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Die Bedeutung von Influencerinnen bei der Entwicklung von Essstörungen (2019)

Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, Perfektionismus und eine starke Orientierung an den Rückmeldungen anderer sind typisch für Menschen mit Essstörungen. Welche Tendenzen und Zusammenhänge sich dabei im Einzelnen zeigen, ist bislang weitgehend unerforscht. Hier setzt die Studie des IZI in Kooperation mit dem Bundesfachverband Essstörungen e. V. (BFE) und der Schön Klinik an. Die Gesamtstudie geht der Frage nach, wie Menschen mit Essstörungen soziale Netzwerke zur Selbstinszenierung nutzen, inwieweit sie Filter anwenden, mit welchen Empfindungen dies einhergeht, welche Bedeutung Influencerinnen in diesem Kontext haben und inwiefern die Instagramnutzung Einfluss auf das reale Leben und den Krankheitsverlauf nimmt. Die Betroffenen wurden per Fragebogen mit meist offenen Fragen sowie einigen standardisierten Items befragt. An der Befragung beteiligten sich n=143 Betroffene, 138 davon Mädchen und Frauen, die sich aktuell in Behandlung wegen Essstörungen befinden.

Ergebnisse: In vielen Bereichen ähnelt das Postverhalten der von Essstörungen Betroffenen dem der Gruppe der Mädchen insgesamt. Drei Viertel (74 %) der Mädchen und Frauen mit Essstörungen sind aktiv auf Instagram und posten Bilder von sich. Auf ihren Bildern ist es ihnen besonders wichtig, „schlank“ auszusehen, aber auch, sich „von der besten Seite zu zeigen“ und „natürlich“ zu erscheinen. Um dies zu erreichen, nutzen sieben von zehn (72 %) Befragten Filter-Apps, um z. B. die Haut zu korrigieren, die Zähne aufzuhellen oder Gesicht und Körper schlanker zu gestalten. Doch trotz Nachbearbeitung können die eigenen Bilder in den Augen der Befragten dem Vergleich mit anderen nicht standhalten. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen realen Körper steigt, sie beginnen, ihr Ess- und Trainingsverhalten zu verändern, die virtuelle Lebenswelt greift in den realen Alltag ein. Orientierung in Bezug auf Werte und konkretes Handeln bieten ihnen dabei Influencerinnen.

Auf die Frage, ob es bestimmte bekannte Persönlichkeiten gibt, die besonderen Einfluss auf die Entwicklung der Essstörung hatten, werden eine ganze Reihe von Namen genannt. Die Hälfte der befragten Frauen und Mädchen gibt an, Heidi Klum hätte mindestens „ein wenig Einfluss“ auf die Entwicklung ihrer Essstörung gehabt. Lena Gercke, die Gewinnerin der ersten Staffel von Germany’s Next Topmodel, wird von jeder Dritten als bedeutsam beschrieben. Jede vierte Befragte schreibt Fitness-Influencerin Pamela Reif einen Einfluss auf die Essstörung zu, 18% aller Befragten geben an, sie hätte sogar einen „sehr starken Einfluss“ auf ihre Erkrankung gehabt.  Ein weiterer mehrfach als besonders bedeutsam genannter Name ist Anne Kissner. Essstörungen sind komplexe psychosomatische Erkrankungen, es sind somit nicht Influencerinnen allein, die eine Essstörung befördern. Doch Influencerinnen leben Werte vor, zeigen Ziele im Leben auf und können zum konkreten Vorbild für essgestörtes Verhalten werden. 

So wie Fitness-Influencerinnen die Notwendigkeit eines sehr dünnen Körpers, ständiger Diät und Fitness propagieren, ist auch eine Erweiterung des Schönheitsideals und eine positive Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper möglich. Explizit genannt wird zum Beispiel Fine Bauer: Als Model für große Größen half sie Leonie, 31 Jahre alt und seit 19 Jahren in Behandlung wegen Bulimie, ihren Körper zu akzeptieren. Diese Positivbeispiele zeigen: Mehr Realitätsnähe, Individualität und diversere Körperbilder sind in der Medienlandschaft insgesamt dringend nötig, insbesondere aber auch bei den Influencerinnen. Influencerinnen haben eine starke Wirkung auf junge Menschen. Sie müssen sich dieser Verantwortung bewusst sein. Was viele Klicks erzeugt, ist nicht zwangsläufig auch gut für die Follower*innen.

Literatur:
Götz, Maya; Wunderer, Eva; Greithanner, Julia; Maslanka, Eva: "Warum kann ich nicht so perfekt sein?". Die Bedeutung von Influencerinnen bei der Entwicklung von Essstörungen. TelevIZIon, 32/2019/1, S. 29-31.