Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe: 12/1999/2 - TEXTAUSZUG:



Nikolaus von Hofacker

Die ersten Lebensjahre

Im Verlauf der komplexen frühkindlichen Entwicklungsprozesse können die "Teletubbies" kleinen Kindern Hilfe sein und Spaß machen.

Fernsehen ist in den letzten 30 Jahren für Kinder in Industrienationen zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer alltäglichen Erfahrungen geworden (Bachmair u. Hofmann 1998). Inzwischen beträgt der Fernsehkonsum von Vorschul- und Grundschulkindern täglich 1 bis 3 Stunden (Report on television 1998; Hassler u.a. 1993). Die umfangreichen Untersuchungen, die in unterschiedlichen Ländern zu den Auswirkungen übermäßigen Fernsehkonsums auf die kindliche Entwicklung durchgeführt worden sind, sollen an dieser Stelle weder vollständig referiert noch diskutiert werden, da dies den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen würde. Kein noch so ideologischer Standpunkt kann leugnen, dass Kinder heutzutage früher oder später unvermeidlich mit dem Medium Fernsehen in Kontakt kommen. Ich möchte mich daher auf folgende Fragestellungen konzentrieren und versuchen, sie aus der Sicht eines klinisch tätigen Kinder- und Jugendarztes sowie Kinder- und Jugendpsychiaters zu beantworten:

  • Welche Bedeutung hat dieses "früher oder später" des Fernsehkontaktes für Vorschulkinder? Unter welchen Bedingungen sind von einem zu frühen oder übermäßigen Fernsehkonsum im Vorschulalter nachteilige Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung zu erwarten?
  • Was ist von einem sinnvollen Umgang mit dem Medium Fernsehen im Vorschulalter zu fordern?

Entwicklungsprozesse der ersten Lebensjahre

Das Kleinkind durchläuft in den ersten Lebensjahren einen besonders intensiven Entwicklungsprozeß, zu dessen hervorstechendsten Merkmalen die enge Verflechtung von motorischen, kognitiven und sozial-emotionalen Lernvorgängen mit der Qualität der Eltern-Kind-Interaktion und -Beziehung zählen. Entwicklung verläuft in dieser Lebensphase in erster Linie im Kontext der Eltern-Kind-Beziehung. Unter den vielfältigen Entwicklungsvorgängen ist in den ersten Lebensjahren vor allem das Bedürfnis nach Erforschung der Umwelt hervorzuheben, welches am besten vor dem Hintergrund einer sicheren Bindung an ein Elternteil erfolgen kann. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang zuverlässige sog. Kontingenzerfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Umwelt. Unter Kontingenzerfahrung wird dabei das angeborene Interesse des Kindes verstanden, Beziehungen herzustellen zwischen dem, was es selbst tut, und den Auswirkungen, welche dieses Handeln auf die belebte und unbelebte Umwelt hat. Kontingenzerfahrungen ermöglichen das Erleben von Kausalität und sind beziehungsstiftend. Je jünger das Kind ist, um so enger muss dabei der zeitliche Zusammenhang zwischen dem, was das Kind macht, und den Folgen seines Handelns sein, um als "kontingent"erlebt zu werden: Der Abstand zwischen Reiz und Reaktion sollte beim Säugling und Kleinkind maximal 0,5 - 1 Sekunde betragen, damit die Beziehung zwischen beiden als kontingent erlebt wird (Papousek u. Papousek 1994). Von besonderer Bedeutung für das Kleinkind sind kontingente Lernerfahrungen, die in sozialen Interaktionen mit einer Bezugsperson, in alltäglichen Dialogen mit einem Erwachsenen beim Spiel, beim Vorlesen, im Rahmen einer Unterhaltung u.ä., also vor dem Hintergrund einer sozial-emotionalen Erfahrung erfolgen.

Die Entwicklung im Vorschulalter beinhaltet die Bewältigung einer Reihe recht komplexer Entwicklungsaufgaben. Zu diesen zählen die steigende Fähigkeit des Kleinkindes zur Selbstregulation, das heißt u.a. die Fähigkeit zur Selbstberuhigung, zur Aufrechterhaltung wachsender Phasen der Aufmerksamkeit, ferner die Entwicklung von Empathie und prosozialen Verhaltensweisen im 2. Lebensjahr, und schließlich die Entwicklung einer Geschlechtsidentität und sozialer Verhaltensweisen in der Interaktion mit altersgleichen Kindern im 3. Lebensjahr.

Entwicklungsbedingungen in den ersten Lebensjahren

Idealerweise wächst das Kleinkind in einem Kontext auf, in dem ein oder beide Elternteile ausreichend Zeit haben, sensitiv und angemessen auf seine Verhaltensbedürfnisse einzugehen, gleichzeitig aber auch, wo nötig, Grenzen setzen und so das Kind in seinen unterschiedlichen Entwicklungsbedürfnissen nach Kräften unterstützen können. Ein solcher "Entwicklungs-Spielraum" bedeutet für das Kind, dass es spielerisch alltägliche Erfahrungen machen kann, die die Integration einer Vielzahl komplexer und unterschiedlicher Reize über verschiedene Sinneskanäle beinhalten: in eine Pfütze springen und das kalte Wasser an den Händen spüren; mit Mama in die Krabbelgruppe gehen und dabei auf dem Weg die unterschiedlichen Gerüche und Geräusche z.B. der Natur, der Menschen, des Verkehrs etc. wahrnehmen u.v.a.m. Später wird in der Gruppe im Kindergarten prosoziales und soziales Verhalten ausprobiert. Damit reguliert sich die eigene Befindlichkeit in der Interaktion und im Austausch mit und innerhalb der Altersgruppe. Die Vielfältigkeit dieser realen Alltagserfahrungen kann durch nichts ersetzt werden.

Die Vielfältigkeit
realer Alltagserfahrungen
kann durch nichts
ersetzt werden

Nun ist allerdings zu fragen, welchen Stellenwert solche idealtypischen Erfahrungsmöglichkeiten heutzutage noch haben in einer Gesellschaft, in der im Osten jedes 5. Kind, im Westen jedes 10. Kind, und in Großstädten allgemein jedes 4. – 5. Kind unterhalb der Armutsgrenze, d.h. in einer sozialhilfeabhängigen Familie lebt. Ein Großteil dieser Kinder wächst nur mit einem Elterteil auf, meist der Mutter, die, wenn sie nicht sozialhilfeabhängig ist, arbeiten muss. Wer übernimmt hier die schwierige Erziehungs- und Beziehungsarbeit? In dieses Vakuum greift bekanntermaßen das Fernsehen – von Kindern seit langem hoch geschätzt - massiv ein. Sieht man einmal von jenen Programm-Machern ab, denen es nur um die Rekrutierung immer noch jüngerer Altersgruppen für das Medium Fernsehen geht, so versuchen vernünftige Programmgestalter z.T. nicht ohne Berechtigung, Hilfen anzubieten. In einer Alltagsrealität von Kindern aus sozial schwachen Familien, in denen die Interaktionen zu Hause von den Belastungen durch Arbeitslosigkeit, durch Überforderung eines alleinerziehenden Elternteils, psychische Belastungen der Eltern, Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenmißbrauch, oder schließlich durch Vernachlässigungs- und Gewalterfahrungen geprägt sind, werden die "Teletubbies" schnell zum besseren Babysitter, zum überlegenen Erzieher und Vermittler altersgemäßer Umwelterfahrungen. Die zunehmende Verwahrlosung der Kinder in diesen hilflosen und überforderten Familien ist ebensowenig von der Hand zu weisen wie die Wohlstandsverwahrlosung jener Kinder, die von einem Ballett-Termin zur nächsten Musikunterrichtsstunde und von dort zum Reitunterricht gekarrt werden - eine Verplanung, die Christiane Grefe in ihrem Buch "Ende der Spielzeit" eindrucksvoll beschreibt. Hier bieten pädagogisch wertvolle Fernsehsendungen - und zu diesen kann man m.E. die "Teletubbies" mit gewissen Einschränkungen (s.u.) durchaus zählen – eine "Normalität" an, die diesen Kindern in ihrer Welt gar nicht mehr zur Verfügung steht.

Der Fernseher als Babysitter und Pädagoge

Mit dem Argument, es gebe inzwischen selbst für Zweijährige durchaus pädagogisch sinnvolle Sendungen, wird ein Alibi geschaffen, das von vielen Eltern, die gerade wegen ihrer chronischen Überforderung mit ständigen Schuldgefühlen und schlechtem Gewissen zu kämpfen haben, gern genutzt wird, um ihre Kinder nicht einfach nur vor dem Fernseher abzustellen, sondern ihnen gleichzeitig auch noch "etwas Gutes" zu tun. Dabei darf nicht übersehen werden, dass schulisch-pädagogische Leistungsanforderungen immer weiter in den Vorschulbereich und damit in einen Altersbereich vordringen, in dem das Kleinkind eigentlich die Möglichkeit haben sollte, auf ganz andere Weise als später in der Schule zu lernen, nämlich spielerisch-experimentell und ohne Leistungsdruck und –anforderungen, quasi nebenbei und ohne spezifisches Ziel, d.h. nicht zweckgebunden. Manche Kleinen werden schon ab der Wiege auf die Schule vorbereitet, und das Fernsehen versucht zunehmend, eine wichtige Rolle in dieser Wegbereiterfunktion zu übernehmen. Die Idee, Kinder schon frühzeitig auf das Lernen vorzubereiten, hat zur Entwicklung des Konzepts "Bereitschaft zum Lernen" geführt, in dessen weiterem Umfeld in England letztlich auch die "Teletubbies" entstanden sind (Home 1998).

Doch was passiert, wenn ein Zweijähriger sich samstags um halb neun die "Teletubbies" ansieht? Zu dieser Zeit liegen Papa und/oder Mama noch im Bett oder bereiten das Frühstück vor, wenn sie nicht gar schon in der Arbeit und froh sind, nicht von einem nörgelnden, quengelnden kleinen Balg gepiesackt zu werden. Allerdings können heutzutage bereits zweijährige Kinder souverän mit der Fernbedienung eines Fernsehers umgehen und landen so rasch z.B. im zeitgleich laufenden "Bravo TV" eines Privatsenders oder in ersten Nachrichtensendungen mit Live-Kriegsberichten und wenig später in Arztserien mit aufregenden Bildern aus dem Notfallraum eines großen Krankenhauses. Die übersichtliche, gut zu verarbeitende Welt der "Teletubbies" wird auf diese Weise rasch durch emotional aufgeladene, ständig wechselnde, die Wahrnehmungs- und Verarbeitungskapazität des Kleinkindes völlig überfordernde Bilder ersetzt.

Die "Teletubbies" und das frühe Fernsehen – Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen

Es soll an dieser Stelle nicht bestritten werden, dass Programme wie die "Teletubbies" für Kinder, die nicht ausreichend altersentsprechende Umwelterfahrungen machen können, durchaus von pädagogischem Nutzen sein können. In die Entwicklung der Sendungen ist viel Zeit und Know-how investiert worden; Aufbau und Ablauf der Serie werden in vieler Hinsicht kindlichen Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozessen gerecht. Die einzelnen Teile der Sendungen sind originell, oft witzig, und in jedem Falle abwechslungsreich und unterhaltsam. Gelungen ist insbesondere auch die Musik, die in ihrer Agogik, Rhythmik und Melodik gut auf die jeweiligen Handlungsinhalte abgestimmt ist. Dies kommt der von Stern beschriebenen Fähigkeit des Säuglings und Kleinkindes zur transmodalen Wahrnehmung, d.h. zur simultanen Wahrnehmungsverknüpfung unterschiedlicher, in ihrer Dynamik aber ähnlicher Reizfolgen, entgegen (Stern 1985).

Andererseits ist zu bezweifeln, von welchem Nutzen oder Anreiz die vielerorts kritisierte "Babysprache" der Figuren, in der die Stimm-Melodik von Kleinkindern völlig unzutreffend von Erwachsenen nachgeahmt wird und einzelne Worte im Sinne einer Dyslalie (Sprachfehler) gezielt falsch gesagt werden (z.B. haro statt hallo), für die Kinder sein soll. Ob tatsächlich alle Ideen von den Kindern kommen, wie die Produzenten betonen, oder ob mit der technischen Prägung der Figuren die kindliche Wahrnehmung nicht frühzeitig in eine bestimmte Richtung gelenkt werden soll, darf kritisch gefragt werden. Ebenso überzogen ist der in der Presseinformation des Kinderkanals ARD/ZDF geäußerte Anspruch, die Reihe rege die Phantasie an, verlange geradezu nach eigenem Erleben und sei interaktiv. Dies kann bestenfalls für Kinder aus stark depriviertem Milieu gelten. Interaktiv in dem Sinne, dass Kinder, wie zuvor beschrieben, die für sie so wichtigen kontingenten Umwelterfahrungen machen können, sind die "Teletubbies" gewiß nicht – auch wenn das eine oder andere Kind auf ihre Handlungen, Äußerungen etc. reagiert. Der Fernseher bleibt eine leblose Maschine. Und doch sitzen Kleinkinder genau dieser Illusion, die Maschine mit den bewegten Bildern sei ein belebtes Gegenüber, auf. Aus ihrem Unvermögen heraus, Direktrealität und Medienrealität zu trennen, versuchen Zwei- bis Dreijährige, mit dem laufenden Fernseher bzw. den gesehenen Figuren zu sprechen und zu kommunizieren, bekommen aber keine kontingenten Reaktionen. Das Erleben einer Pseudo- oder Nicht-Kontingenz wirkt auf Kinder dieser Altersgruppe schnell irritierend und ist letztlich nicht klar in ihre Erfahrungswelt integrierbar.

Der Fernseher bleibt
eine leblose Maschine

Neben den positiven Auswirkungen eines begrenzten Fernsehkonsums auf die Sprach- und Intelligenzentwicklung sowie Lernleistung im Kindesalter (Anderson u.a. 1985; Anderson 1998; Neumann u. Charlton 1990) wurde in den letzten Jahren gerade auch auf die nachteiligen Folgen eines zu frühen oder übermäßigen Fernsehkonsums im Kindesalter hingewiesen. Hierzu zählt das inzwischen wissenschaftlich klar belegbare Risiko der Entwicklung von Übergewicht mangels körperlichem Ausgleich zur Passivität des Fernsehkonsums (Locard u.a. 1992; Dietz 1993). Wiederholt beschrieben, wegen der Komplexität der Entstehungsbedingungen bisher aber noch nicht klar belegbar, sind chronische Unruhe/Hyperaktivität, Angstzustände, Teilleistungsschwächen, depressive und/oder aggressive Stimmungszustände, gewalttätige Impulsdurchbrüche, Störungen des Schlaf-/Wachrhythmus und eine Reihe weiterer psychischer Symptome (Miller 1996; Strasburger 1997). Auch gibt es Hinweise, dass Fernsehen die Beharrlichkeit und die Zähigkeit beim Lösen schwieriger Probleme beeinträchtigt (s. Böhme-Dürr 1999). Sicherlich ist zu bedenken, dass übermäßiger Fernsehkonsum häufig in psychosozial belasteten Familien, und damit im Zusammenhang mit einer Reihe weiterer psychischer Risikokonstellationen für die kindliche Entwicklung auftritt. Aus diesem Grunde ist es schwer, und bisher viel zu wenig erforscht, herauszufinden, welche besondere Rolle ein übermäßiger Fernsehkonsum in der Entstehung psychischer Auffälligkeiten im Vorschul- und Schulalter spielen kann.

Empfehlungen

Die Datenlage zur Frage, in welchem Umfang Kleinkinder in Industrienationen mit Medien im allgemeinen und Fernsehen im besonderen Kontakt haben, ist so besorgniserregend, dass sich die amerikanische Akademie für Kinderheilkunde (American Academy of Pediatrics AAP) zu wiederholten Stellungnahmen zum Thema "Kind und Fernsehen" seit Mitte der 90er Jahre gezwungen sah. In ihrer jüngsten Stellungnahme vom August 1999 gibt sie eine Reihe konkreter Empfehlungen darüber, wie Kinder- und Jugendärzte Eltern und Familien über die Folgen übermäßigen Fernsehkonsums im Kindesalter und über den kritischen Umgang mit Medien aufklären können. Dabei raten sie insbesondere energisch davon ab, Kinder unter zwei Jahren überhaupt fernsehen zu lassen. Sie begründen dies mit neueren Studien zur kindlichen Hirnreifung, die belegen, dass Kleinkinder für eine gesunde Hirnreifung sowie die Entwicklung angemessener sozialer, emotionaler und kognitiver Fähigkeiten auf ausreichende direkte Interaktionserfahrungen mit Eltern und anderen bedeutenden Bezugspersonen angewiesen sind.

In Anlehnung an die Empfehlungen der AAP, aber auch an Vorschläge von Millner 1996 sowie Barthelmes 1999 halte ich folgendes Vorgehen für sinnvoll:

  1. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Entwicklungsbedingungen der ersten Lebensjahre kann Fernsehen unter zwei Jahren, besser noch unter drei Jahren, nicht befürwortet werden.
  2. Fernsehen "nebenbei" sollte vermieden werden, da die Komplexität unterschiedlicher Reize die kindliche Reizverarbeitungskapazität überfordert.
  3. Kinder sollten nach Möglichkeit nur in der Gegenwart Erwachsener, und damit mit der Möglichkeit, sich mit Erwachsenen über das Gesehene zu unterhalten, fernsehen. In keinem Fall sollte das Fernsehen als Babysitter eingesetzt werden.
  4. Es sollte verhindert werden, dass Kinder freie Programmwahl haben, also wahllos herumzappen. Idealerweise sollten Kindersendungen von Eltern vorher gesehen, ausgewählt und auf Video aufgenommen werden. Hierdurch kann das Kind den Film jederzeit anhalten, mit den Eltern darüber reden oder auch Teile der Sendung zur besseren Erfahrungsintegration wiederholt ansehen.
  5. Der Fernsehkonsum sollte altersabgestuft sein und im Vorschulalter nur ganz begrenzt, z.B. maximal 30 Minuten täglich betragen.
  6. Medienerziehung beginnt in der Familie, indem Eltern ihren Kindern Rollenvorbilder im kritischen und dosierten Umgang mit dem Medium Fernsehen bieten.
  7. Dem Kind sollten umfangreiche alternative Erfahrungsmöglichkeiten zum Fernsehen geboten werden.
  8. Das Kinderzimmer sollte nach Möglichkeit frei von elektronischen Medien sein.
  9. Hinweise, wie Eltern zum kompetenten und kritischen Umgang mit Fernsehen und anderen Medien befähigt werden können, gibt die AAP in ihrer jüngsten Stellungnahme.
  10. Wenn in sozial schwachen oder belasteten Familien der Fernseher zum besseren Erzieher oder Pädagogen wird, dann ist zu fragen, was die Gesellschaft dazu beitragen kann, um hier eine bessere Entwicklungsunterstützung anzubieten als die Medien es sind. Jeder Beitrag zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch ein Beitrag zur Verbesserung kindlicher Erfahrungs- und Erlebnismöglichkeiten, und damit eine Verbesserung der Alternativen zu einem übermäßigen kindlichen Medienkonsum, insbesondere in psychosozial belasteten Familien.

Solche Empfehlungen vorausgesetzt, ist das Anschauen der "Teletubbies" im Vorschulalter mit Sicherheit nicht in irgendeiner Weise schädlich, sondern kann im Gegenteil durchaus unterhaltsam sein. Ein Kleinkind, das in seinem Alltag gelegentlich zusammen mit seinen Eltern die "Teletubbies" ansieht, daneben aber eine Vielzahl anderer Erfahrungen mit den Eltern, Geschwistern und/oder anderen Kindern in unterschiedlichen Situationen machen kann, wird durch solch ein begrenztes Fernsehen keine nachteiligen Folgen erleiden. Dennoch ist in einem derartigen Erziehungskontext das Fernsehen durchaus entbehrlich.

Ich möchte daher abschließend nicht als apokalyptischer Warner vor dem Weltuntergang durch Vorschulfernsehen à la "Um-Gottes-Willen-die-Teletubbies" auftreten, wohl aber auf die nachteiligen Folgen eines frühzeitigen und übermäßigen Fernsehkonsums hinweisen und damit behutsam der gegenwärtig bundesweit einsetzenden "Teletubby-Manie" entgegenwirken. Ein früher, übermäßiger Fernsehkonsum ist um so folgenschwerer, wenn er zusammen mit weiteren ungünstigen Entwicklungsbedingungen oder –belastungen auftritt. Fernsehen wird hier dann schnell zur "Einstiegsdroge" für eine lebenslange Medienbindung, um nicht zu sagen –abhängigkeit. Hierauf sei warnend hingewiesen.


LITERATUR

American Academy of Pediatrics (Hrsg.): Media Education. In: Pediatrics, -/1999/104, S. 341-343.

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Anderson, D.R.; Field, D.E.; Collins, P.A.; Lorch, E.P.; Nathan J.: Estimates of young children’s time with television: a methodological comparison of parent reports with time-lapse video home observations. In: Child Development, 56/1985/5, S. 1345-1357.

Bachmair, B.; Hofmann, O.: Lernen mit dem Kinderfernsehen: Wunsch oder Wirklichkeit? In: TelevIZIon, 11/1998/2, S. 4-20.

Barthelmes, J.: Fernsehen und Computern in der Familie. Für einen kreativen Umgang mit den Medien. München: Kösel Verlag 1999

Böhme-Dürr, K.: Bildmagnet Fernsehen. In: TelevIZIon, 12/1999/1, S. 20-25.

Dietz, W.H.: Television, obesity, and eating disorders. In: Adolescent Medicine. State of the Art Reviews, 4/1993/-, S. 607-622.

Grefe, C.: Ende der Spielzeit. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1995.

Hassler, F.; Gierow, G.; Tilch, P.; Langemann; I.: Das Fernsehverhalten einer kinder- und jugendpsychiatrischen Inanspruchnahmepopulation. In: Pädiatrie und Grenzgebiete, 31/1993/-, S. 363-369.

Home, A.: Mit "Tönnchen" lernen: die Teletubbies. In: TelevIZIon 11/1998/2, S. 24-28.

Locard, E.; Mamelle, N.; Billette, A.; Miginiac, M.; Munoz, F.; Rey, S.: Risk factors of obesity in a five year-old population. Parental versus environmental factors. In: International Journal of Obesity and Related Metabolic Disorders, 16/1992/-, S. 721-729.

Millner, M.: Das Beta-Kind. Fernsehen und kindliche Entwicklung aus kinderpsychiatrischer Sicht. Bern: Hans Huber Verlag 1996.

Neumann, K.; Charlton, M.: Spracherwerb und Mediengebrauch. Tübingen: Narr Verlag 1990.

Papousek, H.; Papousek, M.: Intuitive parenting. In: Bornstein, M.H. (Hrsg.): Handbook of parenting. Vol. 2: Ecology and biology of parenting. Hillsdale, N.J.: Erlbaum 1994.

Report on television. New York, N.Y.: Nielsen Media Research 1998.

Steren, D.: The interpersonal world of the infant. New York, N.Y.: Basic books 1985.

Strasburger, V.C.: "Sex, drugs, rock’n roll" and the media: are the media responsible for adolescent behavior? In: Adolescent Medicine: State of the Art Reviews, 8/1997/-, S. 403-414.



DER AUTOR

Nikolaus von Hofacker, Dr. med.,
ist Leiter der Behandlungseinheit Psychosomatik des Kinder- und Jugendalters am Städtischen Krankenhaus München-Harlaching.

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