Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, IZI

Ausgabe: 13/2000/2 - TEXTAUSZUG:


Frank Beckmann

Gut gezielt und doch daneben

Über die Zielgruppe der 10- bis 15-Jährigen im Kinderprogramm



Kleine Kinder und Jugendliche in einem Spartenkanal altersgerecht zu bedienen, gleicht einem Spagat. Programmerweiterung in der Prime-Time wäre die Lösung.

Der Begriff "Zielgruppe" hat für Fernsehmacher auf den ersten Blick etwas Beruhigendes, scheint es doch so, dass Treffer wahrscheinlich sind, wenn man nur gut zielt. Auf eine Gruppe gut zielen, legt überdies nahe, dass es - einer Dartscheibe gleich - irgendwo eine Stelle mit der höchsten Punktzahl gibt. Man muss nur die Richtung kennen und schon wird Fernsehen kalkulierbar, der quantitative Erfolg zu einer programmierbaren Größe.
Die Realität allerdings sieht anders aus. Die Zielgruppe ist längst kein statisches Gebilde, das sich einfach anpeilen lässt. Sie ist ständig in Bewegung. Wer ins Schwarze treffen will, der braucht Intuition, der muss Trends erkennen und Entwicklungen vorausahnen.
Bei der Zielgruppe der 10- bis 15-Jährigen sind solche Trends kaum auszumachen, zu unterschiedlich sind die Interessen. Während mancher 10-Jährige noch Sammelkarten tauscht, geraten 15-Jährige erst bei dem Besuch eines Popkonzerts in Verzückung. Manche sind Computerspiel-Experten, andere wissen mit Steigbügel und Halfter etwas anzufangen. Die Zielgruppe der 10- bis 15-Jährigen, über die in diesem Heft diskutiert werden soll, ist äußerst heterogen. Eine Schnittmenge ist schwer zu erkennen. Wer trotzdem versucht, Programme zu entwickeln, die alle Bedürfnisse zu gleichen Teilen berücksichtigen, der hat gut gezielt und liegt doch daneben.
Der Kinderkanal von ARD und ZDF hat auf den ersten Blick eine etwas leichtere Aufgabe. Schließlich liegt seine Altersgrenze bei 13 Jahren. Und doch steht der KI.KA vor dem gleichen Problem: ein Programm "für alle bis 13" subsumiert die Bedürfnisse der Fernsehanfänger und die Interessen der Teenager gleichermaßen. reläxx - Logo einer Erfolgssendungen Zielgruppenkonflikte sind unvermeidlich. Der programmliche Spagat wird zur täglichen Pflichtübung. Ein öffentlich-rechtliches Kinderprogramm muss die Alternative zu kommerziellen Programmen sein. Der KI.KA hat die Aufgabe, Trends zu setzen. Er muss Experimente wagen, ohne dabei allein auf die Marktanteile zu schielen. Die ganze Bandbreite des Fernsehens aufzufächern, das ist das Angebot, das der KI.KA kleinen und großen Zuschauern machen soll: von Trickserien über Game-Shows, Realserien und Infoprogramme bis hin zu Nachrichten für Kinder.


Paradebeispiel "Teletubbies"

Vielfalt und Qualität spiegeln sich nicht nur in unterschiedlichen Genres wider. Auch die vielfältigen Bedürfnisse der heterogenen Zielgruppe müssen im Programm ihren Platz finden. So war die Einführung der "Teletubbies" ein Meilenstein in der jüngeren Fernsehgeschichte. Zum ersten Mal orientierte sich eine Fernsehsendung an den kognitiven Fähigkeiten von Fernsehanfängern. Die Sendung polarisiert. Jeder 3-Jährige versteht die "Teletubbies", manchem 13-Jährigen bleibt die innere Logik des Programms dagegen verborgen.
Diskutiert man die Sinnhaftigkeit von Programmen für 10- bis 13-Jährige, so kann man zwei Dinge von den "Teletubbies" ableiten: erstens, es ist möglich, ein Programm sehr eng an den Bedürfnissen einer Zielgruppe zu orientieren. Und zweitens, je exakter man eine Zielgruppe anspricht, desto größer ist das Risiko, andere auszugrenzen. Was bei 3-Jährigen hervorragend funktioniert, wirkt auf 13-Jährige eher befremdlich und umgekehrt.
Was mit den "Teletubbies" bei Fernsehanfängern gelungen ist, wird bei den Teenagern häufig als "unmöglich" bezeichnet. Programme für diese Zielgruppe zu entwickeln, gehört tatsächlich zu den größeren Herausforderungen im Kinderprogramm, denn den 10- bis 13-Jährigen fällt es nicht leicht, sich mit einem Programm zu identifizieren, das für Kinder gemacht ist. Natürlich wird geguckt, aber oft heimlich. Zudem sind die Interessen der 10- bis 13-Jährigen wenig greifbar. Ihre Sehgewohnheiten reichen von "Biene Maja" bis "Big Brother", von "Wetten, dass...?" über "Formel 1" bis hin zu den Beatz per Minute: Daniel Aminati Videoclips der Musiksender.
"Ältere Kinder schauen sich vieles an, nur nicht die Programme, die für sie gemacht sind." Das Lamento wird immer häufiger angestimmt, und doch wird es dadurch nicht wahrer. Kinder im Alter zwischen 10 und 13 Jahren sind immer noch Kinder, auch wenn sie sich selbst nicht so erleben. Sie suchen nach Orientierung. Und daher dürfen wir diese Zielgruppe nicht bei "Big Brother" abgeben.
Die Teenager - sie würden sich selbst kaum so bezeichnen - haben eine eigene Sprache, eigene Probleme und eigene Lebensumstände. Sie haben eine eigene Identität. Das Fernsehen muss, wenn es diese Zielgruppe ernst nehmen will, auch Angebote machen, die diese Identität widerspiegeln. Dabei muss man auch das Risiko in Kauf nehmen, nicht alle Zielgruppen zugleich ansprechen zu können. Polarisierung ist notwendig, um glaubwürdig zu bleiben. Die Themen rekrutieren sich nicht nur aus den Bereichen Spaß oder Fun. Auch Leistungsdruck in der Schule, das Erleben von Gewalt, der Rückzug der Familie als Sozialisationsinstanz sind Teil ihrer Lebenswelt.

Programmentwicklungen im Kinderkanal

Der KI.KA hat stets versucht, die schwierige Zielgruppe der 10- bis 13-Jährigen in den Fokus zu rücken. Und tatsächlich ist es gelungen, Formate zu entwickeln, mit denen man die Älteren erreichen kann.
Mit "Schloss Einstein" hat der Kinderkanal von ARD und ZDF eine Marke etabliert, die exakt die Perspektive von Kindern abbildet. Auf "Schloss Einstein" werden Themen aufgegriffen, die von den 10- bis 13-Jährigen erlebt werden. Nicht eine US-amerikanische Highschool, sondern ein deutsches Internat bildet die Kulisse für Geschichten über Freundschaft, Eifersucht, Schule und Familie. Es sind glaubwürdige Geschichten, die im Hier und Jetzt spielen. So fällt es den Zuschauern leicht, sich mit der Serie zu identifizieren.
reläxx: Moderator Karsten BlumenthalDas ist nicht nur ein Erfolg der Dramaturgie, es ist auch das Ergebnis einer sorgfältigen Auswahl der Protagonisten. Helden sind wichtig. Zu Identifikationsfiguren kann man aufblicken, man kann mit ihnen leiden. Sie stellen die Nähe zum Publikum her und werden mit ihren Schwächen sympathisch.
Zudem ist das Konzept von "Schloss Einstein" in besonderer Weise geeignet, die 10- bis 13-Jährigen an den KI.KA zu binden. Das Format ist als lang laufende Serie angelegt. Die Zuschauer können ihre Helden über einen großen Zeitraum begleiten. Auch das schafft Nähe und trifft den Nerv dieser Zielgruppe (s.a. Interview in diesem Heft).

Neben den fiktionalen Programmen bilden Informationssendungen eine weitere wichtige Säule, um die älteren Kinder an den KI.KA zu binden.
Das Musik-Magazin "Beatz per Minute" zum Beispiel erläutert die Hintergründe des Musikgeschäfts. Der Moderator, Daniel Aminati, hat langjährige Erfahrungen als Leadsänger der Gruppe "Bed and Breakfast". Die Präsentation ist glaubwürdig, die Themen sprechen die 10- bis 13-Jährigen an. Auch das Trendmagazin "Reläxx" - mit Karsten Blumenthal als einer herausragenden Identifikationsfigur - beschäftigt sich mit der Lebenswelt der älteren Kinder. Der Look dieser Sendungen ist modern und orientiert sich an der Ästhetik der Videoclips. Inhalt, Form und Präsentation bilden eine Einheit und erleichtern den 10- bis 13-Jährigen den emotionalen Zugang zu diesem Format.
Es ist also durchaus möglich, erfolgreiche Formate für die 10- bis 13-Jährigen zu entwickeln, die auch dem qualitativen Anspruch des KI.KA genügen. Aufgabe der Programmplanung ist es, diesen Formaten exponierte Sendeplätze zuzuweisen. Um die älteren Kinder für den Sender zu begeistern, müssen sie regelmäßig Angebote im Programm entdecken. Singuläre Events verfehlen oft ihre Wirkung. Nur mit einem erheblichen Marketing-Aufwand können sie sich im Konkurrenzumfeld durchsetzen. Statt dessen müssen Sendezeiten gelernt werden. Sendungen darf man nicht immer wieder neu in den Programmzeitschriften suchen müssen. Die Sendeflächen sollten gekennzeichnet sein, um wieder gefunden zu werden.
Für den KI.KA ist das Ausweisen von Sendeflächen für ältere Kinder auch noch aus einem anderen Grund von großer Bedeutung: Die Aufgabe, Programme "für alle bis 13" zu produzieren, führt gerade bei Eltern zu dem Missverständnis, dass alle Sendungen auch für die Jüngeren geeignet sein müssen. In den Protokollen, die die Zuschauerredaktion von den Telefonaten mit den Eltern führt, tauchen daher immer wieder Beschwerden auf: "Ausdrücke aus der Fäkalsprache gehören nicht in ein Kinderprogramm." "Emanzipation ist kein Thema für Kinder." "Mein Kind hat Angst vor dem Spielzeuglöwen in den ‚Teletubbbies‘ - bitte senden Sie diese Folge nicht mehr."
Die Anliegen der Eltern sind berechtigt. Und doch, wenn ein Spielzeuglöwe das gruseligste Bild ist, das dem Kinderkanal zu senden erlaubt ist, sind Programmangebote für ältere Kinder ausgeschlossen. Die Interessen von Fernsehanfängern und 13-Jährigen sind genau so wenig kongruent wie die Programme für die unterschiedlichen Zielgruppen. Aber genau das ist es, was viele Eltern vom Kinderkanal erwarten: Jedes Programm muss zur Lebenswelt der Jüngeren kompatibel sein. Für den KI.KA ein Spagat, der nur mit Dehnübungen zu bestehen ist. Es ist daher notwendig, Räume zu kennzeichnen, die für Ältere reserviert sind. An diesen Plätzen muss sich der Kinderkanal mit ihren Themen beschäftigen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, unglaubwürdig zu sein.
Zugegeben, es gibt andere Möglichkeiten, die Bedürfnisse der älteren Kinder zu berücksichtigen, ohne die Interessen der jüngeren zu vernachlässigen. In anderen europäischen Ländern will man das Problem lösen, indem zwei Kinderkanäle installiert werden sollen. So kann sich ein Kanal dem Vorschulprogramm widmen, der andere Kanal hat die Chance, sich um die älteren Kinder zu bemühen. Auch in Deutschland sind ähnliche Bestrebungen im Pay-TV angekündigt.

Sendeplätze in der Prime-Time

Aus Sicht des Kinderkanals von ARD und ZDF ist dieser Weg für den deutschsprachigen Raum allerdings wenig realistisch. Aufgrund der Knappheit der Kabelplätze erscheint mittelfristig eine andere Lösung sinnvoller: die Verlängerung der Sendezeit des KI.KA nach 19 Uhr. Die Programmerweiterung hätte zum einen den Vorteil, dass der KI.KA endlich auch dann senden kann, wenn die meisten Kinder fernsehen. Schließlich liegt die Prime-Time der Kinder zwischen 19 Uhr und 21 Uhr.
Zum anderen wäre es möglich, Flächen für die älteren Kinder anzubieten. Aufgrund des späteren Ausstrahlungstermins wären diese Programmangebote für kleinere Kinder unproblematisch. Dem KI.KA kann es so gelingen, mehr noch als bisher auch die Teenager zu erreichen. Schließlich gehört es zu den Aufgaben des KI.KA, auch den 10- bis 13-Jährigen ein vielfältiges und zielgruppenadäquates Programm zu bieten, von dem man sagen kann: gut gezielt und auch noch getroffen.



DER AUTOR

Frank Beckmann ist Programmgeschäftsführer von KI.KA, dem Kinderkanal von ARD und ZDF in Erfurt.

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