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Meinung Führende Politiker ducken sich weg bei Antisemitismus

Islamistische Flaggen, Jubel über das schlimmste Pogrom seit der Shoah: Die Situation in Deutschland erinnert unsere Autorin an das islamistische Land, das sie bewusst verlassen hat. Ein abgesagtes Friedensgebet in München ist für sie nur das jüngste Beispiel, wie führende Politiker sich bei Antisemitismus wegducken. Ein Kommentar.

Von: Shahrzad Eden Osterer

Stand: 07.11.2023

Dieter Reiter (SPD), Oberbürgermeister von München | Bild: picture-alliance/dpa/Matthias Balk

Es sind erschreckende Zeilen, die Mohamed Ibrahim, der Imam des Islamischen Zentrums München, am 7. Oktober auf Facebook veröffentlicht. Ein Screenshot hält die mittlerweile nicht mehr sichtbaren Worte fest. Er behauptet allen Ernstes: „Jeder hat seine eigene Art, den Oktober zu feiern.“

Ja, genau an dem Tag, an dem die Hamas auf israelischen Boden das größte Pogrom an Juden nach der Shoah angerichtet hat, an dem sie ganze Familien bestialisch ermordet, Frauen vergewaltigt, gefoltert und ihre Leichen geschändet und 230 Menschen, darunter Babys, Kleinkinder und eine Holocaustüberlebende, als Geiseln genommen hat. An einem solchen Tag spricht er von „feiern“.

Späte Distanzierung des Muslimrats reicht nicht

Das Islamische Zentrum München, zu dem der Imam gehört, ist Mitglied des Muslimrats München. Dieser hat sich erst jetzt, einen Monat später, von den Aussagen dieses Imams distanziert. Auf Facebook schreibt der Muslimrat, er habe erst durch die Medien davon erfahren. Und: „Wir finden seine Aussage abscheulich. Bereits am 7. Oktober haben wir die Angriffe der Hamas eindeutig verurteilt.“

Aber – bis jetzt hat es der Muslimrat nicht für notwendig befunden, weitere Schritte gegen den Imam zu unternehmen oder anzukündigen. Vielmehr wollte der Muslimrat für Montag ein muslimisch-jüdisch-christliches Gebet in München organisieren. Und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter wollte die Schirmherrschaft übernehmen. Die Israelitische Kultusgemeinde München hat ihre Teilnahme an diesem sogenannten Friedensgebet abgesagt. Aus meiner Sicht zu Recht.

Nähe zu islamistischen Gruppierungen

Im Vorfeld war die Veranstaltung stark kritisiert worden. Nicht nur wegen des Imams, der am 7. Oktober von „feiern“ sprach. Der Grünen-Politiker und Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, und das Linke Bündnis gegen Antisemitismus etwa hatten mehreren Mitgliedern des Muslimrats eine Nähe zu islamistischen Gruppierungen wie Ditib, Millî-Görüş und der Muslimbruderschaft vorgeworfen, deren Haltung zum aktuellen Konflikt in Israel und Gaza nicht klar sei.

Tatsächlich hatte auch eine BR-Recherche im November 2022 gezeigt: Im Islamischen Zentrum, das Mitglied im Muslimrat ist, wurde nach dessen Tod einem katarischen Prediger gedacht, der immer wieder die Ideologie der islamistischen Muslimbruderschaft verbreitete. Yusuf al-Qaradawi hetzte gegen Juden, verbreitete Lügen über den Holocaust, forderte die Todesstrafe für außerehelichen Geschlechtsverkehr und gab Männern Ratschläge, wie sie ihre Ehefrauen angeblich „islamkonform" schlagen könnten.

OB Reiter zieht Schirmherrschaft für Friedensgebet zurück – aus den richtigen Gründen?

Der Münchener Oberbürgermeister Dieter Reiter hat seine Schirmherrschaft für das Friedensgebet dann doch noch zurückgezogen. Er hat dies allerdings nicht mit den zweifelhaften Verbindungen der Veranstalter begründet. Nein, Reiter hatte eine andere Begründung. Am Montag teilte er mit:

"Es war Voraussetzung für die Übernahme meiner Schirmherrschaft, dass auch ein Vertreter der jüdischen Glaubensgemeinschaft ein Gebet spricht. Das ist nun leider nicht mehr der Fall. Das bedauere ich, habe aber auch Verständnis dafür. Die Zeit ist derzeit offenbar nicht reif, um in und für München ein gemeinsames Friedensgebet zu ermöglichen. Unabhängig davon appelliere ich an alle Münchnerinnen und Münchner, weiterhin friedlich zu bleiben und sich nicht dem Hass und der Hetze hinzugeben."

Dieter Reiter, Münchner Oberbürgermeister (SPD)

Ich finde, das klingt fast so, als würde Oberbürgermeister Dieter Reiter die Schuld für das Scheitern des Friedensgebetes der jüdischen Gemeinde geben. Als ob es an Jüdinnen und Juden liegen würde, dass man nicht gemeinsam für den Frieden beten kann. Reiter äußert zwar Verständnis für die Absage, aber ich frage mich: Hat er die Gründe dafür wirklich zur Kenntnis genommen? Hat er über den eigentlichen Hintergrund der Absage nachgedacht, nämlich die Kritik am Muslimrat und seinen Verbindungen zu islamistischen Strukturen? Das Problem ist aus meiner Sicht nämlich Islamismus – nicht, dass die jüdische Gemeinde kein Gebet sprechen wollte, weil „die Zeit noch nicht reif“ ist.

Ich hätte Dieter Reiter gern dazu befragt. Doch auf Anfrage von mir heißt es, dass es kein zweites Statement geben werde. Und Zeit für ein Interview habe der Oberbürgermeister auch nicht.

Ich fühle sehr viel Wut

Zündfunk-Autorin Shahrzad Eden Osterer

Ich finde das problematisch. Denn ich bin in einem islamistischen Land aufgewachsen und habe die Ideologie der Islamisten am eigenen Leib erfahren. Vor ihnen bin ich weggelaufen, in der Hoffnung, nie wieder mit ihnen zu tun haben zu müssen. Vergeblich. Nicht nur, weil sie in Deutschland bei Demonstrationen mit ihren Flaggen auf der Straße unterwegs sind.

Mir scheint, die Politik ignoriert Warnungen von Juden, Muslimen, Experten und bedrohten Minderheiten, kehrt das Problem unter den Teppich und zeigt kein Rückgrat. Der Münchner Oberbürgermeister könnte dafür nun ein weiteres, trauriges Beispiel sein.

Ich fühle sehr viel Wut. Ich kann es nicht mehr hören, wenn unsere Politiker von einer „wehrhaften Demokratie“ sprechen, aber im Ernstfall zu bequem oder feige sind, sie zu verteidigen. Denn es kann nicht die Rede von einer wehrhaften Demokratie sein, wenn Jüdinnen und Juden ihre Kinder nicht zur Schule schicken aus Angst. Wenn jüdische Studierende auf dem Campus ihre Identität verstecken aus Angst. Wenn jüdische Familien ihre Mesusot von ihren Türen entfernen aus Angst. Und wenn sie sich nicht mehr trauen, auf der Straße Hebräisch zu sprechen, aus Angst.

In einer wirklich wehrhaften Demokratie würden Jesiden, Hasara und Juden nicht täglich aufs Neue traumatisiert werden, weil auch auf deutschen Straßen Flaggen geschwenkt und islamistische Mörderbanden gefeiert werden, die ihre Familienmitglieder abgeschlachtet haben. Ich fühle so viel Wut, wenn Menschen, vor allem Frauen, aus meinem Heimatland Iran oder aus Afghanistan gegen Islamisten auf die Straße gehen und sich damit in Gefahr bringen, während es, Stand jetzt, scheint, als würde sich der Oberbürgermeister meiner Wahlheimat weigern, Farbe zu bekennen.