Ausgabe: 13/2000/2 - TEXTAUSZUG:
Dr. Hanna Permien Von überschäumenden Gefühlen und Mädchenträumen Bei ihrer Zeitreise durch die Pubertät machen Mädchen viele neue Erfahrungen: mit dem eigenen Körper, den Freundinnen, den Eltern und nicht zuletzt mit der Liebe und Sexualität. Geschlechterrollen
und Geschlechterrealitäten - Die
Mädchen heute halten sich gerne für gleichberechtigt und wollen
auf keinen Fall "Emanzen" sein. Doch die Ungleichheit der Geschlechter
– und damit auch strukturelle Benachteiligungen für Mädchen
und Frauen – besteht und wirkt weiter - mittels der Prinzipien der
Polarisierung der Geschlechter, d.h. der Betonung und Förderung
von Geschlechtsunterschieden von klein auf, der geschlechtstypischen
Arbeitsteilung und dem Machtgefälle zwischen den Geschlechtern
(vgl. Hagemann-White 1984; zusammenfassend Permien 1997). Diese Prinzipien
werden den Kindern in Familie, Kindergarten, Schule, Hort und natürlich
auch von den Medien fast pausen- und lückenlos vermittelt. Die Arbeitsteilung
z.B. erleben Kinder allein schon dadurch, dass die Erziehung von Kindern
immer noch "Frauensache" ist und Kinder bis 10 Jahre kaum je einen Erzieher
oder Lehrer haben. Diese Ungleichheiten sind aber so selbstverständlich,
dass sie nur auffallen, wenn man genau hinguckt: So waren z.B. die in
einer Studie befragten Erzieherinnen überwiegend der Meinung, die
Mädchen seien doch inzwischen gleichberechtigt und Mädchen und
Jungen würden von ihnen gleich behandelt. Dies entsprach aber weder
unseren Beobachtungen noch den Wahrnehmungen der befragten Hortkinder:
Mädchen wie Jungen hatten längst die Lektion gelernt, dass Mädchen
schön und Jungen stark zu sein haben, dass Jungen wichtiger genommen
werden als Mädchen, Mädchen den Jungen körperlich unterlegen
sind und in Konflikten mit ihnen oft den Kürzeren ziehen (Permien/Frank
1995). Die Pubertät als die Phase, in der sich Mädchen
noch stärker als bisher mit der weiblichen Rolle auseinander setzen
müssen, die neben ihren Verheißungen auch mit einer Vielzahl
von Ambivalenzen, Abwertungen und Einschränkungen verknüpft
ist. Die Reise der Heldin durch die Pubertät: eine Reise mit Hindernissen Barthelmes und Sander (1997) vergleichen den Aufbruch
von der Kindheit in Pubertät und Erwachsenwerden mit einer "Reise
des Helden" oder "der Heldin", die - wie die Helden und Heldinnen alter
Sagen und Märchen - Abenteuer und Prüfungen zu bestehen haben,
bis sie schließlich am selbstgesteckten Ziel sind. Greifen wir dieses
Bild auf, so zeigt sich, dass die Heldenhaftigkeit der Mädchen sich
weniger durch siegreiche Kämpfe mit spektakulären Ungeheuern
erweist, sondern eher dadurch, dass sie geschickt durch einen Dschungel
von Widersprüchen und Fallen für ihr Selbstwertgefühl steuern
müssen, wenn sie zu einer selbstbewussten Frau werden wollen. Selbstwert Nicht der "Gebrauchswert" ihres Körpers für
sie selbst (z.B. seine Kraft, Gesundheit und Beweglichkeit) steht dabei
im Mittelpunkt, sondern sein "Tauschwert", seine Attraktivität für
andere. Dies macht die Mädchen häufig in ihrem ganzen Selbstwertgefühl
abhängig von der Bewertung durch andere: "Schön bin ich erst,
wenn mich die anderen schön finden". Selbst im Sport, den viele Mädchen
als Hobby betreiben, wird Anmut gesucht (in Gymnastik und Tanz) und Wettbewerb
gemieden. Wenn Mädchen Fußball spielen, so ist das die Ausnahme
(Sygusch 1999) und eben nicht die Regel. Doch wo die Attraktivität
so wichtig wird, dass sie alle anderen Qualitäten in den Schatten
stellt, haben manche Mädchen keine Chancen - oder sehen zumindest
keine für sich. Mode Für viele Mädchen ist Mode ein lustvolles
Spiel, ein Hobby. Doch aus dem Gefallenwollen wird allzu leicht ein Gefallenmüssen
- und das bei unbarmherzigen Einheitsnormen für weibliche Schönheit,
die eigentlich nur vollbusige Magersüchtige erfüllen können.
Diese Normen führen z.B. dazu, dass sich jedes zweite Mädchen
von 13 bis 14 Jahren für zu dick hält (Brigitte 17/2000). Diese
anderen vermeintlichen körperlichen Mängel - die zu kurzen Beine,
der zu kleine Busen - können für Mädchen so zentral werden,
dass sie sich kaum noch aus dem Hause trauen. Verständlich, wenn
Mädchen folgendes Zitat aus der Zeitschrift "Mädchen" ernst
nehmen: "Zu dick? Dann treibe doch ein bisschen Sport. Wenn du dich und
deinen Körper liebst, lieben dich auch die anderen!"(20/2000, S.
31). Gelingt aber weder die Liebe zum eigenen Körper, so wie er nun
mal ist, noch das Abnehmen, dann bleibt der weibliche Körper eine
ungeliebte Ansammlung von "Problemzonen": Diese müssen dann eben
nach Anleitung von BravoGirl etc. so gut wie möglich kaschiert werden.
Die Frage ist hier nur: zum Nutzen der Mädchen oder der Medien- und
Schönheitsindustrie? Der weibliche Körper, als Schauobjekt definiert,
kann - so die Überzeugung vieler Mädchen, in der sie von den
Medien kräftig bestärkt werden - erst zur Schau gestellt werden,
wenn sie ihn "hergerichtet" und "zurechtgemacht" haben. So sagte uns die
13-jährige Marleen: "Manche Mädchen laufen in meinem Alter noch
wie Kinder rum - aber ich würde nie mehr ungeschminkt oder ohne Markenklamotten
in die Schule oder auf die Straße gehen." Für viele Mädchen
heißt es also nicht einfach "ich bin ich", sondern "ich bin nur
ich, wenn ich mich schminke und style" - sie führen quasi eine Fassadenexistenz.
Denn, so die 15-jährige Julia: "Die meisten Mädchen nehmen BravoGirl
und sowas nicht wirklich ernst - aber ein bisschen bleibt doch hängen."
Ob aber die vielen Stunden vor dem Spiegel wirklich der Selbstfindung
und Selbstvergewisserung dienen, darf bezweifelt werden. Dies nicht nur,
weil viele Mädchen - ob es nun zu ihnen passt oder nicht - bis ins
kleinste Detail kopieren, was gerade modisch angesagt ist: Bis sie schließlich
wie uniformiert herumlaufen. Auch die wachsende Zahl von Essstörungen
(die natürlich nicht allein auf das Schönheitsdiktat zurückzuführen
sind) oder die Tatsache, dass bereits 30% der 10-jährigen und über
60% der über 15-jährigen Mädchen Erfahrungen mit Diäten
haben (Brigitte 17/2000), lässt nicht an Selbstfindung, sondern an
Selbstabwertung bis hin zur Selbstzerstörung bei einem nicht geringen
Teil von Mädchen denken. Das gilt auch für das Rauchen: Mit
15 Jahren rauchen mehr Mädchen als Jungen - nämlich 63% der
Mädchen und 57% der Jungen (Hackauf/Winzen 1999). Viele Mädchen
nennen als Hauptgrund dafür, dass sie ihr Gewicht reduzieren wollen
(Jugendhilfe-Report 3/2000, S. 25). Sexualität Zu denken ist auch daran, dass viele Mädchen
ab der Pubertät nicht nur Kommentaren über ihr Aussehen, sondern
auch sexuellen Anspielungen und Belästigungen bis hin zu sexueller
Gewalt ausgesetzt sind - durch die Jungen in der Schule, durch Fremde
auf der Straße, aber auch durch Personen aus ihrem Bekannten- oder
gar engsten Familienkreis. Statt Stärkung ihrer körperlichen
und sexuellen Selbstbestimmung erfahren Mädchen die (Über-)Macht
der Männer nicht selten so, dass sie zum Sexualobjekt degradiert
und darauf reduziert werden. Für Mädchen mit sexuellen Gewalterfahrungen
ist nicht nur der Umgang mit ihrem immer weiblicher werdenden Körper
besonders schwierig und schmerzlich, sondern sie leiden häufig unter
weiteren schweren psychischen Schädigungen (Heiliger 2000). Attraktivität Körperlichkeit und Attraktivität von
Mädchen werden also überbetont - und das in einem Alter, in
dem sich auch ihre intellektuellen, emotionalen und sozialen Kompetenzen
und Interessen entfalten. Diese sind für ihre Identitätsbildung
und auch für ihre späteren beruflichen Chancen genauso wichtig
- oder sollten es zumindest sein. Doch viele Mädchen erleben, dass
Interessen, Intelligenz und Selbstbehauptung zwar in Familie und Schule
zunehmend gefördert werden - körperliche Attraktivität
und "typisch weibliche" Fähigkeiten wie Einfühlung und Anpassung
an andere bringen aber immer noch mehr Anerkennung von außen: Eine
Zwickmühle und weitere "Identitätsverwirrung". Der Versuch vieler
Mädchen, Weiblichkeit = Attraktivität und Harmoniestreben einerseits
und Leistungs- sowie Durchsetzungswillen andererseits ständig miteinander
auszubalancieren, ist anstrengend und kann zu faulen Kompromisse führen.
So "verzichten" Mädchen immer noch zu oft auf den Mathe- oder Computerkurs.
Dagegen lassen sich bei Jungen körperliche Attraktivität mit
Leistungs- und Durchsetzungsfähigkeit problemlos vereinbaren, ja,
sie machen Jungen erst richtig attraktiv. Von daher ist es kein Wunder,
dass das Selbstbewusstsein der Mädchen in der Pubertät eher
ab- als zunimmt und dass Mädchen ihr Selbstbewusstsein viel weniger
auf eigene Leistungen und Interessen stützen als Jungen (vgl. z.B.
Horstkemper 1987; Hurrelmann 1990 Nuber 1992), obwohl sie darauf ja wirklich
stolz sein könnten. Auch dass Mädchen in diesem Alter wesentlich
häufiger über psychosomatische Beschwerden wie Kopf- und Rückenschmerzen,
Nervosität etc. klagen - und wesentlich mehr Tabletten schlucken
als Jungen (vgl. Kolip 1999; Sygusch 1999; Glaeske 2000), dürfte
nicht nur mit ihrer größeren Sensibilität für ihren
Körper zusammenhängen, sondern hat seine Ursache auch in diesen
Widersprüchen, die die Reise der Heldin in die Verheißungen
des Lebens als junge Frau leicht zu einem Hindernislauf werden lassen. Selbstbehauptung Auch und gerade die Pubertät gesteht den Mädchen
kaum ein Lernfeld dafür zu, mit den oft schon früh unterdrückten
eigenen Aggressionen sowie mit Konkurrenz und Konflikten offen, konstruktiv
und im Sinne von Selbstbehauptung umzugehen. Besonders in diesem Alter
gelten Mädchen als "zickig" und "intrigant" und werden in den Medien
auch gerne dementsprechend dargestellt - so z.B. in einem Fotoroman der
Zeitschrift "Mädchen", in dem die eine der anderen ihren Freund nicht
gönnt und ihn ihr auf hinterhältige Art auszuspannen sucht.
Lyn Brown und Carol Gilligan (1994), die die Entwicklung von Mädchen
in den Jahren zwischen Kindheit und Pubertät untersucht haben, sprechen
gar von der "verlorenen Stimme" der Mädchen. Es gibt zwar eine kleine,
wenn auch zunehmende Zahl von Mädchen, die ausscheren aus dem Klischee
des "braven Mädchens", die sich nicht mehr vor anderen fürchten
wollen, sondern andere das Fürchten lehren, indem sie selber gewalttätig
werden und darin eine Befreiung sehen (Bruhns/Wittmann 2000). Doch missglücktes
männliches Verhalten nachzuahmen, kann nicht das Ziel sein. Zu wünschen
wären den Mädchen noch weit mehr Möglichkeiten, selbstbewusst
ihren eigenen Weg zu suchen, Konflikte offen anzugehen, ohne andere zu
verletzen und sich nicht durch falsche Normen einengen zu lassen. Mehr
"starke" weibliche Vorbilder - in der Realität und in den Medien
- wären hier wichtig, um dies Gefühl "ich bin ich - und ich
bin ok" zu stärken. Neue soziale Welten: Mädchen zwischen Eigen-Willen und Anpassung
Die "Haken", Hindernisse und Widersprüche,
die die Überbetonung und Normierung der Körperlichkeit von Mädchen
mit sich bringen, betreffen Mädchen mit verschiedenem sozialen, familiären
und ethnischen Hintergrund in unterschiedlichem Maße. Doch Balanceakte
zwischen fremdbestimmter Weiblichkeit und Eigenständigkeit als ganze
Person sowie zwischen Sittlichkeit und Sinnlichkeit - Absturz inbegriffen
- leisten alle Mädchen, wenn auch vielfach unbewusst. Dies ist einzubeziehen,
wenn wir uns nun den oft schwankenden und überschäumenden Gefühlen
der Mädchen und ihren Beziehungen zu den Eltern einerseits, den Gleichaltrigen
andererseits zuwenden. Zu
nah ist den Mädchen
Die beste Freundin, die Clique, der erste Freund: Wen mag ich, wer mag mich, was machen wir gemeinsam? Mit der Abgrenzung gegen die Eltern geht die Hinwendung
zu Gleichaltrigen und Cliquen Hand in Hand. So sollte es zumindest sein,
denn bei den Gleichaltrigen finden die Töchter den Rückhalt,
den Stoff, aber auch die Power für die Abgrenzung von den Eltern. Freundschaften Da geht es zunächst um die Entwicklung und Vertiefung von Freundschaften zu anderen Mädchen, also um die "beste Freundin" - heute so wichtig wie eh und je. In der Grundschule drohen die Mädchen bei Konflikten mit anderen Mädchen häufig noch recht unbekümmert: "dann bist du eben nicht mehr meine Freundin!" (vgl. Permien/Frank 1995), doch im Alter zwischen 10 und 12 Jahren werden die Beziehungen zur "besten Freundin" dauerhafter und verlässlicher und nicht mehr so leicht in Frage gestellt. Mit der besten Freundin, so das Klischee und die Hoffnung aller Mädchen, kann man über alles reden, kichern, lästern, ohne verraten zu werden, die bisher unbekannten, widerstreitenden und rasch wechselnden Gefühle teilen, die sonst niemand versteht: "Ich habe einen Jungen kennen gelernt, du, der ist sooo süß!". Kennzeichnend für Mädchenfreundschaften sind weniger gemeinsame Aktivitäten und Hobbies, zentral ist das Reden über Beziehungen - zu Mädchen, zu Jungen - und über die Selbstdarstellung und die Wirkung auf andere. So entwickeln beste Freundinnen meist eine Menge Gemeinsamkeiten, einen ähnlichen Musikgeschmack und Kleidungsstil. Dabei ist, trotz aller Gemeinsamkeiten, auch "die Arbeit an den Unterschieden" von Bedeutung (Barthelmes/Sander 1997) für die Entwicklung von Eigenständigkeit: Die Auseinandersetzung mit dem etwas anderen Stil, der etwas anderen Meinung, den etwas unterschiedlichen Interessen der Freundin fördern die individuelle Entwicklung beider Mädchen gerade deshalb, weil das Gemeinsame soviel Rückhalt bietet. Sehr wichtig ist, dass die beste Freundin möglichst in derselben Klasse ist, oder Mädchen dort auch eine gute Freundin haben. Denn die Klasse ist für viele 10- bis 15-Jährige heute der einzige einigermaßen kontinuierliche soziale Ort, während die Bedeutung von Gleichaltrigen aus der Nachbarschaft oder aus der Verwandtschaft stark gesunken ist und die Zugehörigkeit zu Jugendgruppen, Vereinen etc. oft nur kurzfristig ist und weniger soziale Bedeutung hat (vgl. Deutsches Jugendinstitut 1992). Die Klasse ist allerdings ein sozialer Mikrokosmos, in dem das Klima oft rau und keineswegs immer herzlich ist. Zu zweit kann man sich in der Schule gegen gelegentliche Gemeinheiten anderer Mädchen, aber auch gegen anzügliche Bemerkungen, Neckereien und Übergriffe von Jungen auf Eigentum und Körper der Mädchen, besser abschirmen - oder sie souverän kontern. Eine beste Freundin - zumal wenn sie beliebt ist - steigert außerdem das eigene Ansehen, und man kann mit anderen miteinander befreundeten Mädchen in Kontakt kommen, ohne das "fünfte Rad am Wagen" zu sein. Ein
Leben ohne beste Freundin
Die Clique Zu zweit oder mehreren gelingt Mädchen der
nächste wichtige Entwicklungsschritt in Richtung Cliquenzugehörigkeit
leichter, der dann auch Bewegung in die Beziehungen der Geschlechter bringt:
Denn bis zum Ende der 4. oder 5. Klasse gruppieren sich die Kinder meist
streng getrennt-geschlechtlich (vgl. Breidenstein/Kelle1998; Eder 1995;
Oswald/Krappmann/v. Salisch,1988; Permien/Frank 1995). Es gibt zwar ein
gewisses Maß an "Borderwork" zwischen Mädchen und Jungen, ganz
selten aber sind "Paare". Haben ein Mädchen und ein Junge nämlich
"zu viel" Kontakt zueinander, so werden sie allzu leicht mit Sprüchen
wie "verliebt, verlobt, verheiratet" geärgert und lächerlich
gemacht. Mit der Entwicklung von Cliquen, die zunächst oft nur aus
Mädchen oder Jungen bestehen, kommt es zu stärkeren Unterscheidungen
innerhalb der Geschlechtergruppen. Mädchen mit ähnlichen Interessen
bzw. in einer ähnlichen Entwicklungsphase tun sich zusammen. So bilden
sich z.B. Cliquen von "coolen" und von "ruhigen" Mädchen, wobei beide
Gruppen nicht allzu viel voneinander halten. "Cool" sind die Mädchen,
die sich früher als andere schminken und "aufstylen" als andere.
Sie lesen eifrig "Bravo", pflastern die Wände ihres Zimmers mit Posters
von männlichen Stars, tratschen und lästern über "die anderen",
verbergen dabei aber nicht mehr ihr Interesse an Jungen sowie an der eigenen
Selbstdarstellung als "attraktives Mädchen" (s.o.), sondern stellen
dies ebenfalls als "cool" hin. Die "Coolen" halten die "ruhigen Mädchen"
für "kleine Kinder", die aber lehnen ihrerseits Schminke, Seidenstrümpfe
und weibliche Selbstdarstellung (noch oder grundsätzlich) heftig
ab, ebenso das ewige Gerede der "Coolen" über Jungs und Liebe und
angebliche Paarbeziehungen: "Im 6. Schuljahr ist die Konkurrenz der Stile
ausgebrochen" (Breidenstein/Kelle 1998, S. 130). In den "coolen" Cliquen
wird also nicht nur über Musik, Filme und Fernsehserien geredet und
gemeinsam für diesen Star und jene Boy-Group geschwärmt und
andere als völlig "uncool" verachtet. Vielmehr und vor allem wird
die Annäherung von Jungen und Mädchen unter erotischen Vorzeichen
vorbereitet. Immer wieder wird durchgespielt, wer in wen "verliebt" sein
könnte - wobei es zunächst für die Mädchen eher verbindend
als trennend ist, wenn sie alle für denselben Jungen schwärmen.
Dazu kommen sexuelle Andeutungen und die Unterstellung sexueller Aktivitäten
zwischen (angeblichen) Paaren, die von Mädchen und noch mehr von
den Jungen nun zu allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten
gemacht werden. Dies muss allerdings auch "cool", also mit deutlicher
persönlicher Distanzierung passieren. Ebenso muss ein Mädchen
möglichst "cool" Unterstellungen kontern können, sie sei in
den - völlig unattraktiven - X oder Y verknallt, weil solche Unterstellungen
höchst peinlich sind. Zum Glück gibt es auch für diese
"Coolness" genügend Anregungen in den Medien. Kontern können
muss ein Mädchen auch die Behauptung von Jungen, sie sei lesbisch,
frigide oder eine Schlampe oder sehe unmöglich aus. Mit solchen ruppigen
und sexistischen Bemerkungen, die die Jungen gerne als "Spaß" verstehen
- nerven sie alle Mädchen, verletzen aber vor allem diejenigen, die
ein geringes Selbstbewusstsein und einen schlechten Stand in der Klasse
oder Gruppe haben. Die Mädchen ihrerseits verzichten den Jungen gegenüber
weitgehend auf solche Kommentare und verfügen - leider - viel zu
wenig über effektive und solidarische Mittel der Gegenwehr. Eher
kommt es zu einer Aufspaltung der Mädchen: Sie ziehen sich - soweit
möglich - auf sich selbst und die beste Freundin zurück, anderen
gelingt es, sich in der Mädchenclique von den Jungen und ihrem Spott
weiterhin fernzuhalten und ihren eigenen Interessen nachzugehen. Paarbeziehungen Wieder andere aber kümmern sich wenig um üble Bemerkungen der Jungen und bahnen mit Hilfe ihrer Clique erste Paarbeziehungen an - etwa, indem sie im Rahmen von Cliquenaktivitäten ihrem "Traumboy" aktiv näherkommen. Sie können sich dann jedoch auch schnell und unauffällig wieder zurückziehen, wenn dieser nicht "anbeißt". Manche Mädchen - meist mit hohem Status in der Klasse oder Clique - geben aber plötzlich mit Stolz zu, in einen Jungen verliebt zu sein: etwa mit 12, 13 Jahren kommt es zu dieser Umwertung. Das Verliebtsein ist nicht länger verpönt, sondern kann zum allgemein akzeptierten, ja, zu einem erstrebenswerten Zustand werden (Breidenstein/Kelle 1998) - allerdings keineswegs für alle Mädchen. In dieser Phase der ersten Paarbildungen kann es natürlich auch zum Bruch zwischen einst "besten Freundinnen" kommen, wenn das Entwicklungstempo beider Mädchen plötzlich doch sehr ungleich ist, oder wenn es - noch schlimmer - zu Rivalitäten um denselben Jungen kommt. Jungen
und Mädchen
Dabei kommt den Mädchen, so übereinstimmend neuere Studien, offenbar eine aktivere Rolle zu als früher. Wie schon gesagt, wollen viele Mädchen nicht unbedingt um jeden Preis einen Freund, sondern "den Richtigen". Es gibt zwar durchaus den Druck, der von den Gleichaltrigen wie von Mädchenzeitschriften ausgeht, spätestens mit 15 oder 16 über erste sexuelle Erfahrungen zu verfügen. Vermutlich schlafen immer noch viel zu viele Mädchen vor allem wegen dieses Drucks mit einem Jungen - ohne dabei glücklich zu werden (Stich u.a., a.a.O.). Doch andererseits sprengen Mädchen heute eher das Geschlechterklischee von der "passiv abwartenden Frau", wenn sie meinen, "den Richtigen" gefunden zu haben. Sie scheuen sich dann nicht, eindeutige und notfalls auch ausdauernde Signale zu geben. Mädchen lassen heute auch tendenziell weniger "mit sich machen". Sie bestimmen stärker, wann die "richtige Zeit" für welchen Schritt auf dem Weg zum ersten Beischlaf gekommen ist - und ein Teil der Jungen scheint dies auch durchaus zu respektieren (Starke 1999; Stich u.a., a.a.O.). Mehr Selbstbewusstsein und kommunikative Kompetenz der Mädchen also? Offenbar, denn die Zeitschrift "Mädchen" meint, die Mädchen schon wieder mahnen zu müssen: "Dein Selbstbewusstsein in allen Ehren, aber Jungs vertragen es meist nicht, wenn man sie unterbuttert. Lass ihn doch in dem Glauben, dass er deine starke Hälfte ist" (20/2000, S. 30). Sexualität ist vielleicht - hoffentlich! - für Mädchen und Jungen ein Stück mehr Verhandlungssache zwischen zwei aktiv Beteiligten und weniger Sache eines bestimmenden Mannes und eines passiven Mädchens geworden. Doch gerade, weil die Mädchen aktiver geworden sind, konstatieren die genannten Studien neue Unsicherheiten und die Angst von Mädchen, beim Sex - und in der Beziehung überhaupt - etwas falsch zu machen. Wiederum bieten die Medien den Mädchen tausend Vorbilder und Ratschläge - und die werden auch eifrig konsumiert. Gerade hier haben die Soaps und Serien wie "Big Brother" ihre Bedeutung, die suggerieren, "Alltagswelt und Alltagskonflikte" aufzugreifen und dafür Lösungen zu bieten (vgl. Barthelmes/Sander 1997). Auch gibt es dank der Medien für manche 12- bis 13-Jährigen kaum noch ein sexuelles Thema, das ihnen fremd wäre. Doch hilft das gegen die Unsicherheit? Den eigenen Weg müssen Mädchen trotz aller Hindernisse allein für sich finden: Balanceakte zwischen Selbstfindung und Selbstdarstellung, zwischen Liebe, Liebeskummer und der nächsten Mathearbeit, zwischen Aufbegehren und Versöhnung mit den Eltern, zwischen Eigen-Willen und Anpassung sind gefragt. Wünschen wir den Mädchen für ihre "Reise der Heldin" viel Selbstbewusstsein, nicht zu viele Fallstricke, verständnisvolle Eltern und gute Freundinnen und Freunde! 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Konfliktlagen und Konzepte mädchenorientierter Heimerziehung. Weinheim u.a.: Juventa 1990. Heiliger, Anita: Täterstrategien und Prävention. München: Verlag Frauenoffensive 2000. Horstkemper, Marianne: Schule, Geschlecht und Selbstvertrauen. Weinheim u.a.: Juventa 1987. Hurrelmann, Klaus: Familienstress, Schulstress, Freizeitstress. Gesundheitsförderung für Kinder und Jugendliche. Weinheim u.a.: Beltz 1990. JugendhilfeReport, -/2000/3. Kolip, Petra: Mädchengesundheitsförderung - warum? In: Betrifft Mädchen, -/1999/1, S. 4-6. Luca, Renate: Zwischen Ohnmacht und Allmacht. Unterschiede im Erleben medialer Gewalt von Mädchen und Jungen. Frankfurt a.M.: Campus 1993. Olivier, Christiane: Jokastes Kinder. Die Psyche der Frau im Schatten der Mutter. Düsseldorf: Claassen 1987. Oswald, Hans; Krappmann, Lothar; v. Salisch, Maria: .Miteinander - Gegeneinander. Eine Beobachtungsstudie über Mädchen und Jungen im Grundschulalter. In: Pfister (Hrsg.): Zurück zur Mädchenschule? Pfaffenweiler: Centaurus 1988, S. 173-192. Permien, Hanna; Frank, Kerstin: Schöne Mädchen - starke Jungen? Freiburg: Lambertus 1995. Permien, Hanna: Sozialisation: Einübung in das traditionelle Geschlechterverhältnis? In: Welche Horte brauchen Kinder? Neuwied u.a.: Luchterhand 1997, S. 105-114. Starke, Kurt: Sexualität und "wahre Liebe". In: Diskurs, 9/1999/2, S. 30-35. Stich, Jutta; Dannenbeck, Clemens; Mayr, Martina: Sexuelle Erfahrungen im Jugendalter und Aushandlungsprozesse im Geschlechterverhältnis. Zweiter Zwischenbericht (unveröffentl. Manuskript). München: Deutsches Jugendinstitut 2000. Sygusch, Ralf: Gut drauf durch Sport? Geschlechtsspezifisches Erleben von Körper und Gesundheit sportlich aktiver Jugendlicher. In: Diskurs, 9/1999/1, S. 40-49. Trauernicht, Gitta: Ausreißerinnen und Trebegängerinnen. Münster: Votum 1992 (2. Aufl.) DIE AUTORIN INFORMATIONEN Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen IZI Tel.: 089 - 59 00 21 40 Fax.: 089 - 59 00 23 79 eMail: izi@brnet.de internet: www.izi.de COPYRIGHT Nachdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers! |