Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe: 12/1999/2 - TEXTAUSZUG:



Ohne Tabuverletzung geht es nicht

Interview mit Albert Schäfer, dem Geschäftsführer des Kinderkanals ARD/ZDF

Die Kleinkinderserie "Teletubbies" hat auch dem Kinderkanal ARD/ZDF ein weiteres Erfolgserlebnis beschert. Das hilft ihm, sich in Zukunft als Hort öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehens zu etablieren.

IZI: Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehens - so schrieb kürzlich eine Kollegin von Ihnen - liegt im Kinderkanal. Ist das so?

Schäfer: Die Zukunft liegt im Kinderkanal dann, wenn es weiterhin starke Kinderredaktionen innerhalb der ARD und des ZDF gibt. In dieser Kombination glaube ich auch, dass die Zukunft im Kinderkanal liegt. Das hängt einfach mit zwei Dingen zusammen: In unserer vielfältigen Medienlandschaft brauchen Kinder eine eindeutige Adresse mit Kontinuität und Sicherheit. Die finden sie im Kinderkanal. Zum zweiten: Der Erfolg des Kinderkanals, der für viele ja überraschend war - auch innerhalb von ARD und ZDF- ist sozusagen Voraussetzung für den weiteren Erfolg. Und so, wie die Dinge nun liegen, bin ich überzeugt davon, dass der Kinderkanal eine gute und lange Zukunft haben wird: als Aushängeschild für öffentlich-rechtliches Kinderprogramm, aber nur - wie gesagt - mit Hilfe der großartigen Anstrengungen von erfahrenen Redakteuren in den anderen öffentlich-rechtlichen Häusern.

IZI: Zum Erfolg des Kinderkanals haben in letzter Zeit die berühmt gewordenen "Teletubbies" beigetragen. War dieser Einkauf eher instinktiv oder kühle Kalkulation?

Schäfer: Es ist eher eine Instinktentscheidung gewesen. Ich war gerade einige Tage für den Kinderkanal in Erfurt tätig und las eine Notiz über ein neues Programm in England und wollte das mal sehen. Wir haben es uns dann angesehen, und ich war - ich gebe es offen zu - am Anfang erstaunt bis verwundert über ein solches Programm, für das es ja bisher keine Beispiele gab und das in der Tat auf Erwachsene zunächst befremdlich wirkt. So wirkte es auch auf mich. Dennoch hatte ich das Gefühl, das ist etwas Besonderes.

IZI: Was ist das Besondere?

Schäfer: Die "Teletubbies" erfreuen eine Zielgruppe, für die es bisher kein ausgewiesenes Programm gab. Und insofern ist es natürlich eine Art Tabuverletzung, auch gerade für den Kinderkanal, die ja heftigste Diskussionen in der Öffentlichkeit auslöste. Ich finde es trotzdem richtig und zu rechtfertigen, dieses Programm auszustrahlen. Wir bekommen jetzt Rückmeldungen von Eltern, die ich nicht erwartet hätte. Sie schreiben ganz offen, wann und was ihre kleinen Kinder fernsehen - und dass es für sie bis jetzt ja nichts gab. Oder dass sie mit den älteren Geschwistern gesehen hätten, aber das Programm nicht für sie war. Es ist oft so, dass zwei oder drei Kinder in der Familie sind: ein Sechsjähriger, eine Neunjährige, und dann kommt ein Zweieinhalb- oder Dreijähriger dazu. Und der guckt natürlich mit am Sonntag oder wann auch immer. Da gab es für ihn kein Programm. Hier ist nun eine Lücke gefüllt und zugleich ein Tabu verletzt worden. Das ist der eine Grund für den Erfolg. Der andere Grund ist, dass dieses Programmformat mit bestimmten Traditionen bricht – es geht nämlich weg von der Ableitung des Kinderfernsehens von Erwachsenenformaten. Viele wunderschöne Kinderprogramme von ARD und ZDF - ich nenne mal "Siebenstein" -, die mit viel Liebe gemacht sind, sind aber in ihrer Inszenierung, in ihrer Dramaturgie schon abgeleitet von Erwachsenenformaten. Das heißt, es wird zum Teil mit Parallelhandlungen erzählt; es wird auf eine bestimmte Art und Weise mit Schnitten gearbeitet. Das ist bei den "Teletubbies" anders, und das verstört Erwachsene zunächst einmal, weil dieses Programm ganz radikal auf Fernsehanfänger zugeschnitten ist: mit den Wiederholungen, mit der absoluten Langsamkeit, mit den verschiedenen sprachlichen Ebenen. Es gibt ja nicht nur die sogenannte Blabla-Ebene; sondern auch korrekte sprachliche Ebenen. Es kommen mindestens drei Sprachebenen vor. Das erschreckt, und dieses Erschrecken und die damit verbundene Aufmerksamkeit sind Teil des Erfolges.

IZI: Für die deutschen Kinder wurde einiges verändert.

Schäfer: Wir haben nicht nur synchronisiert, sondern wir haben die Innenteile etwa zur Hälfte neu gemacht. Das sind die Szenen aus dem englischen Original, die nicht exakt dem Lebensumfeld unserer Kinder hier gerecht werden. Also zum Beispiel Kinder mit Schuluniformen, Linksverkehr auf der Straße und solche Dinge. Das war aus unserer Sicht notwendig, um den Lebenserfahrungen der Kinder bei uns zu entsprechen - das war das eine. Zum anderen wollten wir bewußt auch zeigen: Es ist nicht nur ein Kauf, sondern wir wollen Kinder in Deutschland zeigen - Kinder, die sprechen, die singen. Das ist bei der Synchronisation zwar möglich, aber nicht so einfach. Und den zuschauenden Kindern muss klargemacht werden: Es findet wirklich in eurer Umgebung statt, es hat mit euch zu tun. Bei einigen der originären Einspieler war das möglich, bei anderen nicht. So haben wir uns entschieden, etwa die Hälfte neu zu machen.

IZI: Viele Eltern mögen das Programm. Es gibt aber auch indifferente und solche, die gegen das Programm sind, weil sie sich bei ihren Erziehungsbemühungen unterlaufen fühlen.

Schäfer: Ich verstehe die Kritik und auch die Irritation. Dennoch halte ich es für notwendig, unsere Position zu halten. Wenn Sie sich die letzten Jahrzehnte anschauen, dann ist öffentlich-rechtliche Kinderprogrammtradition ja nicht nur das gute, akzeptierte Kinderprogramm, das den gemeinsamen Nenner aller zu finden versteht, sondern da war immer auch eine Tabuverletzung dabei. Bestes Beispiel ist die "Sesamstraße". Es gab Diskussionen darüber, ab wann Kinder fernsehen; es gab Beschlüsse darüber, dass sie erst ab sechs fernsehen dürfen. Man kann nicht in einem Gremium beschließen, ab wann Kinder fernsehen dürfen, und in den Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmern findet etwas ganz anderes statt. Das heißt, die Tabuverletzung des öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehens hat ebenfalls Tradition. Und auch die hat das Fernsehen vorangebracht. Die "Sesamstraße" ist ein Beispiel, die "Rappelkiste" ein anderes. Auch "Die Sendung mit der Maus" ist im Grunde zunächst einmal eine Tabuverletzung gewesen. Wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich nicht traut, alte Vorstellungen zu brechen, um das Kinderprogramm auch in der Diskussion weiterzubringen, dann wird das niemand anderes tun. Die Privaten verletzen höchstens Tabus, die etwas mit dem Kommerz zu tun haben, mit einer bestimmten Art von Dramaturgie, mit Action und Gewalt, aber sie werden nicht die eigentliche Diskussion im Kinderfernsehen voranbringen. Das müssen die Öffentlich-Rechtlichen tun, und dafür muss man auch diese Diskussion führen und akzeptieren.

IZI: Aber das öffentlich-rechtliche Kinderfernsehen kollidiert nicht mit den Erziehungsvorstellungen von Eltern.

Schäfer: Wenn ich noch mal die "Rappelkiste" erwähnen darf: Die hat auch gegen die Eltern Programm gemacht. Zumindest war die Diskussion damals so. Ich selbst habe damals mit der zuständigen Redakteurin lang und breit darüber gesprochen. Also insofern gab es das in Teilen schon. Der Kinderkanal macht ja nicht in seiner Gänze – und ich finde, auch nicht bei den "Teletubbies" – gegen die Eltern Programm. Der Kinderkanal hat jetzt ein zusätzliches Programm in seinem Schema, das in der Tat zu heftigen Diskussionen geführt hat. Damit haben wir nicht eine vollkommen neue Richtung eingeschlagen. Ich glaube, dass in ein, zwei Jahren dieses Programm in der Öffentlichkeit anders bewertet wird und man es dann im Sinne von Medienerziehung als interessanten Baustein betrachtet.

IZI: Sie kaufen eine neue Vorschulserie aus den USA: "Der Bär in dem großen blauen Haus". Ein Programm ähnlich wie die "Teletubbies" oder wieder etwas Traditionelleres?

Schäfer: Das ist der richtige Begriff. Das Programm hat wieder eine traditionellere Anmutung. Es werden die - ich nenne es jetzt auch mal so - öffentlich-rechtlichen Eltern, von denen Sie gesprochen haben, davon bestimmt nicht irritiert sein, sondern es ist in der Tradition dessen, was sie kennen. Dennoch hat dieses Programm einen großen Charme, eine große Emotionalität, und ich bin gespannt, wie sozusagen das Paket "Teletubbies" und "Der Bär in dem großen blauen Haus" zusammen auf die Zuschauerschaft und auf die Elternschaft wirken wird. Ich bin sicher, dass es weniger Diskussionen darüber geben wird, auch weniger Aufmerksamkeit, aber auch viel Zustimmung und viel Erfolg.

IZI: Viel diskutiert wird ja auch das, was um die Serie "Teletubbies" herum passiert. Unter dem Begriff Merchandising, werden über 100 Produkte zum Kauf angeboten, überwiegend Spielzeug und Kinderkleidung. Was hat der Kinderkanal von diesem Verkauf?

Schäfer: Wir haben insofern etwas von dem Verkauf, als das Merchandising natürlich dazu beiträgt, das Programm populär zu machen. Das ist eine Marketingmaßnahme. Das kann man ganz offen zugeben. Das ist ja auch nichts Neues. Wenn Sie sehen, wie groß das Merchandising im Zusammenhang mit der "Maus", der "Tigerente" und mit "Tabaluga" ist, also mit Programmen von ARD und ZDF, da werden aber bestimmt genau so viele unterschiedliche Artikel angeboten. Ich kenne jetzt nicht die exakten Zahlen; ich weiß auch nicht, wie dort die Rückflüsse sind. Es ist nur so, dass das Merchandising im Zusammenhang mit einer Kindersendung nicht durch die "Teletubbies" entstanden ist. Das hat eine auch schon ein paar Jahre alte Tradition. Insofern ist das Besondere am Merchandising der "Teletubbies" lediglich der große Erfolg. Der wiederum hat allerdings etwas mit der Popularität, mit der besonderen Aufmerksamkeit dieses Programms zu tun.

IZI: BBC Worldwide hat in drei Jahren allein an den Merchandising-Artikeln weit über 55 Millionen Pfund verdient.

Schäfer: Fernsehen und Kommerz gehören im Kinderfernsehen und offensichtlich auch im öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehen zusammen. Wobei ich an der Stelle drauf hinweisen muss, dass Kinderfernsehen, um es weltweit finanzieren zu können, auch diese zusätzliche Einnahmequelle braucht. Solange Kinderfernsehen nicht mit denselben finanziellen Mitteln ausgestattet wird wie Prime-Time-Fernsehen für Erwachsene, solange ist es notwendig - jenseits von Gewinnerwartungen von Produzenten und Rechtehändlern -, auch mit der Größenordnung Merchandising umzugehen, denn viele Programme könnten nicht entstehen oder nicht finanziert werden ohne diese zusätzlichen Einnahmequellen. Ich muss aber sagen, ich halte nichts davon, das Merchandising der "Teletubbies" jetzt isoliert zu betrachten. Wenn Sie sich ein Kinderzimmer anschauen, dann sehen Sie, dass die Patentante, die Großmutter, die Eltern und die Freunde und wer auch immer ständig Geschenke für die Kinder mitbringen: Plüschtiere, Stoffpuppen, alles Mögliche. Die Kinderzimmer sind voll von solchen Dingen. Das war vor und das ist neben den "Teletubbies" der Fall. Die "Teletubbies" haben das Sortiment um mehrere Produkte erweitert, aber sie haben das Merchandising nicht erfunden. Man könnte zynisch sagen, die geplagten Verwandten haben zu Geburtstag und Weihnachten eine neue Chance, etwas Neues zu schenken. Die Ratlosigkeit steht ihnen ja zum Teil schon ins Gesicht geschrieben, was den armen Kleinen noch geschenkt werden soll. Das heißt, diese Konsumsituation ist da, auch ohne die "Teletubbies" und die dazugehörigen Artikel.

IZI: Der Markt des Kinderfernsehens ist ständig in Veränderung. Es kommen neue Angebote von SAT.1, RTL, Pro 7, und auch ausländische Bewerber stehen wieder in den Startlöchern. Wie sehen Sie denn die Position des Kinderkanals in diesem Mitbewerberumfeld?

Schäfer: Als Nickelodeon seinen Sendebetrieb eingestellt hat, wurden wir ja von einigen in Mithaftung genommen - was ich nie verstanden habe, denn Nickelodeon lief gar nicht schlecht. Das war eine rein wirtschaftliche Entscheidung. Es hat uns nur gezeigt, wie notwendig es ist, dass man einen öffentlich-rechtlichen Kinderkanal hat, denn die Kinder und die Eltern können sich nicht auf Kinderprogramme von den Privaten verlassen, weil diese von den Gewinnerwartungen abhängig sind. Und wenn die Gewinne nicht stimmen, dann wird der Sender eben zugemacht. Der Kinderkanal hingegen bietet Kontinuität jenseits dieser wirtschaftlichen Überlegungen. Jetzt kommen neue hinzu. Deswegen hat SAT.1 - und das hat etwas mit der Firma EM.TV und mit Junior-TV zu tun, mit großem Programmstock, mit viel zuviel Geld, das vorhanden ist aufgrund von Börsengängen und das irgendwo verwertet werden muss - ob gewollt oder ungewollt, auch wieder eine Kinderstrecke bekommen, die bald starten wird. Ich sehe da keine besondere Gefahr, denn die Rosinen aus dem sogenannten Junior-Paket, die sind beim ZDF und beim Kinderkanal, und die liegen nicht bei SAT.1. Interessanter wird es noch mal in den nächsten Jahren, mit dem digitalen Fernsehen hinsichtlich der Programmvermehrung. Es startet der Disney-Kanal, dann wird Fox-Kids bald da sein und andere werden noch hinzukommen. Ich beobachte es mit Interesse - das tun natürlich alle Programmanbieter. Und wir werden auch feststellen müssen, dass der Kuchen nicht größer wird, dafür die Kuchenstücke für alle kleiner - auch für den Kinderkanal. Aber wenn Sie in der Programmvermehrung eine Gefahr sehen, dann sehe ich diese Gefahr eher für andere Mitbewerber. Also, der Disney-Kanal im digitalen Paket wird eher Super RTL Kopfzerbrechen bereiten, denn die haben auch Disney-Programme. Das heißt, es gibt dann zwei Kanäle mit Disney-Programmen. Wenn Fox-Kids kommt, dann wird das aufgrund ihrer Programmphilosophie auch eher andere Bewerber berühren als den Kinderkanal. Und daher beobachte ich die neuen Programmanbieter mit Interesse und Wachsamkeit, aber nicht mit Sorge, was den Kinderkanal betrifft. Ich denke, wir haben schon eine etwas andere Stellung in diesem Markt. Natürlich müssen und wollen auch wir populär sein und gesehen werden; wir wollen aber insbesondere unverzichtbar sein. Wir wollen Diskussionen provozieren, wir wollen Meinungsführer sein, wir wollen neue Programmformate wagen, und wir wollen nicht nur - und das müssen wir auch nicht - auf den quantitativen Erfolg schauen.

IZI: Werden Programme des Kinderkanals, die sich hier bewährt haben, auch in den Regionalprogrammen zu finden sein - vielleicht sogar die "Teletubbies"?

Schäfer: Die "Teletubbies" sind bereits in den Dritten - noch nicht überall, aber ich denke, das wird verstärkt kommen - jedenfalls sind sie schon in einigen der dritten Programme zu sehen. Und gerade haben wir erfahren, dass sie auch dort (mit einiger Aufmerksamkeit) offensichtlich schon von den Zuschauern gefunden werden.

IZI: Dem Kinderkanal ist es gelungen, viele kleine Kinder vor den Fernseher zu locken. Ist Ihnen das recht?

Schäfer: Es kann mir nicht unlieb sein, denn es ist mir - und das kann ich in aller Offenheit sagen - lieber, die Kinder, auch die kleinen Kinder, schauen den Kinderkanal als einen anderen Sender, bei dem sie nicht nur andere Programme sehen mit einer anderen Programmphilosophie, mit anderer Dramaturgie, mit anderem Tempo etc., und dazu vielleicht auch noch Werbung, die es bei uns ganz sicher nicht gibt und nie geben wird. Von daher, wenn Kinder schauen - und das ist nun mal Realität - dann sollen sie natürlich bitte Kinderkanal schauen und nicht ein anderes Programm.

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