Dr. Maya Götz
Was fasziniert Kinder an den Pokémon?
Wer
zur Zeit mit Kindern zu tun hat, wird ihnen ganz sicher begegnet
sein, den "Taschenmonstern". Pokémon ist die derzeit beliebteste
Kinderserie bei den 6- bis 13-jährigen Jungen und Mädchen.
Die Sendung auf RTL 2 erreicht Spitzenquoten, die Gameboy-Spiele
sind überall zu entdecken und Schulhöfe gleichen zeitweise
einem Basar für Pokémon-Sammelkarten. So manche
Lehrerin würde sich wünschen, die Kinder könnten
genauso schnell die unregelmäßigen Vokabeln lernen, wie"
Glumanda - Glutexo - Glurak" oder "Schiggi - Schillock - Turtok"
aufsagen. Die Pokémania hat um sich gegriffen.
GfK-Quoten der Pokémon
Um die Nutzung zunächst quantitativ einordnen zu können,
ein Datenblatt der GfK-Quoten. Im ersten Halbjahr 2000 sahen über
1 Mio. die Sendung täglich in der 14.45 Uhr Ausstrahlung. Die
Altersstruktur, also auf welche Altersgruppen sich die Zuschauerschaft
verteilt, zeigt, dass es vor allem Kinder sind, die die Sendung
sehen. Pokémon spricht Mädchen und Jungen an, wobei
etwas mehr Jungen die Sendung sehen.
Der Marktanteil, also der Wert, der angibt
wie viele Prozent der jeweiligen Altergruppen, die zu dieser Zeit
den Fernseher eingeschaltet hatten, weist der Sendung einen enormen
Erfolg zu, vor allem in der Gruppe der 6- bis 9-Jährigen.(AGF/GfK
PC#TV; IP Deutschland)
Was also fasziniert Kinder an den Taschenmonstern?
In Gruppendiskussionen und Morgenkreisgesprächen mit 392 Grundschulkindern
(März und Mai 2000) wurde unter anderem dieser Frage nachgegangen.
Im folgenden werden die Ergebnisse kurz zusammengefasst.
Das Grundmotiv: Ein Junge erlebt
mit seinen tierischen und menschlichen Freunden Abenteuer
Zunächst ist es das Grundmotiv: Ein 10-jähriger Junge
und seine besten Freunde gehen in die Welt und erleben mit ihren
kleinen "Monstern" Abenteuer. Auf ihrer Reise treffen sie die viele
verschiedenen Pokémon und lernen, wie sie versorgt
und trainiert werden müssen.
Wissen um Zusammenhänge
Die Kinder vor dem Fernseher oder dem Gameboyspiel lernen quasi
mit Ash, dem Helden, zusammen und Wissen kann Spaß machen.
Innerhalb kürzester Zeit beherrschen sie die Namen und verschiedenen
Entwicklungen – und dies gelingt nicht nur schulstarken Schülerinnen
und Schülern. Gerade sonst weniger erfolgreiche Kinder können
sich hier mit ihrem Spezialwissen zeigen und beweisen.
Viel Hilfe für die Bewältigung
der Alltagsprobleme oder Wissen und Verständnis für die
immer komplexer werdende Welt, kann Pokémon natürlich
nicht bieten. Wenn, fördert es eher in Bereichen von
Ideen von Fürsorglichkeit und Freundschaft oder fordert ein
gewisses strategisches Denken.
Pokémon: ernst zu nehmende
aber beherrschbare Wesen mit vielen Charakterzügen
Pokémon ist eine Fantasiewelt, in deren Mittelpunkt die Pokémon-Figuren
stehen. Es gibt viele verschiedene, für jeden Geschmack etwas.
In ihrer unentwickelten Form sind die vielen
Monster gut einen halben Meter groß, so wie ein stattlicher
Hund oder E.T.. Es ist eine Größe, die ernst zu
nehmen ist, aber dennoch für Kinder beherrschbar bleibt. Einmal
eingefangen, sind die Pokémon die treusten Freunde,
für die man sorgen muss und die für einen einstehen und
auch kämpfen.
Dieses Grundmotiv findet sich schon in der
klassischen Kinderfernsehen, etwa bei Lassie, Flipper oder Furie.
Tiere sind die verlässlichsten Freunde. Sie vervielfachen die
eigenen Möglichkeiten, schaffen so Räume für Größenfantasien
und geben einem das Gefühl, geliebt und gebraucht zu werden.
Eine Welt der Kinder – ohne Erwachsene
Und ganz wichtig bei Pokémon ist, dass es eine Welt
von Kindern ist. Erwachsene kommen nur am Rande vor, denn Kinder
lösen alleine die Aufgaben. Dies eröffnet Fantasien und
bietet den Kindern eine Welt in die sie sich eindenken.
Medien- und Ereignisarrangement
Da kommt es natürlich gerade recht, dass Pokémon
ein ganzes Medien- und Ereignisarrangement bietet. Es gibt zur Serie
nicht nur die üblichen Merchandisingartikel, sondern vor allem
die Sammelkarten und Gameboy–Spiele, und auch im Internet ist Pokémon
vertreten. Hinzu kommen organisierte Events, wie die Deutsche Meisterschaft,
die am 4. September 2000 in München stattfand.
Pokémon schafft Kommunikationsanlässe
und Tauschszenarien in der Peer-Group
Dies Zusammenspiel verschiedener Produkte schafft natürlich
Interaktionsmöglichkeiten. Pokémon ist nicht
nur Gesprächsthema, es kann getauscht werden und die Tricks
für die neue Gameboy-Edition sind überall willkommen.
Pokémon bietet eine ganze Welt,
eine Welt, mit der sehr viel Geld gemacht wird.
Schnapp sie dir alle!
Und das ist natürlich die Hauptintention hinter dem Ganzen.
Es wird aufgegriffen, was bei Kindern schon immer erfolgreich war
und in der Geschichte und dem Medienarrangement umgesetzt. Besonders
das Sammelfieber von Kindern wird ausgenutzt, denn Sammeln ist für
GrundschülerInnen eine wichtige Form der Aneignung von Welt.
Das ist nichts Neues, früher waren es Oblaten oder bunte Glasscherben.
Der Unterschied von bunten Glasscherben zu Pokémon
ist, dass es Geld kostet, im Fall von Pokémon eben
auch gern mal ein bisschen mehr Geld.
Wissen und Besitzen ist notwendig und
Zwang in der Peer-Group
Die Ausmaße, die die Pokémania erreicht, führen
mittlerweile zu einem nicht zu unterschätzenden Druck für
Kinder und Eltern.
Für Kinder geht nicht nur darum, mit
Wissen sein Image aufzubessern, sondern mittlerweile ist es so,
wer über Pokémon nicht Bescheid weiß oder
sich gar nicht dafür interessiert, verliert an Ansehen und
das fordert ein hohes Maß an Selbstvertrauen.
Besonders hoch ist der Druck für die
Eltern, denn die müssen die Sammelleidenschaft finanzieren.
Die Verhältnismäßigkeit der kleinen Geschenke geht
sehr schnell verloren. Besonders schwierig wird es Familien natürlich,
denen dies Geld einfach nicht zur Verfügung steht.
Kinder als Kunden
Inhaltlich überfordernd ist Pokémon nicht (vgl.
auch Flimmo). Viele Perspektiven oder Hilfestellungen bietet
es aber auch nicht. Es ist ein perfekt durchkonstruiertes Arrangement
um ein Thema herum konstruiert. Die Pokémon. Den ersten
150 Figuren folgte im Kinofilm die 151. und demnächst kommen
noch 99 weitere dazu, damit es immer noch etwas Neues zu kaufen
gibt. Das Anschlussprodukt Digimon, das den Erfolgskurs weiter
ausbauen und sichern soll, ist bereits auf Sendung.
Der Erfolg von Pokémon zeigt
zum einen, wie sehr Kinder diese Fantasiewelten genießen,
Welten voller ernst zu nehmender aber beherrschbarer Fabeltiere;
Welten, zu denen Erwachsene nicht wirklich Zutritt haben. Vor allem
aber zeigt Pokémon, wie gezielt ein Trend gesetzt wird, ein
Trend, der Kinder eben doch nur zu Kunden macht.
DIE AUTORIN |
Maya Götz, Dr. phil., ist wissenschaftliche
Mitarbeiterin im Internationalen Zentralinstitut für das Jugend-
und Bildungsfernsehen, München.
maya.goetz@brnet.de
www.maya-goetz.de
INFORMATIONEN |
Internationales
Zentralinstitut
für das Jugend-
und Bildungsfernsehen
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Tel.: 089 - 59 00 21 40
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