Bayern 2 - Zündfunk

Krieg in Israel und Gaza "Stellt euch nicht auf irgendeine Seite, sondern stellt euch auf die Seite der Menschen"

Die Graswurzelbewegung "Standing Together" aus Israel setzt sich seit Jahren für einen Dialog zwischen Israelis und Palästinensern ein. Der Zündfunk hat mit Alon-Lee Green darüber geredet, wie der Angriff der Hamas ihre Arbeit verändert, was er von der israelischen Regierung fordert und wie er auf Demonstrationen in Deutschland blickt.

Von: Florian Schairer

Stand: 24.10.2023

Alon Lee-Green | Bild: Alon Lee-Green

Der Krieg im Nahen Osten ist nicht nur in den Timelines, sondern auch auf den Straßen Deutschlands das bestimmende Thema. Am Wochenende gab es eine große Demonstration in Berlin mit vielen tausend Teilnehmern und Politikern auf dem Podium. Der Frieden scheint in diesen Tagen so weit weg, wie nie zuvor, und die Gräben scheinen tiefer denn je. "Standing Together" ist eine Organisation, die schon seit Jahren versucht, diese Gräben wieder zuzuschütten. Sie setzt sich auf einer Grassroots-Ebene vor Ort für einen israelisch-arabischen Dialog ein, selbst in diesen Tagen. Anruf bei Alon-Lee Green, Leiter der Initiative, in Israel.

Zündfunk: Wie hat sich Ihr Leben seit dem 7. Oktober verändert, und wie sieht Ihr Alltag heute aus?

Alon-Lee Green: Normalität ist gerade sehr weit weg. Seit dem 7. Oktober befinden wir uns alle in einem Zustand des Schocks, des Traumas. Am Anfang sind die Zahlen nur gestiegen und gestiegen. Dann wussten wir: Es sind 1.400 israelische Bürger ermordet worden. Und aus diesen Zahlen sind jetzt Namen und Geschichten geworden, die einem das Herz brechen. Die Trauer wächst, sobald man den Fernseher anschaltet, Radio hört oder online Artikel liest. Und dann kommt dazu, dass gerade noch mehr passiert. Wir befinden uns jetzt in einem Krieg. Wir hören ständig Sirenen und die Menschen müssen in Notunterkünfte. Ein- bis zweimal pro Tag, besonders im Süden. Und dann gibt es noch die Menschen in Gaza, die haben nicht mal Notunterkünfte, in die sie gehen können. Aber sie werden auch bombardiert und leiden ebenfalls sehr stark.

Die Organisation, für die Sie arbeiten hat viele Jahre versucht, einen Dialog zwischen arabischen und jüdischen Israelis zu schaffen. Das Standing Together Movement ist ja eine Graswurzelbewegung für Frieden. Aber jetzt gab es den schrecklichen Anschlag der Hamas und es herrscht Krieg. Sind Sie gescheitert?

Ja, wir haben uns stark für den Frieden eingesetzt und bis jetzt waren wir nicht erfolgreich. In den letzten 15 Jahren gab es ständig Kriege und Kämpfe zwischen Israelis und Palästinensern, vor allem in Gaza. Und wann immer so etwas passiert, zahlen wir den Preis: Noch mehr Familien werden auseinandergerissen. Noch mehr Menschen verlieren ihre Geliebten. Und der Hass gegenüber der anderen Seite wächst immer weiter. Deshalb sind wir jetzt der Meinung, dass ein weiterer Krieg mit Gaza, ein weiterer Krieg mit den Palästinensern uns überhaupt keine Sicherheit bringen wird. Das würde nur zu noch mehr Zerstörung und noch mehr Hass in der Region führen. Das kann nicht die Lösung sein. Und wenn Sie nach Frieden fragen: Ich muss leider sagen, dass er sich noch nie so unerreichbar angefühlt hat wie heute. Aber selbst in dieser dunklen Zeit, in diesem Moment der Trauer und des Schocks, glauben wir daran, dass es nichts bringt, tausende unschuldige Menschen zu töten. Dass es nichts bringt, Gaza "in die Steinzeit zurückzubomben", wie es manche in Israel fordern. Das ist ein Teil des Problems, nicht der Lösung.

Gleichzeitig bombardiert auch die Hamas Israel mit Raketen. Tausende Menschen mussten evakuiert werden. Man kann doch mit der Hamas überhaupt gar keinen Dialog oder Verhandlungen führen, das wollen die doch gar nicht. Wie soll man die friedlich stoppen?

Ich bin kein Anhänger der Hamas, das möchte ich betonen. Die Hamas sind eine barbarische, mörderische Terrororganisation, die ausradiert werden muss! Ich bin ein Bürger des Staates Israel. Also verlange ich vor allem etwas von meiner Regierung. Und meine Regierung ist nicht die Hamas. Aber lassen Sie mich eine Rückfrage stellen: Glauben Sie, es gibt einen Friedenspartner in der aktuellen israelischen Regierung? Ist Ihnen bewusst, dass die israelische Regierung nicht einmal mit Präsident Abbas verhandeln möchte? Der gehört ja nicht zur Hamas, sondern zum moderaten Teil der Palästinenser. Seit 2014, also fast seit zehn Jahren, weigert sich unser Premierminister Netanjahu, überhaupt mit den Palästinensern zu sprechen. Man kann sogar argumentieren, dass seine Politik die Hamas gestärkt und die andere Seite, die moderate, geschwächt hat. 

Gerade versuchen viele Menschen, die Situation zu deeskalieren. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz war in Israel. Joe Biden war auch dort. In Deutschland gibt es außerdem viel Unterstützung für Israel. Dieses Wochenende haben sich in Berlin laut Angaben der Veranstalter 25.000 Menschen mit Israel solidarisiert. Was wäre Ihrer Meinung nach der nächste Schritt, um eine Lösung zu erreichen?

Wir sehen, dass sich gerade sehr viele Menschen auf der Welt auf irgendeine Seite stellen wollen. Sie sagen: "Ich stehe an der Seite Israels." Oder: "Ich solidarisiere mich mit Gaza, ich stehe an der Seite Palästinas." Ich würde sagen: Stellt euch nicht auf irgendeine Seite, sondern stellt euch auf die Seite der Menschen. Und die gibt es auf beiden Seiten. Es gibt unschuldige Menschen, die auf beiden Seiten leben. Und wir sind besser als unsere Führung. Besser als die palästinensische Führung und besser als die israelische. Und wer glaubt, dass er sich in diesem Konflikt irgendwie positionieren muss und dabei die Menschen vor Ort vergisst, macht einen sehr großen Fehler. Und wenn wir jetzt von Scholz und Biden reden: Helfen Sie uns, eine Lösung zu finden, die nicht zu mehr Krieg, Zerstörung und Tod führt. Das könnte zum Beispiel ein israelischer Staat neben einem palästinensischen sein.