer (s. Löhr,
S. 28). Ich will von Ihnen allen hier wissen, ob Sie immer noch
die Welt verbessern wollen, ob Sie immer noch Träume haben,
wie die Gratwanderung aussieht zwischen den Träumen, die man
hat, und dem Budget, das einem zur Verfügung gestellt wird.
Und natürlich würde ich gerne wissen, ob Sie andere Träume
haben als ihre Vorgängerinnen und Vorgänger.
Beckmann: Die erste Frage,
mein Traum: Ich darf's, ja muss es kurz machen. Mein Traum im Moment
ist: Ich habe, es ist 8.15 Uhr, die Tagesschau gesehen, dort
nichts Schreckliches von Afghanistan oder sonstwie vernehmen können,
habe ein Glas Rotwein vor mir, meine Tochter ist im Bett – ausnahmsweise
– und schläft. Ich schalte dann auf ARTE – und was sehe ich?
Nicht ARTE, ich sehe dort den KI.KA (den Kinderkanal von ARD/ZDF,
Anm. d. Red.). Das ist also eigentlich im Moment der Traum, den
ich am liebsten träumen würde, und zwar vielleicht auch
in der Reihenfolge.
Gangloff: Es gibt ja diese
These, dass sich öffentlich-rechtliches und kommerzielles Fernsehen
einander angenähert haben – wie auch immer – und dass das Kinderfernsehen,
speziell vielleicht der KI.KA, die Antithese dazu ist.
Beckmann: Kucken Sie sich die
Programme an, die Sie da wiederfinden. Sie werden halt bei uns eine
andere Art von Kinderprogramm finden. Also es ist heute schon das
Stichwort Vollprogramm für Kinder gefallen. Ich glaube, das
ist auch mehr unsere Profession, dass wir sagen, wir mischen sämtliche
Genres, die auch möglich sind, sowohl Informationsmagazine
als auch Realserien oder auch Zeichentrickprogramme. Ich weiß,
dass es dort auch bei den Privaten im Moment sehr viele Ansätze
gibt, was ich gut finde. Aber ich weiß einfach, dass wir an
der Stelle einfach auch noch die Vorreiter sind. Dann zu The
Tribe – so kurz vorgestellt, ja? The Tribe ist tatsächlich
etwas, wo wir die 10- bis 14-Jährigen erreichen können.
Also für die, die diese Sendung nicht kennen: Es ist eine Serie,
die wir in Neuseeland gekauft haben, eine sehr lang laufende Serie.
Die Grundgeschichte ist die, dass es eine Welt gibt ohne Erwachsene
und die Kinder sich dort jetzt selbst organisieren müssen.
Und sie haben halt die Schwierigkeit, dass sie sich all das, was
heutzutage im Alltag leicht zugänglich ist, dort nur sehr mühsam
erarbeiten können und erarbeiten müssen, um zu überleben.
Das ist die Grundanlage dieses Plots und der fasziniert sehr viele.
Warum? Weil es eine lang laufende Serie ist, weil es sehr gute Identifikationsfiguren
gibt, das ist dasselbe Prinzip, was bei fabrixx funktioniert
und auch bei Schloss Einstein. Übrigens auch da sind
sehr viele 10- bis 14-Jährige dabei, also überproportional,
und Sie müssen sich ja auch immer vorstellen, dass diese Zielgruppe,
die sehr schwer zu erreichen ist, auch erst mal solche Plätze
wie den Kinderkanal finden muss. Also Programmflächen zu schaffen,
die auch längere Strecken tragen, so dass die auch wirklich
als Alternative begriffen werden, das ist auch eine der Aufgaben
für die Zukunft. Vielleicht das in der Kürze.
Gangloff: Warum braucht der
Markt Super RTL, wenn der Markt schon KI.KA hat? Denn KI.KA hat
ja alles, was Kinder brauchen: Unterhaltung, Information, Bildung.
Schosser: Wie Frank Beckmann
schon sagte, wir unterscheiden uns ja dann doch programmlich noch,
auch wenn bestimmte Programme sicher in dem einen oder anderen Sender
stattfinden könnten. Aber ich denke schon, dass der Markt beides
braucht, einfach um die Vielfalt dessen, was es tatsächlich
auf dem weltweiten Markt gibt, in Deutschland zeigen zu können.
Auch ein ganzer Kinderkanal hat eben nicht so viele Programmplätze
wie jetzt zwei, und ich denk' wir haben schon noch 'ne ganz andere
Herangehensweise. Also bei uns steht die Unterhaltung im Vordergrund
und Information ist definitiv nicht unser Thema.
Gangloff: Das haben Sie jetzt
schön gesagt. Faktisch ist es ja wohl so, dass Super RTL auch
Sachen zeigt, die der KI.KA nicht zeigen würde, selbst wenn
man sie sich leisten könnte, Herr Beckmann, oder, ist das so?
Beckmann: Ja!
Gangloff: O. k. Höflicherweise
nennt er keine Serientitel. Wir haben in dem Vortrag von Frau Albers
(s. S. 44) gehört, dass in den Anfängen des kommerziellen
Fernsehens erstaunlich viel selbst produziert worden ist für
Kinder, und seien es nur die Rahmenhandlungen. Mittlerweile ist
zumindest Super RTL in einer finanziell gesunden Position, aber
wenn man sich das Programm anschaut, gibt es heute weniger Eigenproduktionen
als eben bei früheren Sendern. Warum ist das so?
Schosser: Also ich denke nicht,
dass es bei uns weniger Eigenproduktionen gibt als bei früheren
Sendern. Wenn man die Programmfläche sieht, die RTL am Anfang
bestückt hat mit Li-La-Launebär, das war eben eine
halbe Stunde als Rahmenprogramm. Wir haben im Moment fünf Halbstunden
eigenproduziert pro Woche im Programm und jetzt, wenn man noch die
ganzen Koproduktionen dazunimmt, dann kommen da bestimmt 30 Prozent
unseres Programms zustande.
Gangloff: Was sind das für
Eigenproduktionen?
Schosser: Das sind neue Eigenproduktionen.
Das ist der Super Toy Club, eine Game-Show, Q-Boot - das
Quiz, eine Quiz-Show, dann haben wir Super Matty, ein
Magazin für kleinere Kinder, und wir haben Special Events.
Jetzt haben wir Kinderfernsehtag oder auch Paddy on Tour,
eine immer wiederkehrende Geschichte, die wir zu verschiedenen Themen
im Programm haben.
Gangloff: Stimmt. Sie haben
Was ist was TV gar nicht genannt.
Schosser: Was ist was TV
ist eine Koproduktion. Ich war jetzt noch bei den Eigenproduktionen.
Was ist was TV wär' dann eine Koproduktion, und im Zeichentrickbereich
eben noch andere Koproduktionen.
Gangloff: Irr' ich mich oder
haben Sie jetzt gar nichts über Ihren Traum erzählt?
Schosser: Ja, also ich fand's
ganz interessant, heute hier zuzuhören. Ich glaub', die Träume
von der älteren Generation und der jüngeren Generation
unterscheiden sich wirklich nicht so wesentlich. Ich hab' mich bei
der Vorbereitung auf diese Konferenz auch gerne wieder an meine
Kindheit erinnert und an das, was ich im Fernsehen so gesehen und
geliebt habe, und mein Traum wäre eigentlich, dass sich Kinder
eines Tages mal an was zurückerinnern und irgendetwas von dem,
was wir senden oder machen oder produzieren, mit einem Lächeln
noch Jahre später im Kopf haben und sagen können, das
hat mir irgendwie was gegeben, und seien es ein paar schöne
Stunden oder auch wirklich vielleicht eine Orientierung in einer
bestimmten Lebensphase, wie auch immer. Und ich denke, das ist der
große Unterschied zu damals, dass wir uns glaub' ich heute
in einer viel komplizierteren Welt und Medienwelt bewegen müssen
und gegen ganz andere Dinge angehen müssen. Wenn ich an all
die Boulevard-Magazine denke, an dieses Startum, was sich im Moment
so entwickelt – dass es unheimlich hipp ist, vor irgendeiner Kamera
zu stehen, egal ob man was kann oder nicht, denn wer im Fernsehen
ist, ist in. Viele Kinder orientieren sich dann daran. Und da Gegenpole
zu schaffen und auch noch auf andere Werte hinzuweisen, das ist
mein Traum.
Gangloff: Fällt Ihnen
eine Sendung ein, von der Sie glauben, dass heutige Kinder sie in
20 Jahren noch in Erinnerung haben werden?
Schosser: Mir fällt spontan
eine ein. Ich hoffe natürlich sehr, dass Angela Anakonda
eine der Serien sein wird, an die sich Kinder dann auch noch 20
Jahre später erinnern.
Gangloff: Sämtliche kommerziellen
Sender leiden unter ganz enormen Einnahmeverlusten durch rückläufige
Werbung. Ist Super RTL auch betroffen?
Schosser: Wir sind auch betroffen,
aber Gott sei dank nicht ganz so krass wie unsere größeren
Brüder und Schwestern, weil Kinderprogramm eben doch eine,
ja, sehr spezielle Nische ist, und da war jetzt der Einbruch nicht
ganz so groß wie bei den anderen.
Gangloff: Es sind angeblich
nur Peanuts, die in diesem Bereich umgesetzt werden.
Schosser: Ja, also, nach wie
vor verdient man mit Kinderprogramm nicht wirklich richtig Geld.
Gangloff: Herr Grewenig, ich
komm‘ jetzt zu Ihnen. Sie wissen, der Traum, zweitens die Sendung,
die auch in 20 Jahren noch im Guten oder im Schlechten in Erinnerung
sein wird.
Grewenig: Wir haben letztes
Jahr Wissen macht Ah! gemacht, das ist erstaunlich erfolgreich
geworden. Wir haben eigentlich nur aus dem MausClub ein paar
Änderungen vorgenommen und schon ist das Programm in 'ne ganz
andere Richtung gegangen. Das heißt, das Arbeiten an den einzelnen
Formaten ist immer wieder wichtig und man kann da auch viele Effekte
erreichen. Wir sind jetzt in der Vorbereitung eines ganz anderen
Programms. Wir machen keine Late-Evening-Show, keine Late-Night-Show,
sondern 'ne Morning-Show, das wird nächstes Jahr dann kommen
– mehr kann ich jetzt gar nicht verraten, will ich auch nicht verraten,
aber ich wurde nach dem Traum gefragt. Ich träume davon, dass
Geschichten, die wir gemacht haben, positive Spuren hinterlassen.
Ich selber finde eine Geschichte, die ich selber produziert hab',
so großartig, dass ich mich freuen würde, wenn es vielen
anderen auch so geht. Das ist Leb wohl, lieber Dachs, eine
6-Minuten-Geschichte in der Sendung mit der Maus, die vom
Tod handelt. Es ist die einzige Geschichte, die ich kenne, wo der
Tod für Kinder positiv verarbeitet worden ist. Sie hat mich
selber auch weitergebracht in meiner eigenen Beschäftigung
mit diesem schwierigen Thema. Ich hoffe, dass wir viele Geschichten
haben, von denen die Kinder so positiv berührt werden. Meine
Antwort auf die Frage, welche Sendung in Erinnerung bleiben soll,
ist sehr unoriginell: Die Sendung mit der Maus, aber das
war zu erwarten.
Gangloff: Ralf Gerhardt ist
Programmdirektor sämtlicher Fernsehveranstaltungen Disneys
in Deutschland (Buena Vista, Germany - Anm. d. Red.), also nicht
nur Disney Channel, sondern auch Disney, soweit es bei RTL stattfindet.
Wenn man über Marken aus dem Kinderfernsehen nachdenkt, ist
es dann nicht so, dass die Marke Disney alles erschlägt, oder
kann man irgendwie da auch noch eigene Marken schaffen?
Gerhardt: Also wenn die Marke
Disney einen erschlagen würde, so wäre es doch ein schöner
Tod, würde ich jetzt mal sagen. Es gibt Schlimmeres, als mit
so populären Marken arbeiten zu müssen. Nein, sie erschlägt
einen nicht, weil wir natürlich auf der Marke aufbauen können.
Wir wissen aufgrund von Publikumsforschung, dass wir im Disney Channel
mit unseren Eigenproduktionen wahrgenommen werden. Und die Leute
wissen durchaus zu differenzieren zwischen dem König der
Löwen oder Schneewittchen und live @ five,
Liga Disney Channel und so weiter. Also das wird schon differenzierter
wahrgenommen, als man das vielleicht auf den ersten Blick meint.
Dann waren die Fragen nach dem Traum. Und ich glaube, das hängt
miteinander zusammen, die erste und die zweite Frage, denn letztendlich
träumen wir natürlich alle davon, Programme zu machen
– auch weiterhin machen zu können –, die bei Kindern gut ankommen,
die wir selbst aber auch verantworten können. Wenn die dann
so gut sind, dass in 20 Jahren auf diesem Podium darüber geredet
wird, dann fänd' ich das toll, ja? Und ein Programm, was ich
kenne, ich mach' das jetzt genau so schamlos wie alle anderen, da
bring' ich natürlich eine Eigenproduktion von uns ein. Ich
glaube, dass wir mit Liga Disney Channel, mit der tatsächlich
einzigen Bundesliga-Sendung für Kinder, die es im deutschen
Fernsehen gibt, natürlich was schaffen, was einzigartig ist
und was in Erinnerung bleibt. Dort schauen Kinder, die früher
Sportschau gekuckt hätten. Über 40.000 Kinder beteiligen
sich an einem Spiel – was für einen Pay-Sender natürlich
unglaublich viel ist.
Gangloff: Als Spartensender
in einem Spartenpaket, dessen Zukunft zudem auch durch Kabelnetzverkäufe
und durch Menschen wie John Malone (Chef des US-Kabelbetreibers
Liberty Media, Anm. d. Red.) ein bisschen bedroht ist, kann man
da trotzdem noch relativ gelassen seiner täglichen Arbeit nachgehen?
Gerhardt: Also ich bin ganz
gelassen, ja. Ich habe da wirklich wenig Bedenken.
Gangloff: Gut, aber Ihre Ziehmutter
– ich hätte das so nicht gesagt, aber sie hat es ja selber
gesagt – Ihre Ziehmutter, Susanne Müller, hätte es sicherlich
schöner gefunden, wenn Sie jetzt für die Ewigkeit eine
ZDF-Sendung genannt hätten.
Gerhardt: Susanne und ich sind
vollkommen im Reinen. (Lachen) Aber im Übrigen gibt es – das
kann ich vielleicht noch schnell sagen als Lob an das ZDF – es gibt
eine Sendung, Susanne Schosser und ich haben vorhin darüber
geredet, welche Sendung wir quasi aus unserer Kindheit noch kennen,
und bei mir ist es eindeutig Tim Thaler.
Gangloff: Der alte Tim
Thaler?
Gerhardt: Also ich erinnere mich nicht
an Aktenzeichen XY und auch nicht an die Sportschau,
aber an Tim Thaler.
Gangloff: Erzählen Sie
kurz, inwiefern Disney und Fox jetzt miteinander verbandelt sind.
Vielleicht lassen wir das Christophe Erbes machen, damit er auch
zu Wort kommt.
Erbes: Also Disney und Fox Kids: Disney
hat die Fox-Familie gekauft, das heißt Disney ist jetzt Gesellschafter
von Fox Kids zu 76 Prozent.
Gangloff: Gibt es denn jetzt
die Bestrebung, diese beiden Programmfarben ganz stark voneinander
zu unterscheiden, so dass man halt eben zwei Marken hat, die sich
nicht gegenseitig kannibalisieren?
Erbes: Ja, also es gibt schon einen
großen Unterschied. Ich glaube, dass Disney immer, das ist
eine Tradition, integrativ arbeitet, also für die Familie,
und wir arbeiten nur für Kinder, also für die jüngeren,
die 3- bis 5-, dann 6- bis 9- und 10- bis 13-Jährigen, sehr
gezielt und mit einer moderneren Art von Sendungen.
Gangloff: Auf frei empfangbares
Fernsehen übertragen wäre das, um das zu vergleichen:
Hier säße KI.KA und da säße Super RTL.
Erbes: Ist ein nettes Bild, ja. Warum
nicht?
Gangloff: Wir brauchen noch
den Traum und wir brauchen noch die Sendungen für die nächsten
Generationen.
Erbes: Ja, als Traum würde ich
zwei große und einen kleinen nennen, und zwar hatte ich als
Kind immer einen Traum. Ich dachte immer, ich muss die Welt retten.
Natürlich, irgendwie weiß ich inzwischen, dass es doch
nicht so einfach geht, und ich weiß, dass auch mit unserer
Arbeit sowas irgendwie überhaupt nicht machbar ist. Aber ich
hab' schon ein paar große Ziele, und ein Traum wäre,
wenn ich in meinem Leben dazu beigetragen habe, dass wir durch die
Kinderprogrammarbeiten mehr dazu beitragen, dass Kulturen sich besser
verstehn. Ich glaube, wenn ein Typus Mensch sowas kann, dann sind
das die Kinder; die Erwachsenen sind schwer umschulbar. Im Moment,
beispielsweise, versuche ich, über unsere Internet-Plattform
die 18 Sprachen, die wir in ganz Europa ansprechen, irgendwie zu
verlinken, damit Kinder untereinander irgendwie zusammen sprechen
können. Das ist ein Traum. Ein anderer Traum ist, dass wir
in unserer Arbeit zu einer kindgerechteren Gesellschaft beitragen.
Und die Sendungen, an die man sich immer erinnert: Also ich habe
immer die Fragen von besorgten Leuten verstanden, weil ich als Kind
einmal allein Die Vögel von Hitchcock gesehen habe,
und ich hab' immer noch Alpträume davon. Und ich weiß,
wie sowas, wie Fernsehen ein Kind beeindrucken kann. Deswegen hab'
ich immer in meiner Arbeit gedacht: Mann, ich muss sicherstellen,
dass irgendwie nichts so Schlimmes kommt, egal was wir da machen,
und dafür kämpfen, dass andere das auch nicht machen.
Ich denke, dass leider das, was in Erinnerung bleiben wird, eine
negative Sache und eine positive Sache sein wird. Negativ, glaub'
ich, werden die Fernsehbilder von diesem 11. September 2001 auch
in 20 Jahren, wenn wir so 30-Jährige fragen, immer noch genannt
werden. Und positiv, denk' ich, wenn die Neuverfilmung von Jim
Knopf auch da als neuer Klassiker steht. Ich nenn' das auch
nicht so ganz unbeteiligt, weil unsere Gruppe daran beteiligt war,
aber auch besonders, weil wir das sehr gut gemacht haben. Ich glaube,
da ist etwas geschafft worden, was sicherlich – also ich hoffe es
auf jeden Fall – so diese Klassiker ein bisschen länger leben
lassen wird.
Gangloff: Frau Euler, wäre
ein bisschen mehr Rückbesinnung auf Werte vielleicht gar nicht
schlecht?
Euler: Ja, die Rückbesinnung
auf Werte hat's ja als programmphilosophische Zielsetzung sehr dezidiert
gegeben. Und es gibt sie zum Teil auch noch, jetzt speziell im Haus
Bayerischer Rundfunk, wobei man ja sagen muss, dass das, was man
im Dritten Programm macht, nur ein Teil dessen ist, wofür man
verantwortlich ist. Der BR ist – und da können Sie die ARD
halt zusammen sehen – ja mitbeteiligt an allem, was als Gemeinschaftsprogramm
und als gemeinschaftsfinanziertes großflächiges Programm
rauskommt. Das heißt auch mitreflektieren, was wir denn sinnvollerweise
entwickeln sollen, mitreflektieren, was von der ARD in den Kinderkanal
hineinkommt und so weiter. Das ist ein riesiges Feld und es ist
sehr schwierig, das jetzt auseinanderzudröseln. Die Grundvoraussetzungen
sind wie überall die gleichen: das heißt, mit den Mitteln,
die man hat, ein Programm – oder Teile eines Programms – zustande
zu bringen, von dem man hofft, dass es der Zielgruppe gefällt
und von dem man sich aber auch wünscht, dass es eigenen Zielvorstellungen
einigermaßen entspricht. Und da ist man natürlich auch
von der eigenen Biografie geprägt und nicht nur von den Voraussetzungen,
die ein berufliches Umfeld bietet. Und was das betrifft, so oute
ich mich ganz unbefangen als junge Alte oder alte Junge, denn ich
bin ohne Fernsehen aufgewachsen. Meine Sozialisation, meine Bilder
und auch meine imaginären Freunde, von denen gestern so viel
die Rede war, kamen in erster Linie aus Büchern. Sie kamen
vom Theater, also ich bin viel ins Kindertheater gegangen, und sie
kamen natürlich nicht zuletzt vom Kino, was dann das große
Faszinosum war und die Brücke bildet zum Fernsehen heute. Ich
erinnere mich sehr genau an die frühen Disney Filme, Bambi
und Cinderella und Ähnliches. Dann etwas, was sogar
ein Stück Zeitgeschichte mit beinhaltete: Toxi hab'
ich auch nie vergessen, weil's die Geschichte eines Besatzungskindes
war. Oder solche großen Märchen, die natürlich dann
mit dem Buch in Verbindung kamen, wie Der Dieb von Bagdad,
oder nicht zuletzt dann die frühen Kästner-Verfilmungen
Das doppelte Lottchen und Pünktchen und Anton
und so weiter. Und was das für mich bedeutet hat und was ich
den Kindern, die heute leben, gerne erhalten oder weitergeben würde
– das ist der Augenblick der Intensität. Diese Intensität
kann man natürlich unmöglich in einem Programm durchhalten,
das von morgens um halb sechs bis abends um – ich sag' jetzt mal,
Wunschtraum Frank Beckmann – bis 21 Uhr oder so ähnlich durchläuft.
Das wäre ein Anspruch, den niemand einlösen kann. Das
bedeutet für mich – mein Traum –, dass es hin und wieder gelingt,
zwischen dem, was das gesamte Spektrum an Sparten, an möglichen
Formaten oder Genres abdeckt, das so genannte Ereignis zu schaffen.
Hier sehe ich Möglichkeiten, in der Gattung Fernsehfilm oder
auch Kino-Koproduktionen, denn es ist klar, dass der Kinderfilm
nicht die Riesenlobby im Lande hat und dass es sicherlich notwendig
ist, dass das Fernsehen auch mit dazu beiträgt, dass solche
Produktionen zustande kommen. Darin sehe ich eine sehr wichtige
Aufgabe, und das ist etwas, was mich persönlich sehr fasziniert
und wovon ich auch glaube, dass die Kinder davon profitieren, und
dass das ganze Programm profitiert, wenn man eben Konzentration
an bestimmten Punkten schafft, Ereignisse schafft und sich immer
wieder zu den großen Erzählformen bekennt. Und wenn's
darum geht, sich zu fragen, an was man sich in 20 Jahren erinnern
soll: Es gibt auch beim BR einige ehrgeizige Vorhaben, wobei wir
das für den Kinderkanal hauptsächlich angedacht haben,
weil man das in einem Dritten Programm ja nie realisieren könnte,
zum Beispiel eine Animationsserie über Mozart als Kind. Das
ist nicht leicht, denn es soll nicht belehrend daherkommen, sondern
durchaus unterhaltend, aber auch unter Verwendung von Originalmusik.
Und wenn es gelänge, dass so etwas bei den Kindern auch ankommt,
dass es so erzählt wird, dass man es plötzlich spannend
findet, wie im 18. Jahrhundert gereist wurde, bis hin zur berühmt
berüchtigten Klofrage, die Kinder immer interessiert. Also
dass man, wenn man den ganzen Tag im Reisewagen verbringt, vielleicht
auch einen Topf mitnimmt, das ist ja von heute aus gesehen eher
skurril. Dass man auch jederzeit gewärtig sein musste, von
Räubern überfallen zu werden - und das alles in einem
plausiblen Sinnzusammenhang, der einen beflügelt, sich ein
bisschen in die Mozart-Zeit hineinzuversetzen. Wenn so etwas dann
im Gedächtnis haften bliebe, so wie die Serien, an denen der
BR beteiligt war, wie Nils Holgersson oder auch Pumuckl,
der ein Klassiker ist. Ich habe den nicht als Kind gesehen, aber
es war für mich ein Aha-Erlebnis, als meine Mutter mich vor
vier Jahren fragte: Was machst du denn jetzt eigentlich, mit was
hast du denn da zu tun? Und dann sagte ich: Ja, also das und das
und da gibt es auch das Pumuckl TV. Und daraufhin sagte meine
Mutter: Oh, das ist prima, das hab' ich furchtbar gerne. Also das
heißt, sie hat es auch als Erwachsene entdeckt und fühlte
sich angesprochen. Und das wäre der Rest des Traumes, wenn
es gelänge, Serien und Filme zu ermöglichen, in denen
sich dann wirklich mehrere Generationen wiedererkennen oder etwas
damit anfangen können, so wie man auch ein gutes Kinderbuch
als Erwachsener wieder gerne liest.
Gangloff : Ich komme jetzt
zu zwei weiteren Kolleginnen: Sabine Preuschhof leitet das Familienprogramm
des ORB und Anke Schmidt-Bratzel ist für das Kinderfernsehen
des Norddeutschen Rundfunks tätig. Sie haben zwei unterschiedliche
biografische Hintergründe. Ich wüßte gerne, ob sich
das in Ihrer alltäglichen Arbeit in irgendeiner Form widerspiegelt
oder ob man einfach so eingebunden ist in eben die Zwänge des
Alltags, das heißt dass Biografien oder Ideale und Werte,
die man vielleicht früher im Westen und im Osten gelernt hat,
überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen?
Preuschhof: Das spiegelt sich
schon wider, und Anke und ich, wir haben auch schon viel miteinander
gearbeitet. Wir produzieren zusammen das Sandmännchen
und haben uns da schon ziemlich hart auseinandergesetzt. Das ist
nicht nur eine Generationenfrage, das ist auch eine Temperamentfrage,
es ist eine Charakterfrage. Es gibt so viele Unterschiede auf dieser
Welt, die wir sicher alle beide repräsentieren, aber wir haben
uns immer irgendwo geeinigt, und dann nicht einfach nur auf dem
goldenen Mittelweg, sondern ich glaube, aus dieser Auseinandersetzung
ist was neues Gutes entstanden und das fand ich grade mit den Kollegen
des NDR sehr angenehm. Manchmal hätt' ich sie auch ein wenig
... (hüstelt), manchmal mocht' ich sie nicht so, aber wenn
das dann nachher zu einem guten Ende kommt, ist das schon o. k..
Wir sind sehr unterschiedlich, wir haben völlig unterschiedliche
Prägungen. Wir sind völlig unterschiedlich sozialisiert,
das ist ganz klar. Aber ich glaube nicht, dass die einen, bloß
weil sie älter sind oder aus dem Osten sind oder was weiß
ich, in der Nähe der Oder wohnten, für das Alte und Althergebrachte
stehen, und die anderen, weil sie aus Hamburg sind und weiter gen
Westen wohnen, für das Neue und Innovative stehen. So ist es
gar nicht. Jeder steht immer mal für das eine und mal für
das andere und jeder hängt mal an dem einen oder dem anderen,
und das find' ich ist ein guter, kreativer Prozess gewesen, den
wir durchgemacht haben.
Gangloff: Sie denken an den
Traum und die Sendung für die Erinnerung?
Preuschhof: Mein Traum: Ich
bin pragmatisch, mein Traum ist, endlich mal einen Spielfilm zu
produzieren, bei dem ich nicht am letzten Tag noch beim Bayerischen
Rundfunk anbetteln muss, ob er mir noch 50.000 Mark gibt. Ich möchte
einen Spielfilm machen, bei dem ich mal nicht nur 26 Tage Drehtage
hab', sondern 35. Ich möchte einen Spielfilm produzieren, in
dem gute Schauspieler spielen. Ich möchte einen Spielfilm produzieren,
bei dem ich das, was ich von Beate Hanspach (langjährige Dramaturgin
des DFF, Anm. d.Red.) versucht hab' zu lernen, umsetzen kann, denn
sie ist da mein großes Vorbild. Ich werde das nie erreichen,
aber ich versuche es immer wieder. Und ich möchte einen Spielfilm
machen, der nicht in der Getto-Zeit zwischen 6.30 und 11.30 Uhr
läuft, sondern um 17.00 Uhr im Weihnachtsprogramm, im Dunkeln,
wenn alle zu Hause sitzen und diesen Film kucken – und dann möchte
ich drei Millionen Zuschauer haben. (Lachen) (Applaus) Das war aber
nur mein erster Traum. Mein zweiter Traum ist, dass ich immer die
Lust und die Kraft habe, neu anzufangen, dass ich die Lust und die
Kraft habe zu provozieren und dass ich den Stein immer ganz weit
schmeißen kann. Und mein dritter Traum ist, dass ich immer
eine Träumerin bleiben werde.
Gangloff: Ich nehme an, die
Sendung, an die man sich erinnern wird, ist dann die mit den x-Millionen
Zuschauern?
Preuschhof: Nein, da bin ich nun wieder
ganz traditionell und auch wieder ganz pragmatisch. Wir haben im
ORB eine Aktion gestartet im November 2001. Kinder sollten uns ihr
selbst gesungenes Sandmann-Lied schicken und wir wurden dann
der Kisten nicht mehr Herr. Es stapelte sich bis zur Decke. Bei
6.000 Kassetten haben wir aufgehört zu zählen. So ein
Programm wird nie alt. Der Sandmann ist die älteste
deutsche Kinderfernsehfigur – ätsch, sie ist älter als
die Maus und sie wird immer bleiben, und es werden sich immer
alle daran erinnern. Danke.
Gangloff: Frau Schmidt-Bratzel.
Schmidt-Bratzel: Ja, meine
Sendung, da würd' ich gerne anfangen, weil diese Sendung auch
viel mit meinen Träumen zu tun hat. Von ihr glaube ich, dass
sie in 20 Jahren auch noch aktuell sein oder im Gespräch sein
wird, was die Erinnerungen an die Kindheit betrifft. Es ist die
Sesamstraße. Ich glaube, dass wir da sehr viele Träume
umsetzen. In der Sesamstraße können wir fliegen.
Wir wissen, dass wir fliegen können, und 3- bis 5-Jährige
so wie Pepe und alle andern Figuren, die in der Sesamstraße
auftreten, fliegen dort. Meine Zielvorstellung für die Zukunft
ist nochmal was anderes als dieser Traum. Die Zielvorstellung für
die Zukunft ist, dass wir es weiterhin schaffen, in den Realfilmserien,
die wir machen, die Probleme und die Fantasien der Kinder aufzugreifen.
Wir machen das nicht – wie Frau Müller es für logo
geschildert hat (s. S. 41) – in einem journalistischen, aktuellen
Format, sondern versuchen das in fiktionalen Serien zu tun. Und
ich glaube, dass diese Fantasien und Träume auch sehr viel
mit Grenzen und Tabus zu tun haben, und da wünsche ich uns
den Mut, über diese Grenzen zu gehen. Ich glaube, dass es ganz
wichtig ist, dass wir – und da stehen die Anzeichen im Moment gut
– weiterhin so viel Etat für Kinderprogramm im NDR bekommen,
wie wir im Moment haben, das heißt, dass wir also Programm
machen, das qualitativ eigentlich ausgestattet ist wie Erwachsenenprogramm.
Das ist absolut eine Zielvorstellung, dass wir dabei bleiben. Und
ich wünsche mir auch, dass wir experimentieren mit Formaten
in diesem Rahmen, in diesem finanziellen Rahmen, wie wir es können.
Gangloff: Vielen Dank.
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