Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe 15/2002/1 - TEXTAUSZUG:

Marjorie Taylor

Die unsichtbaren Freunde der Kinder

Kinder erfinden Fantasiegefährten, die unterschiedlichste Gestalten annehmen können. Sie können Kinder, Tiere, Geister oder auch skurrile Figuren wie der Typ aus dem Metzgerladen oder ein 106 Jahre alter Handlungsreisender sein. Kinder genießen diese aktiven Als-ob-Spiele. Dabei erleiden sie keinen Realitätsverlust, sondern bereichern ihren Alltag.

Ich lebe in den Vereinigten Staaten. Dort sehen die Kinder häufig fern und gehen auch oft ins Kino. Es werden ihnen viele Bücher mit Fantasiegeschichten vorgelesen und sie bekommen eine Menge Fantasiespielzeug geschenkt. Kontakt mit dem "Fantastischen" gibt es von Anfang an. Schon Säuglinge bekommen Fantasiespielsachen wie Plüschtiere und Puppen geschenkt. Babys werden in Kostüme gesteckt noch bevor sie überhaupt begreifen können, was mit ihnen vor sich geht. Mit fünf oder sechs Jahren schließlich haben viele amerikanische Kinder Videos über sprechende Hunde, Meerjungfrauen, Feen und dergleichen so oft gesehen, dass sie sie auswendig kennen. Welche Wirkung hat all dieser Fantasiekonsum auf die natürliche Entwicklung der kindlichen Vorstellungskraft? Haben die Fantasiesendungen und dergleichen, wie sie von Erwachsenen für Kinder produziert werden, Einfluss auf die Fähigkeit der Kinder, sich ihrerseits etwas auszudenken? Sind die ureigenen Fantasien von kleinen Kindern heutzutage von Figuren bevölkert, denen sie zum ersten Mal im Fernsehen begegnet sind – das Produkt der Fantasien anderer?

Meine Forschungsarbeit hat sich mit dieser speziellen Frage zwar nicht detailliert beschäftigt, da wir die Sehgewohnheiten der Kinder nicht eingehend und systematisch untersucht haben.

Aber ich kann Ihnen auf Grund unserer Forschung sagen, dass sich die kreative Vorstellungskraft unserer Kinder in bester Verfassung befindet. Ich stütze diese Aussage auf meine 10-jährige Erfahrung, die ich während der Untersuchung von Fantasiegefährten (imaginary companions, ICs) gesammelt habe. Hier handelt es sich um eine ausführliche und nachhaltige Form des "Als-ob-Spiels", das in der frühen Kindheit sehr verbreitet ist. Ein Fantasiegefährte ist eine erfundene Figur, mit der sich das Kind regelmäßig beschäftigt. Manchmal sind diese Figuren unsichtbar, manchmal entstehen sie in Anlehnung an ein besonderes Stofftier oder eine Puppe.

Wir wollten mehr über die Eigenschaften dieser Fantasiefreunde erfahren. Was geht in einem kleinen Mädchen vor, wenn es seinen unsichtbaren Spielgefährten ansieht? Außerdem wollten wir mehr darüber wissen, was es über Kinder aussagt, die sich Fantasiegefährten ausdenken, wie sich diese Art des Fantasiespiels entwickelt, was Fantasiegefährten für die Kinder "tun". Was sagen sie uns über das sich entwickelnde menschliche Gehirn und was haben sie mit Kreativität im Erwachsenenleben zu tun. Eigentlich sind Fantasiegefährten nur ein Teilaspekt aus einer langen Reihe artverwandter Als-ob-Spiele, auf die ich später noch kurz eingehen werde.

Worum handelt es sich bei Fantasiegefährten? Stephanie Carlson und ich haben vor kurzem eine Aufstellung der über die Jahre gesammelten Fantasiegefährten vorgenommen. Es sind insgesamt 341 Beschreibungen (davon 179 von Kindern im Alter von 3 bis 12 Jahren; 42 stammen von Eltern; 120 von Erwachsenen - insgesamt 252 Teilnehmer). Diese drei Informationsquellen, von denen jede ihre Stärken und Schwächen hat, lassen zusammengenommen ein ausführliches Bild von Fantasiegefährten entstehen.

Abbildung 1: Die Erniepuppe,
nachdem sie 11 jahre lang der
Fantasiegefährte eines Mädchens war.

Nahe liegend war zunächst die Unterscheidung zwischen völlig unsichtbaren Fantasiegefährten und solchen, die auf Spielsachen wie Puppen oder Plüschtieren beruhen. Manche Wissenschaftler schließen Spielsachen als Fantasiegefährten aus. Wir jedoch glauben, dass Kinder in ihrer blühenden Fantasie manchmal eine so starke Beziehung mit ihren Teddybären oder Puppen eingehen, dass es als gerechtfertigt erscheint, sie als eine Art von Fantasiegefährten zu betrachten. Ich spreche nicht von Spielsachen, die vorübergehend aktuell sind oder gerade zum Trost umhergetragen werden. Oft sprechen Kinder mit einem bestimmten Spielzeug und hören, was es ihnen zu sagen hat. Daraus kann eine Jahre andauernde, feste Beziehung entstehen.

Zum Beispiel wurde Ernie einem kleinen Mädchen im Alter von 8 Monaten geschenkt. Über die Jahre hatte es Dutzende anderer Plüschtiere und Puppen, aber Ernie war jahrelang ihr Vertrauter und besonderer Freund (s. Abb. 1).

Tracy Gleason hat einige Unterschiede herausgefunden: Eltern wissen eher von Fantasiegefährten, wenn es sich dabei um Spielsachen handelt. Die Wahrscheinlichkeit ist so auch größer, dass andere daran teilhaben. Unsere Forschungen haben ergeben, dass die psychologischen Eigenschaften, die Kinder mit Fantasiegefährten von anderen Kindern unterscheiden, bei Kindern mit Spielzeug-Fantasiegefährten in gleichem Maß vorhanden sind wie bei Kindern, deren Kamerad unsichtbar ist. Allerdings hat so ein Spielzeuggefährte seine Nachteile – er kann verloren gehen oder sich mit der Zeit abnutzen.

Insgesamt haben wir 105 Beschreibungen von ganz besonderen Spielsachen zusammengetragen, die anscheinend die Funktion eines Fantasiegefährten hatten (31% der Beschreibungen). Der Rest der Beschreibungen – 236 – bezog sich auf unsichtbare Gefährten. Ich werde nun auf einige davon eingehen, um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, wie facettenreich diese Art des Spiels sein kann (s. Tab. 1).

Tabelle 1:

Typen unsichtbarer Fantasiegefährten (N = 236)

Typen unsichtbarer
Fantasiegefährten

Kinder-Aussagen

Eltern-Aussagen

Rückblende

Gesamt

Anteil

Normales Kind

35

10

18

63

27%

Kind mit Zauberkräften

21

6

13

40

17%

Baby

5

2

4

11

5%

Ältere Person

23

4

2

29

12%

Tier

23

9

12

44

19%

Superheld

2

0

5

7

3%

Feind

4

1

2

7

3%

Gespenst, Engel, Geist

4

0

9

13

5%

Unsichtbares Ich

2

0

2

4

2%

Andere

6

0

12

18

9%


Viele Leute nehmen an, dass ein Fantasiegefährte normalerweise ein kleiner Junge oder ein kleines Mädchen ist, etwa im selben Alter wie das Kind – eben ein guter Spielkamerad. Davon gibt es viele – etwa 27% der unsichtbaren Fantasiegefährten sind ganz normale, aber unsichtbare Mädchen und Jungen, mit denen es sich gut spielen lässt. Die erfundene Rachel – einer von vier Fantasiegefährten, die sich drei Jahre lang hielten – basierte ursprünglich auf einer Freundin namens Rachel. Das Kind hatte eine erfundene Version von allen seinen Freunden – praktisch, wenn diese gerade nicht verfügbar waren. Dies ist nicht ungewöhnlich, denn eine Reihe von Fantasiegefährten basieren auf wirklichen Personen – 16% hatten echte Personen als Vorbild (s. Abb. 2).

Abbildung 2: Kinderzeichnungen
von Fantasiegefährten

Abbildung 3: Margarine - Ein unsichtbares
Mädchen, das Bruder und Schwester
gemeinsam als Freundin haben.
(Die Zeichnung des Bruders ist links,
die der Schwester rechts.)

Abbildung 4: Kinderzeichnungen von
Tieren als Fantasiegefährten

Abbildung 5:
Der Typ aus dem Metzgerladen

Viele Fantasiegefährten sind Spielkameraden, die keine normalen Kinder sind. Oft haben sie magische Eigenschaften – sie können fliegen, sich verwandeln, haben besondere Kräfte oder ungewöhnliche physische Eigenschaften (17%). Beispiele hierfür sind Baintor, ein winziger, vollkommen weißer Mensch, der im Lampenlicht lebt, oder Jerry, der in einem geheimen Gewölbe lebt, oder der Skateboard-Typ, der in der Hosentasche des Jungen sein Zuhause hat. Manchmal sind die Fantasiegefährten viel jünger als das Kind, das sie erfindet (in 5% der Fälle), beispielsweise Cream – ein unsichtbares Baby, das auf der Hand des Kindes lebt. Manchmal sind die Fantasiegefährten aber auch viel älter als das Kind (in 13% der Fälle), wie zum Beispiel Nobby, der unsichtbare 106 Jahre alte Geschäftsmann, der mit dem Kind zwischen seinen Reisen nach Portland und Seattle spricht (Beispiel Abb. 3).

In 20% der Fälle sind die Fantasiegefährten Tiere. Oft können sie mit dem Kind sprechen oder auf andere Weise mit ihm kommunizieren. Manche anderen Freunde aus dem Tierreich werden zusätzlich mit magischen Kräften oder besonderen Eigenschaften ausgeschmückt, wie 8% der Fälle zeigen (s. Abb. 4).

Da ist zum Beispiel Dipper (aus dem Bericht eines Kindes), ein unsichtbarer fliegender Delfin, der auf einem Stern lebte, nie schlief und "sehr, sehr, sehr, sehr schnell war". Er war "ungefähr so groß wie ein normaler Delfin, war aber mit Sternen bedeckt und anderem Glitzerzeug."

Oder Nutsy und Nutsy (aus dem Bericht eines Kindes), zwei unsichtbare, leuchtend bunte Vögel, die viel miteinander stritten und das Kind zum Lachen brachten.

Oder Pepper, Crayon und Golliwog (aus dem Bericht eines Erwachsenen), drei "Sheas", eine Art unsichtbarer Floh. Pepper war rosa mit rosa Haaren, Crayon war bunt kariert und Golliwog war schwarz mit schwarzen Haaren. Das Kind trug sie mit sich herum und beschützte sie vor den bösen Fremden auf dem Planeten, die auf der Suche nach ihnen waren.

Neben unsichtbaren Menschen und Tieren gab es auch noch andere Kategorien, die weniger oft vorkamen. Unser Sample enthielt auch Superhelden wie Supermann oder Wonder Woman (3% der Fälle) sowie eine kleine Anzahl an unsichtbaren Feinden. Nicht alle Fantasiegefährten sind gut oder nett. Manche sind überwiegend gemein und jagen dem Kind Angst ein. Von den 236 fielen sechs (3%) in diese Kategorie. Zum Beispiel Acher (aus dem Bericht eines Kindes), ein 5 Jahre alter unsichtbarer Junge, der "sehr böse zu mir ist, er haut mich, tritt nach mir, zieht an meinem Hemd und springt von meinem Bett herunter." (Dieses Kind erwähnte auch ein kleines unsichtbares Mädchen namens Darnit, sagte aber nichts weiter über sie).

Unter den Fantasiegefährten gibt es aber auch Gespenster, Engel oder Geister (5%) oder andere Geschöpfe (9%). Ein Beispiel hierfür ist der "Typ aus dem Metzgerladen" (aus dem Bericht eines Kindes), ein unsichtbarer grüner Zyklop, der in der Welt herumreiste und dem Jungen gern von seinen Abenteuern erzählte. Er arbeitet aber nicht in einer Metzgerei und trägt auch keine Kleidung, die man von Metzgern kennt – oder von irgend jemand anderem (s. Abb. 3). Der Junge erinnerte sich nicht mehr daran, warum er ihn den "Typ aus dem Metzgerladen" nannte. Mit dieser Figur spielte der Junge zwei Jahre lang. Die Eltern wussten von ihm, waren aber überrascht, als sie die Zeichnung sahen. Eltern sind übrigens oft überrascht. Sie wissen manchmal von dem Freund/von der Freundin, haben aber falsche Vorstellungen davon, wie er/sie ist.

In einer weiteren Studie haben Stephanie Carlson und ich 152 Drei- und Vierjährige untersucht. Wir wollten mehr über Fantasiefreunde von Kindern erfahren, aber auch über andere Arten von Als-ob-Spielen. Die Kinder wie auch die Erwachsenen wurden von uns zweimal interviewt, jeweils im Abstand von einer Woche. Bei der ersten Befragung erkundigten wir uns bei den Kindern nach Fantasiefreunden auf die folgende Art und Weise: "Jetzt stelle ich dir ein paar Fragen über Freunde. Manche Freunde sind echt, wie zum Beispiel die Kinder, die bei dir in derselben Straße wohnen, mit denen du auch spielst. Und dann gibt es Freunde, die man sich in der Fantasie vorstellt. Fantasiefreunde gibt es nur in der Vorstellung und man tut so, als ob es sie wirklich gibt. Hast Du so einen Fantasiefreund?" Wenn das Kind diese Frage bejahte, stellten wir ihm daraufhin eine Reihe von Fragen über diesen Freund / diese Freundin.1 Die Eltern wurden in der ersten Sitzung ebenfalls über die Fantasiegefährten ihrer Kinder befragt. Auf der Basis der Informationen aus allen vier Interviews bestimmten wir dann, ob das Kind einen Fantasiefreund hatte, unsichtbar oder als Spielzeug. In dieser Studie interessierte uns auch eine andere Art des Als-ob-Spiels. Unter Rollenspiel versteht man die Art von Verstellung, bei der das Kind vorübergehend jemanden anderes darstellt und dabei Benehmen und Sprechweise erfindet. Paul Harris zufolge, dem ich mich hier anschließe, gibt es drei verschiedene Arten von Spielen, bei denen Fantasiefiguren vorkommen - der Unterschied liegt in dem jeweiligen Medium, das für die Figur benutzt wird.

  • Das Kind erfindet ein Lebewesen oder eine Person und beginnt ein Zusammenspiel, benötigt dafür jedoch keine Requisiten aus seinem Umfeld (d.h. das Kind befasst sich mit einem unsichtbaren Fantasiefreund)
  • Das Kind erfindet ein Lebewesen oder eine Person und projiziert seine Vorstellungen auf eine Puppe oder ein Spielzeug; das Kind – so Harris – benutzt die Puppe oder das Spielzeug als Medium für sein Rollenspiel.
  • Das Kind erfindet eine Figur und benimmt oder verstellt sich entsprechend; hier benutzt sich das Kind selbst als Medium für sein Rollenspiel, erklärt Harris. Das Kind tut z. B. so, als wäre es ein Monster, Feuerwehrmann, Batman etc. (s.a. Tab. 2).

Jede dieser drei Arten von Rollenspiel kann vom Kind in sehr unterschiedlicher Intensität ausgelebt werden. Die Kategorie "ausführliches Rollenspiel" zeigte sich bei 39% der Kinder – also einem großen Prozentsatz unserer Befragten. 28% hatten Fantasiegefährten.

Wir haben 100 von den Kindern im Alter bis zu 7 Jahren begleitet – 63% davon hatten schon einmal einen Fantasiegefährten.



Tabelle 2:

Rollenspiel (nach Harris, 2000)
Rollenspiel: Das Kind schlüpft vorübergehend in die Rolle eines anderen, gibt vor Dinge zu tun und sagt Dinge im Spiel.
Kein Medium: Das Kind erfindet ein Lebewesen oder eine Person und befasst sich damit oder mit ihr, benötigt dazu jedoch keine Requisite aus seinem Umfeld.
Spielzeug als Medium: Das Kind erfindet ein Lebewesen oder eine Person und projiziert dies dann auf eine Puppe oder ein Spielzeug.
Das eigene Ich als Medium: Das Kind wird selbst zur erfundenen Figur oder spielt sie nach.

Geschlechterspezifische Betrachtungen zeigen, dass es im Alter bis zu 7 Jahren eher Mädchen sind, die einen Fantasiegefährten haben. Das heißt aber nicht, dass Jungen sich seltener auf Rollenspiele einlassen. Bei ihnen ist es nur wahrscheinlicher, dass sie die Figur selbst spielen und diese weniger als eigenständiges Individuum behandeln. Das Ergebnis mag mit den Arten von Rollen zusammenhängen, die Jungen und Mädchen gefallen. Wissenschaftlichen Untersuchungen von Harter und Chao zufolge gibt es geschlechterspezifische Charakteristika im Rollenspiel. In ihrer Studie beschäftigten sie sich zwar ausschließlich mit Fantasiegefährten, fanden aber heraus, dass die von Mädchen erdachten Fantasiegefährten eher Zuwendung und Betreuung nötig hatten. Kleine Jungen hingegen erdachten sich eher Fantasiegefährten, die stark waren – die Art von Figur, die sich auch gut nachspielen lässt (d.h. die man auch gerne selbst darstellen möchte).

Fasst man die wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen, so zeigt sich, dass viele Kinder schon im Alter von 4 Jahren mit ausführlichen Formen des Rollenspiels beschäftigt sind. Eine enorme Vielfalt an Figuren bevölkert die Fantasiewelt der Kinder. Obwohl sie viele Figuren aus Büchern sowie Film und Fernsehen kennen, sind die Figuren aus ihrer Fantasie zum großen Teil einmalig. Manchmal werden Kinder jedoch auch von außen auf die Idee eines Fantasiefreundes gebracht. Hinzu kommt noch, dass Kinder oft auf das Konzept des Lieblingskameraden stoßen, sei es in Büchern wie "Pu der Bär" oder "Velveteen Rabbit" oder auch durch das Fernsehen. Ich frage mich, wie viele Kinder auf den Gedanken kamen, sich einen unsichtbaren Freund zu erschaffen, nachdem sie "Big Bird" (dt. Bibo) und "Snuffleupagus" angesehen hatten.2 Der Punkt ist jedoch, dass die Fantasiefiguren, die die Kinder für ihre eigenen Spiele erfinden, große Originalität besitzen. Manche kleinen Jungen laufen zwar herum und tun so, als wären sie Batman, und manche kleinen Mädchen haben unsichtbare Versionen von Disney-Figuren wie "Die kleine Meerjungfrau" als ihre Fantasiefreunde, aber alles in allem ist die Vielfalt unglaublich groß (s. Tab. 3).

Tab. 3: Häufigkeit von Rollenspielen bei Mädchen und Jungen

Unsere Forschungsarbeit zeigt auch, dass aktives Rollenspiel vom Grad der sozialen Entwicklung abhängt (z. B. dass ein Kind sich in die Lage einer anderen Person versetzen kann). Es verbindet sich also mit Eigenschaften, die bei kleinen Kindern insgesamt als positiv zu bewerten sind. Das deckt sich auch mit anderen Forschungsergebnissen aus letzter Zeit. Unsere Ergebnisse widersprechen dem gängigen Klischee, wonach sich ein Kind einen Freund ausdenkt, weil es zu scheu oder in sich gekehrt ist. Wie sich herausgestellt hat, haben diese Kinder sogar weniger Hemmungen und genießen soziales Miteinander ausgesprochen.

Es heißt manchmal, dass es Kindern, die ganz in ihrer Welt mit ihrem Fantasiegefährten aufgehen, an Realitätssinn mangelt, da sich dabei die Grenze zwischen Fantasie und Realität verwischt. Von Kindern wird immer wieder gesagt, dass sie gewisse Schwierigkeiten haben, zwischen diesen beiden Welten zu unterscheiden.

Ohne Zweifel geben wir ihnen mit dem vielen Fantasiematerial im Angebot eine ganze Menge zum Nachdenken und nicht immer verstehen sie alles richtig. Was jedoch der Vorstellungskraft der Kinder selbst entspringt, hat einen anderen Stellenwert als die Fantasieprodukte, die ihnen fertig präsentiert werden. Wenn es um Fantasiegefährten geht, wissen die Kinder dem Anschein nach genau, was Sache ist. Es mag ein paar Kinder geben, die glauben, ihre Freunde seien echt, aber die meisten – auch wenn sie ihre Fantasiegefährten wirklich sehr mögen und ganz in dieser Fantasie aufgehen – wissen ganz genau, dass es sie nicht gibt.

Und so halten Kinder, die ich über ihre Fantasiegefährten befrage, oft irgendwann im Laufe des Interviews inne, schauen mich geradeaus an und sagen: "Weißt du, es ist nur so als ob."



ANMERKUNGEN


1
Name, Spielzeug oder ganz ausgedacht, Geschlecht, ALter, Aussehen, was das Kind an ihm mochte bzw. nicht mochte, und wo dieser Freund lebt.

2 Eine Konstellation zwischen Bibo und einem Freund, den bis 1985 nur er selber sehen konnte, bis er dann für alle sichtbar wurde.


 

LITERATUR

Gleason, T. R.; Sebane,A. M.; McGinley J.; Hartup, W. W.: Invisible friends and personified objects: Qualitative differences in relationships with imaginary companions. Paper presented at the biannual meeting of the Society for Research in Child development: Washington, DC 1977.

Harris, P. L.: The work of the imagination. Oxford: Blackwell 2000.

Harter, S.; Chao, C.: The role of competence in children’s creation of imaginary friends. Merrill-Palmer Quarterly, 38/1992/-, S. 350-363.

Taylor, M.: Imaginary companions and the children who create them. New York, N.Y.: Oxford University Press 1999.

Taylor, M.; Carlson, S. M.: The influence of religious beliefs on parental attitudes about children's fantasy behavior. In: Johnson, C.; Rosengren, K. (Hrsg.): Imagining the impossible: The development of magical, scientific, and religious thinking in contemporary society. Cambridge, MA: Cambridge University Press 2000, S. 247-268.

Taylor, M.; Carlson, S. M.; Gerow, L.: Imaginary companions: Characteristics and correlates. In: Reifel, S. (Hrsg..): Play and culture studies: Theory in context and out (Bd. 3). Westport, Conn.: Ablex Publishing 2001, S. 179-198.

Taylor, M.; Carlson, S.M.: Imaginary companions and elaborate fantasy in childhood: Discontinuity with nonhuman animals. In: Mitchell, R. W. (Hrsg.): Pretense in animals and humans. Cambridge, MA.: Cambridge University Press 2002, S. 167-182.



DIE AUTORIN

Marjorie Taylor, Dr. phil.,

ist Professorin und Leiterin des Department of Psychology, University of Oregon in Eugene, Oregon, U.S.A.


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