IZI-Forschung
 
Forschungsschwerpunkt Berichterstattung für Kinder

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Kinder sehen den Krieg
Die Sicht der Kinder auf den Krieg im Irak und die Fernsehberichterstattung 

Wochenlang dominierte ein Thema die Medien: der Krieg im Irak. In den Berichten sind Bombardements, Verletzte und Tote zu sehen. Kinder haben zu diesen Bildern und den Ereignissen ihre eigene Perspektive. Sie haben Sorgen, Fragen, Informationsbedarf und das Bedürfnis, ihre Sicht der Dinge und ihre Gefühle darzustellen. Wodurch sich diese Perspektive von Kindern auszeichnet und wie Kinderfernsehen mit der Problematik umgeht, untersucht derzeit das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in Zusammenarbeit mit internationalen WissenschaftlerInnen.


A. Interviews mit Kindern
In problemzentrierten Interviews wurden insgesamt 138 Kinder (6-13 Jahre alt), 95 Kinder in Deutschland und 43 in Österreich befragt. Innerhalb der ersten Woche nach Kriegsbeginn fanden die Interviews jeweils bundesweit verteilt statt. Hinzu kommt eine Zusatzstichprobe mit sieben irakischen Kindern, die aus dem Irak nach Deutschland geflüchtet sind, die zu ihrer Perspektive auf die Ereignisse interviewt wurden.

Ergebnisse: Deutsche Kinder sind eindeutig und engagiert gegen den Krieg,
bei österreichischen Kindern bleibt die Auseinandersetzung oberflächlicher


Kinder in Deutschland sind fast alle gegen den Krieg und wissen Details über ihn. Dieses Wissen kommt vor allem aus dem Fernsehen, aber auch aus Diskussionen mit Eltern oder in der Schule. Rund 70 % der Kinder haben gezielt Sendungen zum Irak-Krieg gesehen. Sie erinnern sich vor allem an Kriegshandlungen. Sie waren an der ausführlichen Berichterstattung interessiert, die ihnen eine Vorstellung von der Lage ermöglichte. Den Kindern gefielen vor allem die Aktionsaufrufe gegen den Krieg und manche hätten sich sogar eine noch deutlichere Positionierung der Moderatoren gewünscht. Schwierig waren für die Kinder Angst einflößende Bilder, aber auch langweilige Bilder oder zu wortlastige Beiträge. An Informationen hätten sie gerne mehr über die Menschen im Irak erfahren.

Viele der befragten Kinder geben an, viel über den Krieg nachzudenken und einige sagen aus, bereits davon geträumt zu haben. In den Träumen fantasieren sie sich in die Lage derjenigen, die ihre Eltern verlieren, die selbst sterben oder in einem Fall träumen sie sich auch als Tötende. Die Emotionen der Kinder sind vor allem Betroffenheit, Mitgefühl, aber auch Wut und Angst. Auffallend ist das sehr kritische Bild von Amerikanern, die deutsche Kinder zum Beispiel als diejenigen sehen, die hinterhältige Tricks vollführen, um möglichst viele Iraker zu töten. Einige Kinder nehmen an, die Amerikaner hätten Spaß am Töten z. B. irakischer Kinder. 

Im Vergleich der deutschen mit den österreichischen Kindern fällt zum einen die Tiefe auf, mit der deutsche Kinder sich mit dem Thema beschäftigt haben, unterstützt von Gesprächen mit Eltern oder in der Schule. Eine entsprechende Auseinanderersetzung hatte bei den österreichischen Kindern so gut wie nicht stattgefunden. Entsprechend ist das Wissen weniger fundiert und die Fantasien der österreichischen Kinder sind weniger realistisch, dafür aber auch weniger antiamerikanisch. 

Die befragten irakischen Kinder in Deutschland haben eine intensive Beziehung zu dem Thema. Da meistens noch Verwandte im Irak sind, fürchten sie um diese. Oftmals sind sie ebenfalls gegen den Krieg, sehen in Saddam Hussein jedoch einen Verbrecher, der vertrieben werden soll. Die Berichterstattung in den deutschen Medien nehmen sie zumeist als unrichtig, oberflächlich und zum Teil unangemessen wahr. Sie wünschen sich häufig mehr Informationen, die sich angemessen mit dem Leben und der Situation der Menschen im Irak auseinander setzt.


B. Wie sehen Kinder den Krieg im mehrnationalen Vergleich?

Der Krieg ist weltweit ein Medienereignis. Nicht nur die Medienberichterstattung unterscheidet sich (etwas, das z. B. von Elizabeth Prommer an der HFF Potsdam-Babelsberg untersucht wird), sondern die jeweilige alltagsweltliche Situation der Kinder divergiert. Während deutsche Kinder sich in Demonstrationen engagieren und im Unterricht Krieg als etwas Grundsätzliches diskutieren, führen Kinder in Israel seit Monaten Notfallübungen durch und tragen ihre Gasmasken stets bei sich. 

Im mehrnationalen Vergleich (Deutschland/Österreich - Israel - USA) wird den Funktionen von Fernsehen und fernsehkonvergenter Angebote für Kinder in dieser Situation nachgegangen. Die Untersuchungsdesigns sind dabei entsprechend den jeweiligen Gegebenheiten verändert.

Ergebnisse: In den USA der Versuch, die Kinder unwissend zu halten; in Israel konkrete Ängste und trotz hoher Informiertheit offene Fragen

In den USA/Kalifornien/San Diego waren die befragten 20 Kinder begeistert von diesem Krieg, die Mädchen lehnten den Krieg insgesamt jedoch eher ab und wünschten sich Frieden. Eine Diskussion in der Schule hatte nicht stattgefunden (es war den Lehrern verboten, über dieses Thema zu reden). Die Gespräche mit den Eltern waren zum Teil für die Kinder unbefriedigend, denn sie suchten nach Informationen und wollten mit den Eltern grundsätzlich über den Krieg diskutieren, was diese jedoch ablehnten. Entsprechend gering ist das Wissen, und die Auseinandersetzung der Kinder mit dem Thema war eher oberflächlich. Mitleid mit den irakischen Menschen kam bei den amerikanischen Jungen gar nicht vor, die Mädchen sahen zwar die Notwendigkeit dieses Krieges, aber auch die Leiden der Menschen im Irak. Insbesondere die Jungen entwickelten Fantasien zum Beispiel von George W. Bush, der eigenhändig Saddam Hussein die Kehle durchschnitt. Bomben, Explosionen und vor allem Gewinnen standen im Vordergrund. 

In Israel bereitete sich die Bevölkerung wochenlang darauf vor, von biologischen oder chemischen Langstreckenwaffen Saddam Husseins getroffen zu werden. Entsprechend häufiger wurde in den Interviews von konkreten Ängsten berichtet, z. B. Familienmitglieder zu verlieren oder sich in einer Situation zu befinden, in der sie nicht rechtzeitig die Gasmasken aufsetzen können. Die 39 befragten Kinder waren über den Krieg, seine Hintergründe und seine Entwicklung sehr informiert. Ihre Hauptdeutung des Kriegsgrundes: Saddam Hussein will Israel bombardieren, deshalb greifen die USA den Irak an, um uns zu verteidigen. Sie zitieren die "Achse des Bösen" und stellen Zusammenhänge zu den Attentaten vom 11. September her. Was sie sich erhoffen, ist der Sieg der Amerikaner, in dem sie neben der Sicherheit für Israel auch die Chancen für den Irak sehen. Nicht alle Kinder sind deswegen für den Krieg. Einige argumentieren, dass Krieg keine Lösung, sondern nur Zerstörung bringen werde. Entsprechend der Betroffenheit des Landes waren die Medien mit Programmen zu dem Thema gefüllt. Die Kinder waren nicht immer begeistert von den Sendungen, gerade den Mädchen waren sie zu traurig. Mehrfach wurden die Sprachlastigkeit der Beiträge und die nicht spannenden Bilder kritisiert. Könnten israelische Kinder das Programm bestimmen, würden sie über den Krieg aus Kinderperspektive berichten. Im Detail bleiben viele Fragen, die sie in einem gezielten für Kinder konzipierten Beitrag erklärt haben möchten, "because adults know what war is and children don't." (Shirley, 9 Jahre)


C. Analysen der E-Mails an Kindersender

Kindersender sind ein Anlaufpunkt geworden, an die Kinder mit ihren Fragen und Einschätzungen hinsichtlich der Situation herantreten. In der Studie wird analysiert, welche Fragen Kinder an die Sender-Websites kika.de, tivi.de, toggo.de und kindernetz.de. richten. Die 5.887 E-Mails und Foreneinträge, die in der ersten Kriegswoche an die Sender geschickt wurden, wurden inhaltsanalytisch ausgewertet. 

Parallel zu dieser Studie arbeitet Dr. Peter Nikken in den Niederlanden mit dem gleichen Codeplan und untersucht so 1.391 Foreneinträge bei den Internetangeboten von Kindersendern.

Ergebnis: Niederländische Kinder argumentieren vielfältiger

Rund 84% der deutschen Kinder positionieren sich eindeutig gegen den Krieg. Sie begründen ihre Position mit einer allgemeinen Ablehnung des Krieges, denn er sei "keine Lösung" und Menschen sterben. Häufiger argumentieren Kinder dabei personalisiert, sie lehnen Präsident Bush und sein Handeln ab, denn, so schreiben sie häufiger, seine Argumente seien fadenscheinig, denn der Krieg werde nur aus ökonomischen Gründen geführt. In den Statements berichten die Kinder und Preteens auch von Emotionen, vor allem Mitgefühl mit der irakischen Bevölkerung, aber auch Angst und Wut. In den E-Mails drückt sich aber auch die Hoffnung der Kinder auf ein baldiges Kriegsende und eine friedliche Lösung, bei der Bush und Hussein sich aussöhnen, aus. In den E-Mails suchen die Kinder nach Informationen speziell zum Irak-Krieg (zum Beispiel wegen der Gründe), aber auch zur Grundsatzfragen, warum es einen Krieg gibt.

In der niederländischen Stichprobe waren mit 67% zwar auch die meisten Kinder gegen den Krieg, jedoch waren im Vergleich signifikant mehr Kinder für den Krieg als in der deutschen Studie. In ihren Argumentationen sind die niederländischen Kinder dabei etwas vielfältiger als die deutschen. Neben dem häufigsten Argument: "Menschen sterben oder werden verletzt" argumentieren die niederländischen Kinder deutlich mehr mit der Person Saddam Husseins, z. B. dass er ein Diktator sei. Aber auch Argumente wie "Die UN stimmte dem Angriff nicht zu", "Der Irak hat gefährliche Waffen" oder auch "Die USA haben dem Irak die Waffen selber geliefert" sind Argumentationslinien, die sich bei den deutschsprachigen Foreneinträgen so gut wie nicht finden. Einzig das Argument "Herr Bush will eigentlich nur das Öl" bringen deutsche Kinder öfter als niederländische. Auch in den Emotionen unterschieden sich die beiden Stichproben. Holländische Kinder äußern mehr Mitleid, aber auch mehr Furcht bei dem Thema, während bei den deutschen Kindern Wut als Emotion im Vergleich häufiger vorkam.

Die gefundenen statistischen Unterschiede zwischen den Foreneinträgen in den Niederlanden und denen bei deutschsprachigen Anbietern dienen derzeit als Grundlage für eine Medienanalyse in der gezielt Kindernachrichten daraufhin untersucht werden, ob sich in ihnen diese Tendenzen quantitativ wiederfinden lassen (durchgeführt von Wiebke Landschulz (IZI) und Charlotte Brekelmans (Uni Amsterdam).


D. Medienanalyse: Die deutsche Berichterstattung 

Wie die Angebote der Sender auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen, wird in einem dritten Teilprojekt untersucht. Während der ersten Kriegswoche werden die Hauptnachrichten und die Kindernachrichten aufgezeichnet und quantitativ inhaltsanalytisch untersucht. Hinzu kommt eine Erfassung des Angebots in fernsehkonvergenten Internetseiten.

Ergebnis: Kindernachrichten sind im Vergleich zum Erwachsenenprogramm deutlicher gegen den Krieg

In der Analyse der Berichterstattung im deutschen und österreichischen Programm zeigte sich eine auffällig häufige Positionierung gegen den Krieg in der Berichterstattung der Kindernachrichten. Die deutschen Kindernachrichten logo! positionierten sich mit 50% ihrer Sequenzen am häufigsten gegen den Krieg. Aber auch die österreichischen Kindernachrichten zeigten häufig die Ablehnung des Krieges. Im Vergleich zu den Erwachsenennachrichten bringen die Kindernachrichten wenig Argumente für und gegen den Krieg. George W. Bush wird in der Berichterstattung quantitativ mehr Aufmerksamkeit geschenkt als Saddam Hussein. Auf dem Bildschirm sind beide beinahe gleich präsent, doch findet der Name Bush insgesamt mehr Erwähnung. Auffällig ist, dass in den Kindernachrichten weitestgehend Bilder des Leidens der irakischen Menschen vermieden werden. Auf die Darstellung von Emotionen der Iraker wird in den Kindernachrichten ganz verzichtet.


E. Wie unterstützt Kinderfernsehen weltweit Kinder bei diesem Thema?

Kinderfernsehstationen weltweit bieten Kindern verschiedenste Sendungen und Internetangebote zum Thema Krieg im Irak an. Kindernachrichten von Mexiko bis zu den Niederlanden arbeiten die Thematik auf. In Zusammenarbeit mit dem PRIX JEUNESSE INTERNATIONAL werden weltweit FernsehredakteurInnen zu ihrem Zugang und ihren Angeboten befragt. Die halbstandardisierte Befragung wird von qualitativen Analysen einzelner Programme ergänzt.

Ergebnis: Unterschiedliche Angebote; viele davon mit klaren Richtlinien, was gezeigt werden darf

Die ProduzentInnen von Kinderfernsehen schenkten dem Irak-Krieg sehr unterschiedliche Beachtung. Insgesamt reicht die Palette von betont starker Berücksichtigung des Themas mit dem Ziel, Kinder sehr genau zu informieren, bis hin zur Verschonung der Kinder vor den Tatsachen des Krieges und Ablenkung durch alternative, "kriegsfreie" Fernsehangebote. Die Berichterstattung des Krieges im Kinderfernsehen erfolgte häufig in der Form von Nachrichtensendungen für Kinder, wobei einige Fernsehstationen darauf achteten, die Erklärungen von Zusammenhängen auf dem Wissenstand von Kindern zu gestalten. Ferner gab es Reportagen über die Situation der Kinder im Irak. Reportagen über die Kinder im jeweils eigenen Land mit starker Berücksichtigung ihrer Sichtweise auf den Krieg sowie ihrer Ängste waren ebenso ein sehr häufiges Element der Programme zum Irak-Krieg im Kinderfernsehen. In Talkshows wurden Experten (von Friedenspädagogen über Psychologen bis hin zu Militärs) befragt. Auch über Internetseiten und Helplines wurde mit dem jugendlichen Publikum kommuniziert.

Viele Fernsehstationen entwarfen Richtlinien für ihre Kriegsberichterstattung, z. B. keine Bilder von schwer verletzten bzw. getöteten Menschen zu zeigen, über keine Details zur amerikanischen Waffentechnologie zu berichten etc. Insgesamt wurde von zahlreichen Sendern verstärkt versucht, Kinder in die Programmgestaltung mit einzubeziehen bzw. deren Perspektive auf den Krieg in den Mittelpunkt zu stellen.

Literatur:
TelevIZIon 16/2003/2 “Krieg im Kinderfernsehen“
Lemish, Dafna; Götz, Maya: (Hrsg.): Children and Media in Times of War and Conflict. Cresskill, NJ: Hampton Pr. 2007