Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe: 12/1999/2 - TEXTAUSZUG:



Karin Hake

Nicht ohne Forschung!

Forschungsergebnisse, die eine sachgerechte Beurteilung der "Teletubbies" ermöglichen, liegen in den skandinavischen Ländern noch nicht vor - sie werden allerdings dringend gebraucht.Weder in Norwegen noch in anderen skandinavischen Ländern gibt es bisher spezielle Untersuchungen zu den "Teletubbies" . Die einzigen gegenwärtig verfügbaren Angaben sind quantitative Meßdaten der Zuschauerforschung: Einschaltquoten und Marktanteile. Von August bis Dezember 1998, also in der ersten Ausstrahlungsphase der "Teletubbies", erzielte die Serie in Norwegen eine Quote von 6% bei den 3- bis 6jährigen.Wir wissen allerdings nichts darüber, welchen Gewinn sehr kleine Kinder ganz allgemein aus dem Fernsehen ziehen und was davon für sie verständlich ist, denn wissenschaftliche Untersuchungen mit 2jährigen Kindern durchzuführen, also mit der Zielgruppe der "Teletubbies", ist methodisch anspruchsvoll. Wahrscheinlich muss man mit Beobachtung arbeiten, z.B. mit Video-Beobachtung, um ihr Sehverhalten während der Rezeption aufzeichnen zu können. Interviews mit Kindern dieser Altersgruppe zu führen, ist nahezu unmöglich, da sich ihre sprachliche Ausdrucksfähigkeit bestenfalls gerade im Anfangsstadium der Entwicklung befindet. Es wäre jedoch von großem Interesse, mit Hilfe qualitativ orientierter Studien Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie Kinder dieses Programm erleben und welche Elemente für sie am faszinierendsten sind. Angesichts dieses Forschungsdefizits lässt sich die Behauptung der Produzenten, dieses Programm sei für Einjährige lehrreich und geeignet, nicht stützen.Die Diskussion zu den "Teletubbies" konzentrierte sich daher auf Qualität und Inhalte. Gegenwärtig strahlt der norwegische kommerzielle Kanal TV2 die "Teletubbies" in Norwegen aus. Die öffentlich-rechtlichen Kanäle in Norwegen und Dänemark haben beschlossen, die "Teletubbies" nicht zu senden. Der Leiter des Programmeinkaufs für die Abteilung Kinder- und Jugendfernsehen bei NRK gibt dafür folgende Gründe an:

  • Die Welt der "Teletubbies" ist eine künstliche Welt, ohne jegliche Elemente aus dem Alltagsleben der Kinder, mit denen sie sich identifizieren könnten. Die Realfilm-Szenen sind sehr rituell angelegt.
  • Die Sprache der "Teletubbies" hat einen infantilen Charakter und ist nicht dazu geeignet, die Sprachentwicklung der Kleinkinder zu fördern.
  • Die Dramaturgie ist ausgesprochen vorhersehbar.
  • Das Programm müßte sich in das derzeitige allgemeine Angebot für Vorschulkinder einfügen. NRK räumt jedoch gegenwärtig den Vorschulprogrammen für Kinder zwischen 3 und 7 Jahren Priorität ein.
Das alles entspricht der Beurteilung, die auch schon von einigen anderen Fernsehexperten gegeben wurde: Die "Teletubbies" beinhalten keinerlei Geschichten, es entwickelt sich keine Handlung und es gibt keinen Schluß. Der Hauptinhalt besteht aus einer Ansammlung von visuellen und akkustischen Ritualen. Ada Haug, die frühere Leiterin des Vorschulprogramms beim Norwegischen Fernsehen, stellt fest, dass Programme für diese Zielgruppe "eine Mixtur von ‚Tool and Toy‘, Rüstzeug und Spielzeug – ein sinnvolles und unterhaltsames Hilfsmittel zur Entwicklung eines Kindes" sein sollten. Außerdem meint sie, Hauptziel der "Teletubbies" sei das Merchandising. (Äußerung auf dem ‚Second World Summit on Television for Children‘, London 1998). Meine eigenen Rezeptionsstudien über die Faszination des Fernsehens für Vorschulkinder zeigen, dass sich diese Altersgruppe vor allem von dramatischen und emotionalen Geschichten angesprochen fühlt, die ihr eigenes tägliches Leben widerspiegeln und Themen behandeln, mit denen sie sich identifizieren können (Hake 1999).Dipsy, Tinky Winky, Laa-Laa und Po Nichtsdestoweniger haben die "Teletubbies" in vielen Ländern sowohl bei Kindern als auch Eltern eine große Popularität erreicht. Dies bringt uns in ein wohlbekanntes Dilemma: Die Tatsache, dass Kinder ein Programm faszinierend finden, oder Eltern dies meinen, muss nicht unbedingt bedeuten, dass dieses Programm erzieherischen Wert hat oder gut für die Kinder ist. Sowohl hausinterne Diskussionen als auch frühere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass Kinder manchmal von einem Programm fasziniert sein können, das von Erwachsenen stark kritisiert wird. Sicherlich ist es sehr wichtig, zu berücksichtigen, für welches Format und welchen Inhalt sich Kinder begeistern. Dennoch müssen wir auch darauf achten, welche Qualitätsstandards sich Produzenten, Programmverantwortliche und Eltern zum Ziel setzen, denn die Faszination der Kinder und die Qualitätskriterien der Erwachsenen entsprechen sich nicht immer.Einen Ansatz, die Qualität von Programmen für Kleinkinder zu erfassen, bietet Lilian Katz (1993) mit fünf verschiedenen Perspektiven. Katz benutzt sie zur Feststellung der Qualität von "frühkindlicher Erziehung". Ich habe ihre Perspektiven auf Programmentwicklung und Forschung übertragen:1. Von oben, wie erwachsene Besucher und Beobachter es sehen2. Von unten, wie die Kinder selbst es sehen3. Von außen, wie Eltern es beim Betrachten der Programme sehen4. Von innen, wie die Programm-Mitarbeiter es sehen5. Wie es von der Gesellschaft und ihren Vertretern, die die Programme sponsern, wahrgenommen wird (Katz 1993 in Hake 1998).Eltern und Lehrer mögen Fernsehprogramme für Kinder dahingehend bewerten, was "gut für die Kinder" ist, oder sie versuchen, sich selbst in die Situation der Kinder zu versetzen und geben dann dementsprechende Statements ab. Wenn die Welt und das tägliche Leben der größeren und kleineren Kinder von einer entwicklungsmäßig, psychologisch und kulturell bedingten Norm abweichen, kann das oftmals zum Aufbau von Ängsten bei Eltern und Lehrern führen.Eli Åm, ein Kinderforscher, drückt es wie folgt aus:
"Müssen wir es einfach akzeptieren, dass Kinder und Erwachsene ein Fernsehprogramm auf vollkommen verschiedene Weise wahrnehmen können? (--) Ist es möglich, über diesen ‚Dualismus‘ zwischen den Wahrnehmungen eines Kindes und den Qualitätsanforderungen eines Erwachsenen hinauszukommen? Welche Kriterien liegen über denjenigen der Bewertung eines Kindes? In anderen Bereichen ist dies weniger ein Problem. Zum Beispiel halten wir Süßigkeiten für Kinder nicht für gut, ausgenommen in kleinen Mengen - sogar wenn die Kinder den Geschmack von Schokolade höher schätzen als alles andere! Wenn es nun aber um die Wahrnehmung von Fernsehprogrammen durch Kinder geht, ist es nicht mehr so einfach, die Bewertung der Kinder selbst richtig einzuschätzen." (Åm 1991)
Programmverantwortliche und die Gesellschaft im allgemeinen finden sich in einem strategischen Dilemma wieder: Auf welche Perspektiven und Bewertungskriterien sollten sie ihre Programmauswahl stützen? Wie gehen wir mit einem potentiellen Dualismus um? Forschung, die in der Lage ist, Perspektiven sowohl aus der Sicht der Kinder als auch aus Sicht der Eltern aufzuzeigen, kann zu einem besseren Verständnis der Qualitätsstandards von Programmen für Vorschulkinder beitragen. Bei der Produktion von Kinderfernsehsendungen geht es nicht nur darum, "negative Elemente" zu vermeiden, sondern darum, herauszufinden, was eine junge Zielgruppe fasziniert, und dies mit Ideen und Geschichten zu kombinieren, die auch Eltern als wichtig erachten.

LITERATUR
Katz, Lilian G.: Multiple perspectives on the quality of early childhood programmes.European Early Childhood Education Resarch Journal, 1/1993/2.Hake, Karin: Barn og unges fjernsynsverden. Oslo: Notam Gyldendal 1998.Hake, Karin: "Beethofen – er han ikke smart?" Femåringers fascinasjon av fjernsyn. Rådet for anvendt medieforskning. 1999.Haug, Ada: Dumbing down. Paper presented at The Second World Summit on Television for Children. London 1998.Åm, Eli: Sesam for norske barn. Norsk Senter for barneforskning. Report No. 21. 1991.


DIE AUTORIN

Karin Hake
ist Medienwissenschaftlerin und arbeitet beim Norwegischen Rundfunk NRK in Oslo.

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