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Alba Wilczek über HipHop HipHop ist die wichtigste Kultur unserer Zeit - und so begann alles

Die größte, weltweit wichtigste und umstrittene Jugendkultur HipHop wird im August 2023 ein halbes Jahrhundert alt: Am 11. August 1973 schmeißen Cindy und Clive Campbell in New York eine Blockparty, die alles verändern wird: Musik, Mode, Sprache, Filme - es gibt keinen Bereich, der nicht von der HipHop-Kultur geprägt ist. Aber wie genau fing alles an?

Von: Alba Wilczek

Stand: 11.08.2023

Kool Herc | Bild: picture alliance / Pacific Press | Angel Zayas

Wir befinden uns in New York City, in der Bronx. Was als Arbeiterviertel für Deutsche, Iren und Italiener angefangen hat, ist 1973 ein Ort der Armut - ein sozialer Brennpunkt mit hoher Kriminalitätsrate. Menschen mit Wurzeln aus dem karibischen Raum wohnen dort, aus Puerto Rico, Haiti, Jamaika oder der Dominikanischen Republik. Und afroamerikanische Migranten aus dem Süden der Vereinigten Staaten. Obwohl in New York damals die Demokraten regierten, wird die Bevölkerung der Bronx einfach weg ignoriert. Mit der Armut steigt die Gewalt, steigt der Drogenhandel und irgendwann regieren Straßen-Gangs die Blocks. Und es ist dreckig.

Die Bronx brennt - es ist gefährlich und trostlos

Die New York Bronx im Jahr 1970.

Innerhalb von wenigen Jahren sieht es in der Bronx aus wie in einem Kriegsgebiet. Sie brennt. Zehn Jahre lang. Da niemand mehr dort wohnen möchte, sinken die Immobilienwerte. So stark, dass die Vermieter anfangen, ihre eigenen Gebäude niederzubrennen um wenigstens noch das Versicherungsgeld abzukassieren. Von 1970 bis 1980 haben sieben Bezirke in New York, darunter die Bronx, über 97 Prozent ihrer Gebäude durch einen Brand verloren. Überall liegt Schutt, liegen Berge von Trümmern - ein Ort, der alles andere als schön oder sicher ist.

Ok. Die tragische Nummer musste kurz sein. Denn bevor wir darüber sprechen, was vor 50 Jahren genau passiert ist, warum ausgerechnet der 11. August der Geburtstag von HipHop ist, müssen wir erstmal die Bühne verstehen, auf der alles begann: Die Bronx, ein wahnsinnig gefährliches und divers bevölkertes Stadtviertel, das von der Politik vergessen wird. Und genau dort wohnt 1973 die Familie Campbell. In der 1520 Sedgwick Avenue, einem Community Complex, also einer Art Mietskaserne mit roten Ziegeln. Die Campbells, das sind Mama und Papa, sowie ihr Sohn Clive genannt Herc und die Tochter Cindy Campbell. Und Cindy, die hat damals große Pläne.

Eine Familie schmeißt eine Party

Es sind Sommerferien und die Teenagerin beschließt, eine Party zu schmeißen, um ein bisschen Eintritts- Geld für Kleidung und Schulbücher zu sammeln. Am 11. August 1973, also genau vor 50 Jahren, steigt die sogenannte Back To School Jam. Die Campbells mieten einen Raum in ihrer Mietskaserne und trommeln jede Menge Leute zusammen -  Tänzer, Graffiti-Maler und sonstige Freunde.

Der HipHop-Geburtsort in der 1520 Sedgwick Avenue.

Cindys Bruder Kool Herc sorgt an diesem Abend für die Musik, Cindys Eltern kümmern sich um das Essen, es gibt Hot Dogs und sie spielen Aufpasser. Cindy selbst begrüßt die Leute und kontrolliert die Einladungen, die sie eigens per Hand beschrieben hat. Kleine Index-Karten mit den wichtigsten Infos: Location, Kosten und dass ihr Bruder auflegen wird. Letzteres ist besonders wichtig, denn: Kool Herc ist bereits ein bekannter DJ in der Bronx. Er hat das beste Soundsystem im Block. Und ein Effektgerät, mit dem er für damalige Verhältnisse krasse Soundeffekte auf sein Mikrofon legen kann.

DJ spielt Underground Funk statt Disco

Normalerweise spielen die DJs in dieser Zeit auf Parties immer Disco und die Songs, die eben so im Radio laufen. Aber Kool Herc hat andere Musik am Start, er spielt Underground Funk. Unter anderem den Track Apache von der Incredible Bongo Band. 

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Incredible Bongo Band – Apache | Bild: Mr Bongo (via YouTube)

Incredible Bongo Band – Apache

Der Song ist sozusagen die Genesis des HipHop. In Apache gibt es sogenannte Breakbeats, also Parts im Song, in denen nur Trommeln zu hören sind. Und als Herc diese Parts spielt, drehen die Tänzer auf der Tanzfläche komplett durch. Er merkt: Das zieht. Und er versucht, diese Breaks irgendwie zu verlängern, indem er den einen Part auf einer Platte mit dem gleichen Part auf einer zweiten Platte zusammen mixt. Sehr stümperhaft zwar, aber effektiv.

Die Leute drehen und wenden sich also zu den Breaks und Herc überlegt sich kurzum Namen für die Tänzer und Tänzerinnen: B-Girls und B-Boys. Der Breakdance ist geboren. Und um alle noch mehr anzuspornen, packt er sich sein Mikro und macht kurze Ansagen dazwischen, sowas wie “You don’t stop”, oder “Rock On” oder “To the beat, ya’ll”. Die Anfänge des Raps.

Alle vier Elemente in einem Safe Space

Um das kurz klarzustellen: Ich bin keine Zeitzeugin, ich bin erst 27 Jahre alt, Also ungefähr halb so alt wie diese Geschichte. Also ungefähr halb so alt wie diese Geschichte. Aber auch für mich ist es wichtig, zu verstehen, wie das alles angefangen hat. An diesem geschichtsträchtigen Abend in der Bronx kommen eben zum ersten Mal all diese Elemente zusammen, die HipHop traditionell ausmachen: Graffiti, Turntablism, also DJing, Rapping und Tanzen, also Breakdance. Am wichtigsten ist aber: HipHop startet - so kann man das heute sagen - aus einer Community heraus, einer Art Safe Space in der Bronx.

Die Kids, die an diesem Tag auf die Party kommen, haben Lust den Alltag in der Bronx zu vergessen. Sie wissen: Bei den Campbells bin ich für diesen Abend erstmal sicher. Hier kommen keine Straßengangs rein, um Stress zu machen, es gibt Aufpasser und nur wer so eine Indexkarte hat, darf mitfeiern. In einem Interview erzählt Cindy Campbell selbst:

"Das ist die Sache mit Hiphop, es ist aus Liebe entstanden. Unsere Party hatte eine Aufsicht, unsere Eltern waren da. Wir hatten eine Art Buddy-System. Wenn Menschen gegangen sind, dann als Gruppe. Niemand musste alleine gehen. Die Leute, die gekommen sind, wussten: Wenn sie irgendwas Krummes drehen wollten, dann draußen auf der Straße, aber nicht hier. Alles war familienorientiert. Aus dieser Liebe entstand HipHop."

Cindy Campbell

Ein Breakdance Wettbewerb in München, Deutschland 1984.

Es gibt aber auch andere Stimmen in der Bronx, und auch in Queens, Harlem und Brooklyn, die die Entwicklung von HipHop etwas anders erzählen. Andere Startpunkte festsetzen. Denn klar ist: Elemente wie DJs, Maler, Tänzer, Breakbeats und auch Sprechgesang gab es schon vor dieser Party.

Der entscheidende Faktor ist aber: Cindy und Herc schaffen mit ihrer Party einen Ort, wo all diese Punkte in einem Raum zusammenkommen und sich gegenseitig beeinflussen. Das brachte die Evolution - und deshalb kann man aus heutiger Sicht davon sprechen, dass auf dieser Party und allen Nachfolgenden eine neue Kultur entstanden ist. Eine Kultur, die bis heute Riesen-Einfluss hat, auf die Musik, den Film, die Mode und viele andere Lebensbereiche. Sie ist die wichtigste Kultur unserer Zeit. Denn sie zwingt uns immer wieder, einander zuzuhören. Der Bronx sei Dank.