Im Aufnahme-Studio: Der Beratzhausener "TikTok-Bürgermeister" Matthias Beer.
Bildrechte: Mathias von Lieben

Im Aufnahme-Studio: Der Beratzhausener "TikTok-Bürgermeister" Matthias Beer.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Gegenpol zur AfD: "TikTok-Bürgermeister" Matthias Beer

Ängste schüren, polarisieren, empören: Damit erreicht die AfD auf TikTok viele junge Menschen. Dass es auch anders geht, zeigt der Beratzhausener Bürgermeister Matthias Beer. Er will mit seinen Videos Jugendliche für Kommunalpolitik begeistern.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Niederbayern und Oberpfalz am .

In einem seiner TikTok-Videos bereitet sich Matthias Beer auf eine Gemeinderatsitzung vor. Er kippt darin Rotwein in seine Thermoskanne. Oben lässt er einen Teebeutelfaden herausschauen - als Tarnung. Der Subtext: Ohne Alkohol halte ich es da nicht aus. Darunter: 50 Kommentare. Mache ich genauso, schreiben einige. Lustig, finden andere.

In einem weiteren TikTok geht er auf die Frage eines Followers ein: Wie viele Stunden pro Woche arbeitet man eigentlich als Bürgermeister? Beer, in seinen Videos oft mit Kapuzenpullover, Basecap und 10-Tage-Bart ausgestattet, geht die Woche durch und sagt: "Alles zusammengezählt ist man schnell bei einer 60-70-Stunden-Woche."

Doppelt so viele Follower, wie Beratzhausen Einwohner hat

Unterhaltung, Klamauk - und gleichzeitig immer auch Einblicke in den Bürgermeisteralltag gewähren. So lässt sich die TikTok-Strategie von Matthias Beer zusammenfassen. Der 40-jährige CSU-Politiker ist seit knapp vier Jahren Bürgermeister der 5.500 Einwohner-Marktgemeinde Beratzhausen im Landkreis Regensburg. Ungefähr genauso lang ist er auch bei TikTok – und hat dort doppelt so viele Follower wie Beratzhausen Einwohner.

Pro Woche postet Beer im Schnitt ein neues TikTok. Er nimmt sich dafür mit seinem Smartphone im Büro auf, auf Terminen oder auch mal tanzend in Jogginghose zu Hause. Auch aus seinem eigens eingerichteten Aufnahme-Studio im Rathaus-Obergeschoss sendet er hin und wieder. Hat der Familienvater eine Idee für ein TikTok-Video, filmt er sich und produziert anschließend auch alles selbst. Im Beratzhausener Gemeinde-Haushalt gibt es für Social-Media-Aktivitäten kein separates Budget.

Gegenpol zur AfD

Sein Ziel auf der Plattform beschreibt er im Gespräch mit BR24 so: "Schaut's mal, das ist auch bloß ein Mensch. Der hat auch seine Fehler, auch seine Schwächen. Und dieses Bild versuche ich irgendwie zu verkörpern. Und der zweite Grund ist auch vielleicht Interesse für Kommunalpolitik zu wecken."

Matthias Beer ist mit seinem TikTok-Auftritt eine Art Gegenpol zur AfD. Hier der freundliche und humorvolle Kommunalpolitiker von nebenan, der sich selbst nicht zu ernst nimmt und Menschen mitnehmen will. Und dort eine in Teilen rechtsextreme Partei, die bei TikTok überwiegend auf schlechte Laune und destruktive Debatten setzt, die Wut, Hass und Empörung erzeugen sollen: "Die AfD provoziert oft mit einer These – und das alleine sorgt für Aufmerksamkeit", sagt Beer. Eigene politische Ideen? Bei der AfD auf TikTok Mangelware.

Hohlfeld: "TikTok kann Wahlen mitentscheiden"

Doch je mehr ein Thema bei TikTok emotionalisiert oder polarisiert, desto häufiger wird es auch geteilt oder kommentiert – die Reichweite steigt. "Der TikTok-Algorithmus ist perfekt geeignet für populistische Kommunikationsstrategien", sagt auch der Passauer Kommunikationswissenschaftler Ralf Hohlfeld. Allein die AfD-Bundestagsfraktion hat auf TikTok fast viermal so viele Follower wie die der SPD auf Platz zwei.

Das liegt auch daran, dass die AfD das Potenzial von TikTok früher als die meisten anderen Parteien erkannt hat. Die Folge: Bei den Unter-30-Jährigen steht die AfD laut der Trendstudie "Jugend in Deutschland" aktuell mit 22 Prozent an der Spitze der Wählergunst. "Deswegen glaube ich, dass TikTok das Potenzial hat, die nächsten Wahlen mitzuentscheiden", sagt Ralf Hohlfeld: "Viele Erstwähler werden dort nicht mehr von klassischen Medien erreicht."

Wie kommt Beer bei der TikTok-Zielgruppe an?

TikTok ist vor allem bei 13-bis-35-Jährigen beliebt, am meisten Zeit verbringen damit aber die 18-bis-25-Jährigen. Wie kommt Beer bei dieser Zielgruppe an? Nachgefragt bei drei Beratzhausener Schülern, die auf dem Gymnasium Parsberg in die 11. Klasse gehen. „Ja ich find's schon cool", sagt der 17-jährige Josef: "Er will halt die Politik den jungen Leuten näherbringen. Ich find, dass er ein sehr guter Bürgermeister ist.“

Auch Jeremia (17) findet manche Videos von Beer "echt interessant" - wenn er zum Beispiel etwas Konkretes über Beratzhausen erzählt: "Aber jetzt das mit den TikTok-Tänzen, ob das unbedingt sein muss als Politiker? Ich find da stellt er sich in ein unseriöses Licht, was er nicht nötig hat." Ähnlich sieht es auch Lilly (18). Am interessantesten fand sie bisher ein Video über Windkraft: "Und das würde glaube ich Jugendliche auch eher ansprechen."

Beer: "Werden auf Augenhöhe mit der AfD sein"

Jugendliche ansprechen, für Politik und Demokratie werben. Deswegen sei es auch so wichtig, dass gerade immer mehr bundesweit bekannte Politiker und Parteien zu TikTok kommen, sagt Ralf Hohlfeld. Genauso wichtig sei aber, dass auch jemand wie Matthias Beer einen Account hat: "Die Demokratie fängt nun mal im Kommunalen an. Dort wird das grundsätzliche Interesse für Politik angeregt." Und trotzdem: Ein Kommunalpolitiker auf TikTok reiche dafür aber nicht aus: "Das muss sich in der Fläche verbreiten."

Damit das gelingt, reist Matthias Beer mehrmals im Jahr quer durch Bayern und erklärt anderen CSU-Ortsverbänden, wie politische Kommunikation auf TikTok funktioniert - und warum sie so wichtig ist. Der selbsternannte "TikTok-Bürgermeister" ist überzeugt: "Social Media ist ein Marathon. Wenn man den durchhält, dann werden wir am Schluss auf Augenhöhe mit der AfD sein und mit dem guten und seriösen Content durchdringen."

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!