Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe: 12/1999/2 - TEXTAUSZUG:



Horst Stipp

Im Visier der amerikanischen Programmkritik


Auch in den USA leidet die Bewertung der "Teletubbies" an fehlenden Forschungsdaten und vorschneller negativer Kritik.

Die "Teletubbies" haben es wirklich schwer. Es funktionieren nicht nur ihre Toast- und Puddingmaschinen die halbe Zeit nicht, ihre Reise nach USA verlief auch nicht gerade reibungslos:

  • Die britische Serie wurde 1998 in das Programm von PBS, dem "educational" Public Broadcasting Service aufgenommen. Noch bevor sie ein Hit bei den kleinen (und auch einigen größeren) Kindern wurde, meldeten sich die Kritiker. Ähnlich wie auch in Deutschland wurde gefragt, ob es überhaupt Serien für Kleinkinder geben sollte, und wenn ja, ob denn die "Teletubbies" das Richtige seien. Im Gegensatz zur "Sesamstraße", wo die erzieherischen Ziele recht eindeutig waren, fragten die meisten Kritiker nach dem "Wert" einer Serie, in der pummelige Gestalten herumwatscheln, offenbar viel Spaß haben, aber nicht einmal richtiges Englisch sprechen.
  • Kaum war die erste Million "Teletubby"-Puppen verkauft, machte der fundamentalistische Prediger Jerry Falwell mit seiner "Teletubby"-Kritik Schlagzeilen: Er "outete" Tinky-Winky. Falwell, der oft mit konservativen politischen Gruppen zusammenarbeitet, überraschte die Nation (und erschreckte so manche christliche Eltern) mit der Behauptung, dass Tinky-Winky alle Anzeichen höchst bedenklicher homophiler Neigungen habe: er ist lila, hat ein "Gaypower"-Symbol auf dem Kopf, und – wer kann da noch zweifeln – trägt oft eine Handtasche.
  • Der dritte Schlag gegen die "Teletubbies" kam im August 1999: Der Verband der amerikanischen Kinderärzte erklärte, dass Kinder unter 2 Jahren nicht fernsehen sollten und dass alle TV-Programme für Kleinkinder schädlich seien. Einige Wochen später konnte man übrigens ähnliche Warnungen von deutschen Kinderärzten hören (s.a. Beitrag v. Hofacker). Das "Outing" durch Jerry Falwell hat dem Prediger wohl mehr geschadet als den "Tubbies"; er wurde weithin lächerlich gemacht. Im Gegensatz dazu nahm die Öffentlichkeit die Erklärung der Kinderärzte sehr ernst und sowohl die britische Produktionsfirma wie auch das PBS-Network in den USA legten Statements zur Verteidigung der Serie vor.

Presseberichte und Diskussionen über die Erklärung der Kinderärzte gingen meist davon aus, dass die Ärzte festgestellt hätten, die "Teletubbies" und andere Kinderprogramme seien schädlich, weil sie die körperliche und geistige Entwicklung kleiner Kinder hemmten. Selten wurde gefragt, wie die Ärzte dies festgestellt hätten und warum das Fernsehen diese negativen Wirkungen haben sollte.

Wie beeinflußt Fernsehen die Kleinkinder?

In Diskussionen über die Auswirkungen des Fernsehens auf Kinder wird oft übersehen, dass es sehr schwierig ist, solche Effekte eindeutig zu belegen, und dass vieles von dem, was für erwiesene Tatsachen gehalten wird, nur Meinungen oder Vermutungen sind. Derartige Einschätzungen werden auch von "Fachleuten", wie die genannten Kinderärzte, abgegeben. Tatsächlich daurte es etwa fünf Jahre und kostete Millionen Dollars, bis man wußte, ob und in welcher Weise z. B. das Sehen der "Sesamstraße" positive Auswirkungen auf Kinder hatte. Und selbst dann gab es über die Gültigkeit der Befunde immer noch Diskussionen bei den Wissenschaftlern.

Wer genau nachlas, stellte fest, dass die amerikanischen Kinderärzte keine eigene Studie über die "Teletubbies" durchgeführt hatten – ebensowenig eine Studie über den Einfluß des Fernsehens generell auf Kleinkinder. Sie hatten lediglich von vorhandenen Studien abgeleitet, dass Babys und Kleinkinder persönliche Zuwendung und Interaktion brauchen, und dass ein solcher Umgang besser ist als nur Fernsehen. Also: die Ärzte haben erklärt, dass Fernsehen nicht als Ersatz für die Beschäftigung von Eltern mit ihren Babys mißbraucht werden sollte. Und sie haben davor gewarnt, dass das Fernsehen dazu verführen kann, es als Ersatz für solche Interaktionen zu benutzen. Die Ärzte wissen aber nicht, ob spielen mit den Eltern vor dem "Teletubby"-Fernseher schädlich ist. Denn es ist nicht auszuschließen, dass dieses Spielen genau so wie andere Arten von Kind-Eltern-Kontakt sein kann.

Haben die "Teletubbies" positiven Einfluß?

Wenn man akzeptiert, dass eine halbe Stunde Fernsehen am Tag, unter Aufsicht Erwachsener, die mit dem Kleinkind interagieren, nicht schädlich ist – und es gibt keinen fundierten Beweis für das Gegenteil – bleibt immer noch die Frage, ob die Inhalte der "Teletubbies"-Serie geeignet sind, Kleinkindern in ihrer Entwicklung zu helfen.

Presseerklärungen und natürlich auch die amerikanische "Teletubbies"-Website liefern ausführliche Begründungen für den Wert der "Tubbies" und beschreiben die Forschungsarbeiten, auf denen das Konzept und die Annahme, dass die Sendung Kindern nützt, beruhen. (Man findet dort, www.pbs.org/"Teletubbies", übrigens auch eine Erklärung für Tinky-Winkys Handtasche.)

Zusammengefaßt heißt das: Man geht davon aus, dass Kinder in Haushalten aufwachsen, in denen ferngesehen wird, und dass es besser ist, auch eine Serie zu haben, die speziell für Ein- bis Vierjährige konzipiert wurde. Das Konzept der Serie beruht auf Beobachtungen von Kleinkindern und baut auf deren Spielen und Sprachformen auf. Die häufigen Wiederholungen sollen das Lernen erleichtern, den Kleinen das Wiedererkennen ermöglichen und dadurch ihr Selbstvertrauen stärken. Die Bewegungen der "Teletubbies" (Tänze, usw.) sollen imitiert werden; die kleinen Zuschauer sollen nicht passiv vor dem Fernseher sitzen.

Obwohl sehr oft von eins bis vier gezählt wird, sollen die "Teletubbies" nicht direkt auf Schulfächer vorbereiten (wie die "Sesamstraße"). Sie sollen eher emotionale Bedürfnisse entwickeln helfen, wie Freude (die "Tubbies" sind sehr happy), Zuneigung (sie haben sich sehr lieb), und Individualität (sie sehen unterschiedlich aus und beschäftigen sich auch öfters allein). Was die vieldiskutierte Sprache, den "Teletubby-Baby-Talk" angeht, weist man darauf hin, dass über 80% der sprachlichen Äußerungen in den Programmen Erwachsenensprache sind. Der Rest, die "Spielsprache" der "Teletubbies", soll die Bindung zu den "Tubbies" stärken und dadurch positive Wirkungen ermöglichen.

Erfüllen die "Teletubbies" ihre erzieherischen Ziele? Die Produzenten der Serie haben auf eine Studie aufmerksam gemacht, in der ein Lehrer, der die "Teletubbies" im Unterricht einsetzte, feststellt, dass dieses populäre Vorschulprogramm Lesen und Schreiben sogar fördert (s.Beitrag v. Jackie Marsh: Mit den "Teletubbies" Sprechen, Lesen und Schreiben lernen).

Kinderfernsehen und seine Kritiker

Die Allgegenwärtigkeit der Medien, vor allem des Fernsehens, und die Sorge um die Kinder, die mit den Medien aufwachsen, garantieren offene Ohren für Kritik an Fernsehprogrammen für Kinder. Dabei wird leicht übersehen, dass viele, die kritisieren, nur ihre persönliche Meinung äußern, und dass wir alle kaum verstehen können, was Kinder überhaupt wahrnehmen und verstehen, wenn sie ein solches Programm anschauen.

Meine persönliche Meinung ist, dass Kritiker kritischer beurteilt werden sollten, und dass wir auch nicht vergessen dürfen, wie schwer es ist, den Einfluß eines Programms wie die "Teletubbies" zu messen. Negative Einflüsse gibt es sicher, wenn Eltern das Fernsehen als Babysitter nutzen. Aber man sollte nicht automatisch das Schlimmste befürchten, wenn eine solche Sendung populär wird (und irgend jemanden zum Multimillionär macht.). Könnte es nicht auch sein, dass die Tatsache, dass die Kleinen die "Teletubbies" so gern haben, auf positive Wirkungen hinweist? Müssen wir tatsächlich immer mißtrauisch sein, wenn etwas gefällt? Ich glaube, dass das Konzept der "Teletubbies" fundiert ist, und der Erfolg der Serie zeigt, dass sie dem Entwicklungsstand der Kleinkinder gerecht wird. Höchstwahrscheinlich haben die "Tubbies" relativ wenig Einfluß im Vergleich zu den Eltern und anderen Faktoren. In 20 Jahren sind sie sicher auch Kult, wie "Die Sendung mit der Maus" und "Biene Maja", und dann werden sich Kritiker vielleicht über einen neuen Computer für Zweijährige aufregen.


DER AUTOR

Horst Stipp, Dr. phil.,
ist Direktor der Abteilung Sozial- und Entwicklungs- forschung bei der National Broadcasting Company NBC in New York, USA.


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