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Publikationen  TELEVIZION   Ausgabe 14/2001/2


Gert K. Müntefering

Die Träume der ARD zum Kinderfernsehen

Eine notwendigerweise wache Betrachtung

Die handfesten Wünsche der Programm-Macher im öffentlich-rechtlichen Kinderfernsehen haben sich in Jahrzehnten kaum geändert: geeignete Studios, ein hinreichender Etat und Berücksichtigung durch die Programmpolitik. So kann über die alltägliche Programmarbeit auch ein Beitrag zur Kinderkultur entstehen.

Freilich wissen wir, dass gerade nach dem Aufwachen noch scharf umrissenes Geschehen sich mit großer Geschwindigkeit auflöst. Wie also soll das festzuhalten sein, was uns vor Jahrzehnten beschäftigte? Wie, vor allen Dingen, ist die Wirkung auf Zeitgenossen, die eine völlig andere Typologie von Programmgeschehen erleben und gestalten? An der vorgegeben Überschrift meines kurzen Beitrags habe ich jedoch nichts auszusetzen. Allmachtsfantasien sind die geringsten unserer Berufskrankheiten. Deshalb macht es mir auch nichts aus, mit dem WDR für die ARD zu sprechen. Die Grenzen, da bin ich gewiss, werden mir schon liebend gerne gezeigt.

Wie es begann

Das wurde auch schon damals mit Eifer betrieben. Nachprüfbare, abfragbare Ergebnisse wurden verlangt; gesellschaftliche Defizite nach Pflichtlektüre in curricularen Formaten bekämpft - auf dem Papier! Das scheiterte schon am Alltagssinn von Kindergärtnerinnen. Es war also notwendig, das Medium, ein neues Urstromland, zu vermessen. Der Masterplan dafür fehlte. Den hatte weder das Bundeswissenschafts- und Bildungsbürgertum in Bonn - und schon gar nicht die Weltrevolution. Eher schon die Augsburger Puppenkiste oder der Hase Cäsar! Ohne viel Theorie bildete sich an vielen Stellen eine Ahnung von einer neuen Kinderkultur sie kam real und nicht als Traum! Und sie wurde unterschätzt!

Traum nehme ich hier als Synonym für ideale Zustände eines Programms, bei dem man sich in besonderer Weise im Einklang mit dem Publikum und seinen eigenen Vorstellungen sieht - und zwar auch noch nach der Ausstrahlung. Aber da gibt es Verfallsfristen. Erwarten Sie bitte auch deshalb von mir keine Rekonstruktion, es geht doch wohl mehr um Interpretation ich will sie sparsam halten.

Ich spreche nicht, das ist nach dem gestrigen Tag zu betonen (s. Editorial, Anm.d.Red.), berufsmäßig für Kinder. Nachgerade froh aber bin ich darüber, dass mein Arbeitsleben ohne allzu viele Begegnungen mit Kindern in Form von Gruppen, Befragungs- und Testarrangements, vor allen Dingen ohne Studiokinder und dem furchterregenden Gegenteil, dem Starkind, vorübergegangen ist. Ich berufe mich auf den Soziologen Armin Nassehi von der Universität München, der spekuliert, ob der pädagogische und erwachsene Blick auf Kinder nicht nur eine selbstvergessene Projektion ist. Wer nun aber, so denke ich, nicht die Gleichzeitigkeit des Kindhaften und Erwachsenen dialektisch in sich als Antrieb nutzt, hat es schwer.

Er muss über die Recherche und Analyse die Notwendigkeit oder die Überflüssigkeit gerade dieses einen, gewollten Programms begründen. Er hilft sich dann mit Begriffen einer kommunikativen Ästhetik oder der sozialen Verantwortung und heute auch aus der Geschäftswelt. Das tat und tut er in Anbetracht des für kulturelle Zeiträume immer noch jungen Mediums oft unter Legitimationszwängen über das umgänglich Gebotene hinaus. Träumen aber kann man gewiss nicht kollektiv, sondern nur für sich.

Heute, den 12. Dezember 2001, später Vormittag, vermute ich schon einige Tage prospektiv, dass Ihnen die Traumdeutung bereits ein wenig zum Halse heraushängen könnte. Als Leitwort für eine Zusammenkunft, die nun mal ausnahmsweise nicht ausschließlich Quoten und Internetkontakte als neue Berufsgrundlage ansieht, ist das jedoch verdienstvoll und wer wollte gerade heute, lieber Paul Löhr, daran zweifeln.

Die alltagstauglichen Träume der ARD zum Kinderfernsehen unterscheiden sich gewiss nicht von anderen Erwachsenen. Gut erzogen, adrett zum Vorführen, reduziert toben, sentimental in der Abenddämmerung. Von Zeit zu Zeit muss der Sand auf dem Spielplatz gewechselt werden. Ach ja, und Taschengeld.

So hatte die Redaktion eher handfeste Wünsche als großartige Programmentwürfe. Ein Studio, auch geeignet für Kamerafahrten, mit einer schön gemalten Dekoration, ein Schaukasten am Haus auch für Kinderfernsehen, ein halber Drehtag mehr, eine gelegentliche Erwähnung durch den Direktor und einen am zufließenden Gebührengeld proportional beteiligten Etat. Das war die Lage und so ist sie, glaube ich, geblieben auch wenn einige Studios selbst in Erfurt (dem Sitz des KI.KA Anm. d. Red.) genügend groß geworden sind.

Die Innenwelt des Fernsehens ist augenscheinlich intakt und modern in der Kommunikation. Ein gewisses Misstrauen gegen die Maus-Klickomaten zum TV-Provider kann ich nicht verbergen, denn da könnte sich das Fernsehen unversehens auf eine Domäne reduziert sehen.

Ich habe in jenen Jahren kein Tagebuch geführt. Protokolle sind nur bedingt verlässlich, da sie gemeinschaftsfähig sein mussten. Es war klar, dass zunächst nicht das gemeinschaftlich verabredete Fernsehen für Kinder stilbildend sein konnte, sondern der an vielen Stellen riskierte Ausreißer. Die überregulierte Situation jener Jahre führte folgerichtig zu einem fast totalen Interesse an jeder erzeugten Minute und zu massiven Auseinandersetzungen, während die Deregulierung in unseren Tagen außer gelegentlichen Feuilleton-Botschaften weitgehend Desinteresse gebracht hat.

Wo bleibt die Programmpolitik?

Kinderfernsehen ist nun Teil der Medienpolitik - und nicht mehr, was es ohnehin nur kurze Zeit war, Element einer Programmpolitik. Unser Bemühen war es damals, dem totalen Interesse zu entkommen. Für diesen Traum ist ein hoher Preis gezahlt. Zu viel? Das kann man nicht abschließend sagen. Und das hängt wie folgt zusammen: Nehmen wir die Möglichkeiten, zum Beispiel im Kinderfernsehen nach den Maßstäben des Fernsehspiels, der Serie oder des Erwachsenenkinos zu erzählen. Das ist an vielen Stellen realisiert. Gleichzeitig schrumpfte, soweit überhaupt vorhanden, das Interesse des erwachsenen Zuschauers und somit auch das mögliche Interesse des Redakteurs im Fiction- und U-Bereich an diesem generellen Erzähl-TV für Kinder manchmal übrigens noch mehr an den eigenen Erwachsenenthemen. Man traut folglich diesem Genre nicht mehr zu, dass es Erfolg in der gesellschaftlichen Diskussion, bei den Quoten und bei der eigenen Fantasie bringt. Das Ergebnis irritiert dann besonders, wenn die poetische oder soziale Vorführung so nachhaltig gelang, wie es in Papieren für Fördergremien versprochen worden war. Da wurde man in falscher Weise erwachsen und wollte oft noch tiefgefrorene Utopien auftauen. In der kulturellen Evolution ist nun mal die Akzeptanz der Selektionsmechanismus weshalb sie auch niemals als Handlungsziel aufgegeben werden darf. Immerhin ist es beruhigend, dass wöchentliche Erzählungen dort, wo sie alltäglich sein wollen, auf unspektakuläre Weise Gegenwartsfernsehen bilden. Wiederum: Unterschätzt. Einschub: Information.

Erwartungen der Kinder

Ob man nun will oder nicht das Kinderfernsehen verlangt auch nach dem besonderen Katalysator, der die klassischen und oft beschriebenen Erwartungen der Kinder so erfüllt, dass es dem Erwachsenen vielleicht zunächst absonderlich, später dann einsichtig erscheinen mag. Den natürlichen Vorsprung der Kinder, die Unbefangenheit, muss der Erwachsene als Zuschauer zunächst einholen - was mit inszenatorischer Seriosität erleichtert werden kann. Das bedeutet für die erfolgreichen unter diesen Programmen eine gelungene Balance zwischen aufgesetzten, verfremdeten, manchmal auch schlicht albernen Elementen und Solidarität des Gedachten, Gespielten und Gezeigten. Das führt mich zu der Umkehrung eines gewissen Satzes, und dieser neue Satz lautet so: Kinderfernsehen ist, wenn Erwachsene zusehen. Was ist damit gemeint? Sicher ist es nicht der Versuch, Kinderfernsehen universell am Erwachsenen zu messen. Gewisse Programme führen in autonomes, vollständig legitimes Leben für die Kinder und mit ihnen, und der Erwachsene, mag er stören oder nicht, weiß nicht, was da geschieht. Manchmal erklärt das dann später das IZI. Umgekehrt geht es auch nicht um jenen Vater, der selbstvergessen mit der komplizierten Eisenbahn spielt, während das Kind gerade noch die grüne Kelle heben darf.

Fazit

Vor etwa 40 Jahren hat für einige der hier Anwesenden der lange Weg begonnen, Kinderfernsehen als Regelfall Fernsehen zu denken und zu realisieren. Das begann mit dem überwachten Kinderprogramm, führte dann zu den geduldeten Freiräumen mit flüchtiger Eingangskontrolle und ist nun öffentlicher Freizeitpark. Für die Gleichzeitigkeiten ist heute kaum eine kohärente Theorie zu entwickeln, sie war einstmals ebenfalls Wunschdenken. Früher waren die Sicherheiten zudem sicherer, bis sie dann eines Tages geknackt wurden. Heute muss in generell unsicheren Zonen doch exemplarisch und regelmäßig bewiesen werden, warum es dieses Kinderfernsehen gibt und weiter geben sollte und das muss der erwachsenen Zuschauer emotional wahrnehmen und nicht als ungerichteten Trieb abarbeiten. Diese Arbeit muss am Tage und im Wachzustand geleistet werden und nicht nachts im Traum. So war es damals übrigens auch.

Das Dumme oder Gute ist: Kinderfernsehen ist offensichtlich nicht oder nur unzureichend in der Lage, von sich selbst zu lernen. Es gibt eben keine Entwicklungsbausätze. Keine Mechanik wie beim Autobau oder bei der Ausrichtung eines Festivals. Das Dumme: Fehler werden immer wiederholt. Das Gute: Es macht nichts, denn die Kriterien der Aufsicht der Wahrnehmung sind nicht sehr entwickelt. Fazit: Eine neue Generation hat neue Chancen.




DER AUTOR
Gert K. Müntefering ist Professor an der Universität Gesamthochschule Kassel.



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