Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe: 13/2000/2 - TEXTAUSZUG:


Birgit van Eimeren

Mediennutzung und Fernsehpräferenzen
der 10- bis 15-Jährigen


Nach wie vor sind Fernsehen und Hörfunk die am meisten genutzten Jugendmedien. Unterhaltungsshows, Spielfilme und Daily Soaps sehen die Jugendlichen am liebsten - Nachrichten kaum.

1. Einleitung

In dem am 29.10.2000 ausgestrahlten BR-"Tatort" ermittelten die Kommissare Batic und Leitmeir hinter den Kulissen der (fiktiven) Daily Soap "Total das Leben". Konfrontiert mit der Hektik des täglichen Produktionsprozesses, den Allüren der Soap-Stars und den für die Kommissare äußerst befremdlichen Reaktionen der meist jungen, weiblichen Fans antwortet ein Fan auf die Frage "Was ist dran an dieser Serie?":

"Ja, für mich ist das eine liebgewonnene Gewohnheit. Wenn ich nach Hause komme dusche ich, nehm mir ein Bier, und um fünf vor halb acht sitze ich vorm Fernseher. ‚Total das Leben‘ gehört einfach dazu, verstehen Sie? ....Mit der Zeit kommen einem die Personen in der Serie immer näher, so wie Freunde, Bekannte, Nachbarn. Man will einfach wissen, was mit ihnen passiert. Ersatz für Tratsch im Treppenhaus... ...Dass die Serie nicht besonders anspruchsvoll ist, weiß ich auch. Es ist wie eine Droge. Ich bin süchtig."

Daily Soaps arbeiten fast alle mit ähnlichen Stilmitteln: Das Alltägliche, Banale wird in stark emotionalisierter, übersteigerter Form in Szene gesetzt, parallel zur Überdramatisierung das Ungewöhnliche, Bedrohliche entdramatisiert und als alltäglich dargestellt. Da sich die Soaps im Gegensatz zum US-amerikanischen Fernsehmarkt in Deutschland überwiegend an ein junges Publikum wenden, werden bevorzugt Themen aufgegriffen, die Jugendliche beschäftigen: Beziehungen, Sexualität, Mode, Trends, Berufsein- und -aufstieg. Damit bedienen die Daily Soaps – ähnlich wie die täglich ausgestrahlten Talkshows – das Bedürfnis nach Identifikationsflächen und Rollenmustern, und nicht zuletzt nach Voyeurismus.

Unbestritten ist, dass die Bedeutung der Medien für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten massiv angestiegen ist. Eine nicht medial beeinflusste Kindheit und Jugend ist nicht vorstellbar. Medien, und hier vor allem das Fernsehen, prägen Alltagserleben, vermitteln Handlungsmuster und Normen und helfen, sich mit der Welt der Erwachsenen auseinander zu setzen. In einer Zeit, in der klassische Familienstrukturen immer seltener auftreten und traditionelle Institutionen wie Kirche und Schule an Gewicht verloren haben, machen Kinder vermehrt ihre Erfahrungen außerhalb des häuslichen Umfelds. Hier spielt das Fernsehen als zentrales Leitmedium – nicht nur für Kinder und Jugendliche – eine besondere Rolle. Das Fernsehen kann Vorbild für individuelle Wertorientierung, für Kommunikations- und Verhaltensmuster sein. Fernsehen gehört zum Alltag von Kindern und Jugendlichen. Ein Ausschluss von Fernsehen bedeutet auch, Kinder und Jugendliche von einem Teil ihrer Lebenswelt auszuschließen.
Wie gehen Heranwachsende überhaupt mit Medien um? Welchen Anteil nehmen die einzelnen Medien im Zeitbudget der Kinder und Jugendlichen ein? Und haben der Computer und das Internet – wie es manche Autoren vermitteln – das Fernsehen in seiner Bedeutung abgelöst?

Definition: Kinder - Jugendliche - Erwachsene

Bevor wir uns den quantitativen Daten der Medienforschung zum Medienverhalten der Jugendlichen zuwenden, ist eine definitorische Abgrenzung der "Jugendlichen" von den "Kindern" und den "Erwachsenen" notwendig. Die Definition von Jugend wird zunehmend schwieriger. Der sogenannte Reifungsprozess beginnt immer früher. Gleichzeitig dauert die Jugend aufgrund längerer Ausbildungszeiten sowie eines Bedeutungsverlustes traditionell wichtiger Statuspassagen wie Heirat oder Gründung eines eigenen Hausstandes immer länger. Aber nicht nur externe Ursachen führen zu einer Verschiebung der Generationsgrenzen. Der Jugendkult unserer Gesellschaft führt bei vielen Zeitgenossen zu einer erheblichen Distanz zwischen kalendarischem und wahrgenommenem Alter, was den "tatsächlichen" Jugendlichen die für ihre Identitätsfindung wichtige Abgrenzung von der Welt der Erwachsenen erschwert. Wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Jugendforschung sind dementsprechend nicht einheitlich in der Wahl der Altersbegrenzung. So wählt beispielsweise die "Shell-Studie" eine relativ breite Definition (15 bis 24 Jahre) für die Untersuchung "Jugend 2000". Entwicklungspsychologisch betrachtet wäre hier die Bezeichnung "Junge Erwachsene 2000" vielleicht treffender. In einer anderen, vom Jugendministerium in Auftrag gegebenen Studie wurde die obere Altersgrenze gar erst bei den 30-Jährigen festgesetzt. Im Bereich der praxisorientierten Forschung, z.B. der Medienforschung, gilt die Konvention, junge Menschen ab 14 Jahren als Erwachsene zu etikettieren. Entsprechend beginnen die Datenerhebungen in den wichtigsten Standard-Untersuchungen wie der "Media Analyse" oder der "Massenkommunikation" erst bei den Ab-14-Jährigen. Langfristige Vergleiche für die Medienentwicklung speziell bei "Jugendlichen" erfolgen – dieser Konvention zufolge – generell für die Altersgruppe der jeweils 14- bis 19-Jährigen.
Eine sicherlich der heutigen Zeit angemessenere Definition von Jugendlichen ist der Bezug auf die 10- bis 15-Jährigen und die 16- bis 19-Jährigen. Leider liegen jedoch aufgrund der oben beschriebenen Konventionen, mit Ausnahme des Bereiches Fernsehen, kaum Daten für diese beiden Zielgruppen vor. Daher werden sich Exkurse auf die Mediennutzung von "Jugendlichen" mit Ausnahme der Fernsehnutzung auf die Gruppe der 14- bis 19-Jährigen beziehen müssen.


2. Medienkonsum der 14- bis 19-Jährigen

377 Minuten, also mehr als 6 Stunden, verbringt ein 14- bis 19-jähriger Jugendlicher täglich mit Medien (s. Grafik 1). Der Löwenanteil entfällt auf die "alten" Massenmedien Fernsehen und Hörfunk. Nur ein relativ geringer Teil, nämlich im Durchschnitt 17 Minuten täglich, kommt der Beschäftigung mit dem Internet zugute. Auch die Nutzung audiovisueller Speichermedien wie CDs hören oder Videofilme ansehen nimmt mit 46 Minuten täglich bzw. 13 Minuten täglich – gemessen an der Dominanz von Fernsehen und Hörfunk – nur einen relativ kleinen Teil des Medienbudgets in Anspruch.

 


Tabelle 1: Anteil der Internet-Nutzer nach Altersgruppen (in %)
  1997 1998 1999 2000
Gesamt 6,5 10,4 17,7 28,6
14- bis 19-Jährige 6,3 15,6 30,0 48,5
20- bis 29-Jährige 13,2 20,7 33,0 54,6
30- bis 39-Jährige 12,4 18,9 24,5 41,1
40- bis 49-Jährige 7,7 11,1 19,6 32,2
50- bis 59-Jährige 3,0 4,4 15,1 22,1
60-Jährige und älter 0,2 0,8 1,9 4,4
Quelle: ARD-/ZDF-Online-Studie 2000

In der Gewichtung der Medien im Medienalltag sind die Unterschiede zwischen Jugendlichen und der Gesamtheit der Mediennutzer nicht so groß, wie es manche Autoren zu vermitteln scheinen. Die klassischen elektronischen Medien Fernsehen und Hörfunk bleiben auch bei Jugendlichen die den Alltag dominierenden Medien. Sie nehmen rund 70% des täglichen Medienbudgets ein, bei allen Mediennutzern liegt der Anteil von Fernsehen und Radio bei 82%. Die Möglichkeit, der "eigene Programmdirektor" zu sein, wird zwar von den Jugendlichen – sei es über das Internet (s. Tabelle 1), sei es über CDs und Videokassetten – stärker ausgeschöpft. Wie in allen anderen Altersgruppen überwiegt jedoch auch bei den Jugendlichen die passive und eher konsumierende Mediennutzung eindeutig vor der aktiven und selbstbestimmten.
Begünstigt wird die Mediennutzung naturgemäß durch die Ausstattung mit elektronischer Hardware in den Haushalten, in denen Jugendliche leben (s. Tabelle 2). Gemessen an der Geräteverbreitung im bundesdeutschen Durchschnitt sind Haushalte mit Jugendlichen häufiger mit medialer Hardware ausgestattet:
In nahezu jedem Haushalt mit Jugendlichen sind zumindest ein Fernsehgerät, eine Stereoanlage und ein Videorecorder vorhanden. Mehr als 70% der Haushalte mit Jugendlichen verfügen über einen PC oder Laptop – bezogen auf die Gesamtheit aller Haushalte trifft dies nur auf 40% zu.


3. Fernsehnutzung der 10- bis 15-Jährigen

3.1 Überblick
Bei den 10- bis 15-Jährigen zeigt sich die Dominanz des Mediums Fernsehen ebenso wie bei allen anderen potenziell zu betrachtenden Zielgruppen. Im ersten Halbjahr 2000 verbrachte jeder 10- bis 15-Jährige in Deutschland täglich 118 Minuten vor dem Fernseher (s. Tabelle 3). Dabei hat sich am Fernsehkonsum der Jugendlichen in den letzten 5 Jahren wenig geändert. 1995 war ein Durchschnittswert für diese Altersgruppe von 117 Minuten zu verzeichnen. Lediglich 1992, dem Jahr, in dem erstmalig Daten für West- und Ostdeutschland zur Verfügung stehen, betrug die tägliche Sehdauer der 10- bis 15-Jährigen 109 Minuten.





Tabelle 3:
Entwicklung der täglichen Sehdauer der 10- bis 15-Jährigen in Deutschland, 1988 – 1. Halbjahr 2000 (in Minuten)

  1988 1992 1995 1999 01-06/2000
Gesamt n.v.* 109 117 118 118
Westdeutschland 100 100 114 112 110
Ostdeutschland n.v.* 138 125 134 139
10- bis 11-Jährige n.v.* 104 112 102 102
12- bis 13-Jährige n.v.* 117 115 126 117
14- bis 15-Jährige n.v.* 108 124 128 133
Mädchen n.v.* 109 113 114 119
Jungen n.v.* 110 121 122 117
*Daten nicht verfügbar

Analysiert man den Fernsehkonsum der westdeutschen 10- bis 15-Jährigen, so ist auch in der Langzeitbetrachtung kein dramatischer Anstieg der Fernsehnutzung aufzuzeigen (s. Grafiken 2,3 und 4). 1988, d.h. noch in der Aufbauphase des Dualen Systems in Deutschland, wandten sich westdeutsche 10- bis 15-Jährige täglich 100 Minuten dem Fernsehen zu. Im ersten Halbjahr 2000 sind unter den westdeutschen Jugendlichen 110 Minuten zu verbuchen.
Einen höheren Stellenwert im Alltag nimmt das Fernsehen bei den 10- bis 15-Jährigen in den neuen Bundesländern ein. Mit 139 Minuten widmen sie sich rund eine halbe Stunde länger den Fernsehangeboten als ihre westdeutschen Altersgenossen. Dabei handelt es sich keineswegs um ein Phänomen, das lediglich bei den jüngeren Zuschauern anzutreffen ist. Auch 10 Jahre nach dem Mauerfall ist für die Gesamtheit aller bundesdeutschen Zuschauer keine Angleichung zwischen den Fernsehgewohnheiten und den Programmvorlieben in den neuen und alten Bundesländern festzustellen. Ostdeutsche schauen deutlich länger fern als Westdeutsche. Diese Diskrepanz zieht sich durch alle Altersgruppen. Da sie sich bei den jüngsten und jüngeren Zuschauern eher verstärkt als nivelliert, ist mit einer Angleichung der Sehgewohnheiten in den nächsten Jahren kaum zu rechnen.
Parallel zur Gesamtheit aller Zuschauer liegt die Hauptfernsehzeit der 10- bis 15-Jährigen zwischen 18 Uhr und 22 Uhr. Bei den 10- bis 13-Jährigen liegt der "Reichweiten-Peak" etwas früher als bei den 14- bis 15-Jährigen. Die Hauptfernsehzeit in allen Altersgruppen liegt bei der "20 Uhr-Marke": Rund ein Viertel aller Jugendlichen versammelt sich zu diesem Zeitpunkt täglich vor dem Bildschirm.

3.2 Beliebteste Fernsehgenres und Sendungen Entsprechend der zeitlichen Verteilung der Fernsehnutzung handelt es sich bei den meistgesehenen Sendungen nahezu ausschließlich um Sendungen, die ab 19.30 Uhr ausgestrahlt werden. In den Top 50 der meistgesehenen Sendungen der 10- bis 15-Jährigen im 1. Halbjahr 2000 rangieren ganz oben Unterhaltungsshows ("Wetten dass...?", "Wer wird Millionär?"), Spielfilme ("Der verrückte Professor") und besonders prominent vertreten die Daily Soap "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" von RTL. Innerhalb der Top 50 ist "GZSZ" allein 30 Mal vertreten.
Die RTL-Serie kommt besonders gut bei den 10- bis 15-jährigen Mädchen an. Nicht nur erzielte die Soap 1999 einen durchschnittlichen Marktanteil bei den jüngeren Zuschauerinnen von 56,6% - bei den Jungen waren es "nur" 34,1%. Gleichzeitig ist die Top 50 der Mädchen aus dem 1. Halbjahr 2000 fast ausschließlich durch Folgen von "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" belegt. Lediglich vier der 50 meistgesehenen Sendungen waren keine Serienfolgen.
Dagegen taucht "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" in der Hitliste der Jungen zwischen 10 und 15 Jahren nicht einmal auf. Ihre Top 50 deckt ein wesentlich breiteres Angebotsspektrum ab – von Sport-Live-Übertragungen über Unterhaltungsshows bis hin zu Spielfilmen. Auffallend ist bei ihnen die hohe Akzeptanz der Trickserie aus der "Pokémon-Welt". Vor allem bei den 10- bis 15-jährigen Jungen in Ostdeutschland hat sich die in RTL II ausgestrahlte Trickserie "Pokémon" inzwischen zu einem der beliebtesten Regelangebote entwickelt.
Einen systematischeren Zugang als über die Hitlisten, die eher eine Aufstellung von besonders attraktiven Einzelereignissen bieten, liefert die Analyse nach der Akzeptanz von einzelnen Programmsparten (s. Tabelle 7). Nicht überraschend zeigt sich generell: die Fernsehvorlieben der 10- bis 15-Jährigen unterscheiden sich deutlich von den Vorlieben der Gesamtheit der Zuschauer. Sparten, die in den Vollprogrammen gemeinhin als Quotengaranten gelten, treffen bei den 10- bis 15-Jährigen auf nur wenig Interesse. In diesem Zusammenhang sind an erster Stelle Nachrichten und Wetterinformationen zu nennen. Die im ersten Halbjahr 2000 in den AGF*-Sendern ausgestrahlten 50.098 Nachrichtensendungen erzielten einen durchschnittlichen Marktanteil von 3,9% bei allen bundesdeutschen Zuschauern, bei den 10- bis 15-Jährigen lag die Marktausschöpfung lediglich bei 1,4%. Eine ähnliche Relation zeigt sich bei den im allgemeinen im Anschluss an die Nachrichten ausgestrahlten Wetterinformationen: 5,3% Marktanteil in der Gesamtheit aller Zuschauer stehen 2,2% Marktanteil bei den 10- bis 15-Jährigen gegenüber.

Tabelle 7: Marktanteil nach Programmsparten, 1. Halbjahr 2000 (in %)

Programmsparte 10- bis 15-
Jährige
Zuschauer ab
3 Jahre
Zeichentrickserie 14,4 4,2

Serie

7,7 5,4
Spielfilm 6,1 4,9
Fernsehfilm 4,7 6,1
Unterhaltungsshow 3,5 5,3
Talkshow 3,2 4,8
Wetterinformationen 2,2 5,3
Musiksendungen 1,8 1,5
Reportagen/Dokumentationen/Magazine 1,6 2,6
Nachrichten 1,4 3,9

Von Reportagen bis zu Nachrichten
Auch Reportagen, Dokumentationen und Magazine mit mehr oder minder informativem Charakter finden nur selten das Interesse der Jugendlichen. Das relativ geringe Interesse Jugendlicher an (tagesaktuellen) INFORMATIONsendungen bestätigt eine Vielzahl von Studien, die zu dem Thema Jugend und Medien durchgeführt wurde. So konnte beispielsweise die vom Bayerischen Rundfunk und vom Internationalen Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen 1997 durchgeführte Untersuchung nachweisen, dass sich Jugendliche von den klassischen Nachrichten- und Magazinformen nicht angesprochen fühlen. Sie sind häufig zu sach-, weniger personenorientiert, zu abstrakt statt konkret und personalisiert, und oft eher unter einem gesamt-gesellschaftlichen als unter einem alltagsbezogen-individualistischen Blickwinkel aufbereitet. Gerade diese formal-inhaltlichen Kriterien bedingen, dass INFORMATIONsendungen vielen Jugendlichen als "langweilig" und an ihren Interessen vorbeiproduziert erscheinen. Personalisierung und Nachvollziehbarkeit scheinen auch ein Schlüssel zum Erfolg von Magazinen wie "Explosiv – Das Magazin" (RTL) zu sein, die diese Elemente in ihren Beiträgen gezielt einsetzen. Nicht umsonst zählt "Explosiv" seit Jahren zu den beliebtesten INFORMATIONsendungen der bundesdeutschen Jugendlichen.
Zudem werden Nachrichten häufig im Rahmen des bereits eingeschalteten Programms "mitgenommen". So konnten sich die "RTL2-News", die täglich um 20.00 Uhr ausgestrahlt werden, während der ersten "Big Brother"-Staffel (Beginn: 20.15 Uhr) zu einer der bei Jugendlichen erfolgreichsten Nachrichtensendung entwickeln.

Daily Soaps
Die größten Unterschiede zwischen den Genrevorlieben der 10- bis 15-Jährigen und der Gesamtheit der Zuschauer zeichnen sich bei dem Genre Zeichentrickserie ab: Während Zeichentrick-Serien im Schnitt 14,4% der fernsehenden 10- bis 15-Jährigen erreichen, liegt der Marktanteil dieser Programmsparte bei allen Zuschauern nur bei 4,2%. Auf überdurchschnittliche Akzeptanz bei den Jugendlichen stoßen auch die Serien, insbesondere die Daily Soaps. Im ersten Halbjahr 2000 wurden in den AGF-Sendern insgesamt 65.064 Serienfolgen ausgestrahlt, die bei den 10- bis 15-Jährigen einen durchschnittlichen Marktanteil von 7,7% erzielten (Zuschauer gesamt: 5,4%).
Geschlechtsspezifische Unterschiede sind nicht auszumachen, ebenso wenig zeigen sich Differenzen in der Serienakzeptanz zwischen den Jugendlichen in den neuen und alten Bundesländern. Lediglich bei den 10- bis 11-Jährigen stoßen die Serien mit durchschnittlich 8,3% Marktanteil auf eine leicht überdurchschnittliche Akzeptanz.
Besonders erfolgreich unter den Serienproduktionen sind die Daily Soaps. "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" (RTL) "Verbotene Liebe" (ARD) und "Marienhof" (ARD) erzielen Marktanteile von 20% und mehr. Die erfolgreichste unter ihnen ist "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", die täglich um 19.45 Uhr in RTL ausgestrahlt wird. 45,4% aller zur Sendezeit vor dem Bildschirm versammelten 10- bis 15-Jährigen schalteten 1999 jede Serienausstrahlung ein. "Verbotene Liebe" erzielte im Jahre 1999 einen durchschnittlichen Marktanteil von 21,2%, "Marienhof" von 22,2%.
Der Erfolg aller drei Daily Soaps resultiert maßgeblich aus der hohen Akzeptanz bei den Mädchen. Zu "GZSZ" schaltet jedes zweite zur Sendezeit fernsehende Mädchen ein, bei "Verbotene Liebe" und "Marienhof" ist es knapp ein Drittel aller vor dem Bildschirm versammelten Zuschauerinnen zwischen 10 und 15 Jahren (s. Tabelle 8).

Tabelle 8: Marktanteil ausgewählter Daily Soaps bei den 10- bis 15-Jährigen (in %, Æ 1999)

  10- bis 15-Jährige gesamt 10- bis 15-jährige Jungen 10- bis 15-jährige Mädchen
"Gute Zeiten, schlechte Zeiten"
(RTL, 19.45 Uhr)
45,4 34,1 56,6
"Verbotene Liebe"
(ARD, 18.00 Uhr)
21,2 10,6 31,2
"Marienhof"
(ARD, 18.30 Uhr)
22,2 12,1 32,1

Einen außergewöhnlichen Erfolg bei den 10- bis 15-Jährigen, insbesondere bei den jungen Mädchen, erzielte auch die erste Staffel von "Big Brother", deren einzelne "Folgen" von dem Privatsender RTL II zwischen 1. März und 8. Juni 2000 täglich ausgestrahlt wurden (s. Tabelle 9). "Big Brother" ist keiner der bisher verwandten Programmkategorien zuordenbar, weshalb Mikos für dieses neue Genre den Begriff "Hybrid-Genre" definierte: Durch die Vorspiegelung des "wahren Lebens" und die Ausstrahlung von täglichen Gesprächsrunden werden Grundzüge der Dokumentation und der Talkshows eingebaut. Hinsichtlich des täglichen Ausstrahlungsrhythmus, der Konstanz der Akteure und des Fortsetzungscharakters bedient sich "Big Brother" eindeutig der Kernelemente der Daily Soaps, so dass auch die Wirkungsweisen ähnlich sein dürften wie bei den Soaps.

Tabelle 9: Marktanteil von "Big Brother" (1. Staffel) bei den 10- bis 15-Jährigen(in %, Æ 1.03. – 8.06.2000)

  10- bis 15-Jährige gesamt 10- bis 15-jährige Jungen 10- bis 15-jährige Mädchen
"Big Brother"
(RTL 2, 20.15 Uhr)
25,7 28,3 23,1

Zu den Erklärungsansätzen für den Erfolg dieser Formate bei den Jugendlichen zählt, dass sie – ähnlich wie bei dem Phänomen der "Boy Groups" – Charaktere aufweisen, die sozialen Prototypen bis hin zu Antitypen entsprechen. Die in den Daily Soaps gezeigten Charaktere und Lebenswelten können dabei eine verstärkende Funktion für die altersspezifischen Identitätsprozesse von Jugendlichen haben. Sie bieten Projektionsflächen und Rollenmuster, um sich im eigene Alltag zurechtzufinden. Indem sie Inhalte thematisieren, die die Bedürfnisse Heranwachsender gezielt ansprechen, sind sie Vorbild für die eigene Rollenfindung in der Welt der Erwachsenen und auch Modell für Mode, Kleidungsstile und Verhalten gegenüber dem anderen Geschlecht.. Neben diesen psychologischen Aspekten der Wirkung von Soaps bedienen sie eine Hauptfunktion des Fernsehens: die Möglichkeit des Eskapismus.
Durch ihren täglichen Ausstrahlungsrhythmus werden die Daily Soaps von den Rezipienten in ihren Alltag integriert und - ähnlich wie die 20.00 Uhr-"Tagesschau" bei den Erwachsenen – ritualisiert und habitualisiert eingeschaltet.
Zweifelsohne kommen diese Daily Soaps den Bedürfnissen und Interessen der Jugendlichen entgegen. Die Frage, welche Wirkungen die Inhalte der Serien, die selten etwas mit der tatsächlichen Realität von Jugendlichen zu tun haben, auf die Rezipienten haben, steht bei vielen Programmveranstaltern, die Jugendliche eher in ihrer Bedeutung als kommerzielle Zielgruppe bemessen, hinten an. Denkbar sind sowohl negative Auswirkungen, wie z.B. die Orientierung an (überschlanken) Schönheitsidealen bei weiblichen Teenagern, als auch positive Effekte wie die konstruktive Auseinandersetzung mit der Welt der Erwachsenen.

DIE AUTORIN

Birgit van Eimeren, Dipl.-Psych., ist Leiterin der Abteilung Medienforschung des Bayerischen Rundfunks, München.


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