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TELEVIZION 24/2011/1

Anrührung im Kinderfernsehen


EDITORIAL

Im Kino, es ist dunkel, und nach gut 100 Minuten des Mitfieberns passiert es endlich: Er bekommt sie, sie schafft den Durchbruch, oder die HeldInnen, die wir über Jahre in ihrem Kampf gegen das Böse verfolgt haben, bringen nun Jahre später ihre eigenen Kinder in den Zug nach Hogwarts – und die Augen werden feucht. Nicht bei jedem kullern dann Tränen die Wangen hinunter, doch das Gefühl der Anrührung, das innere Erwärmt-Sein von einem Bild, einer Szene oder einer Musik, ist vermutlich jeder und jedem auf die eine oder andere Art bekannt. Leitende RedakteurInnen im Kinder- und Familienprogramm z. B. kennen das Gefühl und können die Stellen und Sendungen exakt benennen, bei denen sie zuletzt angerührt waren – manchmal sogar zu Tränen (Baranowski).
Umso erstaunlicher ist es, dass »Rührung« kaum von der Emotionsforschung definiert oder wissenschaftlich von der Rezeptionsforschung untersucht ist (vom Orde). Teilzusammenhänge sind bekannt, und Rührung ist als Meta-Emotion identifiziert (Bartsch). Angerührt sind wir bei Szenen, die symbolisch an eigene Erfahrungen anknüpfen, sie wiederbeleben und so stellvertretend anerkennen (Mikos). Die Verknüpfung mit den kollektiven, vielleicht sogar archetypischen Symbolbildern wie im Märchen kann dabei zur emotionalen und Lebensorientierung bietenden Bereicherung werden (Reinemer). Sie entsteht, wenn sich ZuschauerInnen sicher fühlen, sich empathisch einlassen und die innere Bewegung zulassen (Doubrawa). Dafür braucht es verlässliche, positive Rezeptionsräume, die Erfahrungen in ihrem Wesen symbolisieren und so das Individuum in seinem Erfahrungsraum anerkennen (Götz).
PraktikerInnen wissen, dass die Sorgfalt im Detail liegt. Nicht nur die Bildebene macht eine Sendung anrührend, sondern auch die Musik, die durch einen Priming-Effekt eine bestimmte Emotionalität nahelegt (Kreutz). Die Stimme wird nur berühren, wenn sie gelebte Gefühle widerspiegelt (Buresch), und im Sound Design ist nicht Masse, sondern die sorgfältige Auswahl und Fokussierung gefragt (Segeler). Wie sensibel gerade Kinder in diesem Bereich sind, zeigt eine Rezeptionsstudie mit verschiedenen Vertonungsvarianten (Bulla/Götz).
Für Sendungen, die unsere Gefühle wirklich anrühren, braucht es viel Fingerspitzengefühl und Sorgfalt im Detail. Wie dies im Einzelnen geschehen kann, wird an 3 herausragenden Produktionen (Der Kleine und das Biest, Moritz, Mille) aufgezeigt. Wie Fachleute aus Produktion und Psychologie sowie Pre-Teens aus verschiedenen Kontinenten diese diskutieren, zeigt die aktuelle Ausgabe der TelevIZIon.

Dr. Maya Götz


FORSCHUNG

Lothar Mikos
»Wenn die Tränen fließen …«
Nicht alle Zuschauer sind bei ein- und derselben Filmszene angerührt.
Der Artikel erklärt, inwiefern das Zusammenspiel aus biografischen Erlebnisstrukturen eines Individuums und der Inszenierung eines Programms unsere Anrührung bedingen.

Maya Götz
Wenn Barbie und Mogli zu Tränen rühren
In einer deutschlandweiten repräsentativen Umfrage wurden 1. 121 Kinder im Alter von 3 bis 12 Jahren dazu befragt, ob sie schon einmal beim Fernsehen vor Rührung geweint haben.

Erhard Doubrawa
»Sich berühren lassen«
Von einem gestaltpsychologischen Blickwinkel aus legt Erhard Doubrawa die Ursachen der Rührung und des Weinens bei Filmen dar und beschreibt, wie man mit positiven und negativen Gefühlen umgehen lernen sollte.

Daniel Reinemer
Mit Rapunzel und Dornröschen gestärkt durchs Leben gehen
Märchen sind Geschichten, die emotional berühren. Der Artikel stellt die Verbindung zwischen Märchen und der menschlichen Psyche heraus und erklärt, warum Märchen auch in heutiger Zeit noch sehr wichtig sind – für Kinder und Erwachsene.

Gunter Kreutz
»Musik ist innere Bewegung«
Gunter Kreutz erläutert die Wirkung von Musik in Filmen, die Bildern eine bestimmte emotionale Einfärbung verleihen und Gerührtheit provozieren bzw. verstärken können.

Christine Bulla/Maya Götz
Wenn der Klingelbusch 3-mal unterschiedlich klingelt
Eine IZI-Studie mit 361 Kindern in 22 Ländern testete die Bedeutung der Musik bei der Vertonung einer Animation. Die Kinder sahen eine von 3 verschiedenen Versionen mit denselben Bildern, aber mit unterschiedlicher Tonspur. Dabei wurden sie mit der Kamera beobachtet.

Heike vom Orde
Kinder, Fernsehen und Emotionen
Der Artikel gibt einen Überblick über internationale Studien zum Thema »Kinder, Medien und Emotionen«

Forschungsliteratur Kinder, Fernsehen und Emotionen

Anne Bartsch
Emotionen, Ergriffen-Sein und Erkenntnis
Rezeptionsstudien zeigen, dass Erwachsene das Gefühl der Rührung bei der Filmrezeption bewusst suchen und dabei Traurigkeit positiv bewerten. Emotionale Ergriffenheit regt zum Nachdenken an und kann einen Aha-Effekt hervorrufen.

 

PROGRAMMFORSCHUNG

Maya Götz
Warum Der Kleine und das Biest uns anrührt
Der Artikel nähert sich aus der Perspektive der Wissenschaft und Praxis der Frage, was eine Kinder- und Familiensendung emotional anrührend macht.

Andrea Holler
Wenn Erwachsene sich andere Gedanken machen
In einer IZI-Studie wurden 50 3- bis 11-jährige Kinder zu Der Kleine und das Biest befragt. Ziel war es, herauszufinden, wie sie die Animation erleben, die Geschichte verstehen und ob sie den Film als geeignet für Kinder empfinden.

Dafna Lemish/Namrata Bansal
Moritz

Wie rührt Moritz an?

Über die Qualität der mehrfach preisgekrönten Sendung Moritz: Wäre cool, wenn sie ein Engel wird (ZDF) diskutierte das IZI mit Psychotherapeuten und TV-ExpertInnen. Statements aus diesen Gesprächen dokumentieren, wie es der Sendung gelingt, die ZuschauerInnen anzurühren, und wo es kritische Punkte zu reflektieren gilt.

Dafna Lemish/Namrata Bansal
Mille

Wie rührt Mille an?
Über die Qualität der dänischen Serie Mille diskutierte das IZI mit Psychotherapeuten und TV-ExpertInnen. Statements aus diesen Gesprächen dokumentieren, wie es der 2. Folge dieser Serie für 12- bis 15-Jährige gelingt, die ZuschauerInnen anzurühren.

 

PROGRAMM

Was Programmverantwortliche in Kindersendungen anrührt

Der Kleine und das Biest

Lothar Segeler
»Emotionen über Sound erzeugen«

Wolfgang Buresch
»Mit der Stimme berühren«

 

INFORMATION

Rührung unter der Lupe


Die Fachzeitschrift TELEVIZION kann kostenlos beim IZI bestellt werden.