Ausgabe: 13/2000/2 - TEXTAUSZUG:
Birgit van Eimeren Mediennutzung und Fernsehpräferenzen
Nach wie vor sind Fernsehen und Hörfunk die am meisten genutzten Jugendmedien. Unterhaltungsshows, Spielfilme und Daily Soaps sehen die Jugendlichen am liebsten - Nachrichten kaum. 1. Einleitung In dem am 29.10.2000 ausgestrahlten BR-"Tatort" ermittelten die Kommissare Batic und Leitmeir hinter den Kulissen der (fiktiven) Daily Soap "Total das Leben". Konfrontiert mit der Hektik des täglichen Produktionsprozesses, den Allüren der Soap-Stars und den für die Kommissare äußerst befremdlichen Reaktionen der meist jungen, weiblichen Fans antwortet ein Fan auf die Frage "Was ist dran an dieser Serie?": "Ja, für mich ist das eine liebgewonnene Gewohnheit. Wenn ich nach Hause komme dusche ich, nehm mir ein Bier, und um fünf vor halb acht sitze ich vorm Fernseher. ‚Total das Leben‘ gehört einfach dazu, verstehen Sie? ....Mit der Zeit kommen einem die Personen in der Serie immer näher, so wie Freunde, Bekannte, Nachbarn. Man will einfach wissen, was mit ihnen passiert. Ersatz für Tratsch im Treppenhaus... ...Dass die Serie nicht besonders anspruchsvoll ist, weiß ich auch. Es ist wie eine Droge. Ich bin süchtig." Daily Soaps arbeiten fast alle mit ähnlichen Stilmitteln: Das Alltägliche, Banale wird in stark emotionalisierter, übersteigerter Form in Szene gesetzt, parallel zur Überdramatisierung das Ungewöhnliche, Bedrohliche entdramatisiert und als alltäglich dargestellt. Da sich die Soaps im Gegensatz zum US-amerikanischen Fernsehmarkt in Deutschland überwiegend an ein junges Publikum wenden, werden bevorzugt Themen aufgegriffen, die Jugendliche beschäftigen: Beziehungen, Sexualität, Mode, Trends, Berufsein- und -aufstieg. Damit bedienen die Daily Soaps – ähnlich wie die täglich ausgestrahlten Talkshows – das Bedürfnis nach Identifikationsflächen und Rollenmustern, und nicht zuletzt nach Voyeurismus. Unbestritten ist, dass die Bedeutung der Medien
für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in den letzten
Jahrzehnten massiv angestiegen ist. Eine nicht medial beeinflusste Kindheit
und Jugend ist nicht vorstellbar. Medien, und hier vor allem das Fernsehen,
prägen Alltagserleben, vermitteln Handlungsmuster und Normen und
helfen, sich mit der Welt der Erwachsenen auseinander zu setzen. In
einer Zeit, in der klassische Familienstrukturen immer seltener auftreten
und traditionelle Institutionen wie Kirche und Schule an Gewicht verloren
haben, machen Kinder vermehrt ihre Erfahrungen außerhalb des häuslichen
Umfelds. Hier spielt das Fernsehen als zentrales Leitmedium – nicht
nur für Kinder und Jugendliche – eine besondere Rolle. Das Fernsehen
kann Vorbild für individuelle Wertorientierung, für Kommunikations-
und Verhaltensmuster sein. Fernsehen gehört zum Alltag von Kindern
und Jugendlichen. Ein Ausschluss von Fernsehen bedeutet auch, Kinder
und Jugendliche von einem Teil ihrer Lebenswelt auszuschließen. Definition: Kinder - Jugendliche - Erwachsene Bevor wir uns den quantitativen Daten der Medienforschung
zum Medienverhalten der Jugendlichen zuwenden, ist eine definitorische
Abgrenzung der "Jugendlichen" von den "Kindern" und den "Erwachsenen"
notwendig. Die Definition von Jugend wird zunehmend schwieriger. Der
sogenannte Reifungsprozess beginnt immer früher. Gleichzeitig dauert
die Jugend aufgrund längerer Ausbildungszeiten sowie eines Bedeutungsverlustes
traditionell wichtiger Statuspassagen wie Heirat oder Gründung
eines eigenen Hausstandes immer länger. Aber nicht nur externe
Ursachen führen zu einer Verschiebung der Generationsgrenzen. Der
Jugendkult unserer Gesellschaft führt bei vielen Zeitgenossen zu
einer erheblichen Distanz zwischen kalendarischem und wahrgenommenem
Alter, was den "tatsächlichen" Jugendlichen die für ihre Identitätsfindung
wichtige Abgrenzung von der Welt der Erwachsenen erschwert. Wissenschaftliche
Arbeiten im Bereich der Jugendforschung sind dementsprechend nicht einheitlich
in der Wahl der Altersbegrenzung.
So wählt beispielsweise die "Shell-Studie" eine relativ breite
Definition (15 bis 24 Jahre) für die Untersuchung "Jugend 2000".
Entwicklungspsychologisch betrachtet wäre hier die Bezeichnung
"Junge Erwachsene 2000" vielleicht treffender. In einer anderen, vom
Jugendministerium in Auftrag gegebenen Studie wurde die obere Altersgrenze
gar erst bei den 30-Jährigen festgesetzt. Im Bereich der praxisorientierten
Forschung, z.B. der Medienforschung, gilt die Konvention, junge Menschen
ab 14 Jahren als Erwachsene zu etikettieren. Entsprechend beginnen die
Datenerhebungen in den wichtigsten Standard-Untersuchungen wie der "Media
Analyse" oder der "Massenkommunikation" erst bei den Ab-14-Jährigen.
Langfristige Vergleiche für die Medienentwicklung speziell bei
"Jugendlichen" erfolgen – dieser Konvention zufolge – generell für
die Altersgruppe der jeweils 14- bis 19-Jährigen. 2. Medienkonsum der 14- bis 19-Jährigen
In der Gewichtung der Medien im Medienalltag
sind die Unterschiede zwischen Jugendlichen und der Gesamtheit der Mediennutzer
nicht so groß, wie es manche Autoren zu vermitteln scheinen. Die
klassischen elektronischen Medien Fernsehen und Hörfunk bleiben
auch bei Jugendlichen die den Alltag dominierenden Medien. Sie nehmen
rund 70% des täglichen Medienbudgets ein, bei allen Mediennutzern
liegt der Anteil von Fernsehen und Radio bei 82%. Die Möglichkeit,
der "eigene Programmdirektor" zu sein, wird zwar von den Jugendlichen
– sei es über das Internet (s. Tabelle 1), sei es über CDs
und Videokassetten – stärker ausgeschöpft. Wie in allen anderen
Altersgruppen überwiegt jedoch auch bei den Jugendlichen die passive
und eher konsumierende Mediennutzung eindeutig vor der aktiven und selbstbestimmten.
3. Fernsehnutzung der 10- bis 15-Jährigen 3.1 ÜberblickBei den 10- bis 15-Jährigen zeigt sich die Dominanz des Mediums Fernsehen ebenso wie bei allen anderen potenziell zu betrachtenden Zielgruppen. Im ersten Halbjahr 2000 verbrachte jeder 10- bis 15-Jährige in Deutschland täglich 118 Minuten vor dem Fernseher (s. Tabelle 3). Dabei hat sich am Fernsehkonsum der Jugendlichen in den letzten 5 Jahren wenig geändert. 1995 war ein Durchschnittswert für diese Altersgruppe von 117 Minuten zu verzeichnen. Lediglich 1992, dem Jahr, in dem erstmalig Daten für West- und Ostdeutschland zur Verfügung stehen, betrug die tägliche Sehdauer der 10- bis 15-Jährigen 109 Minuten. Tabelle 3: Entwicklung der täglichen Sehdauer der 10- bis 15-Jährigen in Deutschland, 1988 – 1. Halbjahr 2000 (in Minuten)
Analysiert man den Fernsehkonsum der westdeutschen
10- bis 15-Jährigen, so ist auch in der Langzeitbetrachtung kein
dramatischer
Anstieg der Fernsehnutzung aufzuzeigen (s. Grafiken 2,3 und 4). 1988,
d.h. noch in der Aufbauphase des Dualen Systems in Deutschland, wandten
sich westdeutsche 10- bis 15-Jährige täglich 100 Minuten dem
Fernsehen zu. Im ersten Halbjahr 2000 sind unter den westdeutschen Jugendlichen
110 Minuten zu verbuchen. 3.2 Beliebteste Fernsehgenres und Sendungen Entsprechend
der zeitlichen Verteilung der Fernsehnutzung handelt es sich bei den
meistgesehenen Sendungen nahezu ausschließlich um Sendungen, die
ab 19.30 Uhr ausgestrahlt werden. In den Top 50 der meistgesehenen Sendungen
der 10- bis 15-Jährigen im 1. Halbjahr 2000 rangieren ganz oben
Unterhaltungsshows ("Wetten dass...?", "Wer wird Millionär?"),
Spielfilme ("Der verrückte Professor") und besonders prominent
vertreten die Daily Soap "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" von RTL. Innerhalb
der Top 50 ist "GZSZ" allein 30 Mal vertreten. Tabelle 7: Marktanteil nach Programmsparten, 1. Halbjahr 2000 (in %)
Von Reportagen bis zu Nachrichten Daily Soaps Tabelle 8: Marktanteil ausgewählter Daily Soaps bei den 10- bis 15-Jährigen (in %, Æ 1999)
Einen außergewöhnlichen Erfolg bei den 10- bis 15-Jährigen, insbesondere bei den jungen Mädchen, erzielte auch die erste Staffel von "Big Brother", deren einzelne "Folgen" von dem Privatsender RTL II zwischen 1. März und 8. Juni 2000 täglich ausgestrahlt wurden (s. Tabelle 9). "Big Brother" ist keiner der bisher verwandten Programmkategorien zuordenbar, weshalb Mikos für dieses neue Genre den Begriff "Hybrid-Genre" definierte: Durch die Vorspiegelung des "wahren Lebens" und die Ausstrahlung von täglichen Gesprächsrunden werden Grundzüge der Dokumentation und der Talkshows eingebaut. Hinsichtlich des täglichen Ausstrahlungsrhythmus, der Konstanz der Akteure und des Fortsetzungscharakters bedient sich "Big Brother" eindeutig der Kernelemente der Daily Soaps, so dass auch die Wirkungsweisen ähnlich sein dürften wie bei den Soaps. Tabelle 9: Marktanteil von "Big Brother" (1. Staffel) bei den 10- bis 15-Jährigen(in %, Æ 1.03. – 8.06.2000)
Zu den Erklärungsansätzen für
den Erfolg dieser Formate bei den Jugendlichen zählt, dass sie
– ähnlich wie bei dem Phänomen der "Boy Groups" – Charaktere
aufweisen, die sozialen Prototypen bis hin zu Antitypen entsprechen.
Die in den Daily Soaps gezeigten Charaktere und Lebenswelten können
dabei eine verstärkende Funktion für die altersspezifischen
Identitätsprozesse von Jugendlichen haben. Sie bieten Projektionsflächen
und Rollenmuster, um sich im eigene Alltag zurechtzufinden. Indem sie
Inhalte thematisieren, die die Bedürfnisse Heranwachsender gezielt
ansprechen, sind sie Vorbild für die eigene Rollenfindung in der
Welt der Erwachsenen und auch Modell für Mode, Kleidungsstile und
Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht.. Neben diesen psychologischen
Aspekten der Wirkung von Soaps bedienen sie eine Hauptfunktion des Fernsehens:
die Möglichkeit des Eskapismus. DIE AUTORIN Birgit van Eimeren, Dipl.-Psych., ist Leiterin der Abteilung Medienforschung des Bayerischen Rundfunks, München.
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