Porträt des kremlnahen Propagandisten
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Sergej Markow

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Propagandist: "Ukrainer und Russen sind wie Bayern und Deutsche"

Der kremlnahe Experte Sergej Markow fiel mit einer grotesken Bemerkung auf: Der Krieg in der Ukraine sei mit einem Konflikt zwischen Bayern und Deutschen vergleichbar. Eine "Wiederversöhnung" sei zwar möglich: "Aber es wird eine Katastrophe sein."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

An aberwitzigen Behauptungen mangelt es im Blog des russischen "Politologen" Sergej Markow wirklich nicht, aber jetzt bediente er seine rund 60.000 Fans mit einem besonders abstrusen Vergleich: "Ukrainer und Russen sind nicht wie die Deutschen und Franzosen. Es ist eher wie bei den Schotten und den Engländern, wie bei den Texanern und den Amerikanern, wie bei den Bayern und den Deutschen. Das heißt, es gibt zwar Ukrainer, aber sie sind Teil des großen russischen Volkes. Es ist klar, dass ein Krieg zwischen Bayern und Deutschen grundsätzlich möglich ist, auch ein Krieg zwischen Texanern und Amerikanern ist denkbar. Aber er wird eine Katastrophe sein. Danach ist allerdings eine Wiederversöhnung möglich, denn die Bayern sind immer noch Teil des deutschen Volkes."

Putin: "Teile und herrsche"

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte bereits im vergangenen Jahr behauptet, es sei eine "historische Tatsache", dass Ukrainer und Russen einem Volk angehörten. Damals hatte Putin die Mär in die Welt gesetzt, der Westen habe im 19. Jahrhundert eine Art "Spaltung" betrieben: "Natürlich wurde das in einem Teil unserer Bevölkerung kultiviert, einige begannen, es zu mögen: Jeder hat seine eigenen historischen und sprachlichen Merkmale. Natürlich begannen sie, es genau für diesen Zweck zu instrumentalisieren – nach dem Motto 'Teile und herrsche'." Putin ließ es sich bei der Gelegenheit nicht nehmen, auf "ukrainische Kollaborateure" zu verweisen, die auf der Seite von Hitlers Truppen gegen "Russen, Polen, Juden und Weißrussen" vorgegangen seien.

Auf die Frage, ob die von ihm propagierte "Spezialoperation" in der Ukraine als "Bürgerkrieg" bezeichnet werden könne, hatte Putin geantwortet: "Teilweise ja, aber leider sind wir aus unterschiedlichen Gründen in verschiedenen Staaten gelandet."

"Längst überholtes Konzept"

Putins Argumentation, die er bereits in einem Artikel über die "historisch gewachsene Einheit" von Ukrainern und Russen im Juli 2021 ausbreitete, gilt Fachleuten als unhistorisch, sie glauben, dass er sich der "Standardthesen in sowjetischen Geschichtsbüchern" bedient, wie wohl auch sein Propagandist Sergej Markow. So betonte der Historiker und Politologe Georgi Kasjanow schon vor dem Angriffskrieg: "Es sollte daran erinnert werden, dass sowohl der Begriff 'Volk' als auch der Begriff 'Nation' in verschiedenen Epochen unterschiedliche Bedeutungen hatte. Daher ist es ein längst überholtes Konzept, von einer gewissen tausendjährigen Geschichte einer Nation zu sprechen, die mit einer einzigen Bedeutung und einem einzigen Inhalt erfüllt ist."

"Ethnische Vielfalt wirklich enorm"

Auch in der kremlnahen Nachrichtenagentur RIA Nowosti hatte es im vergangenen Juni geheißen, was in der Ukraine geschehe sei ein "verspäteter Bürgerkrieg": "Unter anderen Umständen hätte er bereits in den Jahren 1991/1992 beginnen sollen, denn solch riesige imperiale Formationen wie die Sowjetunion zerfallen nie still und friedlich." Solchen Aussagen folgt dann regelmäßig der propagandistische Hinweis, die Ukraine sei eigentlich gar kein Staat, sondern ein künstliches, vom Westen am Leben gehaltenes Gebilde. So kann der Kreml behaupten, die von ihm besetzten Gebiete seien "Neurussland".

Allerdings kündigte Putin gerade jetzt das Übereinkommen zum Schutz von nationalen Minderheiten, das Russland unterzeichnet hatte. Offiziell hieß es dazu, Russland könne beim Europarat im dort zuständigen Beratungsausschuss aufgrund der Sanktionen ohnehin nicht mehr mitwirken und "Fälle von Rechtsverletzungen auf internationaler Ebene überwachen". Dazu sagte die Vorsitzende im Ausschuss, Petra Roter, die als Professorin im slowenischen Ljubljana Internationale Politik unterrichtet, in einem Interview: "Ich bedauere das wirklich, denn die Russische Föderation verliert die Möglichkeit, Hilfe bei der Bewältigung der ethnischen Vielfalt zu erhalten, die in diesem Land wirklich enorm ist." Sie und der Ausschuss seien "sehr besorgt" über Putins Nationalitäten-Politik, so werde die russische Sprache bereits seit einer Bildungsreform im Jahr 2006 besonders gefördert, zu Lasten anderer Sprachen, die in Russland verbreitet seien: "Daraus entwickelte sich ein Trend, eine Bewegung in die falsche Richtung, die nicht zur Erreichung der im Rahmenübereinkommen verankerten Ziele beitrug."

"Es ist sinnlos und gefährlich"

Im russischsprachigen Netz wird bereits seit Monaten teils sehr aggressiv über angeblich bedrohliche nationale Minderheiten gestritten, die die russische Identität gefährdeten. Ein Blogger behauptete: "Fairerweise muss man sagen, dass dieses Übereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten zu seinen besten Zeiten in europäischen Ländern sehr selektiv funktionierte. Es leistete gute Arbeit beim Schutz beispielsweise der in Finnland lebenden Schweden, aber die Russen in Estland hat es überhaupt nicht beschützt." Es sei an der Zeit, dass Russland seinen Bewohnern klar mache, wer "hier Führungsnation ist und wer zur Minderheit" gehöre.

Ein weiterer wollte gar beobachtet haben, die Russen seien im eigenen Land "das am stärksten unterdrückte Volk". Gern wird von aufgebrachten Nationalisten auf "aserbaidschanische Straßenschläger" und vermeintlich oder tatsächlich übergriffige Teenager aus Zentralasien geschimpft, schließlich fielen die in Russland lebenden Chinesen und Vietnamesen nicht mit Gewalttaten auf. Polit-Blogger Rostislaw Antonow hielt es für "seltsam", dass Russland die erwähnte Konvention nicht längst hinter sich gelassen habe: "Es ist sinnlos und gefährlich, Teil von internationalen Vereinbarungen zu sein, die nicht auf den gegenseitigen Nutzen der Teilnehmer, sondern auf eine systematische Diskriminierung einer der Vertragsparteien abzielen."

Angst vor "Intifada auf dem Roten Platz"

Blogger Jaroslaw Beloussow fragte sich, ob Russland einen "inneren Krieg" brauche, bevor der "äußere" vorbei sei. Zum Thema nationale Minderheiten ist bei ihm zu lesen: "Wir sprechen von einer Verschiebung des ethnischen Gleichgewichts und der Verbreitung systemfeindlicher politischer Ideen. Das einzig Gute ist, dass der Zustrom von Migranten hauptsächlich die Hauptstädte Russlands und nicht die Provinz betrifft. Andernfalls wäre ein 'Kosovo'-Szenario für uns unausweichlich. Doch die Asiatisierung Moskaus birgt auch eine Reihe ernsthafter Bedrohungen. Überall auf der Welt schwappt vor dem Hintergrund des Konflikts im Nahen Osten nun wieder eine Welle islamischer Proteste, und wer wird garantieren, dass die Kinder von Wanderarbeitern nicht direkt auf dem Roten Platz und auf dem Arbat eine 'Intifada' bei uns organisieren?"

Der russische Generalstaatsanwalt Alexander Bastrykin forderte angesichts des Krieges "gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine Stärkung der interethnischen Beziehungen". Er verdeutlichte auch umgehend, was er damit konkret meinte: Allen eingebürgerten Migranten will er die russische Staatsbürgerschaft entziehen, wenn sie sich weigern, an die Front zu gehen.

Warnung vor "kaputtem System"

Nur wenige russische Beobachter warnen angesichts solcher Kommentare aus dem rechtsnationalistischen Lager: "Das Aufwerfen solcher Fragen hat noch nie zu etwas Gutem geführt." Seine entsprechenden Bedenken erklärt ein Blogger so: "In unserem multinationalen Reich stimmt etwas nicht. Genetisch sollten unsere Völker miteinander verbrüdert sein. Seit Jahren sind wir empört darüber, dass ethnische Russen in den baltischen Ländern unterdrückt werden, und noch mehr empört uns die Art und Weise, wie das moderne Europa Russen aufgrund ihrer Nationalität und Staatszugehörigkeit diskriminiert. Aber irgendetwas ist in unserem System kaputt. Und zwar dermaßen, dass alte Narrative über die unterdrückte Hauptnationalität wieder aufleben. Das haben wir schon in den 1990er-Jahren durchgemacht, heute erleben wir es auf einer neuen Stufe."

Streit um Kreuze

Einen aktuellen Anlass, sich auszutoben, fanden Russlands "Ultrapatrioten" bei zwei neuen, von der russischen Zentralbank präsentierten Banknoten im Wert von 1.000 und 5.000 Rubeln, auf denen historische Gotteshäuser abgebildet sein sollten, die nach Angaben der Russisch-orthodoxen Kirche mittlerweile als Museen dienen, etwa in Kasan und Ufa. Auf den Türmen fehlten daher die Kreuze. Das erzürnte die Rechtsradikalen dermaßen, dass die Zentralbank versprach, die Entwürfe zu überarbeiten: "Unsere Regierung spielt mit gefährlichen Gefühlen. Einerseits weckt sie Patriotismus und Nationalismus in den Massen, andererseits entfernen sie entlang offenliegender und bis zum Zerreißen gespannter Nerven die Kreuze." Immerhin dieser "Kulturkampf" erinnert entfernt an Bayern, wo Ministerpräsident Markus Söder 2018 mit seinen "Kreuz-Erlass" für Schlagzeilen sorgte.

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