|
|
Ben Bachmair, Clemens Lambrecht, Claudia
Topp
Familien vor dem Bildschirm
Diskussion einer
Programm- und Nutzungsstichprobe
Das Familienprogramm besteht nicht nur
aus Einzelsendungen bzw. Programm-Hits. Familien nutzen auch Programmflächen,
deren Inhalte für Kinder häufig problematisch sind.
1. Fernsehen im
Aufgabenfeld der Familie
Fernsehen ist
alltäglich selbstverständlicher Teil des Sozialsystems
Familie. Bettina Hurrelmann1
hat in ihrer heute immer noch gültigen Untersuchung entfaltet,
welche Bedeutung Fernsehen damit bekommen hat und welche Erziehungsprobleme
in der Sicht der Eltern daraus erwachsen. Als Teil des Familiensystems
geht Fernsehen, von der Rezeptionssituation, der Nutzungsmenge,
den Zeiten, wann der Fernseher eingeschaltet ist, bis hin zu den
Programminhalten, in den "Sozialisationskontext" (S. 24) der Familien
ein. Familie bietet Kindern Formen der Alltagsorganisation, stellt
vermittelnd den Zusammenhang zu ihrer Umwelt her und gestaltet zwischenmenschliche
Beziehungen. In diesem Gefüge von Beziehungsgestaltung, Alltagsorganisation
und Umweltvermittlung entwickeln Kinder ihr Verhältnis zur
Schule bzw. zum Kindergarten, zu Konsum und Arbeit, zu Freizeit,
Kultur usw.
1.1 Familienfunktionen: Beziehungsgestaltung,
Alltagsorganisation und Umweltvermittlung
Ein erstes Bündel von Fragen bezieht
sich darauf, wie aktuelle Programmangebote des Fernsehens in dieses
Gefüge von Beziehungen, Alltag und Umwelt möglicherweise
eingehen:
"Der Fernsehgebrauch
[...] gliedert sich in die Alltagsorganisation der Familie ein,
konstituiert sie sogar nicht selten mit. Er hat seine Funktion
für das Gesamtsystem Familie, für die verschiedenen
Subsysteme und für jedes einzelne Familienmitglied. Mittels
Fernsehen werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Familienmitglieder
betont, stellt man Nähe her oder grenzt sich von anderen
ab. Fernsehen ermöglicht Erfahrungen außerhalb der
familialen Grenzen und dient den Eltern zur Normvermittlung."
(S. 160)
Die Möglichkeitsform des könnte
ist in diesem Vermittlungszusammenhang ernst zu nehmen. Natürlich
lassen sich von Familien bevorzugte Programme identifizieren. Offen
bleibt trotzdem, was sich Familienmitglieder aus dem Programm herausholen.
Medienwissenschaftlich spröde formuliert sind Fernsehprogramme
Textangebote, die sozusagen auf der Oberfläche etwas Offensichtliches
anbieten. Unter der Oberfläche eines Fernseh-Textes lässt
sich jedoch noch vieles finden, das mehr oder weniger nahe liegt,
aber auch Angebote, die nur für wenige Zuschauer bedeutsam
werden. Über diese Tiefenstruktur eines Fernsehprogramms können
Rezipienten in der Regel kaum etwas mitteilen, weil es ihnen sprachlich
nur verdeckt verfügbar ist. Es lassen sich medienanalytisch
jedoch Vermutungen entwickeln, was in den von Familien präferierten
Programmen alles angelegt ist und was davon rezipiert werden könnte.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich
folgende Arbeitsfrage: Was bieten die von einem Familienpublikum
bevorzugten Fernsehprogramme für die Vermittlungsaufgabe der
Familie, d.h. für Beziehungsgestaltung, Alltagsorganisation
und Umweltvermittlung?
1.2 Erziehungsaufgabe Fernsehen: Nutzungsmuster,
emotionale und kognitive Verarbeitung
Ein zweites Bündel von Fragen ergibt
sich aus den Problemen, die Familien bei ihrem technischen Kommunikationsmitglied
Fernsehen entdecken. Sie sind deutlich abhängig von der Familienform,
die sich auch an der Zahl der Familienmitglieder und der damit zusammenhängenden
Problembelastungen orientiert. Ob Kinder viel sehen, problematische
Nutzungsmuster entwickeln, Programme weder kognitiv noch emotional
einordnen oder verarbeiten, steht in enger Verbindung mit der Problembelastung
einer Familie und der Nähe, die Eltern in ihrem Familiensystem
zum Fernsehgebrauch ihrer Kinder entwickeln. Generalisierbar dürfte
jedoch folgendes Problembündel sein, das Eltern in Sachen Fernsehgebrauch
ihrer Kinder erleben und eventuell auch bedenken:
Im Mittelpunkt der Beurteilung von Eltern
steht die Menge des Fernsehkonsums der Kinder, die Eltern mit einem
Rezeptionsmuster ihrer Kinder in Beziehung setzen.
(Rezeptionsmuster entsteht aus "Fernsehstil" wie Switchen und "Fernsehinteressen").
Fernsehmenge und Rezeptionsmuster, das ist das Nutzungsmuster
von Kindern, verbinden sich in der Problemwahrnehmung von Eltern
mit Ängsten, die Fernsehen bei ihren Kindern hervorruft, und
ob ihre Kinder die Inhalte verstehen. Bettina Hurrelmann u.a. (S.
98) skizzieren folgendes Problembild:
"Kinder, die relativ
häufig und viel fernsehen, entwickeln meist auch ungünstige
Nutzungsroutinen, die Muster ihrer Fernsehinteressen wirken entdifferenziert,
der Konsum erscheint oft wahllos, die Inhalte nicht mehr altersgemäß.
Hinzu kommt oft ein Rezeptionsstil, der durch Ablenkung, mangelnde
Aufmerksamkeit und Unkonzentriertheit geprägt ist. Die Inhalte
können so häufig nicht verarbeitet werden. [...] Unkonzentriertes
Fernsehen bedingt eine zunehmende Entdifferenzierung der Fernsehinteressen
(das Zappen etwa dient oftmals nicht der Suche nach ganz spezifischen
Sendungen, sondern gleicht einem ‚Schlendern’ durch das Programm).
Und umgekehrt ist kaum noch konzentriertes Zuschauen möglich,
wenn alles gleich interessant (oder uninteressant) erscheint.
Wahlloses Fernsehen aber erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass
die Kinder auch Ungeeignetes oder zumindest nicht Altersgemäßes
sehen: Unverständliches kann zu Ängsten führen,
starke emotionale Beteiligung kann zur dominanten Erlebnisform
werden und die kognitive Verarbeitung beeinträchtigen."
Arbeitsfragen: Ist das von
einem Familien-Publikum bevorzugte Programm wahllos zusammengesetzt
und liefert eine mögliche Wahllosigkeit den Ansatzpunkt für
diffuse Nutzungsmuster (Menge, Fernsehstil und Fernsehinteressen)?
Was ist in den von einem Familien-Publikum präferierten Programmangeboten
angelegt und wie können Kinder damit emotional und kognitiv
umgehen? Welche Hilfen bräuchten Kinder, um sich nicht zu ängstigen
oder überfordert zu sein?
1.3 Methode: Programmpräferenzen
fiktiver Familien
Die folgende Diskussion von Fernsehprogrammen,
die ein Familien-Publikum bevorzugt, basiert auf den Einschaltquoten
der GfK, die in ihrer allgemeinen Form nichts über Nutzungsmuster
aussagen. Es lassen sich aus einer Liste der von Familien bevorzugten
Fernsehprogramme jedoch Vermutungen über die mögliche
emotionale und kognitive Verarbeitung entwickeln. Zu diesem Zweck
ist es nötig, eine fiktive Familie zu definieren. Die Programmvorlieben
dieser fiktiven Zuschauerfamilien bilden die Basis, um den Beitrag
des Fernsehens zur Funktion von Familien in Sachen Beziehungsgestaltung,
Alltagsorganisation und Umweltvermittlung zu erörtern.
Zuschauerfamilie
Eine Familie zeichnet sich selbstverständlich
durch Kinder aus. Alle Alterskategorien der GfK für zuschauende
Kinder (Kindergarten: 3 - 5 Jahre, Grundschulkinder: 6 - 9 Jahre,
ältere Kinder: 10 - 13 Jahre) bilden deshalb die Datenbasis,
um eine Zuschauerfamilie zu definieren. Außerdem gehören
ein Publikumsanteil von Zuschauern möglicher älterer Geschwister
(Jugendliche, GfK-Kategorie: 14 - 19 Jahre) und natürlich Zuschauer
im Alter von Eltern zur fiktiven Familie. Die Elterngeneration entsteht
aus zwei Kategorien der GfK: aus den 20- bis 29-Jährigen als
den jüngeren Eltern und aus den 30- bis 49-Jährigen als
zweiter möglicher Altersgruppe von Eltern. Da Drei-Generationen-Haushalte
unüblich sind, bleibt das Publikum im Alter der Großeltern
unberücksichtigt.
Definition von Familienprogramm
Der Forschungsweg zum Familienprogramm führt
über die Familiensehbeteiligung. Die Sehbeteiligungen der einzelnen
Mitgliedsgruppen der fiktiven Familie (Kinder, Jugendliche, Eltern
bis 49 Jahre) werden addiert. Dabei besteht die Gefahr, den Erwachsenen
rechnerisch zu viel Gewicht zu geben, da diese Gruppe zahlenmäßig
und auch von der durchschnittlichen Sehdauer her gesehen Kinder
und Jugendliche weit übertrifft. Außerdem leben mehr
20- bis 49-jährige Erwachsene als 3- bis 13-jährige Kinder
alleine und verfälschen so das Ergebnis "Familienfernsehen".
Als Übersicht und erste Orientierung für eine qualitative
Auswertung ist die Familiensehbeteiligung jedoch ein nützliches
Hilfsmittel. Die auf diese Weise entstandene, nach absteigender
Sehbeteiligung geordnete Liste wurde von Werbung, Sponsoring und
Trailern "befreit". Von Sendungen, die aufgrund von Werbeunterbrechungen
in mehrere Teile aufgespaltet sind, wurde nur der Teil mit der höchsten
Sehbeteiligung berücksichtigt (s. Abb.1).
Datenquelle: Die hier
verwendeten Daten der Jahre 2000 und 2001 stammen aus den Datenbanken
der "Bestandsaufnahmen zum Kinderfernsehen"2,
einem Kooperationsprojekt der Medienpädagogik der Universität
Kassel und des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend-
und Bildungsfernsehen beim Bayrischen Rundfunk. Die "Bestandsaufnahmen
zum Kinderfernsehen" ist eine verbundene Programm- und Rezeptionsanalyse
auf der Basis einer Stichprobe von drei Tagen (1 Wochentag, Samstag
und Sonntag in der Zeit von 6.00 bis 23.00 Uhr) des deutschen
Fernsehprogramms der Sender ARD, ZDF, RTL, RTL2, SuperRTL, PRO7,
SAT.1 und des gesamten Kinderprogramms von KI.KA und den Dritten
Programmen der ARD). In einer Datenbank sind die Nutzungsdaten
der GfK (Sehbeteiligung und Marktanteil) mit jedem Programmelement
verknüpft.
Hits
Wenn im Folgenden mit der Sehbeteiligung
der Familien argumentiert wird, so bezieht sich das auf die fiktive
Familie. Die Sehbeteiligungen der einzelnen Gruppen von Familienmitgliedern
(Kinder, Jugendliche und Eltern) werden zu einer Kennziffer "Familiensehbeteiligung"
addiert. Mit dieser errechneten Sehbeteiligung lassen sich Hitlisten
zusammenstellen, die ein mögliches Bild der Nutzungsmuster
einer fiktiven Familie zeigen. Dabei werden alle in der Datenbank
vorhandenen Programmelemente nach der errechneten Familiensehbeteiligung
sortiert. Die Liste der Hits fasst die Spitzenpräferenzen des
Programmangebotes zusammen.
Nutzungsflächen
Hit-Listen sind punktuelle Verdichtungen
von Programminteressen, die keinen Einblick in die zeitliche Dimension
der Nutzungsmuster eines Publikums geben. Selbstverständlich
sind Programm-Hits in Rezeptionsverläufe einer Publikumsgruppe
wie die der Familien eingebunden, über die sich mit der Kategorie
der Nutzungsfläche Aussagen machen lassen. So wartet
eine Familie nicht vor dem ausgeschalteten Fernseher auf den Anfang
einer Sendung und schaltet am Ende eines Hits auch nicht sofort
ab. Es entstehen vielmehr zeitflächenartige Nutzungsverläufe,
die Sendungen, auch Sendungsteile verbinden (Details siehe Punkt
3.1). Diese Art von Familiennutzungsflächen bilden das Umfeld
des Spitzenprogramms der Hits.
Aus Platzgründen lassen sich im Folgenden
Ergebnisse nur exemplarisch darstellen. Ein ausführlicher Bericht
findet sich auf folgenden Websites der "Bestandsaufnahmen zum Kinderfernsehen":
2. Die Bedeutung des Familienprogramms
für Alltag und Beziehung
Hitlisten und Nutzungsflächen geben
Einblicke in Nutzungsmuster von Familien, die einen Teil der Alltagsorganisation
einer Familie bilden. Ein Blick auf die Inhalte der bevorzugten
Programmangebote lässt zudem Schlüsse darüber zu,
welche Muster in die Beziehungsgestaltung von Familien eingehen.
2.1 Alltagsorganisation – Wann treffen
sich Familien zum gemeinsamen Fernsehen?
Was sieht die fiktive Familie am liebsten?
Abbildung 1
Hits des Familienprogramms aus den
Stichproben 2000 und 2001
|
|
Sender
|
Titel
|
Tag
|
Datum
|
Uhrzeit
|
Dauer
|
Seh 3-49
|
1
|
PRO7
|
Deep Impact
|
So
|
08.04.2001
|
22:01:31
|
00:29:39
|
6,70
|
2
|
RTL
|
Wer wird Millionär?
|
So
|
28.05.2000
|
19:52:48
|
00:14:32
|
5,22
|
3
|
RTL
|
Wer wird Millionär?
|
Sa
|
07.04.2001
|
21:12:11
|
00:02:42
|
5,09
|
4
|
RTL
|
Alarm für Cobra
11 - die Autobahnpolizei
|
Do
|
05.04.2001
|
21:45:13
|
00:18:10
|
4,74
|
5
|
RTL
|
Wer wird Millionär?
|
Sa
|
27.05.2000
|
19:57:31
|
00:09:29
|
4,43
|
6
|
RTL
|
Der verrückte Professor
|
So
|
08.04.2001
|
21:49:05
|
00:17:01
|
4,19
|
7
|
RTL
|
Gute Zeiten, schlechte
Zeiten
|
Do
|
05.04.2001
|
20:12:23
|
00:01:25
|
3,84
|
8
|
RTL2
|
Big Brother - Der Talk
|
So
|
28.05.2000
|
21:54:42
|
00:15:14
|
3,72
|
9
|
RTL
|
Waterworld
|
So
|
28.05.2000
|
22:36:13
|
00:14:36
|
3,70
|
10
|
SAT.1
|
Asterix bei den Briten
|
Sa
|
27.05.2000
|
21:52:49
|
00:07:45
|
3,48
|
11
|
ARD
|
Tatort
|
So
|
28.05.2000
|
20:16:28
|
01:27:04
|
3,33
|
12
|
RTL
|
Gute Zeiten, schlechte
Zeiten
|
Di
|
30.05.2000
|
20:12:22
|
00:02:35
|
3,32
|
13
|
RTL2
|
Big Brother
|
Di
|
30.05.2000
|
20:31:48
|
00:20:57
|
3,27
|
14
|
PRO7
|
The Game
|
Sa
|
27.05.2000
|
22:06:08
|
00:21:26
|
3,26
|
15
|
RTL
|
Medicopter 117 - Jedes
Leben Zählt
|
Di
|
30.05.2000
|
21:10:55
|
00:04:43
|
3,19
|
16
|
ZDF
|
ZDF Sport extra: Moderation
|
Di
|
30.05.2000
|
22:21:57
|
00:00:29
|
3,04
|
17
|
RTL2
|
Big Brother
|
So
|
28.05.2000
|
20:59:24
|
00:15:41
|
3,01
|
18
|
ZDF
|
ZDF Sport extra: Fußball
EM Vorbereitung
|
Di
|
30.05.2000
|
21:34:57
|
00:47:00
|
2,80
|
19
|
SAT.1
|
Der erste Ritter
|
Sa
|
07.04.2001
|
21:08:54
|
00:37:04
|
2,77
|
20
|
SAT.1
|
Die Quiz Show
|
So
|
08.04.2001
|
21:40:52
|
00:22:17
|
2,58
|
21
|
RTL
|
Notruf
|
So
|
08.04.2001
|
19:55:18
|
00:12:56
|
2,55
|
22
|
RTL
|
Im Namen des Gesetzes
|
Di
|
30.05.2000
|
21:15:38
|
00:03:16
|
2,47
|
23
|
SAT.1
|
French Kiss
|
So
|
28.05.2000
|
21:49:51
|
00:31:43
|
2,47
|
24
|
ZDF
|
ZDF Sport extra: Gewinnspiel
|
Di
|
30.05.2000
|
21:30:08
|
00:01:22
|
2,40
|
25
|
RTL
|
Big Brother - die Entscheidung
|
Sa
|
07.04.2001
|
21:15:20
|
00:10:29
|
2,39
|
26
|
ZDF
|
Setter
|
Di
|
30.05.2000
|
21:29:05
|
00:00:39
|
2,37
|
27
|
PRO7
|
Focus TV
|
So
|
08.04.2001
|
22:35:04
|
00:22:23
|
2,33
|
28
|
ARD
|
Lindenstraße
|
So
|
08.04.2001
|
18:41:11
|
00:28:54
|
2,30
|
29
|
SAT.1
|
ran - Bundesliga
|
So
|
08.04.2001
|
19:15:54
|
00:20:03
|
2,27
|
30
|
SAT.1
|
ran - Bundesliga
|
Sa
|
07.04.2001
|
19:39:20
|
00:13:28
|
2,27
|
Seh 3-49 bedeutet: Sehbeteiligung
der 3- bis 49-Jährigen (Familiensehbeteiligung) in Millionen
Quelle: Bestandsaufnahme zum
Kinderfernsehen 2000/2001, AGF/GfK PC#TV, Media Control, eigene
Berechnungen
In Abbildung 1 finden sich die großen
Sender ARD, ZDF, PRO7, RTL, RTL2 und SAT.1, wobei RTL der Favorit
der Familien ist. Neben kleinen Zwischenelementen wie dem Wetterbericht
finden sich große Kinofilme, Krimis und Shows. Diese Sendungen
bilden den Kern des Familienfernsehens. Mit Hilfe der Liste können
erste Aussagen über die zeitlichen Nutzungsschwerpunkte und
auch die präferierten Sender gemacht werden.
Die Prime-Time ist der Nutzungsschwerpunkt
Aus der Liste geht schon eine deutliche zeitliche
Schwerpunktsetzung hervor: Die Prime-Time zwischen 19.00 und 22.30
Uhr ist an allen drei Tagen die am stärksten genutzte Zeit.
Bei genauerer Betrachtung des Umfelds des Kerns (siehe Punkt 3.1:
Nutzungsflächen) fällt jedoch auf, dass am Donnerstag
und am Sonntag über den ganzen Tag verteilt auch kleinere Nutzungsflächen
liegen. An allen Tagen kumulieren die Sehbeteiligungsspitzen jedoch
deutlich in den Abendstunden.
Der Familiensender RTL
Besonders prägnant lässt sich der
Nutzungsschwerpunkt Prime-Time beim Familiensender RTL erkennen.
RTL ist bei den Hits am häufigsten vertreten und hat die meisten
Familiennutzungsflächen. Hier zeigt sich auch, dass es keine
großen Unterschiede bezüglich der Wochentage in der Nutzung
der späteren Programmelemente gibt (s. Abb. 2).
Die anderen privaten Sender weisen eine ähnliche
zeitliche Nutzungsverteilung auf. Eine Ausnahme bildet SuperRTL,
der sich auch aus der Nutzungsperspektive als kinderorientierter
Familiensender zeigt. Hier bestimmen die Kinder das Familienprogramm,
da wenige Erwachsene mit ihren Kindern SuperRTL nutzen.
Das etwas andere Nutzungsschema bei
der ARD
Bei den öffentlich-rechtlichen Programmen
bietet sich ein etwas anderes Bild. Am Beispiel der ARD zeigt sich
eine größere Ausdifferenzierung (s. Abb.3).
Es ist auch hier eine stärkere Nutzung
des Sonntags erkennbar, der sich in der Nutzungsverteilung stark
von Wochentagen unterscheidet. Auffallend ist die deutliche Ausdifferenzierung
der Sehbeteiligungsspitzen am Sonntag, an dem sich größere
und kleinere Nutzungsschwerpunkte (Peaks) über den ganzen
Tag verteilen. Beim Vergleich mit den Sehbeteiligungen der Kinder
lassen sich einige Peaks identifizieren, die Kinderprogramm (z.B.
Die Sendung mit der Maus) und Familien gemeinsam haben.
Der erste Samstags-Peak entsteht aus der
Kinderfläche bei der ARD mit Siebenstein, 1,2 oder
3, Biene Maja und Tabaluga TV. Diese Peaks finden
sich natürlich auch im Diagramm der Familien wieder (wenn auch
nur mit wenig Bedeutung im Vergleich zu den Sehbeteiligungen während
der Hauptsehzeiten der Erwachsenen). Der erste große Peak
bei den Familien am Sonntag ist Die Sendung mit der Maus,
ein Klassiker, den Eltern und Kinder zusammen sehen.
Fazit
Familien sehen vor allem in der Prime-Time
zusammen fern. Dabei nutzen sie hauptsächlich Angebote des
Senders RTL. Bei der Nutzung der späten Programmangebote (nach
22.00 Uhr) unterscheiden sich Wochentage und Wochenende nicht sehr.
Bei den öffentlich-rechtlichen Sendern (hier am Beispiel ARD)
gibt es deutliche Unterschiede der Familiennutzung zwischen den
verschiedenen Tagen.
Die Eltern sehen sich mit ihren Kindern auch
Kinderprogramme an. Die Sendung mit der Maus ist dafür
das bekannteste Beispiel.
2.2 Was wählen Familien aus dem Fernsehprogramm?
Ist das bevorzugte Programm wahllos
zusammengesetzt?
Familien nehmen die zeitliche Strukturierung
ihres Fernsehkonsums recht bewusst vor. Das zeigt die Einbindung
des Fernsehens in die Alltagsorganisation der Familien. Aber wie
verhält es sich mit den Inhalten? Greifen sich Familien beliebig
Sendungen heraus oder gibt es inhaltliche Präferenzen?
In den Hits des Familienprogramms (Abbildung
1) finden sich Kinofilme (Deep Impact, Der verrückte Professor,
Waterworld, Asterix bei den Briten, The Game, Der erste Ritter,
French Kiss), Soaps (Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Big Brother
- Der Talk, Big Brother, Big Brother - die Entscheidung, Lindenstraße),
Sportsendungen (ZDF Sport extra: Moderation, ZDF Sport extra:
Fußball EM Vorbereitung, ZDF Sport extra: Gewinnspiel, ran
- Sat.1-Bundesliga), Serien (Alarm für Cobra 11 - die
Autobahnpolizei, Tatort, Medicopter 117 - Jedes Leben zählt,
Im Namen des Gesetzes) und Rate-Shows (Wer wird Millionär?,
Die Quiz Show).
Während der Stichprobe 2000 war alles
um das damals neue Format Big Brother hoch aktuell und sorgte
für Schlagzeilen, was für die Stichprobe 2001 nicht mehr
zutrifft. Trotzdem finden sich auch in der Stichprobe von 2001 noch
einige Elemente dieses Medienarrangements, wenn auch nicht im Kern
des Familienprogramms, so doch in dessen Umfeld, also in den Nutzungsflächen.
Wie sich aus der Aufzählung schon erkennen
lässt, haben Familien bei dem gemeinsam gesehenen Programm
deutliche Präferenzen.
Kinofilme, Krimiserien, Soaps, Rate-Shows
und Sport stehen bei Familien hoch im Kurs
Von den ca. 14% Zeichentricksendungen der
2000er Stichprobe (ohne Werbung, Trailer und Sponsoring) findet
sich nur der Kinofilm Asterix bei den Briten in den Hits.
Dagegen sind Kinofilme ein zentraler Bestandteil des Familienprogramms,
insbesondere des Familienprogramms, das die ganze Familie gemeinsam
anschaut. Zu diesem Programm gehören als fester Bestandteil
auch die Rate-Shows, die überdurchschnittlich gerne gesehen
werden. Während sich Frauen in Familien eher für die Soaps
interessieren, schauen Väter eher Sport mit ihren Kindern.
Spannende Serien wie Medicopter 117 und Alarm für
Cobra 11 gehören wieder zum Gesamtfamilienprogramm.
Interessanterweise finden sich weder Nachrichtensendungen
(die immerhin ca. 10% der Programmelemente der 2000er Stichprobe,
ohne Werbung, Trailer und Sponsoring, ausmachen) noch Talk-Shows,
Musiksendungen oder Comedies im Kern des Familienprogramms. Auch
Reality-TV, ein Angebot, das Kinder eher überfordert, steht
nur am Rande.
Fazit
Väter schauen mit der Familie Sport,
die Mütter Soaps. Alle zusammen sehen am liebsten Kinofilme,
Krimi-Serien und Rate-Shows.
2.3 Was bekommt die Familie in Sachen
Familienbeziehung angeboten, wenn sie sich vor dem Fernseher versammelt?
Betrachtet man in Abbildung 1 die von Familien
bevorzugten Programme, so sieht man, dass sich Familien vorrangig
in der Zeit zwischen 19.00 und 22.30 Uhr vor dem Fernseher versammeln.
Zu dieser Zeit läuft kein Kinderprogramm mehr. Dagegen finden
sich Spielfilme (Waterworld, Deep Impact, The Game...),
Rate-Shows (Wer wird Millionär?), Serien (Alarm für
Cobra 11 – Die Autobahnpolizei, Gute Zeiten, schlechte Zeiten,
Medicopter 117 – Jedes Leben zählt, Lindenstraße,
...), Real-Soaps (Big Brother), Reality-Sendungen (Notruf,
Die dümmsten Verbrecher der Welt), Nachrichten (Tagesschau,
heute-journal), Sportsendungen (ZDF-Sport extra: FB EM
Vorbereitung, ran – Sat.1 Bundesliga), Magazine (Focus
TV, Explosiv – Das Magazin und der Sonntags-Krimi (Tatort).
Zuschauer wählen diese Programme vermutlich
nach ihrer Befindlichkeit oder aufgrund einer speziellen Motivation.
Natürlich finden auch Zuschauer mit diffusem Nutzungsmuster
(die gelangweilt oder ziellos durchs Fernsehprogramm zappen) zu
diesen Programmen, bei denen sie dann verweilen. Unterhaltungs-
und Familienserien sehen bevorzugt Mütter, während bei
Vätern Sport- und Wissenschaftssendungen sowie Actionfilme
zu den Favoriten gehören. Kinder orientieren sich in der Prime-Time
an den Vorlieben der Erwachsenen.
2.3.1 Motivationen zur Programmauswahl
Was bedeuten diese quantitativ gewonnenen
Ergebnisse in der Erlebnisperspektive von Familienmitgliedern? Dazu
Ergebnisse des qualitativen Teils der Studie von Bettina Hurrelmann
u.a. (1996, S. 163 ff.):
Es ist 20.15 Uhr. Gerade läuft der Abspann
der Nachrichten, Vater und Mutter kommentieren noch den letzten
Bericht aus der Politik, Tochter und Sohn machen es sich auf dem
Sofa neben Mama und Papa bequem. Da wird er auch schon angekündigt,
der Sonntagabend-Film. Die beschriebene Situation findet sich in
unterschiedlicher Konstellation in vielen Familien. Familie trifft
sich beim Fernsehen, um gemütlich miteinander das Wochenende
ausklingen zu lassen. An diese soziale wie mediale Situation binden
Vater, Mutter, Kinder unterschiedliche Motive und Ziele. Für
den einen geht es um Entspannung, für den anderen um Gemeinsamkeit
und Harmonie. Fernsehen schafft jedoch einen Rahmen gemeinsamen
Erlebens aller Familienmitglieder. So mag es für die Tochter
vielleicht nicht unbedingt der letzte Fehlpass von Oliver Kahn sein,
der ihre Emotionen zum Kochen bringt, dennoch lässt das Gefühl,
mit dem Vater etwas teilen zu können, die Sportschau
zur sehenswerten Sendung werden.
Neben einer motivationsgeleiteten Auswahl
von Programmen gibt es eine erziehungsorientierte, die Eltern gezielt
vornehmen. So werden Programme wie z.B. Wer wird Millionär?,
Explosiv – Das Magazin oder Notruf zusammen gesehen,
weil sie Kindern ein bestimmtes Wissen von der Umwelt vermitteln
sollen.
»XY, dat ha’m wir bewusst
mit den Kindern geguckt, damit se wirklich auch die Gefahr mal
sehen [...] wie et in Wirklichkeit is’ [...] auch scho’ mal abends
Explosiv-Sendungen [...] manchmal jagt man den Kindern vielleicht
zuviel Angst ein, aber ich denke, besser se laufen zu schnell
fort als wie dat se zutraulich sin’ und geh’n mit jedem mit« (Fallbeispiel
129, Hurrelmann u.a., S. 239).
»So ist Julia in ihrem
Fernsehverhalten in erster Linie den Erziehungsabsichten ihrer
Mutter unterworfen. Zum Beispiel nimmt sie eine Episode aus Notruf,
"wo Kinder halt so was gemacht haben [...] Das find ich nicht
so gut", zum Anlass, eine vergleichbare, selbst erlebte Geschichte
zu erzählen. Indem sie solche Sendungen auf ihr eigenes Handeln
bezieht, gibt sie zu verstehen, dass die Erziehungsintentionen
der Mutter bei ihr angekommen sind« (Hurrelmann u.a., S. 198).
Eltern nutzen Quiz-Shows sowohl zur Belehrung
ihrer Kinder als auch als eine Art Gesellschaftsspiel. Sie sitzen
gemeinsam beieinander und beantworten zusammen mit dem Kandidaten
die von Günther Jauch bei Wer wird Millionär? gestellten
Fragen. Diese Sendung kommt dem Spiel "Trivial-Pursuit" recht nahe.
Sie verbindet ein Spannungsgefühl (beantwortet der Kandidat
die Frage richtig und nähert er sich stufenweise der Million?)
mit dem Gefühl der persönlichen Teilnahme, durch die Möglichkeit,
mitraten zu können.
Gespräche über Fernsehinhalte vermitteln
häufig ein Gefühl der Gemeinsamkeit. So erklärt eine
Mutter:
"Ja, gerade bei Lindenstraße,
das ist eigentlich so was, wo man häufig, was weiß
ich, sei es mal Drogenprobleme oder ... Missbrauch oder ... ach,
die haben ja alles schon ... wo man wirklich auch einfach darüber
reden kann" (Hurrelmann u.a., S. 168).
Wenn in der Lindenstraße der
alleinerziehende Vater mit der Erziehung seiner beiden Töchter
überfordert ist, dann ist dies sicher auch ein Thema, das vielen
Familienmitgliedern vertraut ist und als Aufhänger für
ein Gespräch dienen kann. Generell ist die Lindenstraße
mit ihren Darstellern, der Umgebung und dem, was passiert, sehr
dicht am Alltagserleben von Zuschauern. Sie finden sich hier wieder
und suchen nach Problemlösungsstrategien für ihren Alltag
oder sie nutzen das Gesehene, um eigene Themen anzusprechen.
2.3.2 Thema Familienbeziehung
Familienprogramm entsteht dennoch nicht nur
durch die gemeinsame Rezeption, die wiederum Teil der Beziehungsgestaltung
der Familie ist. Programme bieten als gemeinsames Thema Familienbeziehung,
manchmal direkt, oft mehr oder weniger verschlüsselt.
In den Stichproben der "Bestandsaufnahme
zum Kinderfernsehen" aus den Jahren 2000 und 2001 waren es neben
Rate-Shows wie Wer wird Millionär? insbesondere die
Sonntagabend-Filme, die sich einer großen Sehbeteiligung erfreuten
und von denen sich einige auch inhaltlich auf das Thema Familie
bezogen. Eltern wählen häufig diese Programme (vgl. Hurrelmann
u.a., S. 70) - meist relativ unbedarft und ohne die kindliche Perspektive
mitzubedenken.
Die im Folgenden beschriebenen Sendungen
stehen exemplarisch für die Liste der von Familien bevorzugten
Programme. Bei den fiktionalen Programmen sind Waterworld
und Deep Impact die Film-Highlights am Sonntagabend in der
Programmstichprobe 2000 und 2001. Die nicht-fiktionalen, pseudorealen
Programme Notruf und Big Brother sowie Wer wird
Millionär? werden hier aufgrund ihrer besonderen Beliebtheit
bei Familien und der öffentlichen Aufmerksamkeit knapp diskutiert.
Fiktionale Programme: Kinder sehen brüchige
Familienbeziehungen, dürfen jedoch das entlastende Happy End
nicht mehr anschauen
Waterworld (RTL, Sonntag, 28. 05.
2000, 20.15 Uhr)
Waterworld ist ein Endzeit-Film,
der den Zuschauer gleich mit dem ersten Satz mit einer Weltuntergangsstimmung
konfrontiert: "Ein neuer Anfang oder die totale Vernichtung". In
Form einer Berichterstattung wird in die Situation eingeführt:
"Zukunft. Die Kontinente
der Welt sind abgetaucht. ... Die wenigen, die überlebt haben,
schufen sich eine neue Welt – Waterworld." Während sich die
guten Protagonisten nach einem normalen Leben zurücksehnen
und Kraft sowie Energie verwenden, um "Dry-Land" zu finden, geht
es den bösen Protagonisten ("Smokern" und "Slavern") darum,
"Dry-Land" zu finden, um es zu beherrschen. Der einzige, der sich
den bösen "Smokern" und "Slavern" nicht unterwirft und der
es wagt, sie zu bekämpfen, ist ein "Mutant", ein Mensch mit
Kiemen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein kleines Mädchen,
auf dessen Rücken sich als Tattoo eine Landkarte befindet,
die verschlüsselt den Weg nach "Dry-Land", dem Ziel aller
Menschen, weist. Dieses Mädchen hat unter den "Waterworld"-Bewohnern
eine Vertraute gefunden, die die Mutterrolle übernimmt und
sie beschützt. Dieser Ziehmutter gelingt es bei einem Angriff
der "Smoker", den Mutanten dafür zu gewinnen, das Mädchen
und sie auf seinem Schiff aufzunehmen und zu retten. Hier entsteht
recht deutlich eine Familie, deren Zusammenwachsen jedoch sehr
konfliktreich verläuft, was der Film mit großer Brutalität
zeigt. So malt das Mädchen unerlaubterweise auf dem Schiff
und wird dafür vom Mutanten, seinem Ziehvater, zunächst
ausgeschimpft und dann brutal ins Wasser geworfen. Die Ziehmutter
rettet es jedoch. Immer wieder verteidigt sie das Mädchen
als ihr Kind und versucht dem Mutanten zu erklären, dass
ein Kind die von ihm als Ziehvater gesetzten Regeln noch nicht
kennen kann. Er befiehlt ihr daraufhin, sie dem Mädchen beizubringen.
Kurz bevor die drei Protagonisten "Dry-Land" erreichen, haben
Ziehvater, Ziehmutter und Mädchen zur Familie zusammengefunden.
Nach der Auflösung der inneren Bedrohung muss sich die neue
Familie bei einer Bedrohung von außen behaupten. Die "Smoker"
entern das Schiff des Mutanten und entführen das Mädchen.
Obwohl die "Smoker" drohen, dem Mädchen die Tätowierung
aus dem Rücken zu schneiden und seine Haut in einen Rahmen
zu spannen, lässt es sich nicht einschüchtern, weil
es sich seiner Rettung durch den Mutanten sicher ist. Natürlich
wird das Mädchen gerettet und zusammen mit einigen Waterworld-Bewohnern
nach "Dry-Land" gebracht. Der "Mutant" entscheidet sich jedoch
gegen das traute Glück auf "Dry-Land" - ein Entschluss, der
vom Mädchen zunächst enttäuscht, aber letztlich
mit Verständnis akzeptiert wird: "Er hat kein Zuhause, er
braucht für niemanden zu sorgen."
Das Gelingen einer den Film über gefährdeten
und bedrohlichen Familienbeziehung haben alle die Kinder, die aufgrund
des bevorstehenden Schultages früher ins Bett mussten, nicht
gesehen. Damit konnten sie auch nicht das harmonische Ende dieser
turbulenten Familiengeschichte erleben, die der Abenteuergeschichte
unterlegt ist. Obwohl die Filmfigur des Mutanten und dessen Lebensgefährtin
nicht die natürlichen Eltern des Mädchens sind, geht es
doch deutlich um die bedrohlichen Konflikte, die entstehen, wenn
Mann, Frau und Kind zur Lebensgemeinschaft einer Familie zusammenwachsen
- ein Prozess, der sich im Film in Aktionen und in Kommunikation
entwickelt, die jedoch sehr brutal inszeniert sind.
Deep Impact (PRO7, Sonntag, 08. 04.
2001, 20.15 Uhr)
Ein weiterer Film der Hitliste, der in der
Geschichte eingeflochten das Thema Familienbeziehungen behandelt,
ist Deep Impact.
Auf der Oberfläche
der Filmdarstellung ist Deep Impact ein Katastrophenfilm,
der zeigt, wie sich die USA auf den Aufprall eines Kometen vorbereiten,
nachdem dieser nicht mit technischen Mitteln in eine andere Laufbahn
gezwungen werden kann. Familienbeziehungen werden auf mehreren
Ebenen dargestellt. Zum einen gibt es eine Reporterin, die für
eine aktuelle Berichterstattung der Abwehraktionen der NASA zuständig
ist. Sie ist die Vertrauensperson ihrer Mutter, einer emotional
gebrochenen Frau, deren Mann sie wegen einer jüngeren Frau
verlassen hat. Die sonst im Beruf durchsetzungsfähige und
starke Frau wird im Zusammenhang dieses Familiendramas wieder
zum kleinen Mädchen, das seinen Vater bittet, wieder zur
Mutter zurückzukehren. Als der Vater diesem Wunsch nicht
nachkommt, verlässt sie wutentbrannt den Raum. Es kommt erst
wieder zur Aussprache und Versöhnung, als das dramatische
Ende naht - in Form einer gigantischen hohen Flutwelle am Strand.
Weiterer Protagonist ist ein
Junge, der den Kometen entdeckt und der NASA davon berichtet hat.
Dieser Junge tritt in unterschiedlichen Beziehungskonstellationen
auf. Zum einen agiert er in seiner Familie, die gemeinsam in die
"Arche", ein unterirdisches Bunkersystem, aufgenommen werden soll.
Zum anderen ist da seine Freundin mit ihrer Familie, der dieses
Glück verwehrt bleibt. Die Rede des US-Präsidenten,
in der erklärt wird, es bekomme nur ein kleiner Teil der
Bevölkerung Einlass zur "Arche", ist im Fernsehen zu sehen.
Hier sehen die Zuschauer im Fernsehen eine typische Familiensituation
vor dem Fernseher: Händchen haltende Teens, die kleine Tochter
auf dem Schoß der Mutter, der Vater im Sessel. Um seine
Freundin nicht zu verlieren, entscheidet der Junge, sie zu heiraten
und so zum Familienmitglied zu machen. Die Entscheidung zwischen
alter und neuer Familie ist tragisch, weil die eigene Mutter der
geretteten Freundin, obwohl schwanger, schutzlos zurück bleiben
muss. Als der Junge, kurz bevor er die "Arche" betritt, von diesem
Dilemma erfährt, kehrt er mit einem Motorrad durch die Massen
fliehender Menschen zurück und überzeugt seine junge
Frau, das Neugeborene ihrer Mutter in die rettende "Arche" mitzunehmen.
Nicht-fiktionale Programme3:
Auch gefühlsorientierte nicht-fiktionale Programme thematisieren
Familie
Neben diesen Spielfilmen, finden Familien
inhaltlich auch vieles in nicht-fiktionalen Programmen wie Notruf
oder Big Brother:
Notruf ist eine Sendung,
die von tragischen Unfällen realer Personen und ihrer Rettung
in letzter Sekunde berichtet. Hier spielen Familienmitglieder
eine besondere Rolle, da sie neben Fachleuten (Ärzten und
Feuerwehrleuten) den Hergang des Unfalls und der Rettung schildern
und dabei auch immer wieder ihre Angst, den geliebten Menschen
zu verlieren, zum Ausdruck bringen. Die einzelnen Schritte, vom
Finden des Opfers bis zu seiner Rettung, werden in nachgestellten
Szenen beschrieben. Häufig lobt das Rettungspersonal den
Einsatz eines Familienmitglieds, weil ohne dessen verantwortungsvolles
Verhalten das Opfer wahrscheinlich nicht überlebt hätte.
Hier erscheinen Brüche im Alltagsleben einer Familie auf
dem Bildschirm, die einzelne Familienmitglieder durch ihren rettende
Einsatz zum Guten wenden.
Bei Big Brother finden
sich zunächst fremde junge Leute in einem Container zusammen,
um dort über einen längeren Zeitraum hinweg zusammen
zu leben. Dies ähnelt in gewisser Weise einer familienähnlichen
Situation, da sich nach einer bestimmten Zeit unterschiedliche
Rollen herausbilden, die denen einer Familie nahe kommen. Die
Rezeption dieser Sendung ähnelt dem Blick durchs Schlüsselloch
oder dem Ohr an der Wand, mit der Möglichkeit, vertraulichen
und intimen Gesprächen beizuwohnen. Vor der Kamera spielt
sich normaler Alltag mit seinen Höhen und Tiefen ab. Zudem
diskutieren die Bewohner Themen wie Treue oder homosexuelle Beziehungen,
die Familien aufnehmen und weiterführen können. Insofern
bietet "Big Brother" unterschiedliche Angebote in Sachen Zusammenleben,
sozialer Einstellungen und gesellschaftlicher Themen, die auch
für Familien und deren Alltags- bzw. Beziehungsgestaltung
relevant sind.
Die beschriebenen Sendungen beinhalten also
Familienthemen, die jedoch in einem für Kinder eher ängstigenden
und belastenden Kontext erscheinen. Dabei trägt die realistische
Darstellungsform dieses Genres vermutlich zur emotionalen Belastung
bei.
3. Fernsehen als Erziehungsaufgabe
einer Familie
3.1 Lassen sich bei den Familien bestimmte
Nutzungsmuster erkennen und identifizieren?
Diese Frage lässt sich mit Hilfe von
Nutzungsflächen bearbeiten. Die Hits der Familie bilden quasi
den Kern des Familienfernsehens. Um diesen Kern herum befindet sich
ein von Familien genutztes Fernsehumfeld, da sich Familien nicht
trennscharf zu einer einzelnen Sendung vor dem Bildschirm treffen.
Wenn ein größeres Familienpublikum in gleicher Weise
für sich Programmzusammenhänge definiert, entstehen Nutzungsflächen.
Methode zur Bestimmung der Familiennutzungsflächen
Da das Familienpublikum durch Nutzungsschwerpunkte
familientypischer Altersgruppen rechnerisch konstruiert wird, ergibt
sich aus der Schnittmenge der Nutzungsflächen der einzelnen
Altersgruppen die Diskussionsbasis für das Phänomen Familienfernsehen.
Eine Nutzungsfläche ist dann gegeben, wenn sich die Familienmitglieder
über mindestens 20 Minuten auf einen gemeinsamen Programmablauf
festlegen. Die jeweilige Rahmengröße der Sehbeteiligung
ist im Verhältnis zum Maximalwert der Altersgruppe definiert.
(Die minimale Sehbeteiligung einer Altersgruppe zur Definition der
Nutzungsflächen wird auf rund 10% der maximalen Sehbeteiligung
der Altersgruppe innerhalb der gesamten Stichprobe festgelegt.)
Familiennutzungsflächen sind Programmeinheiten, die gleichzeitig
mindestens 100.000 Kinder (3 - 13 Jahre), 50.000 Jugendliche (14
- 19 Jahre), 100.000 Twens und 300.000 Erwachsene (30 - 49 Jahre)
für mindestens 20 Minuten sehen.
Hier lassen sich nur exemplarisch einige
Nutzungsflächen diskutieren, weitere sind auf der Website des
Projekts "Bestandsaufnahmen zum Kinderfernsehen" zu finden:
Beispiele für Familiennutzungsflächen
Abbildung 4
ARD am Sonntag (28. 05. 2000)
Uhrzeit
|
Programmelement
|
|
19:11:44
|
Weltspiegel
|
|
19:51:11
|
Sportschau-Telegramm
|
|
19:59:55
|
Tagesschau
|
Eine
der Familiennutzungsflächen der ARD liegt zwischen 20.05
und 21.45 Uhr. Der markierte Teil zeigt, welche Programmelemente
die Familien hintereinander angesehen haben.
|
20:16:28
|
Tatort
|
21:44:47
|
Sabine
Christiansen
|
|
22:47:08
|
Kulturreport
|
|
Quelle: Bestandsaufnahme zum
Kinderfernsehen 2000, AGF/GfK PC#TV, Media Control, eigene Berechnungen
(Fünf-Minuten-Pausen
wurden ignoriert)
Abbildung 5
RTL am Donnerstag (05. 04. 2001)
Uhrzeit
|
Programmelement
|
|
18:18:10
|
Guten Abend RTL Teil
3 (n)
|
|
18:28:02
|
Guten Abend RTL Teil
4 (n)
|
|
18:30:09
|
Exclusiv - Das Star-Magazin
|
|
18:45:00
|
RTL aktuell
|
Eine
Familiennutzungsfläche von RTL liegt zwischen 18.50 und
22.25 Uhr. Der markierte Teil zeigt, welche Programmelemente
die Familien hintereinander angesehen haben.
|
19:09:47
|
Explosiv - Das Magazin
Teil 1
|
19:34:47
|
Explosiv - Das Magazin
Teil 2
|
19:38:28
|
Gute Zeiten, schlechte
Zeiten Teil 1
|
19:44:02
|
Gute Zeiten, schlechte
Zeiten Teil 2
|
20:12:23
|
Gute Zeiten, schlechte
Zeiten Teil 3
|
20:14:58
|
Alarm für Cobra
11 - die Autobahnpolizei Teil 1
|
20:51:07
|
Alarm für Cobra
11 - die Autobahnpolizei Teil 2
|
21:18:37
|
Alarm für Cobra
11 - die Autobahnpolizei Teil 3
|
21:45:13
|
Alarm für Cobra
11 - die Autobahnpolizei Teil 4
|
22:15:48
|
Die Wache Teil 1
|
22:46:06
|
Die Wache Teil 2
|
|
23:09:29
|
Die Wache Teil 3
|
|
23:16:09
|
C-16: Spezialeinheit
FBI Teil 1
|
|
Quelle: Bestandsaufnahme zum
Kinderfernsehen 2001, AGF/GfK PC#TV, Media Control, eigene Berechnungen
(Fünf-Minuten-Pausen
wurden ignoriert)
Abbildung 6
SAT.1 am Samstag (07. 04. 2001)
Uhrzeit
|
Programmelement
|
|
17:30:29
|
SAT.1 Nachrichten
|
|
17:52:31
|
SAT.1 Wetter
|
|
17:58:56
|
ran - Basketball Teil
1
|
|
18:14:18
|
ran - Basketball Teil
2
|
|
18:28:53
|
ran - Bundesliga Teil
1
|
|
18:35:44
|
ran - Bundesliga Teil
2
|
Eine
der Familiennutzungsflächen von SAT.1 liegt zwischen
18.35 und 23.30 Uhr. Der markierte Teil zeigt, welche Programmelemente
die Familien hintereinander angesehen haben.
|
18:37:51
|
ran - Bundesliga Teil
3
|
18:53:06
|
ran - Bundesliga Teil
4
|
19:00:14
|
ran - Bundesliga Teil
5
|
19:08:34
|
ran - Bundesliga Teil
6
|
19:16:34
|
ran - Bundesliga Teil
7
|
19:27:32
|
ran - Bundesliga Teil
8
|
19:39:20
|
ran - Bundesliga Teil
9
|
19:52:52
|
ran - Bundesliga Teil
10
|
19:59:54
|
ran - Sport
|
20:14:13
|
Der erste Ritter Teil
1
|
20:36:39
|
Der erste Ritter Teil
2
|
21:08:54
|
Der erste Ritter Teil
3
|
21:54:43
|
Der erste Ritter Teil
4
|
22:24:20
|
Der erste Ritter Teil
5
|
22:51:49
|
Die Wochenshow Teil
1
|
23:14:41
|
Die Wochenshow Teil
2
|
23:43:11
|
Die Wochenshow Teil
3
|
|
23:53:23
|
Die Wochenshow - Classics
Teil 1
|
|
Quelle: Bestandsaufnahme zum
Kinderfernsehen 2001, AGF/GfK PC#TV, Media Control, eigene Berechnungen
(Fünf-Minuten-Pausen
wurden ignoriert)
Abbildung 7
RTL am Samstag (07. 04. 2001)
Uhrzeit
|
Programmelement
|
|
18:45:00
|
RTL aktuell – Weekend
|
|
19:09:10
|
Explosiv - Weekend Teil
1
|
|
19:16:32
|
Explosiv - Weekend Teil
2
|
Eine
weitere Familiennutzungsfläche von RTL liegt zwischen
19.30 und 23.15 Uhr. Der markierte Teil zeigt, welche Programmelemente
die Familien hintereinander angesehen haben.
|
19:59:49
|
Explosiv - Weekend Teil
3
|
20:14:52
|
Wer wird Millionär?
Teil 1
|
20:35:07
|
Wer wird Millionär?
Teil 2
|
21:12:11
|
Wer wird Millionär?
Teil 3
|
21:15:20
|
Big Brother - die Entscheidung
Teil 1
|
21:27:39
|
Big Brother - die Entscheidung
Teil 2
|
21:49:20
|
Big Brother – die Entscheidung
Teil 3
|
22:19:14
|
Big Brother - die Entscheidung
Teil 4
|
22:42:51
|
Big Brother - die Entscheidung
Teil 5
|
23:06:16
|
Big Brother - die Entscheidung
Teil 6
|
23:15:10
|
Live ertappt! Die witzigsten
Überwachungsvideos Teil 1
|
|
23:38:23
|
Live ertappt! Die witzigsten
Überwachungsvideos Teil 2
|
|
00:00:31
|
RTL aktuell – Weekend
|
|
Quelle: Bestandsaufnahme zum
Kinderfernsehen 2001, AGF/GfK PC#TV, Media Control, eigene Berechnungen
(Fünf-Minuten-Pausen
wurden ignoriert)
Diese Auswahl aus mehreren Dutzend längerer
und kürzerer Familiennutzungsflächen innerhalb der Stichproben
zeigt den Zusammenhang, in den einzelne Sendungen eingebettet sind.
Von den Sendern angebotene "Flächen",
wie Sabrina - Total verhext, Charmed - zauberhafte Hexen
und Buffy - Im Bann der Dämonen (s. Szenenfotos), für
die in Trailern gemeinsam geworben wird, nehmen Familien auch als
zusammengehörig an. Aber auch traditionelle Formen der Nutzungsmuster
finden sich hier wieder ("Nach der Tagesschau kommt Tatort").
|
|
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Sabrina – Total verhext,
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Charmed – zauberhafte Hexen und
|
Buffy - Im Bann der Dämonen
|
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|
Ein Familienmitglied bestimmt, was
gesehen wird, die anderen schauen mit
Im Familienprogramm gibt es natürlich
Sendungen, die die weiblichen Familienmitglieder bevorzugen und
die die männlichen eher nur mit-sehen (Gute Zeiten, schlechte
Zeiten) und auch solche, die eher die Väter mit der Familie
sehen (ran).
Beispiel: Männer schauen Sport,
die ganze Familie den Kinofilm
Typisch dafür ist die samstägliche
Nutzungsfläche von Sat.1, in der ran liegt (s. Abb.
7 u. 8).
Mit Beginn von ran – Bundesliga steigt
die Sehbeteiligung an. Während bei den männlichen Familienmitgliedern
die Sehbeteiligung sehr hoch geht und in den Werbeunterbrechungen
stärker abfällt, bleibt die der weiblichen Familienmitglieder
relativ konstant. Mit Ende der Sportsendung lässt die Sehbeteiligung
der männlichen Familienmitglieder stark nach. Sie steigt nur
langsam wieder an. Jetzt sehen sich Familien gemeinsam den Kinofilm
Der erste Ritter an. Auch hier lässt sich deutlich die
absinkende Sehbeteiligung in den Werbeunterbrechungen ablesen. Gerade
die 10- bis 13-jährigen Kinder sehen zusammen mit ihren Eltern
diesen Kinofilm. Da danach noch die Wochenshow mit Ingolf
Lück folgt, sehen am Samstag auch nach 23.00 Uhr noch viele
Kinder fern, allerdings hauptsächlich die 10- bis 13-Jährigen.
Frauen schauen die Soap, die ganze
Familie die Krimi-Serie
Genau umgekehrt ist die RTL-Nutzungsfläche
am Donnerstagabend konstruiert (s. Abb.9).
Pünktlich zum Beginn von Gute Zeiten,
schlechte Zeiten kurz vor 20 Uhr schalten sich die Zuschauer
ein, zunächst mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer.
Während die Kindergartenkinder nicht ins Gewicht fallen, zeigt
sich mit zunehmendem Alter größeres Interesse an dieser
Soap. Pünktlich zum Beginn des Autobahnkrimis Alarm für
Cobra 11 – die Autobahnpolizei um 20.15 Uhr setzen sich die
Männer mit vor den Fernseher. Mit dem Beginn der Serie Die
Wache um 22.15 Uhr fallen die Sehbeteiligungen rapide ab. Die
Nutzungsfläche ist zu Ende.
Fazit
Neben Sendungen, die eher die Mütter
oder eher die Väter mit den Kindern sehen, gibt es auch richtige
Familiensendungen, bei denen die ganze Familie vereint fernsieht.
Während der Werbeunterbrechungen schaltet ein Viertel der Zuschauer
auf ein anderes Programm. Bei Sendungen, deren Sendezeiten ein fester
Bestandteil des Sendeplans sind, schalten die Zuschauer sehr gezielt
ein (Gute Zeiten, schlechte Zeiten, ran – Bundesliga,
Die Sendung mit der Maus usw.). Die Zuschauer strukturieren
ihren Alltag nach den präferierten Sendungen.
3.2 Emotionale und kognitive Verarbeitung
des Fernsehangebots – Nicht alles ist für Kinder einfach, auch
wenn Erwachsene dies meinen
Eltern sind meist diejenigen, die das gemeinsame
Familienprogramm auswählen und dem Kinder sich dann anschließen.
Eltern haben jedoch keine klaren Vorstellungen davon, ob und wie
Kinder mit Fernsehangeboten emotional und kognitiv zurecht kommen.
Bettina Hurrelmann u.a. (1996, S. 94, 95) haben festgestellt,
"...dass Kinder Sendungen
sehen, die nicht für sie geeignet sind, was allerdings von
den Eltern relativ selten als echtes Problem wahrgenommen wird."
Dabei führt das "routinemäßige Mitsehen mit den
Erwachsenen [...] sowohl zu vermehrtem Konsum von unverständlichen
[...] als auch von beängstigenden Sendungen, ein deutlicher
Hinweis darauf, dass diese Nutzungsroutine häufig eine Überforderung
der Kinder nach sich zieht."
Reality-TV
Die von den Eltern nicht selten als eher
lehrreich eingeschätzten Berichte aus Notruf bewerten
Kinder dagegen nicht gerade positiv. So erklärt ein Mädchen
erst bei Abwesenheit seiner Mutter, es empfinde Notruf als
erschreckend und belastend:
"Zuerst hab’ ich gedacht,
ich mag gerne Notruf, aber jetzt halt, mit den blutenden Kindern
immer halt [...] vom Fernsehen träumen nachts, ist ja normal
halt" (Bettina Hurrelmann u.a., S. 199).
Notruf ist eine Sendung, die Eltern
eher für wertvoll halten, weil die Berichte zu den einzelnen
Notfällen stets auch die zur Rettung notwendigen Handlungsschritte
erklären. Neben Familienmitgliedern, die den Unfall schildern,
werden also immer wieder auch Ärzte und Feuerwehrleute interviewt,
die den Notfall und die getroffenen Maßnahmen zur Rettung
in fachlicher Sprache schildern. Handlungsweisen werden dabei mit
komplizierten Fachbegriffen und genauer Beschreibung einer zeitlichen
Reihenfolge dargestellt. Das kann Kinder überfordern, wenn
sie sich beispielsweise die zur Rettung notwendigen Schritte merken
wollen. Zudem zeigen die Berichte das Familiengefüge recht
deutlich. So rettet eine Tochter ihre Mutter gerade noch vor dem
Tod durch einen Wespenstich, der eine allergische Reaktion ausgelöst
hat. Hier könnte zum einen die geschilderte Angst der Tochter,
zum andern auch die von Pusteln übersäte Haut der Mutter
(die laut Beschreibung der Tochter fast schon einem Monster ähnelt)
Kinder ängstigen. Die meisten der geschilderten Fälle
tragen sich im ganz normalen Alltag zu und vermitteln Kindern so
das Bild einer gefährlichen Umwelt. Zwar kommt es in jedem
der Fälle zur Rettung, doch gelingt diese nur, weil die Personen
richtig gehandelt haben.
Der letzte Bericht der Notruf-Sendung
aus der Stichprobe der "Bestandsaufnahme zum Kinderfernsehen" handelt
von einem Vater, der nach einem Kopfball beim Fußball zunächst
ohnmächtig wird und dann einen Herzstillstand erleidet. Laut
Aussage eines Experten konnte er nur dadurch gerettet werden, weil
seine Freunde die Herzmassage richtig durchgeführt hatten.
Ansonsten hätte dieser Hilfeversuch auch tödlich enden
können. Diese Erklärung suggeriert den Zuschauern, Erste
Hilfe sei nur mit dem entsprechenden Fachwissen sinnvoll. Der im
Anschluss gesendete Spielfilm Der verrückter Professor,
dessen komödiantischer Inhalt Kinder vielleicht die zuvor gesehenen
bedrohlichen Bilder zunächst vergessen lässt, liefert
sicher nicht die Distanz, damit im Schlaf unverarbeitete und bedrohliche
Bilder aus Notruf nicht doch wieder auftauchen. Ob Kindern
Berichte zur Sendung Notruf über Stuntmen und nachgespielte
Situationen helfen, Distanz aufzubauen, bleibt fraglich.
Spielfilme
Auch Spielfilme wie Deep Impact oder
Waterworld können Ängste bei Kindern auslösen.
Bei Deep Impact geschieht dies nicht nur durch die im Film
dargestellte Panik und existenzielle Angst der Menschen vor dem
Weltuntergang, sondern auch durch den im Anschluss gesendeten Beitrag
aus Focus TV, der von realen Kometen berichtet. Das fiktive
Ereignis und das reale Ereignis Komet durchdringen sich, was kaum
eine Distanz zur Bedrohlichkeit des dramatischen Films Deep Impact
bietet. Insbesondere das Leiden einzelner Familienmitglieder und
die bevorstehende Trennung dominieren das letzte Drittel des Spielfilms.
Trennung ist ein für Kinder mit Angst besetztes Thema. Sicher
besitzen ältere Kinder die Medien- und Genrekompetenz, um sich
auch von einem hoch dramatischen Film zu distanzieren. Doch die
nachfolgende Reportage, die den bedrohlichen Kometen im anderen
Genrekontext in seiner Wirklichkeit bestätigt, lässt einen
Distanzierungsmechanismus (das sei ja doch alles nur erfunden) kaum
mehr zu. Fiktion und Realität verschmelzen, die schockierenden
Realbilder der Zerstörung durch einen Kometen stützen
den Wahrheitsgehalt des bedrohlich inszenierten fiktionalen Films.
Kinder, deren Eltern sich den Film Waterworld
als Sonntagabend-Unterhaltung herausgesucht haben, werden einer
emotionalen Belastungsprobe unterzogen. Sicher entwickeln sie große
Nähe zur Rolle des kleinen Mädchens in einer schwierigen,
ja bedrohlichen Familienkonstellation. Der "Mutant" in der Rolle
des Ziehvaters behandelt das Mädchen sogar mit äußerster
Brutalität. Das Mädchen hat auf die Planken des Schiffs
gemalt. Deshalb wirft er seine Ziehtochter plötzlich ins Meer,
obwohl sie nicht schwimmen kann. Diese äußerst bedrohliche
Aktion des Mutanten ist unverständlich, hat aber im Film die
wichtige Funktion, den Mann als unzivilisiert zu zeigen. Kinder
können dies jedoch nicht einordnen. Der Film führt deshalb
zuschauende Kinder von einem Horrorszenario zum nächsten: Ein
totes Kind beim Überfall der "Smoker"; Leichen, die wie Marionetten
an Fäden hängen und wie lebende Menschen winken; "Du und
ich: ja!, Die Kleine wirfst Du über Bord"; "Er tötet sogar
kleine Mädchen.", Smoker: "Das tun wir doch alle!"(s. Szenenfotos).
Szenen aus Waterworld:
Winkende Leiche Der
brutale Smoker
Beide Filme wurden am Sonntag gesendet. Es
ist wahrscheinlich, dass viele Kinder nur den ersten Teil der Filme
mit der Problementwicklung gesehen haben und dann ins Bett mussten,
ohne jedoch die Auflösung mit dem Happy End von Waterworld
gesehen zu haben (s. Abb. 10). Die bedrohlichen Bilder begleiten
die Kinder vermutlich in ihren Träumen. Die Alltagsorganisation
der Familie ist hier medienpädagogisch alles andere als unterstützend
zur Bearbeitung heftiger Filmerlebnisse.
Obwohl Deep Impact längst nicht
so brutale Szenen bietet wie Waterworld, sehen Kinder in
Deep Impact jedoch detailgetreue Darstellungen des Familienalltags
(z.B. die Szene vor dem Fernseher), die belastend und bedrohlich
sein können, weil sie im Kontext der Filmgeschichte u.a. auf
dramatische Weise Trennungsängste ansprechen. Hinzu kommt die
Verbindung der fiktionalen Repräsentation von Themen mit einer
sehr realen Form der Repräsentation, die Focus-TV mit
seiner Dokumentation von Kometeneinschlägen im Anschluss an
Deep Impact liefert. Hier ist die Aufmerksamkeit der Eltern
gefragt, die ihren Kindern Erklärungen anbieten müssten,
was jedoch vermutlich eher selten geschieht.
ANMERKUNGEN |
1
Hurrelmann, Bettina; Hammer, Michael; Stelberg, Klaus: Familienmitglied
Fernsehen. Opladen: Leske & Budrich 1996.
2 Weitere Mitarbeiter/innen:
Ole Hofmann, Judith Seipold, Klaus Rummler.
3 Mit nicht-fiktionalen
Sendungen sind hier solche gemeint, die ihren Realitätscharakter
durch die dort auftretenden "realen" Personen erhalten. "Reale"
Personen sind in diesem Zusammenhang solche, die für das zuschauende
Publikum nicht explizit als Schauspieler erkennbar sind.
Quellennachweis Abbildungen 2, 3, 8, 9 und 10: AGF/GfK PC#TV, Media
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DIE AUTOREN |
Ben Bachmair, Dr. phil., ist Professor
für Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik im Fachbereich
1 Erziehungswissenschaft/Humanwissenschaften der Universität
Gesamthochschule Kassel.
Clemens Lambrecht, Doktorand, und Claudia Topp, Dipl.-Päd.,
sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Fachbereich 1 der Universität/GH
Kassel.
INFORMATIONEN |
Internationales
Zentralinstitut
für das Jugend-
und Bildungsfernsehen
IZI
Tel.: 089 - 59 00 21 40
Fax.: 089 - 59 00 23 79
eMail: izi@brnet.de
internet: www.izi.de
COPYRIGHT |
© Internationales Zentralinstitut
für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) 2000
Nachdruck oder Vervielfältigung, auch auszugsweise, nur
mit ausdrücklicher Genehmigung des Herausgebers!
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