Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe: 12/1999/2 - TEXTAUSZUG:



David Buckingham

Verwischte Grenzen
"Teletubbies" und Kindermedien


Es ist nicht einfach festzustellen, was kleine Kinder von ihren "Teletubbies" haben, obgleich die Serie international so erfolgreich geworden ist. Jugendliche und auch viele Erwachsene scheinen beim Anschauen auf der Suche nach ihrer verlorenen Kindheit zu sein.

Zweieinhalb Jahre sind bereits seit der Erstausstrahlung der "Teletubbies" auf britischen Bildschirmen vergangen, aber immer noch erzeugt die Sendung unglaubliches Interesse und ebenso viele Kontroversen. Die "Teletubbies" sind ein Medienphänomen, nicht einfach nur ein Programm - Millionen wissen darüber Bescheid, auch wenn sie sie nie gesehen haben, und dennoch entstand eine hitzige Debatte um diese Vorschulserie.

Der nicht unumstrittene Erfolg der "Teletubbies" lässt sich nicht nur an Einschaltquoten oder Auslandsverkäufen messen. Er ist auch, meine ich, ein Symptom für Spannungen, die zur Zeit in der Kindermedienkultur festzustellen sind.1 Bei den "Teletubbies" verwischen sich die Grenzen zwischen dem öffentlichen und privaten Fernsehen, zwischen Bildung und Unterhaltung und zwischen jugendlichen und erwachsenen Zuschauern. Dieses Verwischen der Grenzen, meine ich, ist ein Wesenszug der heutigen Medien - und besonders deutlich ausgeprägt bei Sendungen, die an Kinder gerichtet sind. In vielerlei Hinsicht sind die "Teletubbies" ein Kind ihrer Zeit; dennoch ist einiges an ihnen paradoxerweise überhaupt nicht neu.

Die Privaten und die Öffentlich-Rechtlichen

Die "Teletubbies" wurden in Großbritannien von der BBC in Auftrag gegeben und werden von ihr als nicht-kommerzielle, öffentlich-rechtliche Sendeanstalt auch ausgestrahlt. Die Kontroverse, die mit den "Teletubbies" einhergeht, muss im Zusammenhang mit den aktuellen Veränderungen, die in der BBC stattfinden, betrachtet werden, nämlich dem Schritt weg von einer strikt nationalen öffentlich-rechtlichen Anstalt hin zu einem globalen, marktorientierten Umfeld mit vielen Kanälen.

Während der vergangenen zehn Jahre geriet die BBC immer stärker unter Druck. Natürlich war Margaret Thatcher eine mächtige Befürworterin der Privatisierung; und obwohl man davon bei der BBC nicht sprechen kann, führen viele Kritiker an, dass sich die Anstalt dennoch wirksam ‚selbst privatisiert‘ hat - nicht zuletzt durch die ‚Modernisierungs‘-Politik des berüchtigten Generaldirektors John Birt. Aber selbst unter einer wohlwollenderen Regierung ist die BBC hin- und hergerissen zwischen der Anforderung, sich einerseits als öffentlich-rechtliche Anstalt zu geben - und somit die Gebühreneinnahmen, über die sie sich finanziert, zu rechtfertigen - und andererseits der Notwendigkeit nachzukommen, in einem globalen kommerziellen Markt zu bestehen. Diese Spannung ist quer durch das Programmangebot spürbar, angefangen bei der Auswahl wichtiger Sportübertragungen bis hin zur Teilnahme am digitalen Fernsehen sowie den 24-Stunden-Nachrichten.

Das Kinderfernsehen nimmt hier eine widersprüchliche Stellung ein. Einerseits behaupten einige Kritiker und Lobbyisten, dass das Kinderfernsehprogramm angesichts der Abwendung der BBC von ihren öffentlich-rechtlichen Traditionen besonders in Gefahr ist. Sie weisen zum Beispiel auf die wachsende Anzahl von Trickfilmprogrammen aus den USA auf britischen Bildschirmen und den Rückgang an Dokumentarsendungen hin - ein Phänomen, das sie als symptomatisch für die fortschreitende ‚Verdummung‘ ansehen. Solche Anschuldigungen sind, das sollte betont werden, äußerst fraglich, weil sie weder sachlich noch im Kontext kultureller Werte begründbar sind.2

Andererseits haben sich Kinder zu einer immer wertvolleren Zielgruppe in dieser neuen, wettbewerbsorientieren Medienlandschaft entwickelt. Inzwischen gibt es in Großbritannien sage und schreibe sechs reine Kinderkanäle auf Kabel bzw. Satellit; und im terrestrischen Fernsehen haben sich Kinderprogramme auf bisher nicht genutzte Programmzeiten ausgebreitet, so zum Beispiel im Frühstücksfernsehen und am Sonntagmorgen. Heutzutage ist das Fernsehen wesentlich stärker in weltweite Multimedia-Marketing-Kampagnen eingebunden. Große auf diesem Sektor produzierende Firmen wie Disney, Viacom und Murdochs News Corporation setzen immer stärker integrierte Marketingstrategien ein, bei denen Fernsehen, Video, Kinofilme, Computerspiele, Schallplatten, Spielzeug und eine ganze Reihe anderer Artikel eng miteinander verknüpft sind. Manche sagen jetzt, dass Kinder als Zuschauergruppe heute einen wesentlich besseren Service erfahren - zumindest was die Quantität, nicht unbedingt die Vielfalt oder Qualität der angebotenen Produkte betrifft. Dennoch hat diese Entwicklung angesichts der kommerziellen ‚Ausbeutung‘ von Kindern eine steigende Sensibilität geschaffen. Wie dem auch sei, dies ist das Umfeld, in dem sich die BBC nun bewähren muss.

Diese Entwicklung beeinflusst ein Programm wie die "Teletubbies" in unterschiedlicher Weise. Am offensichtlichsten ist vielleicht die Notwendigkeit, programmverwandte Einkünfte erzielen zu müssen - wobei sich wahrscheinlich über das Ausmaß, wie stark diese tatsächlich mit dem Programm in Verbindung stehen, streiten lässt. Die Einkünfte teilen sich in zwei Hauptbereiche: Merchandising und Auslandsverkäufe. Beides unterliegt der Verantwortung von BBC Worldwide, einer hundertprozentigen kommerziellen Tochter der BBC.

Merchandising

Das Merchandising war immer schon ein entscheidender Aspekt beim Kinderfernsehen, und zwar seit seinem Beginn in den 50er Jahren. Dennoch hat der Umfang in den vergangenen 20 Jahren enorm zugenommen, nachdem Kinder (wie zuvor Teenager) als erfolgversprechender Zielmarkt ‚entdeckt‘ wurden. Allein in Großbritannien beläuft sich der Marktwert von auf TV- und Medienfiguren basierenden Lizenzartikeln auf über 2,5 Mrd. Pfund Sterling. Das Aufkommen von sogenannten ‚30-Minuten Werbespots‘ - damit sind Zeichentrickfilme gemeint, die speziell für die Verkaufsförderung von Spielsachen wie "My little Pony", "Thundercats" und "Transformers" hergestellt werden und mit denen in den USA in den 80er Jahren begonnen wurde - hat damals eine große Kontroverse ausgelöst. Dennoch ist das Kinderfernsehen generell ohne Merchandising nicht vorstellbar - schon gar nicht bei der BBC. Beliebte Sendungen wie das Samstagmorgenmagazin "Live and Kicking" sind ein Schaufenster für neue Medien-Produkte und auch Instrumente für den Verkauf von BBC-eigener Merchandising-Ware. Das Magazin "Live and Kicking" beispielsweise ist derzeitiger Marktführer bei den unter 13jährigen.

Vorschulprogramme sind schon seit langem ein Schlüsselgebiet für das Merchandising. Nicht nur in Großbritannien wird – ausgehend von Sendereihen wie "Thomas, die kleine Lokomotive" (in Großbritannien unter "Thomas the Tank Engine", in den USA als "Shining Time Station" bekannt) und "Postman Pat" - eine breite Palette an Spielsachen und anderen Produkten erzeugt. Vorschulkinder sind ebenso ein bedeutender Markt für den Direktverkauf von Videos sowie von‘lehrreichen‘, auf Fernsehprogrammen basierenden Büchern und Heften. Auch hier wiederum sind die "Teletubbies" alles andere als einmalig.

Dipsy, Laa-Laa, Po und Tinky Winky mit dem Zauberrad

Im Fall der "Teletubbies" war von Beginn an eine großangelegte Merchandising-Kampagne geplant – obwohl sich herausstellte, dass die Nachfrage anfangs wesentlich größer war als erwartet. Die Liste der von der BBC lizenzierten oder direkt vermarkteten "Teletubbies"-Produkte wird immer länger: eine Zeitschrift, Bücher, Audio- und Videokassetten, Computerspiele, Poster, Spielsachen, Kleidung, Armbanduhren, Lebensmittel und Süßigkeiten, Krüge und Geschirr, Schreibwaren und Spiele - und überraschenderweise sogar Mouse Pads für den Computer. Berichten zufolge verdiente die BBC 1998 mit den "Teletubbies" 23 Millionen Pfund; davon kam jedoch vergleichsweise wenig der Produktion von Kinderprogrammen zugute.

Diese Besonderheit wirft verschiedene Fragen auf: In welchem Maße beeinflusst das Potential für Merchandising die Sendung selbst? Produzenten und Verantwortliche der Sendeanstalten werden nicht müde zu betonen, dass hier kein Zusammenhang besteht. Es ist aber klar, dass solche Erwägungen in heutige Planungen sehr viel eher mit einfließen, als das früher der Fall war. So haben Puppen oder Trickfiguren als Merchandisingware größeres Potential als echte Schauspieler, zum Beispiel in Form von Spielzeug. Mit Figurengruppen - vier "Teletubbies" statt eine/r - schafft man, wie es in der Branche heisst, den ‚Sammeleffekt‘; und Requisiten, die regelmäßig mit den Figuren in Zusammenhang gebracht werden, können ebenso separat vermarktet werden - wie im Fall von ‚Tubby Custard‘, wofür die Lizenz kürzlich an St. Ivel vergeben wurde. Generell ist die einheitliche ‚Optik‘ eines Programms - Farben, Design-Merkmale, Graphik - von großer Bedeutung, um in den Auslagen der Geschäfte eine unverwechselbare Präsenz aufbauen zu können. Letztlich beeinflussen derartige Überlegungen zwangsläufig die Entscheidungen bei einer Produktion, wobei sie natürlich im besten Fall mit dem kreativen Instinkt der Produzenten übereinstimmen.

Kann man das einfach als ‚Ausbeutung‘ verletzlicher Kinder deuten? Selbstverständlich würden das die Verantwortlichen bei der BBC weit von sich weisen. Bei solchen Anschuldigungen ist sicher auch ein puritanisches Element nicht wegzudiskutieren: dass Kinder so verrückt nach Konsumgütern sind, wird oft als Problem gesehen - insbesondere wenn es sich dabei um ‚niedrige‘ Kulturformen wie das Fernsehen handelt. Dass Erwachsene kaum andere Wünsche haben, wird gern übersehen.3 Kinder, so hat man den Eindruck, sollen vor dem Kommerzmüll bewahrt werden. Trotzdem genießt die BBC hier eine privilegierte Stellung: Da keine Werbung gezeigt wird, können die Merchandisingprodukte quasi einem geschlossenen Zuschauerkreis nahegebracht werden. Andererseits hat die BBC auch einen Ruf zu verlieren, denn ihr Markenzeichen ist die Qualität. Ob hier nun eine Grenze überschritten wurde, bleibt umstritten.

Verkäufe ins Ausland

Der zweite große Bereich bei BBC Worldwide sind die Verkäufe ins Ausland. Auch hier gab es noch nie einen so großen Erfolg wie mit den "Teletubbies", besonders für eine britische Produktion. Trotzdem bleibt interessant abzuwarten, ob dieses Programm mit der langfristigen Vermarktbarkeit einer Serie wie "Sesamstraße" mithalten kann.

Auch hier stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß solche Überlegungen die Form des Programms selbst beeinflussen. Ganz klar lassen sich manche Sendungen besser vermarkten als andere. Generell sind kulturspezifische Programme wesentlich schwieriger zu verkaufen. Umgesetzt auf Kinderprogramme bedeutet das, dass sich Non-fiction-Produktionen viel schlechter verkaufen als Fiction. Familienalltagsserien, besonders wenn sie aufgrund des gesprochenen Dialekts nicht allgemein verständlich sind, lassen sich schlechter vermarkten als ‚children’s heritage culture‘ in der Art der ‚Chronicles of Narnia‘. Zeichentrick- und Puppenfilme verkaufen sich besser, weil sie leicht in anderen Sprachen synchronisiert werden können. Außerdem sind sie oft weniger kulturspezifisch als solche Programme, in denen echte Kinder mitspielen. In vielerlei Hinsicht scheinen hier die "Teletubbies" international bedeutend marktfähiger zu sein als zum Beispiel eine der Vorgängerproduktionen, die Magazinsendung "Playdays".

Aus der Sicht der kaufinteressierten Länder regt sich jedoch unweigerlich die Befürchtung, dass die Dominanz einiger weniger multinationaler Firmen auf dem Weltmarkt zu einem Kulturimperialismus führen könnte. Derartige Kritik trifft auf die BBC genauso zu wie z.B. auf Disney. Einige der amerikanischen Delegierten beim Weltgipfel für das Kinderfernsehen 1998 in London betrachteten die "Teletubbies" kritisch, nicht nur hinsichtlich der Lerninhalte, auf die unten noch eingegangen wird, sondern auch hinsichtlich der empfundenen kulturellen Voreingenommenheit. Andererseits ist der Programmaufbau, wie auch bei der "Sesamstraße", so angelegt, dass die jeweiligen Sender individuell landesspezifisches Dokumentarmaterial einfließen lassen können.

So gesehen sind die "Teletubbies" symptomatisch für die ‚Mischwirtschaft‘, von der die Medienlandschaft zunehmend geprägt wird. Sie gehorcht einem komplexen Miteinander von kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Zielvorgaben sowie national und international orientierten Überlegungen, die zum Teil die Voraussetzung dafür schaffen, im heutigen Fernsehgeschäft zu überleben. Wo hier die Grenzen gezogen werden sollen, wird sowohl für Programmproduzenten und -verantwortliche wie auch für Kritiker zu einem immer vielschichtigeren und schwierigeren Problem.

Bildung und Unterhaltung

Der Presserummel um die "Teletubbies" ist zeitweise kaum geringer als bei den beliebtesten Seifenopern. In der Boulevardpresse wie auch in den ‚seriösen‘ Zeitungen scheint die bloße Erwähnung der Serie immer noch für Schlagzeilen zu sorgen. Natürlich werden manche der von der Presseabteilung der BBC verfassten Berichte mit Nachdruck lanciert; trotzdem sind viele Reaktionen auf die Serie weiterhin negativ.

Es geht auch immer wieder um den Bildungswert der "Teletubbies". Hier hört man wiederholt, dass die Babysprache der "Teletubbies" die Sprachentwicklung der Kinder hemmt; dass ständig alles wiederholt wird; dass die Serie in einer irrealen Welt spielt; dass zu viel gespielt wird und ‚zu viel um bedeutungslose Dinge herumgetanzt wird‘, und dass zu wenig vermittelt wird, zum Beispiel wie man Buchstaben oder Zahlen schreibt. Häufig wird auch behauptet - was überhaupt nicht stimmt - dass das Programm gar keine ‚echte‘ Sprache enthält. Und bezeichnenderweise scheinen viele Kritiker besorgt darüber, dass in den Sendungen zu wenig Erwachsene vorkommen.

In gewisser Weise kann man die Zeitungskritiken auch aus der langen Tradition heraus betrachten, wonach die Presse mit Vorliebe Medienrivalen attackiert. Trotzdem offenbaren diese Reaktionen auch eine Menge über sich ändernde Definitionen des Begriffs ‚Bildung‘ und was dazugehört - und das in einer Zeit, die das Motto ‚zurück zu den Ursprüngen‘ hat. Bezeichnend war hier auch, dass der damals neue Schulminister der Regierung, Stephen Byers, im Juli 1997 eine hochtrabende Rede hielt, in deren Verlauf er die "Teletubbies" als Beispiel für die ‚Verdummung‘ der britischen Kinder anführte - obwohl er später (selbstverständlich) zugeben musste, dass er die Sendung eigentlich nie gesehen hatte.

Diese Kritiken spiegeln daher grundlegende Bedenken bezüglich ‘Bildung und Erziehung’ wider - und ganz besonders das Verhältnis von Bildung und Freizeit der Kinder, in der das Fernsehen offensichtlich eine wichtige Rolle spielt. In den vergangenen Jahren hat sich der Ort, an dem Bildung hauptsächlich vermittelt wird, zu verschieben begonnen: Gerade bei Eltern der Mittelschicht ist immer stärker der Eindruck entstanden, dass die staatliche Bildung allmählich versagt, und dass es an ihnen liegt, diese Lücken mit eigenen Mitteln zu schließen. Dass wieder mehr Wert auf Hausaufgaben gelegt wird und der unglaubliche Boom bei Computern und Arbeitsheften zeigt den gestiegenen Wettbewerbsgedanken, der durch die landesweiten Prüfungen geschaffen wurde. In mancher Hinsicht ist dies natürlich bloß noch das Endstadium des Rückschlages gegen die gefährlich empfundenen liberal-progressiven Ideen zum Thema Bildung. Die neue Regierung führt die Debatte um die Rückkehr zu traditionellen Methoden an und befürwortet sie im Namen der ‚Modernisierung‘. In diesem Zusammenhang wird das Fernsehen allgemein zumeist als bildungsfeindlich eingestuft. Wenn es eine Rolle hat, dann nicht für ‚Verdummung‘, sondern für ‚Wissensverbreiterung‘ zu sorgen. Das Fernsehen soll Kinder nicht unterhalten: im Gegenteil, es soll Teil der Arbeit sein, die von ihnen erwartet wird, wenn sie nicht in der Schule sind.

Das Fernsehen soll Kinder
nicht unterhalten: im Gegenteil,
es soll Teil der Arbeit sein,
die von ihnen erwartet wird,
wenn sie nicht in der Schule sind.

Weil es bei den "Teletubbies" nun keinen rigorosen Buchstaben- und Zahlenerkennungsdrill gibt, wird einer solchen Sendung unweigerlich pädagogisches Versagen vorgeworfen. Tatsächlich ist es die etwas trotzige Philosophie der Produzentin Anne Wood, von der diese Serie stammt, die Kinder in den Mittelpunkt zu stellen. In Interviews und Pressemitteilungen betont sie immer wieder, dass Kinderprogramme aus der ‚Sicht der Kinder‘ gemacht werden sollten - ein Argument, das am deutlichsten in den kurzen Realszenen (Einspieler) bei den "Teletubbies" zu erkennen ist, die kleine Kinder beim Spielen oder im alltäglichen Leben zeigen, ohne dass dabei Erwachsene in Erscheinung treten. Kleine Kinder, so Wood, lernen nicht durch ‚Anleitung‘, sondern durch Spiel; und sie haben genauso wie die Erwachsenen ein Recht auf ‚Spaß‘ und ‚Unterhaltung‘. Kinder, wie es bei den "Teletubbies"geschieht, bewusst in den Mittelpunkt zu rücken, widerspricht der derzeitigen Bildungspolitik sehr; und die Tatsache, dass dies auch noch mit ausdrücklichen Querverweisen auf das Fernsehen selbst stattfindet - die "Teletubbies" haben ja sogar Bildschirme in ihren Bäuchen! - ist die Provokation schlechthin.

Man muss, wie ich meine, die "Teletubbies" in zweierlei Hinsicht im Zusammenhang mit den traditionellen britischen Vorschulprogrammen sehen. Einerseits hat die Serie viel gemein mit der kindbezogenen Art, Bildung zu vermitteln, wie es auch in der BBC-Serie "Playdays" und der ITV-Serie "Rainbow" gemacht wurde. Charakteristisch dabei sind Dokumentarbeiträge aus dem ‚echten Leben‘ und die Absicht, durch Spiel, Lieder und Reime zu lernen.. Hier lohnt auch, sich an die Kontroverse zu erinnern, die Ende der 60er Jahre um die BBC entbrannte, als man die U.S.-Serie "Sesamstraße" nicht kaufen wollte. Es gab mehrere Argumente (nicht in geringem Maße auch die klare Ablehnung amerikanischer Einflüsse), aber der Grund für die Ablehnung bei der BBC war der dominierende didaktische Ansatz: Dieser Buchstaben- und Zahlendrill in der "Sesamstraße" war nicht mit den ‚progressiveren‘, weniger lehrerhaften Methoden der BBC in Einklang zu bringen. Wenn man die "Teletubbies" zum Beispiel mit Barney vergleicht, wird man daran erinnert, dass es auf beiden Seiten des Atlantiks immer noch einen beachtlichen Unterschied in den vorherrschenden Art der Bildungsvermittlung gibt.

Gleichzeitig kann man die "Teletubbies" auch als jüngste Nachfolgeserie in einer parallel laufenden Tradition bei der Produktion von Unterhaltungsprogrammen für Kleinkinder sehen. Diese Tradition, die im großen und ganzen von Trick- und Puppenfilmen geprägt ist, lässt sich zurückverfolgen zu "Bill and Ben" in den 50er Jahren und "The Magic Roundabout" in den 60er Jahren bis hin zu den Serien der 70er und 80er Jahre wie "The Clangers", "Captain Pugwash", "Bagpuss" und "The Wombles", die momentan auf den Kabel- und Satellitensendern eine Renaissance als ‚Kultklassiker‘ erfahren. Häufig surrealistisch und bizarr sprachen diese Sendungen die Phantasie oft direkter an: in ihnen gab es menschenähnliche Figuren in Phantasiewelten, viel Nonsens, Wiederholungen und absurden Humor.

Letztlich mag es die Kombination dieser beiden Traditionen sein - von ‚Bildung‘ und ‚Unterhaltung‘ -, die die "Teletubbies" für Kritiker so problematisch macht. Obwohl sie grundsätzlich die pädagogischen Inhalte, wie sie traditionell in Bildungsprogrammen enthalten sind, teilen, weichen sie auch in mancher Hinsicht davon ab: Zum Beispiel sind die Familienszenen im Alltag nicht ‚realistisch‘, denn es gibt keinen erwachsenen Moderator, der Sicherheit vermittelt. Und obwohl die "Teletubbies" zum Teil die Tradition des Surrealistischen und Phantastischen früherer Unterhaltungssendungen weiterführen, gibt es deutlich stärkere Lernansätze.

Hier, wie auch in so vielen anderen Bereichen von Kindermedien, mag das Verhältnis von ‚Bildung‘ und ‚Unterhaltung‘ einen grundlegenden Wandel erfahren haben. Natürlich ist Unterhaltung immer lehrreich, und zwar in dem Sinn, dass wir ‚irgend etwas‘ daraus lernen; und Bildung muss in gewisser Weise unterhaltsam sein, zumindest wenn sie Interesse am Lernen wecken soll. Vielleicht ist diese Unterscheidung in sich schon falsch oder zu vereinfacht - so die Behauptung von Generationen von Lehrern und Medienmachern. Und doch, im Licht der derzeitigen Veränderungen sowohl bei der Bildung als auch beim Fernsehen, scheint diese Unterscheidung wieder oberstes Gebot geworden zu sein - zumindest bei denjenigen, die Veränderungen am stärksten ablehnen.

Laa-Laa und Dipsy mit einem Wildhasen im Teletubbyland

Kinder- und Erwachsenenpublikum

Die vorangegangenen Argumente deuten darauf hin, dass die Ansichten der Erwachsenen über Kinderprogramme oft von nostalgischen Erinnerungen an die eigene Kindheit geprägt sind. Auch hier mag das Phänomen um die "Teletubbies" einiges über die sich ändernde soziale Bedeutung von Kindheit aussagen, und über die Art und Weise, wie diese Bedeutung zustande kommt und definiert wird.

Allem Anschein nach sind die "Teletubbies" bei ihrem Zielpublikum außerordentlich beliebt. Die Serie entwickelte nicht nur bei wesentlich älteren Zuschauern einen beachtlichen Kultstatus, zumindest in der ersten Zeit. Beispielsweise war das Programm in einer Grundschule im Norden Londons, wo ich vor ein paar Jahren ein Forschungsprojekt durchführte, ein unausweichliches Gesprächsthema. Die Sechs- und Siebenjährigen konnten oft gar nicht laut genug kundtun, dass sie die Sendung nicht im geringsten interessiert und beschimpften sie heftig als ‚Babykram‘. Wenn sie dann die Sicherheit des Alters von neun oder zehn Jahren erreicht hatten, gelang es ihnen, die "Teletubbies" mit einer gewissen subversiven Ironie zu betrachten - obwohl es unter Kindern mit kleineren Geschwistern oft immer noch kategorische Ablehnung gab. Wie man sehen kann, hing die Beurteilung der Sendung eng mit dem Versuch zusammen, sich als mehr oder minder ‚erwachsen‘ zu sehen.4

Genauso berichteten Kollegen aus weiterführenden Schulen, dass die Hefte und Taschen der Schüler oft mit "Teletubbies"-Devotionalien geschmückt waren, und dass mehrere fäkalsprachliche oder obszöne Versionen des Titelliedes im Umlauf waren. Es schien, dass die Sendung auch bei Studenten eine beachtliche Anhängerschaft hatte. In den Monaten der Erstausstrahlung tauchten eine Anzahl Fan-Webseiten im Internet auf, die anscheinend von Studenten gebastelt worden waren; und viele neue Webseiten sind seit dem Programmexport in die USA erschienen. Die höchsten Weihen der Akzeptanz in der Jugendkultur kamen im Juli 1997, als das führende Lifestyle-Magazin "The Face" einen fünfseitigen Bericht über "Teleclubbers" brachte. Darin hieß es, dass es zu den ‘coolsten’ Dingen überhaupt gehörte, wenn Ravers sich vom chemisch induzierten Wahnsinn der vergangenen Nacht beim ‚chill-out‘ zur Entspannung auch die "Teletubbies" ansahen.

Anne White sagte dazu, dass die BBC ihr möglichstes tat, diese ‚Kultgemeinde‘ fernzuhalten, indem man beispielsweise damit drohte, inoffizielle Webseiten zu verklagen, und indem man sich weigerte, die Figuren auch für Erwachsenenkleidung zu lizenzieren. Zum einen wollte man damit das Vorschulpublikum verteidigen, zum andern ging es aber natürlich auch um den Warenschutz. Inzwischen hat der Kultstatus der "Teletubbies" bei älteren Kindern und jungen Erwachsenen längst den Höhepunkt überschritten: Obwohl sie noch nicht vollkommen ‘uncool’ sind, gilt große Begeisterung für die Sendung inzwischen als eindeutig passé.

Obwohl der "Teletubbies"-Kult bei älteren Zuschauern nur zeitlich begrenzt war, könnte man in ihm auch einen allgemeinen Sinn für Ironie sehen, der die moderne Popkultur immer stärker durchsetzt. Daher wurde in den vergangenen zehn Jahren "Retro-TV" zumindest in Großbritannien und den USA immer beliebter. Mit der Vermehrung der Kanäle und dem steigenden Bedarf an wiederaufbereitetem alten Material, ist Ironie zu einem wertvollen Marketingwerkzeug für Programmplaner geworden. Was früher verächtlich als ‚Wiederholung‘ abgetan wurde, kommt heute auf Kanälen wie Nick at Nite in den USA und Channel Four in Großbritannien neu verpackt, mit geistreichen Kommentaren und ‚zeitgenössischen‘ Grafiken. Zwischenzeitlich übernehmen Sendungen wie "Mystery Science Theatre 3000" wirkungsvoll die ‚Arbeit‘, ironische Sendungen herauszupicken.

Es konnte nicht ausbleiben, dass auch das Kinderprogramm auf diese Idee kam. Vor ein paar Jahren landete die BBC mit der Wiederholung von Gerry-Anderson-Trickfilmen aus den 60er Jahren einen beachtlichen Erfolg; und die "Thunderbirds" erfreuten sich eines kurzen Daseins als West End-Show in London. (In Kürze kommt ein Live-Action-Film in voller Länge heraus.) Der Markt für neu aufgelegte Kassetten mit Kinderprogrammen aus den 50er, 60er und 70er Jahren ist heute beachtlich - und man sieht auch schon Wiederholungen der bizarreren Trick- und Puppenfilme aus den 70ern.

Hier passieren verschiedene Dinge. Wie ich schon andeutete, ist es zum Teil auch eine Marketingstrategie - eine clevere Methode, Sendungen für ein neues Publikum bei minimalem finanziellen Einsatz wiederaufzubereiten. Das Recycling beliebter Programme richtet sich an mehrere Zuschauergruppen: Die Erwachsenen freuen sich über "The Wombles" oder "Captain Pugwash" mit einer Mischung aus Nostalgie und Ironie; ihre Kinder sind dabei ganz unvoreingenommen, weil es für sie das erste Mal ist. Was noch wichtiger dabei ist: Eltern und Kinder können diese Sendungen zusammen anschauen. Das dürfte bei Serien wie den "Mighty Morphin' Power Rangers" oder bei einigen der anderen (für Erwachsene) schwer zugänglichen aktuellen Trickserien eher weniger der Fall sein. Diese Nostalgie bei den Erwachsenen mag ja regressiv oder infantil sein - die Sehnsucht nach einer einfacheren Zeit, in der Männer noch Männer waren und Frauen ihren Platz kannten. Dennoch ist da auch das Gefühl der Überlegenheit gegenüber der Vergangenheit - nämlich der eigenen Vergangenheit: Ungläubigkeit darüber, dass wir so einen Unsinn jemals ernstnehmen konnten.

Die schnell einsetzende Ironie, der die "Teletubbies" gleich zu Beginn begegneten, spiegelt eine ähnliche Ambivalenz unseres Verhältnisses zur Kindheit wider. Andererseits verkörpern die "Teletubbies" eine Art Unschuld, die Erwachsene typischerweise als ‚putzig‘ oder ‚süß‘ beschreiben. Die Phantastereien der "Teletubbies" neigen oftmals leicht zum Anarchischen, Absurden, das durch die ausdruckslose Art des erwachsenen Sprechers noch verstärkt wird. Die Szenerie der Sendung wirkt sehr surreal oder hyper-real, und die Zeitschrift "The Face" war nicht allein in ihrer Beschreibung, dass die "Teletubbies" etwas ‚Psychedelisches‘ und ‚Halluzinatorisches‘ haben. Am offensichtlichsten ist die Verwandtschaft zu "The Magic Roundabout", einer Kindersendung aus den 60er Jahren, die von den Hippies aufgrund ihrer unausgesprochenen Hinweise auf die Drogenkultur heiss geliebt wurde.

Man könnte meinen, dass die Intensität unserer Reaktionen auf diese Programme die Tiefe und Ambivalenz dessen widerspiegelt, was Erwachsene in Kindheit investieren - sowohl in die eigene Kindheit als auch in die Idee von Kindheit selbst. Aus der einen Perspektive könnte man den Erfolg der "Teletubbies" bei jungen Leuten und Erwachsenen als eine Form von Regression oder Infantilität sehen - oder zumindest als weiteren Beweis dafür, dass sich die Grenzen zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt verwischen. Man könnte es aber auch als notwendigen Prozess interpretieren, ‚kindliche‘ Freuden wieder aufleben zu lassen - an albernen Geräuschen und Spielen, an Anarchie und Absurdität - und Ironie ist dafür ein praktisches Alibi. So könnte man sagen, dass sowohl das Erwachsenendasein wie auch die Kindheit ein Provisorium sind, das je nach Bedarf den verschiedenen Ansprüchen entsprechend in die eine oder andere Richtung definiert und gestaltet werden kann.

In diesem Zusammenhang wird der Begriff ‚Kindlichkeit‘ - wie davor ‚Jugend‘ - zu einem symbolischen Gut, das sich bei Konsumenten vermarkten lässt, deren biologischer Status sie schon um einiges vom Zielpublikum entfernt hat. Es sind nicht einfach nur die Kinder, die die Idee von Kindheit kaufen, sondern auch die Erwachsenen. Sie tun es nicht nur der Kinder wegen, sondern auch für sich selbst.

Zusammenfassung

Die Interpretation eines jeden Kinderprogramms hat viele Tücken - um so mehr vielleicht, wenn es sich um ein Programm handelt, das an ein sehr junges Publikum gerichtet ist. Als Erwachsene sind wir nicht das Zielpublikum. Daher besteht das beträchtliche Risiko, Dinge ‚falsch zu sehen‘, sie zu wörtlich zu nehmen, oder einfach in die Überheblichkeit abzurutschen. Es ist so einfach, solche Sendungen als langweilig oder simpel, oder alternativ als putzig, anarchistisch oder surrealistisch einzustufen - alles charakteristische Reaktionen Erwachsener auf Kinder. Die Gefahr besteht, dass man erwachsene Maßstäbe ansetzt und dabei Annahmen über die Zuschauer macht, die nicht gerechtfertigt sind. Es ist ein leichtes, Anspielungen im Text oder symbolische Assoziationen ausfindig zu machen oder auf der ‚Jagd nach Klischees‘ zu sein. Damit erfahren wir aber nur wenig darüber, wie Kinder selbst das interpretieren, was sie sich anschauen und wie sie dazu stehen. Vielleicht ist es diese innewohnende Instabilität - und das Verwischen der Grenzen, das damit einhergeht - was die "Teletubbies" zum idealen Träger für Bedenken und Phantasien macht. Letztlich sagen unsere Reaktionen darauf vielleicht wesentlich mehr über uns selbst aus als über das beabsichtigte Publikum.

 

ANMERKUNGEN

1 Ich behandle diese Thematik ausführlicher in meinem Buch "After the death of childhood: Growing up in the age of electronic media’. Cambridge: Polity (im Druck).

2 Kritische Anmerkungen zu dieser Debatte und zu dem breiteren historischen und wirtschaftlichen Zusammenhang finden sich in: David Buckingham, Hannah Davies, Ken Jones and Peter Kelley:‘Children’s television in Britain: History, discourse and policy". London: British Film Institute 1999.

3 Zu weiteren nützlichen Diskussionen dieser Thematik vgl. Ellen Seiter: "Sold separately: parents and children in consumer culture". New Brunswick: Rutgers University Press, 1993.

4 Vgl. weiterhin: Hannah Davies, David Buckingham and Peter Kelley: "In the worst possible taste? Children, television and cultural value". In: European Journal of Cultural Studies (im Druck) 1999.


DANK Ich möchte Peter Kelley und Hannah Davies für ihre Unterstützung danken. Diese Arbeit entstand als Teil eines von der ESRC finanzierten und im Institute of Education der Universität London durchgeführten Projekts mit dem Titel "Die Medienkultur der Kinder" (L126251026).

DER AUTOR

David Buckingham, Dr. phil.,

ist Dozent am Institute of Education der University of London, Großbritannien.

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