TelevIZIon
 
Artikel in TelevIZIon suchen

>> Übersicht TelevIZIon

TELEVIZION 29/2016/1

Märchen


EDITORIAL
Märchen geben Kunde von wundersamen Begebenheiten, die es wert sind weitererzählt zu werden. In unserer Vorstellung spielen sie in einer lang vergessenen Zeit, voller Königshäuser und magischer Gestalten, erzählen oft plakativ und nicht selten grausam von den Herausforderungen des Lebens. Unser Märchenbegriff wird dabei vor allem durch die Arbeiten der Gebrüder Grimm geprägt, ihre Titel dominieren das Märchenverständnis von Kindern.
Doch wer meint, Märchen seien in erster Linie für Kinder geschrieben, der irrt, wie Hans-Heino Ewers eindrücklich nachzeichnet. Es handelt sich dabei auch weder um »echt hessische« Geschichten, noch zogen die späteren Professoren Grimm durch das Land, um bei alten bäuerlichen Geschichtenerzählerinnen die Märchen zu sammeln (Rölleke). Aus heutiger Sicht ließe sich sagen: Die beiden jungen Männer schufen ihre eigene Idee vom Märchen, und durch sehr geschicktes Marketing entstand eine Marke mit hoher Nachhaltigkeit, die im In- wie im Ausland als Genre urdeutscher Kultur gilt. Dass sie dies nicht sind, lässt sich an Märchen wie Aschenputtel oder dem Froschkönig eindrücklich zeigen (Wienker-Piepho), dass ihre Frauenfiguren in bestimmten Rollen verharren, ist wahrzunehmen (Gobrecht).
Gleichzeitig hat das Geschick der Gebrüder Grimm ein Genre ermöglicht, das trotz existenzieller Gefahren, grausiger und drakonischer Strafen auch heute noch aus der Kinderkultur nicht wegzudenken ist. Märchen tragen so auf vielfältige Weise zur psychischen Gesundheit von Kindern bei (Wilkes) und eröffnen diverse Chancen für die Identitätsarbeit (Barthelmes). Welche Märchen und Märchenfiguren ein Kind bevorzugt, hat viel mit der jeweiligen Identität zu tun, wodurch Märchen sich kulturübergreifend für projektive Persönlichkeitstestverfahren eignen (vom Orde). Nicht zuletzt zeigt dies, wie tief Märchen Kinder in ihrer Seele ansprechen können, wenn sie in Familien vorgelesen werden und durch Verfilmungen ihren Weg in die Wohnzimmer finden. Dass dies in den letzten Jahren wieder vermehrt geschieht, hängt mit den Märchenverfilmungen von ARD und ZDF zusammen, die insbesondere an Feiertagen das Fernsehprogramm prägen. Welche Herausforderungen den Redaktionen bei den aktuell 53 Märchenverfilmungen begegneten und wie Kinder mit den verschiedenen Varianten umgehen, davon handelt diese Ausgabe. Denn nicht zuletzt zeigt die Repräsentativstudie des IZI: Märchen sind auch heute noch für Kinder aktuell. Inwieweit es gelingen wird, diesen Schatz in seinem Wert zu erhalten und für stets neue Kindergenerationen zu beleben, obliegt u. a. dem Qualitätsverständnis und Geschick der Fernsehschaffenden. Ähnlich wie die Gebrüder Grimm wählen sie gezielt aus, verändern und inszenieren die alten Geschichten für Kinder und Familien heute. Welche Überlegungen und Anliegen sie hierbei im Detail zu ihren Entscheidungen bewegten, erzählen sie in dieser TelevIZIon.

Dr. Maya Götz


FORSCHUNG

Hans-Heino Ewers
Seit wann brauchen Kinder Märchen?

Dieser historische und literaturwissenschaftliche Einblick in die Entstehung von Märchen beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern Kinder (und Erwachsene) Märchen brauchen.

Heinz Rölleke
Wo kommen eigentlich die (Grimm’schen) Märchen her?

Barbara Gobrecht
Von schönen Prinzessinnen, klugen Mädchen und bösen Hexen

Sabine Wienker-Piepho
Märchen und ihre Pendants in aller Welt
Die Autorin beschreibt aus literaturwissenschaftlicher und volkskundlicher Perspektive anhand von den 2 Beispielen Aschenputtel und Der Froschkönig, welche Motive Märchen kulturübergreifend aufweisen.

Jürgen Barthelmes
Aschenputtel – wo liegen die Chancen der Märchen für Kinder?

Johannes Wilkes
Was Märchen zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beitragen

Maya Götz/Andrea Holler
»Der sieht aus, als ob er mich fressen kann«

Maya Götz
Aschenputtel ist das beliebteste Märchen bei Mädchen – Hänsel und Gretel bei Jungen
Märchenverfilmungen haben in Deutschland Hochkonjunktur – doch welche Märchen bevorzugen die Kinder in Buchform oder im Fernsehen? Welche Märchen sind besonders beliebt bei Mädchen, welche bei Jungen? Eine repräsentative Studie mit 3- bis 13-Jährigen liefert Antworten. intensiv zu ihren Eindrücken befragt.

 

PROGRAMMFORSCHUNG

Maya Götz/Ina Innermann

Herausforderung Märchenverfilmung

Lothar Mikos
Opferrolle und Glücksversprechen

Andrea Holler
»Dass sie nie aufgibt und dann versucht weiterzumachen«
In einer qualitativen Studie des IZI wurden 130 Kinder dabei gefilmt, wie sie die aktuelle ARD- oder ZDF-Verfilmung von Aschenputtel bzw. den DEFA-Klassiker Drei Haselnüsse für Aschenbrödel sahen, und anschließend.

 

INFORMATION

Heike vom Orde

Der FTT Märchentest

 

INTERVIEW

Sabine Preuschhof

»Frau Holle ist für mich das Märchen der Märchen«

Brigitta Mühlenbeck
»Wichtig ist der erzählerische Kern des Märchens«

Patricia Vasapollo
Märchen und Schönheitskult

Astrid Plenk/Christa Streiber
»Eine Seele hat, wer wirklich liebt«

Irene Wellershoff
»Womit sie nicht gerechnet hat, ist, dass sie sich in der Zeit in das Biest verlieben würde«

Monika Gröller
»Etwas finden, was in einen Wohlfühlfilm passt«

Margret Schepers
»Dieses Kind, das die Sterne vom Himmel holt«

Michaela Herold
Kleiner Sender, großes Märchen

 


Die Fachzeitschrift TELEVIZION kann kostenlos beim IZI bestellt werden.