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Publikationen  TELEVIZION   Ausgabe 14/2001/2

Bei uns steht die Unterhaltung im Vordergrund

Eine Podiumsdisskussion mit den heute prägenden Schaffenden

Welche Programme machen sie, von welchen träumen sie und an welches wird man sich in 20 Jahren noch erinnern? Programm-MacherInnen, die jetzt über Konzepte und Realisierung von Kinderprogrammen im Fernsehen entscheiden, gaben am Ende der IZI-Konferenz "50 Jahre Kinderfernsehen - das Ende der Fantasie?" Antworten.

Diskussionsleitung: Tilmann P. Gangloff (Diplom-Journalist, Allensbach)

Teilnehmer:




Frank Beckmann
(KI.KA, Erfurt)
Christophe Erbes
(Fox Kids, München)
Dr. Friederike Euler
(BR, München)
Ralf Gerhardt
(Disney Channel, Ismaning)




Siegmund Grewenig
(WDR, Köln)
Sabine Preuschhof
(ORB, Potsdam)
Anke Schmidt-Bratzel
(NDR, Hamburg)
Susanne Schosser
(Super RTL, Köln)

Gangloff: Fernsehredakteure waren früher, haben wir gehört, Weltverbesserer (s. Löhr, S. 28). Ich will von Ihnen allen hier wissen, ob Sie immer noch die Welt verbessern wollen, ob Sie immer noch Träume haben, wie die Gratwanderung aussieht zwischen den Träumen, die man hat, und dem Budget, das einem zur Verfügung gestellt wird. Und natürlich würde ich gerne wissen, ob Sie andere Träume haben als ihre Vorgängerinnen und Vorgänger.

Beckmann: Die erste Frage, mein Traum: Ich darf's, ja muss es kurz machen. Mein Traum im Moment ist: Ich habe, es ist 8.15 Uhr, die Tagesschau gesehen, dort nichts Schreckliches von Afghanistan oder sonstwie vernehmen können, habe ein Glas Rotwein vor mir, meine Tochter ist im Bett – ausnahmsweise – und schläft. Ich schalte dann auf ARTE – und was sehe ich? Nicht ARTE, ich sehe dort den KI.KA (den Kinderkanal von ARD/ZDF, Anm. d. Red.). Das ist also eigentlich im Moment der Traum, den ich am liebsten träumen würde, und zwar vielleicht auch in der Reihenfolge.

Gangloff: Es gibt ja diese These, dass sich öffentlich-rechtliches und kommerzielles Fernsehen einander angenähert haben – wie auch immer – und dass das Kinderfernsehen, speziell vielleicht der KI.KA, die Antithese dazu ist.

Beckmann: Kucken Sie sich die Programme an, die Sie da wiederfinden. Sie werden halt bei uns eine andere Art von Kinderprogramm finden. Also es ist heute schon das Stichwort Vollprogramm für Kinder gefallen. Ich glaube, das ist auch mehr unsere Profession, dass wir sagen, wir mischen sämtliche Genres, die auch möglich sind, sowohl Informationsmagazine als auch Realserien oder auch Zeichentrickprogramme. Ich weiß, dass es dort auch bei den Privaten im Moment sehr viele Ansätze gibt, was ich gut finde. Aber ich weiß einfach, dass wir an der Stelle einfach auch noch die Vorreiter sind. Dann zu The Tribe – so kurz vorgestellt, ja? The Tribe ist tatsächlich etwas, wo wir die 10- bis 14-Jährigen erreichen können. Also für die, die diese Sendung nicht kennen: Es ist eine Serie, die wir in Neuseeland gekauft haben, eine sehr lang laufende Serie. Die Grundgeschichte ist die, dass es eine Welt gibt ohne Erwachsene und die Kinder sich dort jetzt selbst organisieren müssen. Und sie haben halt die Schwierigkeit, dass sie sich all das, was heutzutage im Alltag leicht zugänglich ist, dort nur sehr mühsam erarbeiten können und erarbeiten müssen, um zu überleben. Das ist die Grundanlage dieses Plots und der fasziniert sehr viele. Warum? Weil es eine lang laufende Serie ist, weil es sehr gute Identifikationsfiguren gibt, das ist dasselbe Prinzip, was bei fabrixx funktioniert und auch bei Schloss Einstein. Übrigens auch da sind sehr viele 10- bis 14-Jährige dabei, also überproportional, und Sie müssen sich ja auch immer vorstellen, dass diese Zielgruppe, die sehr schwer zu erreichen ist, auch erst mal solche Plätze wie den Kinderkanal finden muss. Also Programmflächen zu schaffen, die auch längere Strecken tragen, so dass die auch wirklich als Alternative begriffen werden, das ist auch eine der Aufgaben für die Zukunft. Vielleicht das in der Kürze.

Gangloff: Warum braucht der Markt Super RTL, wenn der Markt schon KI.KA hat? Denn KI.KA hat ja alles, was Kinder brauchen: Unterhaltung, Information, Bildung.

Schosser: Wie Frank Beckmann schon sagte, wir unterscheiden uns ja dann doch programmlich noch, auch wenn bestimmte Programme sicher in dem einen oder anderen Sender stattfinden könnten. Aber ich denke schon, dass der Markt beides braucht, einfach um die Vielfalt dessen, was es tatsächlich auf dem weltweiten Markt gibt, in Deutschland zeigen zu können. Auch ein ganzer Kinderkanal hat eben nicht so viele Programmplätze wie jetzt zwei, und ich denk' wir haben schon noch 'ne ganz andere Herangehensweise. Also bei uns steht die Unterhaltung im Vordergrund und Information ist definitiv nicht unser Thema.

Gangloff: Das haben Sie jetzt schön gesagt. Faktisch ist es ja wohl so, dass Super RTL auch Sachen zeigt, die der KI.KA nicht zeigen würde, selbst wenn man sie sich leisten könnte, Herr Beckmann, oder, ist das so?

Beckmann: Ja!

Gangloff: O. k. Höflicherweise nennt er keine Serientitel. Wir haben in dem Vortrag von Frau Albers (s. S. 44) gehört, dass in den Anfängen des kommerziellen Fernsehens erstaunlich viel selbst produziert worden ist für Kinder, und seien es nur die Rahmenhandlungen. Mittlerweile ist zumindest Super RTL in einer finanziell gesunden Position, aber wenn man sich das Programm anschaut, gibt es heute weniger Eigenproduktionen als eben bei früheren Sendern. Warum ist das so?

Schosser: Also ich denke nicht, dass es bei uns weniger Eigenproduktionen gibt als bei früheren Sendern. Wenn man die Programmfläche sieht, die RTL am Anfang bestückt hat mit Li-La-Launebär, das war eben eine halbe Stunde als Rahmenprogramm. Wir haben im Moment fünf Halbstunden eigenproduziert pro Woche im Programm und jetzt, wenn man noch die ganzen Koproduktionen dazunimmt, dann kommen da bestimmt 30 Prozent unseres Programms zustande.

Gangloff: Was sind das für Eigenproduktionen?

Schosser: Das sind neue Eigenproduktionen. Das ist der Super Toy Club, eine Game-Show, Q-Boot - das Quiz, eine Quiz-Show, dann haben wir Super Matty, ein Magazin für kleinere Kinder, und wir haben Special Events. Jetzt haben wir Kinderfernsehtag oder auch Paddy on Tour, eine immer wiederkehrende Geschichte, die wir zu verschiedenen Themen im Programm haben.

Gangloff: Stimmt. Sie haben Was ist was TV gar nicht genannt.

Schosser: Was ist was TV ist eine Koproduktion. Ich war jetzt noch bei den Eigenproduktionen. Was ist was TV wär' dann eine Koproduktion, und im Zeichentrickbereich eben noch andere Koproduktionen.

Gangloff: Irr' ich mich oder haben Sie jetzt gar nichts über Ihren Traum erzählt?

Schosser: Ja, also ich fand's ganz interessant, heute hier zuzuhören. Ich glaub', die Träume von der älteren Generation und der jüngeren Generation unterscheiden sich wirklich nicht so wesentlich. Ich hab' mich bei der Vorbereitung auf diese Konferenz auch gerne wieder an meine Kindheit erinnert und an das, was ich im Fernsehen so gesehen und geliebt habe, und mein Traum wäre eigentlich, dass sich Kinder eines Tages mal an was zurückerinnern und irgendetwas von dem, was wir senden oder machen oder produzieren, mit einem Lächeln noch Jahre später im Kopf haben und sagen können, das hat mir irgendwie was gegeben, und seien es ein paar schöne Stunden oder auch wirklich vielleicht eine Orientierung in einer bestimmten Lebensphase, wie auch immer. Und ich denke, das ist der große Unterschied zu damals, dass wir uns glaub' ich heute in einer viel komplizierteren Welt und Medienwelt bewegen müssen und gegen ganz andere Dinge angehen müssen. Wenn ich an all die Boulevard-Magazine denke, an dieses Startum, was sich im Moment so entwickelt – dass es unheimlich hipp ist, vor irgendeiner Kamera zu stehen, egal ob man was kann oder nicht, denn wer im Fernsehen ist, ist in. Viele Kinder orientieren sich dann daran. Und da Gegenpole zu schaffen und auch noch auf andere Werte hinzuweisen, das ist mein Traum.

Gangloff: Fällt Ihnen eine Sendung ein, von der Sie glauben, dass heutige Kinder sie in 20 Jahren noch in Erinnerung haben werden?

Schosser: Mir fällt spontan eine ein. Ich hoffe natürlich sehr, dass Angela Anakonda eine der Serien sein wird, an die sich Kinder dann auch noch 20 Jahre später erinnern.

Gangloff: Sämtliche kommerziellen Sender leiden unter ganz enormen Einnahmeverlusten durch rückläufige Werbung. Ist Super RTL auch betroffen?

Schosser: Wir sind auch betroffen, aber Gott sei dank nicht ganz so krass wie unsere größeren Brüder und Schwestern, weil Kinderprogramm eben doch eine, ja, sehr spezielle Nische ist, und da war jetzt der Einbruch nicht ganz so groß wie bei den anderen.

Gangloff: Es sind angeblich nur Peanuts, die in diesem Bereich umgesetzt werden.

Schosser: Ja, also, nach wie vor verdient man mit Kinderprogramm nicht wirklich richtig Geld.

Gangloff: Herr Grewenig, ich komm‘ jetzt zu Ihnen. Sie wissen, der Traum, zweitens die Sendung, die auch in 20 Jahren noch im Guten oder im Schlechten in Erinnerung sein wird.

Grewenig: Wir haben letztes Jahr Wissen macht Ah! gemacht, das ist erstaunlich erfolgreich geworden. Wir haben eigentlich nur aus dem MausClub ein paar Änderungen vorgenommen und schon ist das Programm in 'ne ganz andere Richtung gegangen. Das heißt, das Arbeiten an den einzelnen Formaten ist immer wieder wichtig und man kann da auch viele Effekte erreichen. Wir sind jetzt in der Vorbereitung eines ganz anderen Programms. Wir machen keine Late-Evening-Show, keine Late-Night-Show, sondern 'ne Morning-Show, das wird nächstes Jahr dann kommen – mehr kann ich jetzt gar nicht verraten, will ich auch nicht verraten, aber ich wurde nach dem Traum gefragt. Ich träume davon, dass Geschichten, die wir gemacht haben, positive Spuren hinterlassen. Ich selber finde eine Geschichte, die ich selber produziert hab', so großartig, dass ich mich freuen würde, wenn es vielen anderen auch so geht. Das ist Leb wohl, lieber Dachs, eine 6-Minuten-Geschichte in der Sendung mit der Maus, die vom Tod handelt. Es ist die einzige Geschichte, die ich kenne, wo der Tod für Kinder positiv verarbeitet worden ist. Sie hat mich selber auch weitergebracht in meiner eigenen Beschäftigung mit diesem schwierigen Thema. Ich hoffe, dass wir viele Geschichten haben, von denen die Kinder so positiv berührt werden. Meine Antwort auf die Frage, welche Sendung in Erinnerung bleiben soll, ist sehr unoriginell: Die Sendung mit der Maus, aber das war zu erwarten.

Gangloff: Ralf Gerhardt ist Programmdirektor sämtlicher Fernsehveranstaltungen Disneys in Deutschland (Buena Vista, Germany - Anm. d. Red.), also nicht nur Disney Channel, sondern auch Disney, soweit es bei RTL stattfindet. Wenn man über Marken aus dem Kinderfernsehen nachdenkt, ist es dann nicht so, dass die Marke Disney alles erschlägt, oder kann man irgendwie da auch noch eigene Marken schaffen?

Gerhardt: Also wenn die Marke Disney einen erschlagen würde, so wäre es doch ein schöner Tod, würde ich jetzt mal sagen. Es gibt Schlimmeres, als mit so populären Marken arbeiten zu müssen. Nein, sie erschlägt einen nicht, weil wir natürlich auf der Marke aufbauen können. Wir wissen aufgrund von Publikumsforschung, dass wir im Disney Channel mit unseren Eigenproduktionen wahrgenommen werden. Und die Leute wissen durchaus zu differenzieren zwischen dem König der Löwen oder Schneewittchen und live @ five, Liga Disney Channel und so weiter. Also das wird schon differenzierter wahrgenommen, als man das vielleicht auf den ersten Blick meint. Dann waren die Fragen nach dem Traum. Und ich glaube, das hängt miteinander zusammen, die erste und die zweite Frage, denn letztendlich träumen wir natürlich alle davon, Programme zu machen – auch weiterhin machen zu können –, die bei Kindern gut ankommen, die wir selbst aber auch verantworten können. Wenn die dann so gut sind, dass in 20 Jahren auf diesem Podium darüber geredet wird, dann fänd' ich das toll, ja? Und ein Programm, was ich kenne, ich mach' das jetzt genau so schamlos wie alle anderen, da bring' ich natürlich eine Eigenproduktion von uns ein. Ich glaube, dass wir mit Liga Disney Channel, mit der tatsächlich einzigen Bundesliga-Sendung für Kinder, die es im deutschen Fernsehen gibt, natürlich was schaffen, was einzigartig ist und was in Erinnerung bleibt. Dort schauen Kinder, die früher Sportschau gekuckt hätten. Über 40.000 Kinder beteiligen sich an einem Spiel – was für einen Pay-Sender natürlich unglaublich viel ist.

Gangloff: Als Spartensender in einem Spartenpaket, dessen Zukunft zudem auch durch Kabelnetzverkäufe und durch Menschen wie John Malone (Chef des US-Kabelbetreibers Liberty Media, Anm. d. Red.) ein bisschen bedroht ist, kann man da trotzdem noch relativ gelassen seiner täglichen Arbeit nachgehen?

Gerhardt: Also ich bin ganz gelassen, ja. Ich habe da wirklich wenig Bedenken.

Gangloff: Gut, aber Ihre Ziehmutter – ich hätte das so nicht gesagt, aber sie hat es ja selber gesagt – Ihre Ziehmutter, Susanne Müller, hätte es sicherlich schöner gefunden, wenn Sie jetzt für die Ewigkeit eine ZDF-Sendung genannt hätten.

Gerhardt: Susanne und ich sind vollkommen im Reinen. (Lachen) Aber im Übrigen gibt es – das kann ich vielleicht noch schnell sagen als Lob an das ZDF – es gibt eine Sendung, Susanne Schosser und ich haben vorhin darüber geredet, welche Sendung wir quasi aus unserer Kindheit noch kennen, und bei mir ist es eindeutig Tim Thaler.

Gangloff: Der alte Tim Thaler?

Gerhardt: Also ich erinnere mich nicht an Aktenzeichen XY und auch nicht an die Sportschau, aber an Tim Thaler.

Gangloff: Erzählen Sie kurz, inwiefern Disney und Fox jetzt miteinander verbandelt sind. Vielleicht lassen wir das Christophe Erbes machen, damit er auch zu Wort kommt.

Erbes: Also Disney und Fox Kids: Disney hat die Fox-Familie gekauft, das heißt Disney ist jetzt Gesellschafter von Fox Kids zu 76 Prozent.

Gangloff: Gibt es denn jetzt die Bestrebung, diese beiden Programmfarben ganz stark voneinander zu unterscheiden, so dass man halt eben zwei Marken hat, die sich nicht gegenseitig kannibalisieren?

Erbes: Ja, also es gibt schon einen großen Unterschied. Ich glaube, dass Disney immer, das ist eine Tradition, integrativ arbeitet, also für die Familie, und wir arbeiten nur für Kinder, also für die jüngeren, die 3- bis 5-, dann 6- bis 9- und 10- bis 13-Jährigen, sehr gezielt und mit einer moderneren Art von Sendungen.

Gangloff: Auf frei empfangbares Fernsehen übertragen wäre das, um das zu vergleichen: Hier säße KI.KA und da säße Super RTL.

Erbes: Ist ein nettes Bild, ja. Warum nicht?

Gangloff: Wir brauchen noch den Traum und wir brauchen noch die Sendungen für die nächsten Generationen.

Erbes: Ja, als Traum würde ich zwei große und einen kleinen nennen, und zwar hatte ich als Kind immer einen Traum. Ich dachte immer, ich muss die Welt retten. Natürlich, irgendwie weiß ich inzwischen, dass es doch nicht so einfach geht, und ich weiß, dass auch mit unserer Arbeit sowas irgendwie überhaupt nicht machbar ist. Aber ich hab' schon ein paar große Ziele, und ein Traum wäre, wenn ich in meinem Leben dazu beigetragen habe, dass wir durch die Kinderprogrammarbeiten mehr dazu beitragen, dass Kulturen sich besser verstehn. Ich glaube, wenn ein Typus Mensch sowas kann, dann sind das die Kinder; die Erwachsenen sind schwer umschulbar. Im Moment, beispielsweise, versuche ich, über unsere Internet-Plattform die 18 Sprachen, die wir in ganz Europa ansprechen, irgendwie zu verlinken, damit Kinder untereinander irgendwie zusammen sprechen können. Das ist ein Traum. Ein anderer Traum ist, dass wir in unserer Arbeit zu einer kindgerechteren Gesellschaft beitragen. Und die Sendungen, an die man sich immer erinnert: Also ich habe immer die Fragen von besorgten Leuten verstanden, weil ich als Kind einmal allein Die Vögel von Hitchcock gesehen habe, und ich hab' immer noch Alpträume davon. Und ich weiß, wie sowas, wie Fernsehen ein Kind beeindrucken kann. Deswegen hab' ich immer in meiner Arbeit gedacht: Mann, ich muss sicherstellen, dass irgendwie nichts so Schlimmes kommt, egal was wir da machen, und dafür kämpfen, dass andere das auch nicht machen. Ich denke, dass leider das, was in Erinnerung bleiben wird, eine negative Sache und eine positive Sache sein wird. Negativ, glaub' ich, werden die Fernsehbilder von diesem 11. September 2001 auch in 20 Jahren, wenn wir so 30-Jährige fragen, immer noch genannt werden. Und positiv, denk' ich, wenn die Neuverfilmung von Jim Knopf auch da als neuer Klassiker steht. Ich nenn' das auch nicht so ganz unbeteiligt, weil unsere Gruppe daran beteiligt war, aber auch besonders, weil wir das sehr gut gemacht haben. Ich glaube, da ist etwas geschafft worden, was sicherlich – also ich hoffe es auf jeden Fall – so diese Klassiker ein bisschen länger leben lassen wird.

Gangloff: Frau Euler, wäre ein bisschen mehr Rückbesinnung auf Werte vielleicht gar nicht schlecht?

Euler: Ja, die Rückbesinnung auf Werte hat's ja als programmphilosophische Zielsetzung sehr dezidiert gegeben. Und es gibt sie zum Teil auch noch, jetzt speziell im Haus Bayerischer Rundfunk, wobei man ja sagen muss, dass das, was man im Dritten Programm macht, nur ein Teil dessen ist, wofür man verantwortlich ist. Der BR ist – und da können Sie die ARD halt zusammen sehen – ja mitbeteiligt an allem, was als Gemeinschaftsprogramm und als gemeinschaftsfinanziertes großflächiges Programm rauskommt. Das heißt auch mitreflektieren, was wir denn sinnvollerweise entwickeln sollen, mitreflektieren, was von der ARD in den Kinderkanal hineinkommt und so weiter. Das ist ein riesiges Feld und es ist sehr schwierig, das jetzt auseinanderzudröseln. Die Grundvoraussetzungen sind wie überall die gleichen: das heißt, mit den Mitteln, die man hat, ein Programm – oder Teile eines Programms – zustande zu bringen, von dem man hofft, dass es der Zielgruppe gefällt und von dem man sich aber auch wünscht, dass es eigenen Zielvorstellungen einigermaßen entspricht. Und da ist man natürlich auch von der eigenen Biografie geprägt und nicht nur von den Voraussetzungen, die ein berufliches Umfeld bietet. Und was das betrifft, so oute ich mich ganz unbefangen als junge Alte oder alte Junge, denn ich bin ohne Fernsehen aufgewachsen. Meine Sozialisation, meine Bilder und auch meine imaginären Freunde, von denen gestern so viel die Rede war, kamen in erster Linie aus Büchern. Sie kamen vom Theater, also ich bin viel ins Kindertheater gegangen, und sie kamen natürlich nicht zuletzt vom Kino, was dann das große Faszinosum war und die Brücke bildet zum Fernsehen heute. Ich erinnere mich sehr genau an die frühen Disney Filme, Bambi und Cinderella und Ähnliches. Dann etwas, was sogar ein Stück Zeitgeschichte mit beinhaltete: Toxi hab' ich auch nie vergessen, weil's die Geschichte eines Besatzungskindes war. Oder solche großen Märchen, die natürlich dann mit dem Buch in Verbindung kamen, wie Der Dieb von Bagdad, oder nicht zuletzt dann die frühen Kästner-Verfilmungen Das doppelte Lottchen und Pünktchen und Anton und so weiter. Und was das für mich bedeutet hat und was ich den Kindern, die heute leben, gerne erhalten oder weitergeben würde – das ist der Augenblick der Intensität. Diese Intensität kann man natürlich unmöglich in einem Programm durchhalten, das von morgens um halb sechs bis abends um – ich sag' jetzt mal, Wunschtraum Frank Beckmann – bis 21 Uhr oder so ähnlich durchläuft. Das wäre ein Anspruch, den niemand einlösen kann. Das bedeutet für mich – mein Traum –, dass es hin und wieder gelingt, zwischen dem, was das gesamte Spektrum an Sparten, an möglichen Formaten oder Genres abdeckt, das so genannte Ereignis zu schaffen. Hier sehe ich Möglichkeiten, in der Gattung Fernsehfilm oder auch Kino-Koproduktionen, denn es ist klar, dass der Kinderfilm nicht die Riesenlobby im Lande hat und dass es sicherlich notwendig ist, dass das Fernsehen auch mit dazu beiträgt, dass solche Produktionen zustande kommen. Darin sehe ich eine sehr wichtige Aufgabe, und das ist etwas, was mich persönlich sehr fasziniert und wovon ich auch glaube, dass die Kinder davon profitieren, und dass das ganze Programm profitiert, wenn man eben Konzentration an bestimmten Punkten schafft, Ereignisse schafft und sich immer wieder zu den großen Erzählformen bekennt. Und wenn's darum geht, sich zu fragen, an was man sich in 20 Jahren erinnern soll: Es gibt auch beim BR einige ehrgeizige Vorhaben, wobei wir das für den Kinderkanal hauptsächlich angedacht haben, weil man das in einem Dritten Programm ja nie realisieren könnte, zum Beispiel eine Animationsserie über Mozart als Kind. Das ist nicht leicht, denn es soll nicht belehrend daherkommen, sondern durchaus unterhaltend, aber auch unter Verwendung von Originalmusik. Und wenn es gelänge, dass so etwas bei den Kindern auch ankommt, dass es so erzählt wird, dass man es plötzlich spannend findet, wie im 18. Jahrhundert gereist wurde, bis hin zur berühmt berüchtigten Klofrage, die Kinder immer interessiert. Also dass man, wenn man den ganzen Tag im Reisewagen verbringt, vielleicht auch einen Topf mitnimmt, das ist ja von heute aus gesehen eher skurril. Dass man auch jederzeit gewärtig sein musste, von Räubern überfallen zu werden - und das alles in einem plausiblen Sinnzusammenhang, der einen beflügelt, sich ein bisschen in die Mozart-Zeit hineinzuversetzen. Wenn so etwas dann im Gedächtnis haften bliebe, so wie die Serien, an denen der BR beteiligt war, wie Nils Holgersson oder auch Pumuckl, der ein Klassiker ist. Ich habe den nicht als Kind gesehen, aber es war für mich ein Aha-Erlebnis, als meine Mutter mich vor vier Jahren fragte: Was machst du denn jetzt eigentlich, mit was hast du denn da zu tun? Und dann sagte ich: Ja, also das und das und da gibt es auch das Pumuckl TV. Und daraufhin sagte meine Mutter: Oh, das ist prima, das hab' ich furchtbar gerne. Also das heißt, sie hat es auch als Erwachsene entdeckt und fühlte sich angesprochen. Und das wäre der Rest des Traumes, wenn es gelänge, Serien und Filme zu ermöglichen, in denen sich dann wirklich mehrere Generationen wiedererkennen oder etwas damit anfangen können, so wie man auch ein gutes Kinderbuch als Erwachsener wieder gerne liest.

Gangloff : Ich komme jetzt zu zwei weiteren Kolleginnen: Sabine Preuschhof leitet das Familienprogramm des ORB und Anke Schmidt-Bratzel ist für das Kinderfernsehen des Norddeutschen Rundfunks tätig. Sie haben zwei unterschiedliche biografische Hintergründe. Ich wüßte gerne, ob sich das in Ihrer alltäglichen Arbeit in irgendeiner Form widerspiegelt oder ob man einfach so eingebunden ist in eben die Zwänge des Alltags, das heißt dass Biografien oder Ideale und Werte, die man vielleicht früher im Westen und im Osten gelernt hat, überhaupt nicht mehr zum Tragen kommen?

Preuschhof: Das spiegelt sich schon wider, und Anke und ich, wir haben auch schon viel miteinander gearbeitet. Wir produzieren zusammen das Sandmännchen und haben uns da schon ziemlich hart auseinandergesetzt. Das ist nicht nur eine Generationenfrage, das ist auch eine Temperamentfrage, es ist eine Charakterfrage. Es gibt so viele Unterschiede auf dieser Welt, die wir sicher alle beide repräsentieren, aber wir haben uns immer irgendwo geeinigt, und dann nicht einfach nur auf dem goldenen Mittelweg, sondern ich glaube, aus dieser Auseinandersetzung ist was neues Gutes entstanden und das fand ich grade mit den Kollegen des NDR sehr angenehm. Manchmal hätt' ich sie auch ein wenig ... (hüstelt), manchmal mocht' ich sie nicht so, aber wenn das dann nachher zu einem guten Ende kommt, ist das schon o. k.. Wir sind sehr unterschiedlich, wir haben völlig unterschiedliche Prägungen. Wir sind völlig unterschiedlich sozialisiert, das ist ganz klar. Aber ich glaube nicht, dass die einen, bloß weil sie älter sind oder aus dem Osten sind oder was weiß ich, in der Nähe der Oder wohnten, für das Alte und Althergebrachte stehen, und die anderen, weil sie aus Hamburg sind und weiter gen Westen wohnen, für das Neue und Innovative stehen. So ist es gar nicht. Jeder steht immer mal für das eine und mal für das andere und jeder hängt mal an dem einen oder dem anderen, und das find' ich ist ein guter, kreativer Prozess gewesen, den wir durchgemacht haben.

Gangloff: Sie denken an den Traum und die Sendung für die Erinnerung?

Preuschhof: Mein Traum: Ich bin pragmatisch, mein Traum ist, endlich mal einen Spielfilm zu produzieren, bei dem ich nicht am letzten Tag noch beim Bayerischen Rundfunk anbetteln muss, ob er mir noch 50.000 Mark gibt. Ich möchte einen Spielfilm machen, bei dem ich mal nicht nur 26 Tage Drehtage hab', sondern 35. Ich möchte einen Spielfilm produzieren, in dem gute Schauspieler spielen. Ich möchte einen Spielfilm produzieren, bei dem ich das, was ich von Beate Hanspach (langjährige Dramaturgin des DFF, Anm. d.Red.) versucht hab' zu lernen, umsetzen kann, denn sie ist da mein großes Vorbild. Ich werde das nie erreichen, aber ich versuche es immer wieder. Und ich möchte einen Spielfilm machen, der nicht in der Getto-Zeit zwischen 6.30 und 11.30 Uhr läuft, sondern um 17.00 Uhr im Weihnachtsprogramm, im Dunkeln, wenn alle zu Hause sitzen und diesen Film kucken – und dann möchte ich drei Millionen Zuschauer haben. (Lachen) (Applaus) Das war aber nur mein erster Traum. Mein zweiter Traum ist, dass ich immer die Lust und die Kraft habe, neu anzufangen, dass ich die Lust und die Kraft habe zu provozieren und dass ich den Stein immer ganz weit schmeißen kann. Und mein dritter Traum ist, dass ich immer eine Träumerin bleiben werde.

Gangloff: Ich nehme an, die Sendung, an die man sich erinnern wird, ist dann die mit den x-Millionen Zuschauern?

Preuschhof: Nein, da bin ich nun wieder ganz traditionell und auch wieder ganz pragmatisch. Wir haben im ORB eine Aktion gestartet im November 2001. Kinder sollten uns ihr selbst gesungenes Sandmann-Lied schicken und wir wurden dann der Kisten nicht mehr Herr. Es stapelte sich bis zur Decke. Bei 6.000 Kassetten haben wir aufgehört zu zählen. So ein Programm wird nie alt. Der Sandmann ist die älteste deutsche Kinderfernsehfigur – ätsch, sie ist älter als die Maus und sie wird immer bleiben, und es werden sich immer alle daran erinnern. Danke.

Gangloff: Frau Schmidt-Bratzel.

Schmidt-Bratzel: Ja, meine Sendung, da würd' ich gerne anfangen, weil diese Sendung auch viel mit meinen Träumen zu tun hat. Von ihr glaube ich, dass sie in 20 Jahren auch noch aktuell sein oder im Gespräch sein wird, was die Erinnerungen an die Kindheit betrifft. Es ist die Sesamstraße. Ich glaube, dass wir da sehr viele Träume umsetzen. In der Sesamstraße können wir fliegen. Wir wissen, dass wir fliegen können, und 3- bis 5-Jährige so wie Pepe und alle andern Figuren, die in der Sesamstraße auftreten, fliegen dort. Meine Zielvorstellung für die Zukunft ist nochmal was anderes als dieser Traum. Die Zielvorstellung für die Zukunft ist, dass wir es weiterhin schaffen, in den Realfilmserien, die wir machen, die Probleme und die Fantasien der Kinder aufzugreifen. Wir machen das nicht – wie Frau Müller es für logo geschildert hat (s. S. 41) – in einem journalistischen, aktuellen Format, sondern versuchen das in fiktionalen Serien zu tun. Und ich glaube, dass diese Fantasien und Träume auch sehr viel mit Grenzen und Tabus zu tun haben, und da wünsche ich uns den Mut, über diese Grenzen zu gehen. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir – und da stehen die Anzeichen im Moment gut – weiterhin so viel Etat für Kinderprogramm im NDR bekommen, wie wir im Moment haben, das heißt, dass wir also Programm machen, das qualitativ eigentlich ausgestattet ist wie Erwachsenenprogramm. Das ist absolut eine Zielvorstellung, dass wir dabei bleiben. Und ich wünsche mir auch, dass wir experimentieren mit Formaten in diesem Rahmen, in diesem finanziellen Rahmen, wie wir es können.

Gangloff: Vielen Dank.



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