Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe: 12/1999/2 - TEXTAUSZUG:



Anne M. White

Ihr seid schuld. Die Zeitungen


In Großbritannien haben u.a. Zeitungen die "Teletubbies" bekannt gemacht. Über die Fernsehserie selbst wurde allerdings kaum berichtet, sondern eher Rummel und Hysterie erzeugt.

Ihr seid schuld. Die Zeitungen. Kommentar eines Angestellten bei der Touristeninformation in Stratford-upon-Avon zum Erfolg des "Tubby-Tourismus".1

"Das ganze Hickhack diente also nur dazu, zwanzig Zentimeter große Knuddel-Tubbies zu verkaufen?" Unbekannter Journalist in The Guardian.2

Als ich zu Beginn meinen Freunden und Kollegen davon erzählte, dass ich einen Artikel über das beliebte Kinderprogramm "Teletubbies" verfaßte, hatte dies eine bunte Palette an Reaktionen zur Folge: entgeisterte Blicke, Ausdruck völligen Unglaubens, sogar Lachtiraden, und am Schluß fragten alle dasselbe: "Warum?" Und ich antwortete normalerweise – "Ja warum denn nicht?" - was eine darauffolgende Diskussion um das Thema in der Regel im Keim erstickte. Diejenigen, die beeindruckt genug waren, sich noch weiter vorzutasten, bekamen eine ausführlichere Antwort, nämlich dass ich, wie auch der Journalist Paul McCann, davon überzeugt bin, dass aus den "Teletubbies" aufgrund einer Reihe von Gründen "inzwischen sehr viel mehr geworden ist, als nur ein Kinderprogramm,"3 und außerdem, dass alle beliebten Phänomene unserer Kultur, um mit den Worten von John Fiske zu sprechen, auseinander- anstatt für selbstverständlich genommen werden sollten. Hier möchte ich nun die ersten Pressereaktionen zur Serie "Teletubbies" beleuchten, wie sie in den drei großen Zeitungen The Guardian, The Independent und The Observer zu lesen waren. Und ich werde kurz darauf eingehen, wie das Medienecho zu dieser Sendung bei bestimmten "Interessengruppen" als Auslöser benutzt wurde, eine breite und lang andauernde Diskussion über eine Reihe von Themen, die ihnen am Herzen lagen, loszutreten. Ich werde auch darüber schreiben, in welchem Maße die "Kontroverse", die die "Teletubbies" umgibt, in Wirklichkeit als eine Erfindung der Medien angesehen werden kann, die durch Rummel, Hysterie und Hörensagen entstanden ist.

Beginnen wir jedoch mit einer kurzen Zusammenfassung der Geschichte des "Teletubbies"-Phänomens, die am Montag, den 31. März 1997 ihren Lauf nahm, als ein neues Kinderprogramm, produziert von Ragdoll Productions, zum ersten Mal auf BBC2 lief. Zunächst gab es vom britischen Publikum zu der Sendung wenig zu hören, und das war auch nicht anders zu erwarten, denn die Serie richtete sich an Vorschüler und hatte ihren Sendeplatz am frühen Morgen. Die Situation änderte sich, als in der BBC-eigenen Fernsehübersicht Radio Times ein paar Briefe veröffentlicht wurden, in denen die Entscheidung des Senders beklagt wurde, "Playdays", eine Kindersendung im traditionellen Stil, durch die "Teletubbies" zu ersetzen. Als Ausdruck, welche leidenschaftlichen Reaktionen dies auslöste, warf ein erzürnter Zuschauer der BBC später vor, "Kulturvandalismus" zu betreiben, weil sie die Serie "Playdays" absetzte, die doch zu den "Grunderfahrungen in der Entwicklung einer ganzen Generation gehörte"4 - ein Kommentar, der heute ironischerweise eher auf die "Teletubbies" paßt. Der entscheidende Punkt war dann, dass sich ein paar Journalisten auf diese Kommentare von einer relativ kleinen, aber stimmgewaltigen Gruppe unzufriedener Eltern, Großeltern und Kinderbetreuer stürzten, und sie dazu benutzten, eine regelrechte Lawine an Medieninteresse loszutreten. Der Rest ist, wie es so schön heißt, Geschichte... Bereits im August desselben Jahres waren die "Teletubbies" das "Programm, über das ganz England spricht"5 geworden. Im September beschäftigte die Journalisten vorübergehend natürlich etwas anderes, nämlich die Nachwirkungen von Dianas Tod, obwohl die "Teletubbies" es sogar hier bizarrerweise schafften, mit diesem schicksalhaften Geschehen in Zusammenhang gebracht zu werden, denn ein Journalist schrieb: "Zumindest für Eltern wird diese Tragödie ergreifend von der indignierten Frage ihrer Kinder gezeichnet sein, warum denn die "Teletubbies" nicht kommen."6 Bereits im Oktober war die Serie wieder die "Obsession der Nation", hatte "Kultstatus" erreicht7 und zog an die zwei Millionen Zuschauer an.8 Einen Monat danach kamen die ersten von der Serie inspirierten Merchandisingartikel auf den Markt und führten zu einer "Spielzeughatz", die Erwachsene exorbitante Summen anbieten ließ, um sich eines der rationierten Teletubby-Weichspielzeuge als Weihnachtsgeschenk für den geschätzten Nachwuchs zu Hause zu sichern.9

Oder zumindest war das die eine Version der Vorgänge, wie sie die Journalisten von The Guardian und The Independent beschrieben. Aber betrachten wir diese Behauptungen zunächst ein wenig vorsichtiger. Die erste Aussage kann man leicht als klassische Nacharbeit zum Thema Sommerloch abtun: Es wird geschrieben, was in den Sommermonaten an Schnickschnack passiert ist. Die zweite ist ein typisches Beispiel für die Übertreibungen, die man immer wieder zu lesen bekommt, auch wenn beide Zeitungen nicht gerade für ihren trivialen oder sensationslüsternen Inhalt bekannt sind. Wenn jedoch in beiden Beiträgen von "der Sendung, über die die ganze Medienwelt Englands spricht" oder von der "Obsession der Medien" - oder so ähnlich - die Rede ist, dann haben wir vielleicht doch eine etwas genauere Beschreibung der Zustände. Hannah Pool drückt es in ihrem Artikel, der im August 1997 herauskam, folgendermaßen aus: "Kaum ein Tag vergeht, an dem es in den Medien, die großen seriösen Zeitungen inbegriffen, nicht etwas über die ‘Teletubbies’ zu berichten gibt, selbst vor semiotischer Analyse wird nicht halt gemacht..."10 Und wirklich, wenn man den Observer, The Independent und The Guardian der letzten paar Monate des Jahres 1997 durchsieht, bekommt man den Eindruck, dass die Journalisten fast zwanghaft unter Beweis zu stellen versuchten, dass sie im Bilde waren, denn immer wieder gab es Querverweise auf die Sendung, egal wie wenig das eigentliche Thema, über das sie schrieben, damit zu tun hatte. Die "Teletubbies" tauchten bei Besprechungen aktueller Kunstausstellungen11 bis hin zu Englands Cricket-Team auf12. Anscheinend schafft es praktisch jeder, seine Meinung über die "Teletubbies" loszuwerden – mit Ausnahme der Vorschulkinder – das sollte man dazusagen. Sie sind ja die eigentliche Zielgruppe, für die das Programm gemacht wurde, und in den Artikeln, die ich analysierte, machte sich nur eine Journalistin, Maggie Brown, die Mühe, die Reaktionen ihrer eigenen Kinder und deren Freunde beim (von ihr arrangierten) Anschauen einer Folge schriftlich festzuhalten.13 Überall sonst findet man nur die Reaktionen der Erwachsenen auf das Programm erwähnenswert.

lässt man diejenigen Artikel beiseite, die die "Teletubbies" nur am Rande behandelten, und konzentriert man sich auf solche Berichte, die sich offensichtlich intensiver mit dem Programm befaßten, erkennt man, dass sie - obwohl die Serie im Zeitraum Juli bis Dezember 1997 fast ständig durch die Presse ging - durchaus differenziert diskutiert und bewertet wurde.

Liest man anfängliche Berichte über die Reaktionen der Eltern auf die "Teletubbies", fallen einem die militanten Töne auf, die zur Beschreibung der Befindlichkeiten benutzt wurden: die Sendung "provozierte ein Sperrfeuer an Beschwerden"14 und Eltern "bombardierten die Leserbriefrubriken"15 mit Kritik, die an "Flak"16 erinnerten, und die Bemerkung, dass "die BBC mit Briefen und Telefonanrufen zugeschüttet wurde"17 erinnert irgendwie an eine Invasion. Die elterlichen Reaktionen darauf, dass sich in der Sendung ständig alles wiederholt, klangen genauso kriegerisch: "Erwachsene werden zu Berserkern". Die Berserker18 waren nordische Krieger, die sich zuerst in große Kampfeswut hineinsteigerten, bevor sie in den Krieg zogen. Die Journalistin Judith Williamson zweifelt auch nicht daran, dass es sich hier um einen Krieg handelt, denn sie schreibt, dass sich das Magazin Face mit einem Bericht über die "Teletubbies" geplantermaßen kampfeslustig "ins Getümmel stürzt"19. Die BBC wird in die Feindesrolle gedrängt, und man wirft ihr vor, die "Teletubbies", "die in das Gewissen der Nation explodierten"20, als stärkste Waffe zu benutzen. Der Verkaufsstart der an die Sendung gekoppelten Merchandisingprodukte wurde zeitlich mit "militärischer Präzision abgestimmt" und ein Marketing-"Triumph" wurde prophezeit, dem schließlich eine "Dominanz auf dem Weltmarkt" folgen würde, wenn die Serie erst einmal an die Vereinigten Staaten verkauft war. Eine solche Wortwahl scheint beim Thema Kinderprogramm etwas fehl am Platze, beim genaueren Hinsehen erkennt man jedoch, dass es sich hier um die schriftlichen Spuren eines anhaltenden ideologischen Kampfes für die Erhaltung des Bildungsstandards in Großbritannien handelt, um einen Krieg zwischen den "Zeitgeistrittern" und den "Traditionalisten": Die "Teletubbies" schafften es, auch noch ins Kreuzfeuer einer anderen Auseinandersetzung zu geraten.21 Hierfür exemplarisch ist der Artikel über Stephen Byers, den damals für das Schulwesen zuständigen Minister, der als "Kämpfer" gegen die "Verdummung" der britischen Kultur durch die "Teletubbies" beschrieben wird. Für den Zusammenhang ist es wichtig zu erfahren, wie es in dem Artikel weitergeht: "Herr Byers sagte, er habe um eine Aufzeichnung von ‘Teletubbies’ gebeten, habe aber die Zeit zum Ansehen noch nicht gefunden."22 Damit wird klar, dass es in Wirklichkeit darum ging, wofür das Programm symbolisch stand. Angesichts des immer wieder diskutierten "Verdummungs"-Grades der "Teletubbies" ist es auch interessant zu hören, dass der Großteil der Beschwerden auf das Unvermögen der einzelnen Figuren, sich richtig auszudrücken, abzielte. Ihre "Blödheit" machte sie zum Inbegriff dieses Phänomens und bot so ein besonders geeignetes Ziel für Kritik. Als Anna Home, die Leiterin des Kinderfernsehens bei der BBC, auf dem Internationalen Fernsehfestival in Edinburgh schließlich bekannt gab, dass in der Serie zukünftig mehr "gewohnte Sprache" vorkommen wird, war vorherzusehen, dass die Gruppen, die sich kritisch zu den "Teletubbies" geäußert hatten, dies als einen "Sieg" ansahen. Ihre Schlußbemerkung war jedoch geistreich und wohl beobachtet gewählt: "Diejenigen Kinder, die mit den "Clangers" aufgewachsen sind (einer TV-Serie für Vorschulkinder um eine Gruppe außerirdischer Pfeifmäuse), sind auch nicht zu einer Generation von Pfeifern geworden"23.

Militärische Metaphern tauchten auch in einem anderen Artikel, der mit den "Teletubbies" zu tun hatte, wieder auf. Es ging dabei hauptsächlich um das Internet und die heikle Frage der freien Meinungsäußerung. Der Kolumnist Francis Wheen sieht hier die BBC felsenfest in der Rolle des diktatorischen Aggressors und spricht von "Salven elektronischen Artilleriefeuers"24, die die Rechtsanwälte der Organisation an Leute ausschickten, die "Teletubbies"-Webseiten unterhielten und die ihnen mit Rechtsmitteln im Zusammenhang mit der möglichen Verletzung des Copyrights sowie des Schutzes geistigen Eigentums drohten. Des weiteren beschreibt er, wie Verfasser von Webseiten, die sich nach Meinung der BBC in unorthodoxe Interpretationen über die Bedeutung der "Teletubbies" verstiegen, vor den Gefahren gewarnt wurden, "die Absichten der Serie zu kompromittieren". Wo die Sympathien Wheens liegen ist klar, wenn er die Vorgehensweise der BBC als schikanös bezeichnet und über das Schicksal derer, die der Bannstrahl der BBC via E-mail erfaßte, schreibt, dass allesamt "sofort kapitulierten... und sich so ihre kleine aber gedeihende Ecke im Cyberspace... zu einer traurigen Grabstätte voller nervöser Dementis und leerer Seiten verwandelte".

Obwohl Wheen die Serie im Grunde auch als Vorwand, ja in diesem Fall als Mittel benutzt, der ewigen Debatte über das - wie er es nennt - "nette alte Konzept der freien Meinungsäußerung" neuen Schwung zu geben, vermittelt dieser Journalist im Gegensatz zu Stephen Byers zumindest den Eindruck, schon einmal eine Folge der "Teletubbies" gesehen zu haben, denn in seiner Kolumne hatte er einmal eine Satire, in der er spaßeshalber Ähnlichkeiten zwischen einer Reihe von Politikern aus der konservativen Partei und den Figuren der Sendung ausmachte25. Nachdem ich das Presse-Echo der Sendung während der ersten paar Monate der Ausstrahlung nachgelesen hatte, fragte ich mich sehr wohl, wie viele der Journalisten, die über die "Teletubbies" schrieben, die Sendung nun auch wirklich gesehen, und wie viele davon lediglich die Meinungen anderer wiederaufbereitet hatten. Die nachfolgenden Zitate zeichnen ein interessantes Bild davon, wie Meinungen "ausgeliehen" wurden, und auch, wie aus dem Kontext gerissene Bemerkungen plötzlich neue Bedeutung bekommen können. Beginnen wir sozusagen am einen Ende der Textkette mit einem Auszug aus einem humorvollen Kommentar über Stephen Byers:

"Jeder weiß, dass die Teletubbies ‘langsam, banal und schlecht gemacht’ sind, um nicht zu sagen repetitiv". (‘Anführungszeichen: Stephen Byers’. The Guardian vom 30. Juli 1997)

Der Journalist setzt einen Satz in Anführungszeichen und zeigt damit offensichtlich an, dass es sich bei der Aussage um ein Zitat aus einem anderen Kontext handelt. Aber von wem stammen die Worte? Sind sie eine Aussage von Byers oder beziehen sie sich auf "Jeder weiß" und wiederholen sie einfach eine landläufige Meinung? Ist die Zweideutigkeit der Wortwahl in diesem Fall Absicht, weil der Journalist möchte, dass die Leser glauben, dass es sich um ein Zitat des Ministers selbst handelt? In diesem Einzelfall ist das unmöglich zu beurteilen.

Gehen wir im Erscheinungsverlauf der Artikel also einen Schritt zurück und untersuchen eine frühere Textstelle:

"Noch aufschlußreicher ist die weitverbreitete Beschwerde, dass die Teletubbies ‘langsam, dumm, banal und inkohärent’ sind, dass sie ‘repetitiv’ sind und ‘nicht richtig sprechen’." (Judith Williamson: "Babyvision" The Guardian vom 5. Juli 1997, S. 8)

Hier werden ähnliche Worte in fast derselben Reihenfolge verwendet, und wieder ist nicht völlig klar, welchen Zweck die Anführungszeichen erfüllen. Innerhalb dieses Artikels nehmen wir jedoch an, dass Williamson die Interpunktion für Aussagen verwendet, die oft fielen und so zum Klischee wurden - etwas, das man jeden Tag woanders hört, denn es gibt keine bestimmte Quelle, die sonst vielleicht als Zitatgeber in Frage käme. Wenn man nun einen letzten Schritt zurück macht, stößt man wiederum auf einen altbekannten Satz:

"Eltern sind verärgert, weil die Teletubbies nicht richtig sprechen; sie sagen, sie seien langsam, dumm, banal und inkohärent, und dass sich das Programm an Kinder richtet, die eigentlich noch viel zu klein sind, um überhaupt fernzusehen" (Maggie Brown: "Parents: A spot of Tubby trouble", The Guardian vom 21. Mai 1997, S. 14)

Williamson hat sich einfach ein paar Sätze direkt aus dem Artikel von Maggie Brown genommen, obwohl das, was sie zitiert, eigentlich nur indirekte Rede oder Hörensagen ist. Diese drei kurzen Ausschnitte zeigen, wie irgendwelche Anschuldigungen einer unbekannten Anzahl von Leuten (woher hatte Brown ihre Informationen? Wo genau waren diese verärgerten Eltern? Wie viele sind es?) später de facto vielleicht als höchstministerliche Aussage, direkt von den Lippen eines Regierungsmitgliedes, gedeutet werden können.

Die Diskussion, die auf
den Seiten der Zeitungen
ausgetragen wird, hat gar
nichts mit dem Programm
als solchem zu tun.

Eine weitere Analyse der Presseberichte über die "Teletubbies" verdeutlicht, welche Kreise dieses Zitatenspiel gezogen hat, denn es wird immer klarer, dass die Diskussion, die auf den Seiten der Zeitungen ausgetragen wird, gar nichts mit dem Programm als solchem zu tun hat. Zuerst hat man vielleicht geglaubt, dass über die öffentliche Debatte um die "Teletubbies" berichtet wird, aber das relativiert sich immer mehr. Vielmehr ist sie zu einer Art Privatunterhaltung zwischen Journalisten und sogenannten Medienexperten geworden, die ein kompliziertes Textnetz spinnen, das seinen Ursprung zwar der Serie selbst zu verdanken hat, sich jedoch langsam aber sicher völlig verselbständigt und abnabelt. Die Autoren dieses aufwendigen Gebildes bedienen sich aus allen möglichen Textvorlagen. Wir finden Quervermerke zu Programmbesprechungen, die in anderen Medientexten erschienen sind, sowohl in der Fachliteratur als auch in der allgemeinen Presse. So kommt es, dass Tim Footman bemerkt, "NME und Melody Maker..." diskutieren die Orwell’schen Untertöne des großen, furchterregenden Telefon-Dings."26 Francis Wheen wiederum erwähnt ein Interview mit Pfarrer Alan Garrow in der Zeitung Church of England Newspaper, in dem der Geistliche vom religiösen Symbolismus spricht, der bei den "Teletubbies" herrscht.27 Wie wir vorhin gesehen haben, werden manchmal still und leise Zitate von anderen Journalisten mit in den Text eingebaut; in anderen Fällen wird die befragte Quelle klar angegeben, vielleicht auch, um die Leser mit dem Status dieser Person zu beeindrucken. Footman benutzt dieses Mittel in einem Artikel über die Reaktion von Studenten zu der Serie, und er schreibt, dass die aufgezeichnete Meinung von "Karen Levell" stammt, der "Herausgeberin des Magazins Cult TV"28. Die "Spielzeughatz", von der eingangs gesprochen wurde, ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie komplex diese Text-Verquickungen werden können. Die Zeitung The Guardian brachte eine Programmbesprechung über die Sendung "Here And Now" vom 17. November 1997, bei der es um aktuelle Themen geht, und die das Phänomen der "Spielzeughatz" untersuchte. Die Sendung brachte den Beitrag aus eigener Initiative, denn in den Zeitungen hatte es eine Reihe von Berichten über Vorfälle dieser "Spielzeughatz" gegeben, die durch einen Engpaß bei den "Teletubbies"-Merchandisingprodukten entstanden war - ein Problem, das seinerseits als erstes von der Presse an die Öffentlichkeit gebracht wurde. Um herauszufinden, wie weit Erwachsene bereit wären zu gehen, um eines der hochbegehrten Weichspielzeuge zu bekommen, setzte das Sendeteam eine Anzeige in The Times und bot eine Teletubby-Puppe zum Kauf an, worauf sie angeblich Angebote bis £ 300 bekamen. (Der empfohlene Verkaufspreis im Einzelhandel lag damals bei £ 9,99). In den Medien folgten dieser Sendung ähnliche Reportagen über gierige Anbieter und willige Kunden, die verzweifelt diese Kleinode käuflich zu erwerben suchten, und in ein paar Berichten wurde auch bemerkt, dass dieser "Teletubbies"-Fanatismus doch sehr einer anderen "Spielzeughatz" glich, die auch durch die Medien ging. Damals ging es um "Buzz Lightyear", der zusammen mit dem Hollywood Film "Toy Story" als Merchandisingprodukt auf den Markt kam. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr sich die Medientexte ähneln, und lässt erahnen, wie weit sich die Textekette erstreckt, von einem Kinderprogramm über eine Besprechung in The Guardian, über "Teletubbies"-inspirierte Merchandisingartikel, vom Marketingrummel hin zur pressegesteuerten Hysterie, und alles basiert letztlich nur auf Hörensagen und Gerüchten.

Die Medienberichte darüber, dass die "Teletubbies" unter britischen Studenten Kultstatus erreicht hätten, tragen dieselben Zeichen von Rummel, Hysterie und Hörensagen. Sicherlich gab es bei den Studenten Interesse an der Serie, die ein paar Studenten aus Großbritannien dazu veranlaßte, Webseiten fürs Internet zu schreiben, die von dürftigen Diskussionen um die Figuren bis hin zu umfangreichen Besprechungen der Serie reichten.29 Berichte jedoch, denenzufolge die Sendung "inzwischen von einer Generation von drogenbenebelten Studenten sklavisch verfolgt"30 würde, oder dass sich die "mitternächtlichen Seelenerforschungen in den Aufenthaltssälen inzwischen um die Drogensymbolik von Tubbytoast drehen, und das Baby in der Sonne, naja, du weißt schon, Gott oder sowas ist"31, kann als journalistische Panikmache abgehakt werden. Untersucht man die Presseberichte genauer, findet man wiederum Beweise dafür, dass die Medien selbst eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung dieses ganz besonderen "Teletubbies"-Mythos spielen. Die Journalisten sind damit beschäftigt, Texte wiederaufzubereiten, Informationen und Wissen zum Thema kommen nicht von Interviews mit Studenten oder indem man sich ihre Webseiten ansieht, sondern indem man sich an andere Medienquellen hält. So schreibt Kellaway: "Laut Privat Eye... gehören die ‘Teletubbies’ zu den Lieblingssendungen der Studenten, weil sie wie eine psychedelische Halluzination aussehen"32. Die Aussage bleibt aber einfach so stehen, obwohl das Zitat möglicherweise einem der satirischen Artikel des Magazins entnommen wurde, für die das Blatt bekannt ist. Wheen spricht von der "Übereinstimmung der Tubby-Experten, wonach es sich bei der Sendung um eine Drogenphantasie handelt"33. Aber wer sind diese "Tubby-Experten", auf die er sich bezieht? Wahrscheinlich hat er ähnliche Hörgewohnheiten wie sein Kollege Leith, der seinen Lesern folgendes mitteilte: "Jemand hat im Radio gesagt, dass die ‘Teletubbies’ in gewisser Weise von der Raves- und Ecstasy-Kultur beeinflußt werden; die Handlung spielt zum Beispiel auf einem Feld, die Figuren grinsen unentwegt, tanzen viel herum und reden Babysprache."34 Oder vielleicht beschloß Wheen, die persönliche Erinnerung Leiths über eine Aussage im Radio aufzuwerten und gab ihr deshalb in einer TV-Kritik den Status einer unstrittigen Tatsache. Es bleibt dabei, dass es unmöglich ist, schlüssig zu beweisen, ob das Programm bei den Studenten nun großen Anklang fand oder nicht, und würde man ganz genau recherchieren, stellte sich ja vielleicht heraus, dass zumindest ein Akademiker die "Teletubbies" begeistert verfolgt hat. Beim internationalen Fernsehfestival in Edinburgh am 24. August 1997 gab es beim Rahmenprogramm einen Vortrag mit dem Titel "Warum werden Kindersendungen von der Jugendkultur gekidnappt?", und es ging dabei um das Phänomen, wie Kindersendungen von Studenten und Erwachsenen Kultstatus verliehen bekommen. Einer der Sprecher, Andy Medhurst, ein Dozent für Medienkunde an der Universität in Sussex, sagte Berichten zufolge, dass "Tinky Winky das erste schwule Vorbild für Kleinkinder ist."35 War das also die neue und kontroverse Alternative, mit den "Teletubbies" umzugehen? Möglicherweise... Oder vielleicht hatte Medhurst ja schon den Artikel in The Guardian gelesen, in dem aufgedeckt wurde, dass "Tinky Winky... zur Ikone der Schwulen erklärt wurde"36. Was auch immer dahintersteckt, da war der Beweis, dass eine weitere "Teletubbies"-Geschichte gerade wieder ihren Anfang genommen hat.

Mitte Mai 1999 war der BBC nach Feiern zumute. Sie gab bekannt, dass gerade 105 weitere Folgen von "Teletubbies" in Auftrag gegeben wurden und dass man es geschafft hat, die Serie an 59 Sendeanstalten auf der ganzen Welt zu verkaufen. Ein paar Monate später bestätigte der Jahresbericht des Senders, dass die "Teletubbies" sein lukrativster Aktivposten sind. Die Serie hat der BBC rund 32 Millionen Pfund für den Programmverkauf und die Merchandisingartikel eingebracht. Als John Morris, der Verkaufsleiter bei BBC Worldwide, dem kommerziellen Arm der BBC, vor zwei Jahren danach gefragt wurde, welchen Geldsegen die "Teletubbies" denn bringen könnten, war seine Antwort kurz, aber sie erwies sich als weitsichtig: "Für dieses Programm hat das Potential kein Limit".37 Genau dieselben Worte kann man wählen, um auf den Punkt zu bringen, welche Münchhausen-Geschichten diese Kinderserie in den Medien noch hervorbringen wird, deren Kapazität zur Berichterstattung über die "Teletubbies" anscheinend unerschöpflich ist. Tinky Winky, Laa Laa, Dipsy und Po und alle ihre Freunde in den Medien sagen: "Nochmal, nochmal..."

 

ANMERKUNGEN

1‘Despite the Teletubby onslaught, the bard still reigns in Stratford’. The Independent, 13. Oktober 1997, S. 7.

2‘Pass Notes: Anne Wood’. The Guardian, 28. August 1997, S. 3.

3Paul McCann: ‘To Teletubby or not to Teletubby’. The Independent, 13. Oktober 1997, S. 6-7.

4Henry Wickens: ‘Say it again’. The Guardian, 26.

5‘The Week That Was’. The Guardian, 30. August 1997, S. 2.

6Mark Lawson: ‘Sky and CNN were first, but a royal death is a BBC matter’. The Guardian, 31. August 1997; Aus unerklärlichen Gründen enthielten einige Exemplare des BBC Videos Here come the "Teletubbies", die in Glasgow verkauft wurden, einen Filmbeitrag über Dianas Begräbnis. ‘"Teletubbies" video alert’. The Guardian, 22. November 1997, S. 7.

7David Ward: ‘Animal Shelf is shelved despite winning twice the audience of "Teletubbies"‘. The Guardian, 13. Oktober 1997, S. 5.

8Paul McCann: ‘Teletubbies to get grown-up help with their baby talk’. The Independent, 25. August 1997, S.3.

9Desmond Christy: ‘Drop the Dead Cow’. The Guardian, 18. November 1997, S. 19.

10Hannah Pool: ‘Jackdaw: Tubby Trouble’. The Guardian, 14. August 1997, S. 14.

11William Feaver: ‘Moores scores’. The Observer, 9. November 1997, S. 11.

12David Hopps: ‘Teletubbies' role beckons Atherton’. The Guardian, 29. Juli 1997, S. 21.

13Maggie Brown: ‘Parents: A sopt of tubby trouble’. The Guardian , 21. Mai 1997, S. 14.

14McCann: 25. August 1997.

15Judith Williamson: ‘Babyvision’. The Guardian, 5. Juli 1997, S. 8.

16Brown: 21. Mai 1997. Kate Kellaway: ‘Eh-oh Laa Laa!' The Observer, 25. Mai 1997, S. 20.

17Kellaway: 25. Mai 1997.

18Williamson: 5 Juli 1997.

19Janine Gibson: ‘Potty about po and ga-ga over Laa Laa’. The Observer, 8. Juni 1997, S. 7.

20Diese Debatte wurde in späteren Berichten zur Debatte über die "Teletubbies" auf der International Children’s Television Conference fortgeführt (siehe z.B. Rob Brown: ‘Dumb or not? Nations battle over Teletubbies’. The Independent, 10. März 1998, S. 6.)

21John Carvel: ‘Parents told to sign reading pledge’. The Guardian, 29. Juli 1997, S. 1.

22McCann: 25. August 1997. Francis Wheen: ‘Wheen’s World’. The Guardian, 20. August 1997, S. 5.

23Francis Wheen: ‘Wheen’s World’. The Guardian, 30 Juli 1997, S. 5.

24Tim Footman: ‘For the love of Bod’. The Guardian, 14. August 1997, S. 12.

25Wheen: 20. August 1997.

26Footman: 14. August 1997.

27Zur Beschreibung dieser Websites vgl. Gregory Gutenko: ‘Deconstructing "Teletubbies": Differences between UK and US college students’ reading of the children’s television programme’. http:/iml.umkc.edu/comm/faculty/gutenko/papers/

28Stuart Millar: ‘Boo hoo at Tinky Winky’s bye bye’. The Guardian, 28. Juli 1997, S. 3.

29Footman: 14. August 1997.

30Kellaway: 25. Mai 1997.

31Wheen: 20. August 1997.

32William Leith: The Observer, 26. Juni 1997, S. 56.

33McCann: August 25 1997

34‘Pass Notes: Tinky Winky’. The Guardian, 29 Juli 1997, S. 3.

35McCann: 25. August 1997.

 


DIE AUTORIN
Anne M. White, Dr. phil.,
ist Dozentin an der University of Bradford in West Yorkshire, Großbritannien.

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